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Elyons Fluch Band 1 (German)
19.3 Nevins Verlust

19.3 Nevins Verlust

»Aiven. Aiven. Aiven!«, stammelte Alina, die Augen weit aufgerissen. Sie sank vor ihrem Bruder auf die Knie, streckte ihre Arme nach ihm aus. Doch ihre Hände hielten dicht über seinen Körper inne, zuckten verloren hin und her, als würde sie sich nicht trauen, ihn anzufassen.

»Aiven?«, wimmerte sie.

Nevin konnte sich nicht bewegen. Dafür saß der Schreck zu tief in seinen Knochen. Seine Kehle schnürte sich zu. Er war tot. Er war nicht nur verletzt. Er war tot.

»Aiven, nein. Nein, nein, nein! Aiven! Wach auf! Wach auf! Ich flehe dich an! Du kannst nicht sterben! Du darfst nicht! Du kannst mich nicht alleine lassen!«, kreischte Alina. Tränen rannen über ihre Wangen herab.

Nevin wandte seinen Blick mit einem verkrampften Schlucken von ihnen ab. Niemand rührte sich. Alle starrten auf die Zwillinge. Selbst Demian schien die Luft anzuhalten, seine Augen waren ebenfalls vor Entsetzen aufgerissen.

Tessa regte sich als Erste und schritt auf die beiden zu. Es schien, als würde sie eine Ewigkeit brauchen, bis sie ihre Cousins erreichte. Mit bebender Lippe, kniete sie sich schließlich vor Aiven hin und fühlte nach seinem Puls.

Alina packte ihre Cousine am Arm. »Tessa, sag mir, dass er ohnmächtig ist! Sag mir, dass er Leben wird!«

Jetzt näherte sich auch Elyon an und kniete sich auf der anderen Seite hin. Behutsam tastete sie seinen Kopf ab. Als sie ihre Hand wieder zurückzog, war sie mit Blut beschmiert. Sie hielt den Atem an, presste ihre Lippen zusammen und betastete ihn weiter. Beide, Alina und Tessa, verfolgten völlig erstarrt, jede einzelne von Elyons Bewegungen.

Schließlich zog Elyon ihre Hände ganz zurück, stütze sie am Boden ab und schüttelte ihren gesenkten Kopf. »Tot.«

Die Stille, die sich nun ausbreitete, drückte Nevins Brust zusammen.

»Alina, es tut mir ... Ich wollte das nicht. Ich wollte es nicht«, wisperte Demian und trat einen Schritt auf sie zu. Er winselte leise.

Mit dem Kopf dicht über dem Boden, brüllte Alina ins Pflaster. Tränen liefen nun auch über Tessas Wangen, die mit roten Flecken übersehen waren und sie presste die Lippen zusammen. Sie wollte gerade ihre Hände auf Alinas Schulter legen, als ihre Cousine Tessa von sich stieß, aufstand und mit tränenbenetztem Gesicht auf Demian zumarschierte.

»Du! Du hast ihn umgebracht! Du hast ihn getötet! Du bist ein Mörder! Ein Mörder«, rief sie, als sie dicht vor ihm stand. Dann strömten aus ihrem Mund dichte, pechschwarze Rauchschwaden heraus. Alina ging auf alle Viere, während immer mehr Rauch aus ihrem Mund heraus wirbelte und ihren ganzen Körper einhüllte.

»Alina!«, rief Tessa entsetzt und rannte auf sie zu, doch sobald sie dem Rauch näher kam, legte sie die Hand vor dem Mund und begann zu husten. Schnell zog sie sich mit geröteten Augen wieder zurück.

Der Rauch lichtete sich etwas und gab die Sicht auf Alinas Drachengestalt frei. Ihre Augen blitzten auf, dann rannte Alina auf Demian zu.

»Alina! Warte!«, rief Demian und wollte zur Seite springen, doch als der Nebel fiel über ihn. Er japste auf vor Schmerzen, der Rauch lichtete sich etwas und gab die Sicht auf Alinas grauen Körper frei. Sie hingmit dem Maul an Demians Hals, nicht weit von der Kehle.

Er brüllte auf, als der schwarze Rauch sein Fell verkohlte. Der Geruch von verbrannten Haaren und Fleisch breitete sich in der Luft aus, zusammen mit einem heiseren Grollen, welches so furchtbar klang, dass alle Drachen, auch Nevin, sich winselnd von den beiden entfernten.

»Alina! Komm zu dir!«, schrie Tessa und eilte zu ihnen.

Demian versuchte sich von Alina loszureißen. Beide wurden immer mehr von dem schwarzen Rauch umhüllt und ein giftiger Gestank breitete sich im Hof aus.

Da knallten schnelle Schritte auf das Kopfpflaster. Elyon raste auf die beiden zu.

»Alina! Komm zu dir! Lass ihn los!«, rief Elyon und tauchte in den Nebel ein. Nevin schnappte nach Luft und wollte ihr gerade hinterherjagen, um Elyon wieder aus dem gefährlichen Rauch herauszuziehen, doch er begann sich zu lichten und das Bild vor ihm, brachte Nevin zum Stehen. Obwohl Demians ganzer Körper von Brandflecken übersät war, blieb Elyon unversehrt. Sie zog gerade an Alinas Widerrist.

»Lass ihn los! Alina! Schau mich an!«, schrie Elyon.

Knurrend ließ Alina von ihrem Cousin ab und schnappte nach der Prinzessin. Diese rollte zur Seite, sprang auf und krallte sich Alinas Kopf.

»Schau mich an! Es tut mir leid! Ich weiß, tut weh, tut sehr weh! Aber komm zu dir! Komm zu dir!«

Alina hechelte schwer. Ihre blutunterlaufenen Augen zuckten immer wieder nach hinten, wo Demian winselnd und ächzend auf dem Boden lag. Elyon ließ nicht von ihrem Kopf ab, redete unaufhörlich auf Alina ein, grub ihre Hände in das Fell unter ihren Backen und kraulte sie. Das Knurren erstarb, doch nicht das Hecheln. Tessa war mittlerweile bei ihrem Bruder und hielt weinend seinen Kopf.

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Mit einem kurzen Blick auf seine verängstigen Diener, kam Nevin wieder zu sich und mit einem leisen Knurren, trat er auf Demian und Tessa zu um ihre Aufmerksamkeit einzufangen.

Als sich beide hellblauen Augenpaare auf ihn richteten, entblößte Nevin seine Zähne.

»Ich zähle bis zwanzig und sollten du und deine Drachen bis dahin nicht verschwunden sein, werde ich euch das gleiche antun, was ihr Aiven angetan habt. Und wage es ja nicht, Lenius mitzunehmen!«

»Nevin!«, wimmerte Tessa. »Er ist verletzt!«

»Dann soll er sich von seinen Drachen zurück in sein verdammtes Reich tragen lassen. Und er soll sich von mir und der Prinzessin fern halten, denn heute ist das letzte Mal, dass ich ihn lebendig davon kommen lasse.« Nevin grollte und fletschte die Zähne.

»Helft mir auf«, stöhnte Demian. Ein paar der Hellgrauen Drachen, fast doppelt so groß wie Demian selbst, kamen zu ihm geschlichen. Nevin knurrte wütend. Einer von ihnen, hatte sie an Demian verraten. Er stand kurz davor, sie allesamt mit einem heftigen Flügelschlag gegen die Mauern seiner Burg zu katapultieren, doch hinter ihm, ertönte Alinas lautes Winseln.

Es hatte heute schon genug Tote gegeben. Einer der Drachen nahm Demian in seinen Pfoten und schwebte hoch. Doch Tessa griff nach einer Vorderkralle ihres Bruders und hielt sich mit einem eisernen Griff daran fest. »Halt! Nevin, ich flehe dich an! Reiß uns nicht auseinander! Lass ihn hier bleiben!«

Zorn brannte in seinen Muskeln. Er hatte kein Mitleid, kein Mitgefühl mehr übrig. Selbst für Tessa nicht. »Entscheide dich. Entweder du gehst mit ihm mit, oder du bleibst hier.«

„Tessa, du musst bleiben. Alina, sie braucht dich", röchelte Demian.

Sie schluchzte auf und zog ihre Hände zurück um ihr Gesicht mit ihnen zu verbergen. Die grauen Drachen flogen endlich davon. Alinas lautes Winseln war verstummt.

Als Nevin sich umdrehte, um nach seiner Dienerschaft zu sehen, lag Alina regungslos da.

»Alina?«, rief Elyon und klopfte mit der flachen Hand auf den Drachenhals. Doch die Augen blieben fest geschlossen. Eine letzte schwarze Rauchschwaden stieg aus ihren Nüstern und löste sich in der Luft auf.

»Was hat sie?«, fragte er besorgt.

»Vielleicht Erschöpfung, Schock«, murmelte Elyon, schloss ihre Augen und seufzte. Danach stand sie auf und ging zu Lenius, der vor Schmerzen leise vor sich hin winselte.

Nevin ließ sie stehen und eilte zu den Bediensteten hin. Einige saßen in sich zusammengekauert, andere lagen, ohne sich zu regen, auf dem Boden. Unter den Liegenden fand er Naias. In seiner Brust klaffte ein riesiges Loch.

»Naias!« Nevin drängte sich an zwei Drachen vorbei und berührte Naias' Gesicht sanft mit seiner Schnauze. Kalt. »Nein, nicht du auch. Naias.«" Nevins Stimme versagte und ein Brennen drückte in seinen Augen.

»Verzeiht uns, Eure Hoheit. Wir konnten ihm nicht helfen. Er hat versucht uns zu schützen und war eins der ersten Opfer«, sagte ein junges Dienstmädchen, das mit zitterndem Kinn näher kam.

Nevin sah sich winselnd um. Außer Naias, gab noch drei andere Bedienstete, die sich nicht mehr rührten. Die anderen waren gerade dabei, ihren Puls zu überprüfen.

Der Druck in seiner Brust raubte Nevin den Atem und der Schmerz die Kraft zu Stehen. Fast knickten seine Beine ein, als ein Drache seinen Kopf unter seinem Hals legte und ihn stützte.

»Nevin«, wisperte Dilek. Er sagte nichts weiter. Doch sein Anblick half Nevin sich ein wenig zu fangen. Er richtete seinen Kopf auf. Er hatte keine jetzt Zeit zu trauern. Er musste sich um den Schaden kümmern, den Demian angerichtet hatte. Seine Bedienstete versorgen. Die Dorfbewohner trösten. Ihre Unterkünfte neu einteilen. Gerade als er versuchte zu entscheiden, was als nächstes geschehen sollte, trat Elyon auf sie zu.

»Muss zur Sturminsel. Sofort.«

»Was? Nein! Auf gar keinen Fall! Du hast du Demian gehört, der Urdrache ist auf dem Weg«, gab Nevin zurück.

»Muss. Zur. Sturminsel.« Sie hob ihren Kopf und feixte ihn an, als könnte sie ihn wieder alleine mit ihrer Stimme dazu bewegen, ihren Befehlen zu folgen.

»Nevin, die Prinzessin hat recht. Jemand muss zu den Inseln fliegen. Wir müssen wissen, wo sich der Urdrache befindet und was er anrichtet«, warf Dilek vorsichtig ein.

»Muss nach Familie sehen. Und Urkunde suchen.« Ihre Stimme zitterte leicht, als sie von ihrer Familie sprach. Nevin ahnte, dass es nicht um ihren Vater ging. Er seufzte laut. Es war wahnsinnig, die beiden ziehen zu lassen. Was auch immer dieser Urdrache genau war, es klang nach Selbstmord, ihm begegnen zu wollen. Doch er hatte keine Kraft, um ihnen zu widersprechen. Er musste jetzt als Herrscher für Adlerstal da sein. Und Dilek war derselben Meinung, wie Prinzessin Elyon. Nevin gab zu, dass es, falls sie die Urkunde finden konnten, das Risiko mehr als wert war.

»Einverstanden. Dilek?« Mehr brauchte Nevin nicht zu sagen.

»Ich fliege sie.«

Auch wenn Nevin ihn am liebsten an seiner Seite behalten hätte, er wollte Elyon keinem anderen anvertrauen. Dilek würde Elyon am besten beschützen können. Wenn jemand auch nur eine geringste Chance gegen dieses Ungeheuer hatte, dann war es Dilek.

»Lia!«, rief Nevin und eins der Dienstmädchen kam sofort zu ihm geeilt. »Hol bitte eine große Tasche, ein paar der wasserfesten Leder- und Filztaschen für Bücher und ein Lederetui für Dokumente und Schriften.«

Lia zog ihren Rock ein wenig hoch und eilte in die Burg.

»Wenn ihr bis morgen, nach Tagesanbruch nicht zurück seit, lasse ich nach euch suchen.« Er warf Dilek und Elyon einen letzten, drängenden Blick zu.

Dilek nickte und Nevin verabschiedete sich von ihnen, um sich wieder seinen Dienern zu zuwenden. Die ersten Drachen halfen bereits, das Geröll zu beseitigen und den weg in die Burg wieder passierbar zu machen. Wenig später, beobachtete er mit enger Kehle, wie Dilek mit Elyon davonflog. Dann wandte er sich schwer seufzend über Naias' Körper. Er würde seinen treuesten Diener und Verbündeten später mit seinen eigenen Händen begraben.