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30.1 Nevins Panik

Weit oben am Himmel beobachtete Nevin, wie Elyon sich den Büffeln näherte. Sein Körper bebte im Takt seines Herzschlags und sein Fell stellte sich auf.

Nun blieb sie stehen und ein Ruf, so laut und hoch, dass selbst Nevin es hören konnte, echote durch die Luft. Eine langgezogene, fast gesungene Melodie.

Alle Riesenbüffel hoben ihre Köpfe und Nevin flog ein Stück näher zum Boden hin, sein Herz immer noch hämmernd und ließ die Tiere nicht aus den Augen.

Doch die kolossalen Wesen bewegten sich nicht. Sie hörten Elyon nur zu und als sie danach für eine Weile schwieg, näherten sie sich ihr vorsichtig an. Allen voran ein Kalb, das mit besonders mutigen Schritten auf sie zulief.

Nevin beobachtete weiter, bis der größte Riesenbüffel direkt vor Elyon stand und sie ihm einen Apfel gab. Kein einziges Tier scharrte mit den Hufen, oder stieß ein gefährliches Röhren aus. Selbst diese Kolosse waren keine Schwierigkeit für sie.

Er machte sich auf den Weg zurück zum Fluss, wo die anderen auf sie warteten. Nevin hatte ihr versprochen wegzufliegen, sobald klar war, dass die Tiere ihr nichts antun würden. Er könnte durch seine Gegenwart Elyon gefährden, deshalb zog er sich so schnell wie möglich zurück, ehe die Riesenbüffel ihn bemerkten.

Mitten im Flug spürte er wie ein starker, warmer Strom durch seinen Körper floss. Nevin hielt an. Es war eine andere Wärme, als die, die er sonst spürte. Stärker, leicht stechend, gleichzeitig streichelnd. So hatte er den Fluch noch nie erlebt.

Nevin sah auf sich herab, doch er konnte keine Veränderung an seiner Drachenform feststellen. Also flog er weiter, zog seine Flughaut langsam ein, je näher er dem Fluss kam.

Mittlerweile hatten die anderen Männer das hohe, goldgrüne Gras platt getreten und ein Lagerfeuer angezündet. Die Zelte hatten sie noch nicht aufgeschlagen, da sie alle hofften, dass Elyon bald zurückkehren und mit ihnen nach Höhental ziehen würde.

Dilek kam ihm in seiner menschlichen Gestalt bereits entgegen, als er gerade erst die Landung anpeilte.

»Es läuft alles gut bei den Riesenbüffeln?«, fragte sein bester Freund, als Lenius die Pfoten ins Gras setzte.

»Ja. Sie hatte keine Probleme.«

Dilek setzte seine Stirn in Falten und starrte auf Nevins Kopf.

»Was ist los?«, fragte Nevin.

»Dein Geweih. Es ist schwarz.«

Nevins Magengrube zog sich zusammen. Er hastete zum Fluss. Auch wenn es eine schnelle Strömung war, floss das Wasser ungehindert von Steinen oder Ästen, sodass er schemenhafte Flecken auf der Oberfläche erkennen konnte. Er machte einen Katzenbuckel mit seinem Hals und sah dann dunkle Flecken, die in der Nähe seiner Ohren von seinem weißen Fell herausstachen. Nevin wurde übel.

»Das ... ist wahrscheinlich kein gutes Zeichen«, sagte er mit belegter Stimme.

Dilek öffnete den Mund, hielt inne, schloss ihn wieder und sagte nichts. Und das traf Nevin schwerer, als wenn sein Freund eine schwarzmalerische Bemerkung von sich gegeben hätte.

Nevin musste sich verwandeln, und zwar schnell. Er begann gegen den warmen Strom in seinem Körper anzudrücken. Doch dieser bewegte sich nicht zurück in die Narbe, sondern wallte weiter in seinen Adern. Nevin schloss die Augen, krümmte seinen Körper zusammen und drückte weiter mit angehaltenem Atem. Presste. Druck baute sich in seinem Drachenkörper aus, doch die Wärme ließ sich nicht davon beeindruckend. Ächzend schnappte er nach Luft und löste den Druck auf.

»Etwas stimmt nicht. Ich kann mich nicht zurückverwandeln.«

Dilek riss die Augen auf. Jetzt standen auch die anderen um ihn und warfen ihm besorgte Blicke zu.

Nevin atmete immer wieder tief ein und aus, doch die Luft schien immer knapper zu werden.

»Ganz ruhig, Nevin. Beruhige dich. Das passiert ab und zu mit jedem. Leg dich hin, ruh' dich ein wenig aus, dann klappt es vielleicht beim nächsten Versuch.« Dilek klopfte an sein Bein und versuchte zu lächeln. Doch sein Freund war nicht besonders gut darin, seine Gefühle durch seine Mimik zu fälschen. Dileks Stirn war immer noch in Falten gelegt. Doch er hatte recht, Nevin musste sich zuerst beruhigen.

Er legte sich hin, trank gleich etwas Wasser aus dem Fluss und beobachtete danach die anderen dabei, wie sie ein paar frisch erlegte Kaninchen ausnahmen. Doch so sehr er auch versuchte, auf die anderen zu achten, sich durch ihre Gespräche abzulenken, sein Herzschlag beruhigte sich nicht. Es donnerte unendlich weiter gegen seine Brust.

Als die anderen Männer anfingen, die Kaninchen im Feuer anzubraten, hielt Nevin es nicht mehr aus. Er stellte sich auf die Beine und versuchte erneut sich zu verwandeln. Er drückte so fest gegen den warmen Strom in seinem Körper an, dass er zitterte.

Doch es passierte nichts. Seine Drachengestalt blieb. Wieder schien die Luft knapper zu werden. Er hob den Blick, versuchte nach Dilek zu rufen, doch seine Sinne betäubten sich so weit, dass er letztendlich nur noch sein Herzklopfen und ein Rauschen in seinen Ohren hören und spüren konnte. Kein Wort kaum mehr aus seinen Lippen.

This text was taken from Royal Road. Help the author by reading the original version there.

Dumpf hörte er laute Rufe. Sah menschliche Flecken, die sich auf ihn zu bewegten, während er verzweifelt versuchte gegen den Fluch anzukämpfen, der immer heftiger durch ihn rauschte und seine Gedanken langsam auflöste.

Da weckte ihn ein heftiges Beben auf, das ihn zu Fall brachte. Auch die anderen verloren ihr Gleichgewicht und wurden vom hohen Gras verschluckt.

Nevins Sicht klärte sich etwas und er sah braune Fellberge, die auf sie zu galoppierte. Ganz vorne, auf dem Kopf des größten Büffels, saß Elyon.

Er blinzelte und nun da er seine Sehkraft vollständig zurückgewonnen hatte, raubte ihm der Anblick der riesigen Herde den Atem. Sie hatte nicht nur ein oder zwei Tiere mitgebracht, sondern die ganze Herde. Etwas in ihm war erleichtert, vor allem als er Elyon unbeschadet sah. Doch er war immer noch in seiner Drachengestalt.

Da bemerkte er Elyons dunkle Augen, die ihn kritisch anstarrten. Die Herde kam immer näher. Er war in seiner Drachengestalt.

Schnell streckte er seine Flügel aus und zog sich so schnell in die Luft, wie seine Schwingen es ihm erlaubten. Er flog von den Tieren weg, bis er sie gerade noch sehen konnte und landete wieder im hohen Gras. Er beobachtete wie die Riesenbüffel vor dem Lager zum Stehen kamen. Dort wo sie hindurch geprescht waren, blieb ein breiter Weg aus niedergetrampeltem Gras und Staub zurück.

Isko und die anderen entfernten sich so weit von den Tieren, bis sie kurz davor standen, in den Fluss zu fallen. Nur Dilek ging Elyon entgegen, doch Nevin erkannte an seinem vorsichtigen und langsamen Gang, dass auch er sich vor den Tieren fürchtete.

Elyon kletterte von dem Riesenbüffel hinunter und unterhielt sich mit Dilek, der eine ausladende Bewegung machte, während die anderen sich langsam von der Stelle bewegten, näher auf die Tiere zu. Isko hatte bereits Papier und Feder in die Hand genommen und kritzelte hastig ein paar Notizen auf.

Seufzend legte Nevin sich noch flacher ins Gras, auch wenn seine Gestalt zu groß war, als dass die goldgrünen Halme ihn verbergen konnten.

Da zeigte Elyon auf ihn. Nevin stellte die Ohren auf, doch sie waren viel zu weit weg, selbst seine Drachenohren nützten ihm nichts.

Nach ein paar weiteren Worten von Dilek, kletterte Elyon wieder auf ihr Reittier, danach drehte sich zu den anderen Tieren um, schien ihnen etwas zu sagen und trabte schließlich mit dem Riesenbüffel los. Direkt auf den Fluss zu. Das schnelle Gewässer war nicht mal ansatzweise als Hindernis für das Tier zu erkennen, denn es spazierte durch das Wasser, das ihn noch nicht mal zur Hälfte bedeckte, als wäre es nur Gras.

Erst jetzt fiel ihm ein, dass sie sich direkt auf ihn zubewegten. Als nur noch die Hälfte des Wegs zu Nevin fehlte, stand er auf und bewegte sich rückwärts von ihnen weg.

»Bleib stehen!«, rief Elyon.

Nevin gehorchte und legte sich wieder ins Gras, machte sich so klein wie möglich, um nicht den braunen Koloss zu reizen. Obwohl die Riesenbüffel nicht zu den Raubtieren gehörte, waren sie doch die gefürchtetsten Lebewesen im ganzen Kaiserreich. Sollte der Riese sein Maul aufmachen und röhren, würden es selbst Nevins Drachenohren kaum aushalten.

Als der dunkelbraune Riesenbüffel vor ihm anhielt, schluckte Nevin schwer. Das Tier war so groß, dass es selbst mit seiner eigenen Größe aufnehmen könnte, auch wenn Nevins Körper viel länger war. Er wollte nicht wissen, wie ein Stoß mit den leicht nach außen geschwungenen Hörner sich anfühlen würde. Doch das Tier brummte nur leise, während Elyon von ihm hinunterkletterte und beobachtete mit seinen braunen Augen die Landschaft. Als würde Nevin nicht einmal existieren.

»Kannst nicht zurückverwandeln?«, fragte Elyon. Eine leichte Falte bildete sich zwischen ihren Augenbrauen.

»Nein.« Nevin war erleichtert, als er seine eigene Stimme hörte. Wenigstens hatte der Fluch ihn nicht so stark übernommen, dass es ihm auch die Sprache geraubt hatte.

»Vielleicht kann helfen. Schließ Augen, ruhig bleiben. Vertrauen.«

Nevin legte seinen Kopf ins Gras und folgte ihrem Befehl. Dann spürte er, wie ihre Hand sich auf die linken Seite seines Kopfs legte, nicht weit unter seinem Auge.

Im ersten Augenblick, spürte Nevin nur ihre Berührung und die Brise, die über die Graslandschaft wehte. Im Hintergrund hörte er ein leichtes Schmatzen, als der Bulle zu grasen begann.

In ihm rauschte der Fluch, dessen Wärme immer noch in seinen Adern leicht brannte. Doch dann kam etwas anderes. Es war ein neues Gefühl, dass in ihm hinein floss, genauso gewaltig wie der Fluch, doch ohne Schmerzen. Es drückte gegen die Hitze in ihm an, die zunächst nicht nachgab, doch das neue Gefühl, dass sich nun wie eine kühle Brise anfühlte, gab nicht nach. Drückte immer weiter, bis die Hitze nachgeben musste. Das kühle Gefühl breitete sich vollständig in ihm aus, übernahm seine Drachengestalt, zog sie zusammen, ließ sein Fell zurück in seine Haut verschwinden.

Ein Stein fiel ihm vom Herzen, als er spürte, wie er schrumpfte. Elyons Hand löste sich von ihm und Nevin bückte sich, damit das Stofftuch, das um seinen Hals gebunden war, über seinen Körper fiel, sobald er seine menschliche Form wieder hatte.

Als Nevin sich mit den Händen auf dem Boden abstützte, atmete er erleichtert auf. Er war wieder in seinem eigenen Körper. Konnte wieder auf zwei Füßen stehen. Und den groben Stoff des Umhangs auf seiner nackten Haut spüren. Er band diesen fest um seine Schultern, dann schenkte er Elyon einen warmen Blick.

»Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar und erleichtert ich gerade bin. Du bist genau richtig gekommen. Vielen, vielen Dank.«

Elyon nickte, eine Seite ihrer Lippe zuckte ein klein wenig nach oben, dann senkte sie ihren Kopf und atmete tief aus.

»Wie hast du das gemacht? Du musstest noch nicht einmal etwas sagen.«

»Keine Zeit. Aufbrechen. Nach Höhental.«

Sie hatte recht. Ihnen rann die Zeit davon. Der Urdrache bewegte sich auf sie zu. Nevin nickte und ließ sich mit Elyons Hilfe von dem Riesenbüffel zurück zum Lager tragen.