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13.2 Alinas Blut

Am Fluss fand der Drache eine menschliche Fährte und folgte ihr tiefer in den Wald hinein. Alina streckte ihren Kopf zur linken Seite, während Demian die rechte Seite im Auge behielt.

»Ich glaube ich hab sie. Sie ist ganz in der Nähe«, sagte der Drache. Mit aufgestellten Ohren horchte er den Wald ab. Alina, die noch auf dem Drachen saß, lauschte ebenfalls.

Demian war bereits abgestiegen und schlich durchs Unterholz. Seine Schritte waren so leicht, dass es beinahe so aussah, als würde er über den Waldboden schweben. Er hielt an und horchte. Dann bückte er sich blitzschnell als ein Pfeil aus den Baumkronen auf ihn zu schoss.

»Schnell, schnapp sie dir!«, rief Demian. Der Drache sprang hoch und krachte durch Geäst auf den Baum zu, von dem der Pfeil gekommen war.

Alina sah noch kurz eine kleine Gestalt auf einen Ast sitzen, ehe sie ihren Kopf beugen musste um sie vor den entgegenkommenden Ästen zu schützen. Der Drache schlängelte sich an den vielen Stämmen vorbei, doch er konnte Elyon nicht einholen, die von einem Ast zum nächsten flitzte.

»Elyon! Bitte, halt an!«, rief Alina. Doch es hatte keinen Zweck. Elyon huschte weiter durch das Geäst.

»Demian! Ich kann sie nicht packen, die Bäume sind zu dicht!«, rief der Drache unter ihr aus.

»Versuchen wir, sie auf eine Lichtung zu treiben!«

Der Drache schwang nach links um Elyon in die entgegengesetzte Richtung zu hetzen, wo zwischen den Baumstämmen, das leuchtende Grün einer Wiese zu sehen war.

Sie hatten sie fast dorthin gedrängt, als Elyon über Alina und dem Drachen wieder zurücksprang. Der Drache schwang sich nach oben und versuchte ihren Pelzumhang mit seinen Zähnen zu erwischen, doch sie hatte bereits ihr Kurzschwert zur Hand und die Klinge fuhr durch die Nase des Drachens. Brüllend ließ er sich fallen. Alina wurde fast von seinem Kopf geschleudert. In letzter Sekunde klammerte sie sich mit den Oberschenkeln an seinem Hals fest. Sobald er sich beruhigt hatte, sprang sie ab. Demian kam ihnen entgegen gelaufen.

»Was ist passiert?«, keuchte er.

»Elyon hat ihn an der Nase erwischt.« Blut floss aus den Nüstern und Lippen des winselnden Drachens und tropfte auf einen kleinen Busch.

»Alina, lauf der Prinzessin nach!« Demian nahm den Umhang der auf seiner Schulter lag und zog ihn über die Schultern. Als er begann seine Stiefel auszuziehen merkte Alina was er vorhatte und rannte los. Immer dem Rascheln und Zittern der Äste nach.

»Elyon! Wir wollen dir nichts Böses! Demian will nur mit dir sprechen!«, rief Alina aus voller Kehle. Als Antwort bekam sie nur ein Knurren zurück. Das Rascheln hörte auf. Sie sah sich um, doch sie konnte Elyon durch die dichten Baumkronen nicht finden.

»Elyon? Hab keine Angst! Demian ist mein Cousin! Er tut dir nichts!«

Wieder kam ihr nichts als die leisen Geräusche des Waldes entgegen.

Hätte sie ihre Drachensinne zur Verfügung, hätte sie mit ihrem Gehör und ihrer Nase das Mädchen sicher sofort finden können. Doch allein der Gedanke, wieder im Körper eines Ungeheuers zu stecken, zog ihre Magengrube zusammen.

Schritte raschelten leise im Unterholz. Alina drehte sich um. Ein weißer Drache kam ihr entgegen. Mit einem langen dünnen Kopf, zierlichen Beinen und etwas kürzerem Körper, sah er einem Reh viel ähnlicher als einem Ungeheuer. Demians hellblaue Augen suchten die Baumkronen ab. Seine Ohren zuckten in alle Richtungen hin, bis sie leicht nach links gerichtet erstarrten. Sein Blick fixierte sich auf eine junge Eiche, etwa zehn Schritte entfernt. Dann blähte sich Demians Kehle auf und etwas Schwarzes schoss aus seinem Mund heraus.

Elyon fauchte als sie von der Eiche fiel. Mit einem lauten Rascheln landete sie in ein paar niedrigen Büschen. Eine schwarze Masse klebte um ihren Oberkörper und sie konnte ihre Arme nicht bewegen. Elyon wand sich so lange, bis sie auf dem Waldboden landete und versuchte sich auf die Beine zu stellen. Doch Demian öffnete ein zweites Mal sein Maul und die schwarze Masse legte sich um ihre Fußgelenke. Elyon verlor das Gleichgewicht und fiel zurück auf den Boden. Knurrend versuchte sie sich aus der Masse zu winden, während Demian sich, gebückt wie eine Katze, ihr annäherte.

»Prinzessin. Verzeiht mir meine Grobheit. Aber ich brauche Euch dringend in Siegenshafen. Werdet Ihr mich freiwillig begleiten?«

Elyons Knurren wurde noch lauter. Ihre weißen Zähne blitzten durch den geöffneten Mund. Alina stutzte, als sie Elyons scharfe Eckzähne sah. Waren sie schon immer so spitz gewesen?

»Ich nehme das als ein Nein auf. Leider steht für mich zu viel im Spiel, um Euch einfach so gehen zu lassen.«

Demian öffnete sein Maul und ein langer schwarzer Faden tropfte auf Elyons Mund und Nase. Wimmernd versuchte Elyon ihren Kopf abzuwenden, doch es gab kein Entkommen. Die schwarze Masse verhärtete sich und einen Augenblick später, fiel ihr Kopf zurück und sie lag leblos da. Vorsichtig packte Demian sie an der schwarzen Masse um ihren Oberkörper und trug sie zurück zu dem grauen Drachen. Ein Rest der schwarzen Masse klebte immer noch am Boden. Mit einem Schauer wandte Alina sich ab und folgte ihrem Cousin durch das Dickicht.

Am frühen Nachmittag kamen sie in der Hauptstadt von Siegenshafen an. Sandfarbene Häuser standen eng aneinander gereiht. Die Straßen waren so gefüllt mit Menschen, dass sie links und rechts alle Türen und Seitengassen zumauerten, als alle einen Weg für den grauen Drachen freimachten, der Alina, Demian und Elyon durch die Straßen trug. Mit riesigen Augen verfolgten die Einwohner den seltsamen Zug. Hinter ihnen folgte Lenius' halbe Drachenbande. Das Schlusslicht bildete Lenius selbst, mit Gilwa in seiner menschlichen Form auf dem riesigen Kopf.

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Über der Stadt thronte Demians Schloss auf einem Hügel. Graue Drachen flogen um die niedrigen Mauern und Türme. Von dort hatte Alina einen Überblick auf den Hafen, der die ganze südwestliche Grenze von Siegenshafen bildete. Die Boote und Schiffe konnten Alinas Aufmerksamkeit nur für einen kurzen Moment beanspruchen, bevor das Meer ihre Augen völlig gefangen nahm.

Sie hatte bis jetzt nur Beschreibungen vom Meer gehört. Und nun lag es direkt vor ihr. Das blaue Wasser färbte sich immer dunkler in Richtung des Horizonts und auch wenn das Meer dort zu enden schien, wusste Alina, dass es fast so unendlich war wie der Himmel selbst. Der Wind trug den salzigen, fremden Geruch hinauf bis zum Hügel und Alina saugte ihn tief ein.

Am rechten Ende des Hafens, ging die Promenade in einen fast weißen Streifen über, der einen grünen Waldgürtel vom Meer trennte. Ein Strand. Alina wäre am liebsten sofort aufgebrochen, um mit eigenen Füßen im salzigen Wasser zu waten. Doch das musste warten. Seufzend löste Alina sich vom Anblick des Meeres und zog Elyons leblosen Körper näher an sich, während der Drache, auf dem sie und Demian saßen, den Berg hinaufstieg, immer näher auf das helle Schloss zu.

Die schwarze Masse war ausgehärtet. Ihr Cousin hatte den Schlack um Elyons Nase entfernt, nicht lange, nachdem sie ohnmächtig geworden war. Demian hatte ihr erklärt, dass die schleimige Masse betäubende Eigenschaften besaß. Weswegen Elyon nun still an Alinas Brust lehnte. Von außen gesehen, ein einfaches Mädchen. Nichts an ihr verriet etwas über ihre adelige Herkunft. Oder, dass Elyon nur ein Jahr jünger war als sie selbst.

Endlich passierten sie den sandfarbenen Torbogen des Schlosses. Sobald sie den Hof betraten, hielt Alina überrascht inne. Der Hof war gefüllt mit Menschen. Und Drachen. Mehr, als sie jemals in ihrem Leben gesehen hatte. Ihr Griff lockerte sich um Elyon. Irgendwann rutschte Elyon von ihren Armen und sie packte die Prinzessin gerade noch rechtzeitig an der Hüfte, bevor sie vom Drachen fiel. Alina versuchte gerade, Elyon wieder hochzuziehen, da hielt der Drache an und Demian sprang ab.

»Lass sie vorsichtig hinunter. Ich fange sie auf.« Er stellte sich mit ausgestreckten Armen nahe an den Drachen hin. Vorsichtig ließ Alina den leblosen Körper wieder seitlich abrutschen und stieg erst ab, als Demian Elyon in seinen Armen trug.

Ein erwachsener Mann, mit einem schwarzen, geflochtenem Bart, lief hastig auf Demian zu und grüßte ihn mit einer Verbeugung.

»Bitte kümmere dich um die Neuen.« Demian zeigte mit dem Kopf auf die Drachen, die hinter ihnen standen. Hinter ihnen überragte Lenius' massive Gestalt die der anderen. Seine Augen wanderten unruhig über den Hof. Gilwa hielt sich eng an sein weißes Vorderbein gepresst.

»Lenius soll sich verwandeln und in mein Arbeitszimmer gebracht werden. Alleine. Der Kleine soll im Schlafsaal warten.«

Der Mann verbeugte sich wieder und eilte davon. Ein seltsames Schauspiel. Für Alina, war er immer noch nur ihr Cousin. Kein König. Kein Drache. Er war immer noch der ältere Junge, mit dem sie gespielt, gerauft und sich gestritten hatte. Doch etwas war anders. Zwar hatte er noch das gleiche Gesicht, das gleiche blonde Haar, doch eine Entfernung lag zwischen ihnen. Als stünde er auf einer Hochebene und sie im Tiefland, zu weit entfernt, um ihm wieder so nahezustehen wie früher.

»Komm mit, Alina. Ich bringe dich in dein Zimmer.«

Alina folgte Demian zu der hellen Eingangstreppe, während er Elyon immer noch auf seinen Armen trug. Zwei Wachen öffneten die mit Gold patinierten Doppeltüren und verbeugten sich, als Demian an ihnen vorbeilief. Alina konnte es nicht lassen, die Wachen mit einem Schulterblick dabei zu beobachten, wie sie so lange in der gleichen Haltung verharrten, bis Demian die Eingangshalle betrat und sie die Türen langsam wieder zu zogen.

Als sie ihren Blick wieder nach vorne wandte, erstarrte sie in ihren Schritten beim Anblick der Eingangshalle.

Direkt vor ihr stand ein weißer Marmorbrunnen. Weiße Fische, mit Flossen so groß wie Flügel, sprangen aus der Mitte des Brunnens heraus und gaben das Wasser aus ihrem Maul in das Becken ab. Um den Brunnen schimmerten Teppiche in hellen und dunklen Blautöne im Wettkampf mit den goldenen Vasen vor den Wänden, aus denen üppige Pflanzen wuchsen.

Alina wanderte mit ihrem Blick hinauf zur Decke und klappte den Mund auf, als sie die riesige Deckenmalerei sah, die sich über die ganze Halle erstreckte. Ein riesiger Fischschwarm schwebte über einen dunkelblauen Hintergrund. Die langen Flossen wieder ausgestreckt wie Flügel.

»Alina?«

Sie blinzelte ein-, zweimal, ehe sie ihren Cousin bemerkte, der bereits in der Mitte der Treppe stand. Ein langhaariger, blonder Mann, gekleidet in ein einfaches weißes Hemd und dunkelblaue Hosen. Umgeben von Prunk. Kurz dachte Alina an die zwei Bauernhäuser zurück, in denen sie aufgewachsen waren und schüttelte ungläubig den Kopf, bevor sie zu den mit samtenem Teppich belegten Stufen hastete.

Demian führte sie die Treppen hinauf in einen hellen Flur. Rechts und links waren weiße, goldverzierten Türen, neben denen weiteren Pflanzen in goldenen Vasen den langen Raum schmückten. Die Wände waren verziert mit cremefarbenen Muscheln und schimmernden Perlen, an denen sich Alina nicht sattsehen konnte. Sie hatte nur Zeichnungen gesehen und jetzt wo sie in sanften Farben vor ihr schimmerten, merkte Alina, dass ihre Vorstellung bei weitem nicht an die Exemplare vor ihren Augen herankamen.

Immer wieder begegneten sie einem der vielen Dienstboten, die umherliefen und ohne Ausnahme, wurde Demian mit einem Knicks oder einer Verbeugung begrüßt.

Alinas Kopf schwirrte bereits durch den Versuch alle neuen Eindrücke aufzunehmen und sich gleichzeitig den Weg durch die vielen Korridore zu merken. Doch Demian bog so oft ab, dass sie es schnell aufgab. Als sie einen Flur betraten, an dessen Wänden mehrere Porträts von Männern mit brauner Haut und dunklen Haaren hingen, hielt Demian endlich vor einer weißgoldenen Tür an.

»Das ist mein Zimmer, du kannst das gegenüber haben. Rechts neben mir werden wir Prinzessin Elyon einquartieren«, erklärte er und ging zu Elyons Zimmertür. Alina öffnete sie für ihn und ließ Demian durch. Leblos hing die kleine, dunkelhaarige Gestalt in seinen Armen. Alina biss sich auf die Lippe und schloss die Tür. Elyon war jetzt schon seit der Mittagssonne bewusstlos. Hatte Demian im Eifer des Gefechts es vielleicht ein wenig übertrieben? Alina schüttelte den Kopf und folgte ihm ins Zimmer.