Novels2Search

38.2 Nevins Probe

»Eurer Versprechen bedeutet mir herzlich wenig«, sagte der Kaiser. »Es sind nur Worte. Wer weiß, was im Verbotenen Osten geschieht. Warum solltet Ihr zurückkehren?«

Elyon schloss kurz die Augen, als würde sie über ihre nächsten Worte nachdenken. Dann öffnete sei diese langsam wieder und obwohl ihr Blick nach vorne gerichtet war, konnte man eindeutig sehen, dass sie in die Leere starrte.

»Lasst Prinz Ilias mit mir ziehen. Der Thronfolger wird alles dafür tun, damit wir beide wieder zurückkehren«, schlug Elyon vor.

Nevin schnappte nach Luft und im selben Moment, stieß sein Vater ein schallendes Gelächter aus.

»Als würde ich meinen Sohn so einfach ziehen lassen! Seid ihr nicht mehr bei Sinnen? Weil er der Thronfolger ist? Am Ende denken alle nur an ihr eigenes Leben. Nein, nein. Der Prinz bleibt hier.«

Nevin presste die Lippen zusammen. Natürlich würde sein Vater ihn nicht ziehen lassen. Er hatte keine Hoffnung gehabt, doch der Gedanke, an Elyons Seite bleiben zu können und als erster vielleicht endlich von diesem Fluch befreit zu werden, klang so verführerisch und erleichternd, dass es ihn schmerzte, nicht hoffen zu dürfen.

»Und wie soll ich mir sicher sein, dass Prinz Ilias am Leben und heil sein wird, wenn ich zurückkehre?«, fragte Elyon und ihr Gesicht wirkte noch finsterer als das seines Vaters.

»Ich wusste nicht, dass Ihr so viel für den Prinzen empfindet, Eure Hoheit. Macht Euch keine Sorgen. Ich gebe Euch ein Jahr Zeit. Solange wird meinem Sohn kein Haar gekrümmt werden, auch wenn er sich verwandeln sollte.«

Stille. Die Falten auf Elyons Stirn verrieten, dass sie dem Wort des Kaisers nicht vertraute.

»Prinz Ilias ist mein Blutsgeschworener«, warf Elyon zurück.

Sein Vater hob die Augenbrauen, bedachte Nevin kurz mit einem Blick, dann grinste er hämisch.

»So so, mein Sohn hat also vorgesorgt. Ha, wagt ihr es etwa dem Kaiser zu drohen?«

Sein Vater warf Elyon eisige Blicke zu, doch sie hatten keine Wirkung auf Elyon, dessen finstere Miene sich keinen Augenblick veränderte.

»Nein. Es ist nur eine Warnung«, warf sie zurück.

Zwei Bogenschützen legten Pfeile an, andere legten die Hände auf ihre Schwertgriffe. Doch Elyon schloss nur die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. Der Bulle stieß ein leises Röhren aus.

»Warum richtet Ihr Eure Waffen auf mich? Ich habe die Überhand in dieser Verhandlung und gehe dennoch auf Eure Bedingungen ein. Ich könnte mir einfach den Prinzen schnappen und den Büffeln freie Hand geben«, erklärte Elyon langsam und öffnete wieder ihre Augen.

Sein Vater grummelte vor sich hin, einige der Männer sahen nun ganz schön blass aus. Sobald der Kaiser ihnen ein Handzeichen gab, packten sie wieder ihre Waffen weg. Nevin war erleichtert, dass Elyon gnädig war. Sie musste sich auch bewusst sein, wie viele weitere Herausforderungen und Schwierigkeiten sie haben würde, sollte sie dem Kaiser hier etwas antun. Und er würde von ihnen ebenfalls nicht erspart bleiben. Und in seinem Zustand konnte Nevin kaum etwas tun. Es war noch nicht an der Zeit, dass sein Vater abdankte. Leider. Zuerst musste er endlich diesen Fluch loswerden.

Aik näherte sich nun seinem Vater an und schien ihm etwas mitteilen zu wollen, doch der Kaiser achtete nicht auf den hellblonden Mann, sondern auf etwas anderes. Nevin folgte seinem Blick. Er lag auf Finan. Der Kaiser grinste finster.

Eine schlimme Vorahnung packte Nevins Herz wie eine eiskalte Hand. Das würde Finan nicht gefallen. Hoffentlich blieb sein Bruder ruhig. Sonst würde er sich das Schwert des Kaisers einfangen.

»Ich lasse Euch nur unter einer Bedingung ziehen ...«

Elyons Augen zogen sich tief über ihre vernarbten Augen. Ihr Bulle scharrte mit den Pfoten hinter ihr. Nevins Wächter zog ihn so heftig von Elyon weg, dass seine Handgelenke danach brannten.

»Mein Sohn Finan wird Euch begleiten und wieder zurückbringen.«

»Was?!«, rief Finan und sämtlich Farbe verließ sein Gesicht.

Nevin heftete seine Augen auf Finan, versuchte verzweifelt ihn gedanklich zu beschwören, nichts zu sagen und einfach zu gehorchen. Doch sein kleiner Bruder hatte schon immer mehr Schwierigkeiten gehabt, seine Gefühle zu zügeln.

»Vater! Bitte nicht! Es ist ein fremdes Land, ich habe meine Verpflichtungen ich-«

Support the author by searching for the original publication of this novel.

»Halt deinen Mund!«, rief der Kaiser und zog sein Schwert.

Finan zuckte zusammen und schluckte schwer, doch Elyon verharrte still und der Bulle schritt näher zu ihr hin. Der Hengst des Kaisers wieherte nervös und tänzelte zurück. Nevins Vater musste fluchend sein Schwert wieder zurück in die Scheide stecken, um sein Pferd wieder unter Kontrolle zu bringen.

»Ich nehme ihn mit«, war alles, was Elyon zurückgab.

Finan klappte seinen Mund auf, doch er blieb still. Stattdessen starrte er mit vor Furcht aufgerissenen Augen den Boden an.

»Nein, ich will nicht. Bitte nicht«, las Nevin von Finans Lippen ab. Elyon verzog genervt ihr Gesicht und murmelte etwas zurück, das Nevin nicht lesen konnte.

»Abgemacht«, sagte der Kaiser, sobald sein Reittier sich wieder beruhig hatte. »So wie ich meinen Sohn kenne, wird er sicherlich alles dafür tun, dass Ihr zurückkehrt, um seinen Bruder zu retten.«

Ja, aber er würde jeden Tag, in dem er nicht in den Annehmlichkeiten seines eigenen Heims sein konnte hassen. Diese Reise würde für Finan das Schlimmste sein und sollte Nevin dies überleben, würde er niemals das Ende seiner Beschwerden hören. Hoffentlich würde Elyon ihm nicht das Genick brechen. Nevin fürchtete, dass sein kleiner Bruder nicht der angenehmste Reisepartner für sie sein würde. Sie schien nicht die Art von Person zu sein, die viel Geduld für Launenhaftigkeit hatte.

Aik ritt wieder vorsichtig an den Kaiser heran und wisperte ihm etwas zu, doch Nevins Vater winkte ihn ab.

»Wir haben es auf deine Weise versucht. Und es hat nichts gebracht.«

»Aber Eure Majestät!«, rief Aik und seine Augen waren weit geöffnet. Nevin konnte sich nicht vorstellen, was ihn so erregte. War der Verbotene Osten so gefährlich? Gegebenheiten, die er vorher nicht bedacht hatte, kamen Nevin in den Sinn. Würde es Elyon noch mehr kosten, als ihre Augen und ein Arm? Sollte er sie lieber hier zurückhalten? Kalter Schweiß brach aus seinen Armen heraus.

»Es reicht! Wir verschwenden hier nur unsere Zeit! Lasst Prinzessin Elyon losziehen«, rief sein Vater und erleichterte Blicke tauchten in den Gesichtern der Wachen auf. Sie wollten so schnell wie möglich von der unsicheren Gefahr ziehen, die von den Riesenbüffeln ausging.

Doch nun, würde Elyon wegziehen. Gemeinsam mit seinem Bruder. Nevin würde nicht mehr sehen ... für wie lange? Wann würden sie wieder zurückkehren? Würden sie es wirklich schaffen, rechtzeitig wieder zurückzukehren? Konnte er es schaffen, solange noch den Fluch zurückzuhalten? Ein warmes Gefühl brodelte in seinem Bein. Der Druck, der vorher Nevins Atem zum Stocken gebracht hatte, kroch zurück in seine Brust.

»Lasst mich noch kurz mit Prinz Ilias sprechen!«, rief Elyon und wartete gar nicht, auf die Antwort des Kaisers. Mit zusammengekniffenen Augen ging sie auf ihn zu. Nevin bewegte sich leicht von dem Drachenjäger weg, der ihn immer noch an den Ketten hielt, in der Hoffnung, dass sie ihn so besser bemerkte.

Sie tastete nach seinem Arm und starrte nach oben. Er traf ihren Blick, doch es war eindeutig, dass sie seinen nicht finden konnte.

»Bleib ruhig. Komme wieder. Versprochen. Werde dich retten, werde Fluch brechen«, sagte sie leise.

Ihre Augenbrauen entschlossen zusammengezogen. »Keine Angst.«

»In Ordnung. Ich gebe mein Bestes und warte auf dich.«

»Überleben. Zur Not fliehen. Ich finde dich.«

Nevin nickte.

Elyon drückte einmal seinen Arm. Dann strich sie mit ihrer Hand langsam in Richtung seiner, ein Schauer, fuhr über Nevin, da er nicht verstand, warum sie ihn so sanft berührte. Wollte sie die fürsorgliche Verlobte spielen?

Doch dann schob sie etwas in seinen Ärmel. Es fühlte sich an wie ein dünnes und leicht raues Bandstück.

Nevin fing sich schnell wieder und brachte sein Lächeln zurück.

»Vielleicht kann helfen. Wegen Fluch.«

»Pass auf dich auf. Und habe bitte Geduld mit meinem Bruder. Er wird sich nach einer Zeit wieder einkriegen.«

Elyon nickte, dann wandte sie ihm den Rücken zu und ging an seinem erstarrten und blassen Bruder vorbei. Nevin ließ sie keinen Augenblick aus den Augen, selbst als der Jäger ihn zurück zu seinem Pferd zerrte, sah er immer wieder nach hinten.

Sein Bruder löste sich von seiner Starre, doch sein Gesicht sah immer noch entsetzt aus, während er Elyon dabei half, auf den Kopf des Büffels zu klettern.

Seine Brust verengte sich, sobald er auf dem Pferd saß, das ihn zurück in sein Gefängnis bringen würde.

»Es wird alles gut«, sagte Dilek.

Die Männer ritten los. Nevin nahm tief Luft und fühlte vorsichtig nach dem Gegenstand. Er lenkte sich damit ab, indem er versuchte zu fühlen und sich vorzustellen, was es sein könnte.

Erst als er wieder in seine Zelle saß, umgeben von Schatten und kalten Steinwänden. Holte er es aus seinem Ärmel heraus. Sein Bein pulsierte immer noch mit Wärme, während er das geflochtene Band betrachtete. Er hielt es hinauf, um so viel von dem spärlichen Licht darauf fallen zu lassen, wie möglich.

Es waren Haare. Dunkle, dicke Strähnen zu einem Armband geflochten. Elyons Haare.

Ihre Gegenwart reichte aus, um seinen Fluch wieder zu beruhigen. Doch wie sollte er dieses Armband benutzen? Und wo sollte er es aufbewahren?

Ohne lange zu überlegen, ließ er vorsichtig ein wenig von dem Fluch in seine Nase steigen und roch an dem Armband. Zunächst dröhnte sein Kopf, als der Fluch versuchte, ihn zu übermannen, doch der Duft von Elyon seine Nase traf, fühlte sich sein Kopf leichter an und statt einer wallenden Hitze, spürte er nur noch prickelnde Wärme, so wie es sein sollte, wenn er den Fluch kontrollierte.

Nevin seufzte erleichtert und steckte das Armband vorsichtig seinen Schuh, da er weder seine Hosentasche, noch seine Brusttasche mit seinen angeketteten Händen erreichen konnte.

»Alles in Ordnung?«, fragte Dilek.

»Ja. Alles in Ordnung.« Nevin würde ihm später von dem Armband erzählen. Jetzt wo der Fluch sich beruhigt hatte, fühlten sich seine Lider schwer an und seine Augen brannten. Er lehnte seinen Kopf gegen die Wand und ruhte seinen erschöpften Körper aus.