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Elyons Fluch Band 1 (German)
23.1 Alinas Zustand

23.1 Alinas Zustand

Jedes Schlucken sendete einen drückenden Schmerz durch ihren Hals. Alina wusste, dass es einfach war, diesen Schmerz loszuwerden. Sie braucht dafür nur Wasser zu trinken. Doch was brachte das schon? Es würde ihren Durst stillen. Aber das klaffende Loch in ihr würde bleiben.

Mit einem schweren Seufzen, zog sie ihren Körper wie eine Schlange enger um Aivens Grab und öffnete kurz ein Auge. Die Dämmerung war fast vorüber. Bald würde sie von Dunkelheit umgeben sein. Tessa war verschwunden, eine winzige Erleichterung für Alina. Sie wollte ihre Cousine nicht sehen, die genauso blond war wie Demian. Demian, der Aiven getötet hatte.

Ein leises Kratzen riss sie aus ihren Gedanken und sie richtete sofort ihren Kopf auf, auf der Suche nach der Geräuschquelle. Ein leicht modriger Geruch wehte ihr entgegen. Am anderen Ende des Gartens kletterte gerade ein Drache über die hohe Mauer.

Alinas Herz machte sich zum ersten Mal seit Aivens Tod durch ein heftiges Beben bemerkbar. Links von dem weißen Drachen, der gerade die Mauer hinunterschwebte, war eigentlich ein Wachturm. Doch niemand hatte Alarm geschlagen. Da sah sie, wie eine dunkle Flüssigkeit aus dem Maul des Drachens herabrann und sie sprang auf die Beine. Demian. Er fing ihren Blick auf und schwebte langsam auf sie zu. Alina entblößte die Zähne und knurrte ihn heiser an.

»Ich bin nicht hier, um euch anzugreifen«, flüsterte er hastig. »Bitte hör auf zu knurren. Ich bin wegen diesen hier.« Demian öffnete seine rechte Vorderpfote, die er bis dahin geschlossen gehalten hatte und enthüllte vier goldene Federn. Feuerfalkenfedern.

»Ich will mich nur von ihm verabschieden. Ich verschwinde sofort wieder«, wisperte Demian, mit zittriger Stimme.

Alinas Körper fühlte sich an, als würde er in Flammen aufgehen und der Zorn, brachte ihre Kehle zum Grollen. Hitze stieg in ihre Nüstern auf und ein leichter, schwarzer Nebel strömte heraus.

»Alina«, rief Tessa die gerade aus dem Obstgarten herauskam. »Ich habe dir etwas Wasser-« Ihre Cousine erstarrte auf der Stelle ein und starrte erschrocken ihren Bruder am.

»Demian!«, zischte sie und der Wasserschlauch fiel aus ihrer Hand. »Was machst du hier? Du musst verschwinden. Schnell! Prinz Nevin wurde aus der Ferne gesichtet, er wird bald hier sein.«

»Ich bin gleich wieder weg. Ich wollte nur diese Feuerfalkenfedern bringen. Für Aivens Grab.«

Er legte sie am Fuß des Erdhügels. Doch statt sich sofort wieder auf dem Weg zu machen, sah er mit einem schmerzerfüllten Blick zu seiner Schwester. Alina knurrte und pirschte sich an ihn ran, um ihn Richtung Mauer zu treiben.

»Alina, bitte sei leise. Ich flehe dich an«, wisperte Tessa und packte Alina an ihrem Backenfell. Alina schüttelte sie so heftig von sich ab, dass ihre Cousine nach hinten stolperte und ins Gras fiel.

»Tessa!« Demian hastete zu ihr und hielt ihr seinen Kopf hin, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Alina spürte es. Die tiefe Verbindung zwischen ihnen. Demians Sorge, Tessas Dankbarkeit, das Glück, dass sich beide wieder sehen konnten. Alles nur durch den Austausch ihrer Augen. Etwas, dass sie selbst nie wieder haben würde. Wieder wallte der Schmerz in ihrer Brust und das Brennen in ihr verstärkte sich.

»Verschwindet! Alle beide!«, zischte sie. Beide Geschwister erstarrten mit einem erschrockenem Ausdruck im Gesicht. Da erst fiel es ihr auf. Sie hatte gesprochen, in ihrer Drachenform. Sie presste die Zähne aufeinander. Umso besser.

»Geh. Hau einfach ab. Meinetwegen, willst du sowieso nicht bleiben. Aiven, dein Lieblingscousin ist tot. Was bringt es, wenn du hier bleibst?" Alinas Stimme klang so schrill, dass es in ihren eigenen Ohren stach. Weder Demian, noch Tessa bewegten sich von der Stelle. Tessa hatte noch immer einen Arm um Demians Kopf gelegt.

»Ich hab gesagt, du sollst verschwinden!«, fauchte Alina. »Du hast ja noch deinen Bruder. Haut einfach gemeinsam ab. Ich bin ja zu nichts gut, außer, um dich zu behindern. Aber vergiss, nicht, dass er es war, der Aiven umgebracht hat! Und nicht nur Aiven.« Alinas Augen brannten und juckten, doch es kamen keine Tränen, um ihr Erleichterung zu verschaffen. Sie presste die Lider zusammen. »Geh und sieh selbst, was Demian für schreckliche Dinge tut.«

Da kam ein Grollen aus Demians Maul.

»Welches recht hast du, mich zu beurteilen? Du weißt fast gar nichts über mein Leben. Was in den letzten vier Jahren passiert ist. Du stellst mich als einen Mörder und Bösewicht dar, dabei sind es andere, die für all das Leid verantwortlich sind!«

Tessa legte eine Hand auf Demians Nasenrücken. »Ihr müsst beide still sein! Sonst hetzt ihr noch alle Wachen auf uns«, zischte Tessa, nur um dann ihre schmerzerfüllten Augen auf Alina zu richten.

»Alina, ich weiß, dass du aus deinem Leid heraus sprichst und Dinge sagst, die du nicht wirklich so meinst. Ich rate dir, lieber zu schweigen, ehe du deine eigenen Worte später bereust.«

Tessas ruhige, erklärende Stimme fachte den Zorn in Alina nur weiter an. Und es wurde nur schlimmer, als sie Tessas Hand bemerkte, die immer noch ihre Hand auf Demians Nasenrücken hatte.

Sie glaubte Alina nicht. Nahm sie nicht ernst. Das musste es sein. Als wäre Aivens tot nur ein einfacher Unfall. Als wäre Demian nicht schuldig dafür, Adlerstal anzugreifen und andere verletzen zu wollen, nur um seinen Willen zu kriegen.

»Hau ab. Ich brauche dich nicht und ich will dich nicht sehen! Verschwindet. Alle beide.«

Alina schnaufte, im Versuch wieder ihren schwarzen Nebel aus den Nüstern strömen zu lassen, doch es klappte nicht. Sie fühlten sich völlig ausgetrocknet an. So konnte sie nur knurren.

»Alina, sag so was nicht ...«

Sie knurrte noch lauter, sodass Tessas nächste Worte verstummten und ihre Cousine gezwungen war, zu schweigen. Die blauen Augen glänzten im Mondlicht und Alinas Knurren starb ab.

»Nur weil du deinen Bruder verloren hast, solltest du mir meinen eigenen nicht missgönnen. Falls für dich die Tatsache, dass Demian noch am Leben ist und Aiven nicht, wirklich so schrecklich ist, dann wäre es wirklich besser zu gehen.«

Demian warf einen vorsichtigen Blick auf seine Schwester, in dem eine leise Hoffnung lag.

Alina hielt es nicht aus. Mit einem schweren Kloß im Hals, wandte sie ihnen den Rücken zu.

»Meinst du es wirklich?«, wisperte Demian. Tessas Antwort, hörte Alina nicht mehr. Sie legte sich mit ihrer zerrissenen Brust zurück vor Aivens Grab hin.

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»Alina, wir sind immer noch Familie. Wenn du uns irgendwann brauchen solltest, kannst du trotzdem jederzeit zu uns kommen. Mein Reich steht dir offen«, sagte Demian und seine Worte verursachten so ein heftiges Brennen in ihr, dass Alina glaubte, ihr ganzer Körper würde sich gerade zersetzen.

Dann hörte sie ein Zischen, das sich immer mehr entfernte. Bis kein Geräusch mehr zurückblieb, außer dem Rauschen der Abendbrise durch die Blätter der Obstbäume.

Alina schloss die Augen und machte etwas von den Schmerzen in ihr durch ein leises Winseln Luft. Die Wut ließ langsam nach, doch ihr Körper war immer noch unerträglich warm. Als läge sie im Fieber.

»Alina!«, rief irgendwann eine helle Stimme durch den Garten. Alina hatte keine Kraft, um ihren schwirrenden Kopf zu heben. Die Stimme rief noch einen Augenblick lang weiter nach ihr und als sie verstummte, spürte sie kurz darauf zwei kleine Hände an ihrem Kopf. Langsam öffnete Alina ihre Augen und blickte direkt in Gilwas Gesicht. Mit den Mundwinkeln nach unten und einer leicht vorgeschobenen Lippe, sah er sie an, die Augen gefüllt mit Tränen die als schwere Tropfen seine Wangen herabrannen. Keinen Laut gab der kleine Junge von sich, außer einem erstickten Schluchzen, ehe er seinen Kopf in der Nähe von Alinas Nacken legte.

Gilwa war nicht ihr einziger Besucher. Nicht weit von ihnen, standen Lenius, Elyon und Nevin.

Alina wünschte, sie hätte nicht ihre Drachensicht gehabt, denn mit ihr konnte sie selbst in der Nacht deutlich die mitleidigen Blicke der drei erkennen. Keiner von ihnen sagte ein Wort.

Doch Elyon, löste sich schon bald von der Gruppe und schritt auf sie zu, um vor ihr hinzuknien und ihr rechtes Auge aufzureißen. Alina erschreckte innerlich, doch ihr Körper war zu erschöpft, um mehr als mit einem winzigen Zucken zu reagieren. Als Nächstes, zog Elyon ihr Maul auf und tastete ihre Zunge ab.

»Zu trocken.«

»Hier, ich glaube, das hat vermutlich Tessa für sie hier gelassen«, sagte Nevin und hielt Elyon den Wasserschlauch hin.

Elyon nahm ihn an sich und mit einem Nicken, bedeutete sie Nevin Alinas Kopf hochzuhalten. Alina wehrte sich nicht. Ihr Körper schien nach und nach zu ertauben. Sie hätte nichts dagegen gehabt, wenn dem so wäre. Nie wieder etwas spüren zu müssen. Für immer zu schlafen.

»Verwandeln?« Elyon fragte Alina, doch sie konnte als Antwort nur ein lautes Schnaufen von sich geben. Das Mädchen seufzte traurig und fuhr mit einer Hand über ihr blasses Gesicht. Erst jetzt merkte sie, dass Elyons Augen trüb aussahen und etwas angeschwollen.

»Es ist schwer, jetzt. Und das Vermissen geht nicht weg. Aber wird leichter. Meine Mutter ist gestorben, ich war noch klein. Meine zweite Familie, ein Wolfsrudel, sind getötet worden.« Elyon legte eine Hand auf Alinas Stirn und kraulte sie.

»Ich hab auch meine alte Familie verloren«, wisperte Gilwa und schniefte leise. »Meine Eltern und meine drei Schwestern. Sie wurden von Drachen gefressen.« Gilwas Unterlippe zitterte und er wischte sich hastig die Tränen von den Augen. »Aber jetzt ist Lenius meine Familie. Du kannst auch zu unserer Familie gehöre, nicht wahr?« Der Junge sah Lenius an, der sich zu ihm bückte und ihn in seinen Armen nahm. „Natürlich."

»Wo ist eigentlich Tessa abgeblieben?«, fragte Nevin.

»Weg«, röchelte leise. Alle Augen richteten sich überrascht auf sie.

»Alina! Du kannst ja sprechen!«, rief Gilwa.

»Was? Was meinst du mit weg?«, fragte Nevin.

»Demian. War hier«, zwang Alina, trotz Halsschmerzen, aus ihrem Maul heraus. »Hat Tessa mitgenommen.«

»Was? Wieso war er hier? Was hat er getan?« Nevins Stimme donnerte in ihren Ohren.

»Federn«, murmelte Elyon, die vor Aivens Grab hockte und goldene Federn in der Hand hielt.

»Von Feuerfalken«, erklärte Alina.

»Und mehr hat er nicht getan?«, hakte Nevin nach.

»Du solltest nach den Wachen schauen.« Alina, zeigte mit der Schnauze auf den Wachtturm hinter dem Friedhof, dann schloss sie erschöpft ihre Augen. Rasche Schritte kratzten auf dem Erdweg.

»Alina. Wir brauchen für Morgen deine Hilfe. Wärst du bereit, Elyon zu einem Treffen mit dem Kaiser zu fliegen?«

Mit zitternden Lidern, öffnete Alina ihre Augen und betrachtete Elyons Gesicht. Eine Falte hatte sich zwischen ihren dunklen Augenbrauen gebildet und ihr Kinn war angespannt.

»Ja. Sicher.« Alina sagte es, ohne genau über Lenius' Worte nachzudenken.

»Danke«, sagte Elyon und ging zu einem Birnbaum, um etwas zu holen, dass Alina zunächst wegen der Dunkelheit nicht genau erkennen konnte. Elyon hielt das Bündel in ihren Armen Gilwa und Lenius hin, die sich jeweils zwei Decken nahmen.

»Wir zelten! Nur ohne Zelt!«, rief Gilwa und legte seine Filzdecke direkt neben Alinas Bauch.

Etwas verwirrt beobachtete Alina die drei dabei, wie sie ihr Nachtlager um sie herum vorbereiteten und sich dann hinlegten. Während Lenius und Gilwa es sich zu ihrer Rechten bequem machten, drückte Elyon sich nahe an ihre linke Seite und wickelte die Pelzdecke fest um sich.

Ein leichtes, schlechtes Gewissen nagte an ihr. Doch Alina war zu müde, um sich in die Burg zu begeben, oder sie davon zu überzeugen, selbst dort zu übernachten. So bettete sie ihren Kopf zurück ins Gras. Alinas Körper fieberte immer noch vor sich hin. Ihre Brust fühlte sich zerschlissen an. Doch jetzt, war es ein winziges bisschen leichter zu ertragen.

Vor dem nächsten Morgengrauen, stand Alina bereits im Hof und wartete auf Elyon und Nevin. Neben ihr stand Lenius, ebenfalls in seiner Drachenform. Gilwa hatten sie im Dorf untergebracht, in einer Familie die gleichaltrige Söhne hatte und in der Nähe des Waldsaums wohnte, sodass sie in der Not dort schnell Zuflucht finden konnten.

»Willst du vorher noch was trinken?«, fragte Lenius sanft.

Alina schüttelte den Kopf. Sie war so voll mit Wasser, dass ihr Magen gegen die Bauchdecke spannte. Da wurden die Türen die zum Palas der Burg führten aufgerissen und Nevin, gefolgt von Dilek und Elyon, traten in den Hof.

Elyon und Nevin waren gekleidet in samtenen, goldgelben und roten Röcken und Hosen. Über ihre Schultern hingen dunkelrote Umhänge, bestickt mit rankenähnlichen Mustern nahe des Saums. Dilek war ebenfalls edel angekleidet, in cremefarbenen und blauen Tönen, doch ohne Umhang, dafür mit Schulterklappen, die das gleiche Stickmuster trugen, wie die kaiserlichen Umhänge, doch statt goldene Fäden zu tragen, waren sie in dunkelblau gehalten. Zudem trug Dilek an seinem Gürtel, der zwei mit wappenbestickte Schwerthalter versehen war, ein Langschwert und einen Dolch. An seinem Rücken trug er einen Pfeilköcher und einen Bogen, während Elyon und Nevin jeweils ein zweihändiges Schwert mit sich führten.

Die Haare hatten alle drei in der gleichen Weise zusammengebunden. Das Deckhaar zurückgesteckt, Elyon hatte ihr schwarzes Haar sogar geflochten. Zum ersten Mal seitdem Alina sie gesehen hatte, sah sie wie eine Adlige aus. Es kam nicht nur von ihrer Kleidung, sondern auch durch den kerzengeraden Rücken, die leicht erhobene Nase und dem festen Gang, was den Eindruck ihres hohen Standes nochmal stärkte. Als sie vor Alina anhielt, ächzte Elyon leise und zog an ihrem goldenen Kragen, um sich am Hals zu kratzen.

Dilek überprüfte gerade die große Ledertasche, die vor Lenius' Brust hing. Selbst diese war mit goldenen Stickereien verziert.

»Wir haben alles. Lasst uns aufbrechen«, erklärte Dilek. Während Nevin und Dilek auf Lenius ritten, trug Alina Elyon aus Adlerstal Richtung Norden. Ihr Blick war starr nach vorne gerichtet, doch sie nahm nichts von ihrer Umgebung wahr. Wie von allein folgte ihr Körper dem weißen Drachen vor ihr, während sich ihre Gedanken immer mehr in einen dunklen, schweren Nebel auflösten. Sie dachte an nichts und gleichzeitig an alles. Sie fühlte sich taub und gleichzeitig erschöpft und schwer.

»Alina.« Elyon klopfte sanft auf ihre Stirn und riss sie aus ihrem Dämmerzustand heraus. Sie blinzelte und bemerkte jetzt erst, dass etliche Fluglängen zwischen Lenius und ihr lagen. Alina zog ihre Geschwindigkeit an und schlängelte sich mit fünf Zügen wieder näher an den riesigen Drachen heran.

Am späten Morgen, machten sie kurz Rast in der Nähe eines Flusses. Als Nevin ihr sagte, sie sollte trinken, ging Alina zum Fluss und trank. Als Elyon ihr etwas Traumtod entgegenhielt, öffnete Alina ihr Maul und aß. Als Lenius ihr bedeutete, sich hinzulegen und zu rasten, bettete sie ihren Körper auf das Gras und starrte in die Leere. Als Nevin weiterfliegen wollte, senkte sie widerstandslos ihren Kopf und trug Elyon wieder hinauf in die Lüfte und ließ sich von Lenius führen.