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12.1 Nevins Vater

Mit seinen letzten Wasserreserven, flog Nevin noch einmal über die Baumkronen und spähte unermüdlich durch das Blätterdach nach irgendeinem menschlichen Lebenszeichen. Er hatte den ganzen Vormittag damit verbracht, den Wald östlich von Tannschwärze nach Prinzessin Elyon zu durchsuchen. Ohne Erfolg.

Bald juckte seine Kehle so stark, dass er hustete. Dank seiner Flügel, hätte er eigentlich noch weiterfliegen können, doch der Druck in seinem Hals war zu unangenehm. Nevin peilte den nächsten Fluss an und landete direkt in dem strömenden Gewässer. Zwischen einem Schluck und dem nächsten, hob er immer wieder den Kopf, um seine Umgebung zu überprüfen. In weiter Ferne, entdeckte Nevin mit seinen scharfen Drachenaugen eine Burg, emporgehoben auf einem Berg, der wie eine einsame Insel von Schluchten umgeben war.

Nevin kannte diese Burg und er wusste auch, dass Drachen dort lebten. Er war noch nie dort gewesen. Fast war er versucht ihnen einen Besuch abzustatten. Doch es war zu riskant. Was wenn es wilde Drachen waren, oder Kriminelle? Es gab nicht wenige Drachen die sich zu Banden zusammenschlossen und ihre Kräfte für Verbrechen nutzten.

Der Bauch nun mit Wasser gefüllt und die Kehle benetzt, erhob Nevin sich zurück in die Lüfte und peilte den Rückweg zur Singbucht an. Er würde andere Drachen darum bitten, der Burg einen Besuch abzustatten. Vielleicht Dilek. Mit seiner enormen Kraft, konnte ihm selbst eine größere Drachenbande nichts anhaben.

Der warme Flugwind streichelte sein Fell und lullte ihn langsam in eine gemütliche Müdigkeit ein. Immer wieder fielen Nevin die Augen zu, doch er wachte jedes Mal erschrocken auf, wenn plötzlich eine Windböe an seinen Flügeln riss. Er schüttelte den Kopf. Er durfte jetzt nicht schlapp machen. Es lag noch ein halber Arbeitstag vor ihm. Ein lautes Gähnen entfuhr Nevin, während er mit der Hilfe von ein paar kräftigen Flügelschlägen an Höhe gewann, wo die Luft kühler war und ihn wachhielt.

Er schaffte es die Singbucht zu erreichen, ohne dass seine Augen nochmal zufielen. Nevin raste so schnell es ging in die große Kammer, in der alle Drachen sich verwandelten. Dort lagen in den Truhen auch immer ein paar Kleidungsstücke für sie bereit. Danach eilte er ins Besprechungszimmer, wo auf ihn noch die Schriften aus Höhental warteten, die er fertig lesen musste.

Isko, Jaros rechte Hand, saß bereits am Tisch, tief in der Lektüre von alten Plänen versunken. Schwarze Locken hingen über die ernsten, hellblauen Augen, die jede Zeichnung und jedes Wort aufsaugten, die auf dem Pergament vor ihm standen. Nevin klopfte auf die Tischplatte und Iskos Locken schüttelten sich, als sein Kopf hochfuhr.

»Ah, du bist wieder zurück. Was gefunden?« Isko schob die Pläne von sich.

»Nichts. Schon etwas aus den Hafenstädten gehört?«

Isko schüttelte den Kopf und suchte von einem Stapel Rollen auf dem Tisch drei aus, die er vor Nevin legte. Seufzend setzte sich dieser hin und rollte das alte Pergament mit spitzen Fingern auf. Es kostete ihn große Mühe sich dazu zu überwinden, die alten Schriften anzuschauen. Er versuchte sie zu lesen, doch der Sinn der Sätze entwischte ihm ununterbrochen. Gähnend rollte Nevin das Pergament wieder zusammen.

»Wie geht es den beiden Neuen aus Höhental?«

»Die sind gerade unterwegs, um nach ihrer Verwandten zu suchen. Und du versuchst dich schon wieder von deiner Arbeit abzulenken, wie?« Isko schmunzelte.

»Erwischt. Ich bin zu erschöpft um zu lesen.«

»So siehst du auch aus. Von mir aus, kannst du es dir für später aufheben. Warum gehst du nicht zur weißen Küste und ruhst dich dort etwas aus? Ich sage Jaro auch nichts.«

Gerade als Nevin den Kopf schüttelte, trat sein Stiefonkel in den Raum. Mit feuchter Stirn und rastlosen Augen. Als er Nevin bemerkte, wurde sein Ausdruck noch panischer.

»Nevin, genau dich brauche ich jetzt. Komm mit, wir müssen reden.«

Nevin folgte Jaro aus dem Raum, zu einer Stelle am Strand, wo sie weit genug von den anderen Einwohnern waren, um ungehört miteinander zu sprechen.

»Was ist passiert?«, fragte Nevin.

Jaro gab ihm den Brief, den er an seinem Gürtel geklemmt hatte. Als Nevin das gebrochene Siegel bemerkte, seufzte er schwer.

»Wann ist er gekommen?«

»Gestern. Ich habe ihn gerade persönlich von Adlerstal geholt.«

Nevin rieb sich die Schläfe. Die Burg Adlerstal war sein offizieller Wohnsitz. Abseits von all den Königreichen, befand sich das uralte Gebäude in einer kleinen Siedlung, eine halbe Flugtagesreise, nördlich von der Singbucht entfernt. Und dorthin wurden auch all die Nachrichten seines Vaters für Nevin geliefert. Er nahm das gefaltete Papier in die Hand, doch traute sich nicht, den Brief zu öffnen.

»Bitte sag mir, dass irgendetwas Gutes drin steht?«

Jaro schüttelte ernst den Kopf. »Er will dich sehen. Du musst noch heute aufbrechen.«

Nevin lachte ungläubig und faltete mit engem Hals das Blatt auseinander. »Er verlangt von mir, dass ich nach der Prinzessin suche und gleichzeitig soll ich meine Zeit damit verschwenden, ihn zu besuchen?«

Jaro antwortete nicht und Nevin überflog die Zeilen.

Es war kein Brief im Namen seines Vaters, sondern im Namen des Kaisers. Er hatte keine andere Wahl. Er musste gehen.

»Soll ich mitkommen? Du solltest auf gar keinen Fall alleine hinfliegen. Die Launen deines Vaters sind mir zu riskant.«

Nevin schüttelte den Kopf und gab Jaro den Brief zurück. »Du wirst hier gebraucht. Und ich kann gerade niemand anderem die Suche nach Prinzessin Elyon überlassen.«

»Du solltest trotzdem nicht alleine fliegen. Nimm auf jeden Fall Dilek mit.«

Nevin nickte und schluckte schwer. Er spürte das Gewicht von Jaros Blick und wich ihm aus, indem er sich leicht wegdrehte. Ein schwacher Versuch, um seine feuchten Augen und die Angst zu verstecken, die sich langsam in seinem Körper ausbreitete. Als wäre er noch der kleine, hilflose Junge von damals, der sich hinter seinen Bediensteten versteckte, um dem Zorn seines Vaters zu entgehen. Dass er jetzt ein Drache war und seinen Vater kinderleicht zur Strecke bringen könnte, brachte nichts gegen die aufsteigende Panik in seinem Kopf.

»Nevin, es ist noch nicht vorbei. Ich habe dem Kaiser von deinem letzten Erfolg in Höhental berichtet. Er wird auf jeden Fall zufrieden sein. Wenn auch nur ein wenig. Und lasse nicht zu, dass Dilek deine Seite verlässt. Sollte es hart auf hart kommen, fliehst du mit ihm. Verstanden?«

Nevin nickte und presste die brennenden Lider zusammen. Da legte Jaro seine Arme um ihn und drückte Nevins Gesicht vorsichtig an seine Schulter.

»Nevin, was auch immer der Kaiser von dir hält, ist nicht wer du wirklich bist. Vergiss das nicht. Du bist der geborene Herrscher. Jemand der Mitgefühl, Rechtschaffenheit, Stärke und Weisheit besitzt. Deine Großeltern haben dich nicht für umsonst zum Thronfolger ernannt. Und selbst wenn du nie Kaiser werden solltest, du bist es Wert am Leben zu bleiben. Lass dir auf gar keinen Fall von deinem Vater, oder irgendjemand anderem einreden, dass du den Tod verdienst. Vergiss das nicht.« Nevin brachte keine Worte heraus, sondern presste die nassen Augen auf Jaros Schulter und nickte.

»Auch wenn wir keine Blutsverwandten sind, für mich wirst du immer Familie sein. Genau so wie für Ilka und Jesko.«

Jaro drückte ihn ein letztes Mal. Nevin hob seinen Kopf und trocknete schnell die feuchten Augen mit Hilfe seiner Ärmel. Nachdem Jaro noch ein letztes Mal seine Schulter gedrückt hatte, zog er los, um nach Dilek zu suchen.

»Er ist bereits da«, dröhnte Dileks Stimme.

Nevin beugte sich leicht nach links, um einen Blick auf das kleine, aprikosenfarbene Schloss zu werfen, das immer näher rückte. Nevin borgte sich kurz seine Drachensicht und sah vor den goldenen Toren vier, statt zwei Wachen stehen. Wenn der Kaiser in sein Ferienschloss kam, wurde die Sicherheit erhöht.

»Ich lande bei den Höhlen, bevor sie uns sehen können.« Dilek schwenkte leicht nach rechts und begann mit dem Landeanflug. Die weiten Wiesen rasten an ihnen vorbei, bis sie einem dichten Laubwald wichen. Der Wind zerrte an Nevins Kleidung und Haaren, bis Dilek mitten in das Blätterdach hinein flog, was seinen Flug abbremste. Bäume krachten und fielen zur Seite, als sich Dileks massiver Körper einen Platz im dicht bewachsenem Grün zurecht wand.

Nevin sprang von Dileks Nacken ab, sobald das Krachen, Brechen und die erschrockenen Rufe der Waldvögel verstummt waren. Er fuhr mit den Fingern durch seine vom Wind aufgewirbelten Haare, um sie, so gut es ging, zu glätten. Dann zog er ein samtenes Band aus der Tasche seines dunkelroten Rocks und sammelte sein Deckhaar, dass er nach hinten zu einem Zopf zusammenband. Seine braunen Haare waren immer noch zu kurz für einen Adligen, doch das konnte Nevin nicht mehr ändern. Sein Vater würde wissen, warum. Doch er würde sich trotzdem ärgern.

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»Hier, dein Umhang.« Dilek kam gerade hinter einem noch stehenden Baum hervor, zog alle Oberkleidungsstücke, die ihm gehörten aus der Tasche und warf sie dann Nevin zu. Erleichtert stellte er fest, dass der Umhang, der noch drin lag, nicht zerknittert war und band sich den beigefarbenen Stoff um die Schultern.

»Geht es so?«

Dilek nickte »Du siehst kaiserlich genug aus, meiner Meinung nach.« Er selbst stand nun in seiner vollständigen Uniform da. Ein blauer Rock, cremefarbene Hosen und hohe Stiefel. Die Kleidung der persönlichen Leibwächter der kaiserlichen Familie. Das war schon immer Dileks Berufung gewesen. Seit sie zusammen aufgewachsen waren. Und obwohl sie nicht in Schlössern oder Burgen lebten, blieb Dilek immer an seiner Seite. Wie ein Bruder.

»Dann lass uns gehen«, sagte Nevin, band das Schwert, das er an seinem Gürtel befestigt hatte, ab und reichte es Dilek hin, der es an seinem eigenen Gürtel befestigte.

Sie stapften durch den Wald, bis sie auf den sandigen Weg trafen, der direkt zu den Toren des Schlosses führte. Genau wie Finans Erholungshütte, stand das hohe Gebäude alleine da und war umgeben von einem riesigen Jagdgebiet, in dem der Kaiser jährlich sein persönlichen Wild erlegte. Das Gebäude war überladen mit Ornamenten um die Fenster, an den Balustraden und den vielen Frontispizen, von denen gleich fünf die Dachgiebel auf der Vorderseite des Lustschlosses zierten. Die goldenen Akroter und Wasserspeier an den Giebelecken, erhöhten das kitschige Aussehen noch dadurch, dass sie lauter Singvögel und Pferde darstellten. Seufzend trat Nevin auf das goldene Tor, geschmückt mit Efeu- und Lilienornamenten.

»Öffnet das Tor für den Kronprinzen Ilias dem Dritten!«, rief Dilek sobald sie in Hörweite der Wachmänner kamen. Mit lautem Ächzen gab das goldene Gitter dem Ziehen der Wachen nach und dahinter tauchte der Hof auf, dessen Boden bedeckt mit weißem Kies war. Sie folgten dem glatten Erdweg bis kurz vor den Eingangstreppen. Davor standen bereits zwei Diener die sich tief verbeugten, sobald Nevin und Dilek vor ihnen anhielten. Die Farben ihrer Kleidung und ihre Zierde, passten zu den Farben des Schlosses und machten dem Gebäude, wenn es um schlechten Geschmack ging, gehörig Konkurrenz.

»Bitte folgt uns, Eure kaiserliche Hoheit« Die Diener drehten sich um und stiegen mit kerzengeraden Rücken die weißen Marmortreppen hinauf.

Jedes Mal wenn er hier war, pressten die Erinnerungen an seine Mutter sein Herz zusammen und tausende von ihnen drängten sich ihm so lebendig auf, als wäre er erst gestern hier mit ihr im Urlaub gewesen. Seit er von einem Drachen gebissen worden war, durfte er sie nicht mehr sehen. Und er erlaubte es sich auch nicht, lange an sie zu denken. Denn sobald er sich Sorgen um sie machte, bäumte sich der Fluch in ihm auf und drohte seinen Verstand zu übernehmen.

Die Diener öffneten die goldene Eingangstür, hinter der ein weiterer Diener stand. Er übernahm die Führung hinauf in den ersten Stock. Weitere Marmortreppen, weiterer goldener Kitsch der die Wände zierte. Nevin hatte gerade den blauen Teppich in der Galerie des ersten Stocks betreten und wollte weiterlaufen, als der Diener seinen Arm zwischen Nevins Rücken und Dilek ausstreckte.

»Der Kaiser verlangt, dass Prinz Ilias alleine vorspricht.«

»Er ist mein Leibwächter. Er bleibt an meiner Seite«, blaffte Nevin im gleichen Tonfall den sein Vater benutzte, wenn sein Wille indiskutabel war.

Der Diener verbeugte sich entschuldigend und er führte sie weiter nach links, bis vor die hohe, blau gepolsterte Tür des kaiserlichen Schreibzimmers.

»Eure kaiserliche Majestät, Prinz Ilias ist eingetroffen«, verkündigte der Diener, nachdem er geklopft hatte und die Tür einen Spalt breit geöffnet hatte.

»Herein!«, kam es dumpf zurück.

Nevin atmete tief ein, der Diener öffnete die Tür weit auf und mit Dilek dicht hinter ihm, zwang Nevin seine Füße dazu, ihn in den Raum zu tragen. Sein Herz sprang ihm fast aus der Brust, während er sich umsah. Keine Wachen. Das war schon mal ein gutes Zeichen. An den Wänden standen die altbekannten dunklen Regale und Schränke mit Büchern und Dokumenten.

Vor den hohen Fenstern saß sein Vater an seinem breiten Schreibtisch. Der Lack auf dem Möbelstück glänzte, als hätte der Kaiser den Tisch gerade erst gekauft. Der 38-jährige Mann, dessen lange, braunen Haare bereits von ein paar grauen Strähnen durchzogen waren, würdigte ihm keines Blickes. Die strengen, hellbraunen Augen waren ganz auf das Dokument in seiner Hand fokussiert.

Hinter dem indigofarbenem Sessel des Kaisers, stand sein Bruder Idris, der Erstgeborene. Sobald er Nevins Blick bemerkte, lächelten seine vollen Lippen hämisch. Schnell, bevor sein Vater von seinen Papieren aufsehen konnte, setzte Nevin sein Lächeln auf. Das Lächeln, das er von seiner Mutter geerbt hatte. Das Lächeln, mit dem sie ihren Vater wohlgesinnt stimmte. Das Lächeln, das sie zu seiner Lieblingskonkubine und damit auch zur wichtigsten Frau in Rovisland erhoben hatte, gleich nach der Kaiserin, der Mutter von Idris.

Die Augen seines Vaters lösten sich von seiner Arbeit. Mit seinen dicken Augenbrauen dicht über die Lider, ruhte sein kalter Blick für einige Momente auf Nevin. Die ersten Adern traten aus seiner Stirn hervor. Als der Kaiser auch noch Dilek bemerkte, kam eine leichte Zornesröte über sein Gesicht.

»Er soll draußen warten«, blaffte er.

»Nein, Vater. Du hast ihn zu meinem Leibwächter gemacht. Er muss hier bleiben. Wir sind nicht in meinen privaten Gemächern.« Erleichtert stellte Nevin fest, dass seine Stimme kein einziges Mal gezittert hatte. Jetzt wo er sich zum Reden überwunden hatte, würde sie ihm hoffentlich kein einziges Mal entgleiten.

»Hm. Von mir aus.« Selbst der Kaiser musste sich an die Regeln der adligen Etikette halten. Der Kaiser lehnte sich zurück in seinem Sessel, nahm sein Langschwert zur Hand, das stets irgendwo in seiner Nähe ruhte und legte seine Hände auf den Griff, als wäre es ein Spazierstock. Es war die gleiche Waffe, die er beim letzten Wiedersehen Nevin an die Kehle gehalten hatte.

»Bist du immer noch ein Drache?«

»Ja, Vater.«

»Tsk, und die Prinzessin hast du wohl auch noch nicht gefunden?«

»Nein, Vater. Ich bin noch auf der Suche.«

Idris presste die Lippen zusammen, um sein leises Lachen zu unterdrücken. Die hohen Wangen färbten sich rot, aus lauter Schadenfreude. Nevin zwang sich dazu, ihn zu ignorieren und seine Konzentration ganz auf seinen Vater zu richten. Er stellte sich etwas näher zu Dilek hin, bis seine Schulter fast die seines kräftigen Leibwächters berührten.

»Aber du warst in Höhental und hast wichtige Dokumente mitgebracht?«

»Ja, Vater.«

»Aus welcher Zeit?«

»Aus der Zeit König Elyons, dem Ersten.«

Sein Vater schloss langsam seine Lider und erhob sie wieder, was gleich einem wohlwollendem Nicken kam. So weit, so gut.

»Wenigstens etwas. Hat Finan dir erzählt, was auf der Sturminsel passiert ist?«

»Nicht viel, Vater. Wenn du so gut wärest, es mir nochmal zu berichten.«

»Idris war dort an deiner Stelle. Aus dem Nichts ist dieser Schmarotzer Demian aufgetaucht und behauptete, er wäre der neue König von Siegenshafen. Und nicht nur das, der dreckige Wicht hatte auch noch einen Drachen dabei, damit Elyons Tochter ihn zähmen kann. Was sie auch geschafft hätte, doch irgendjemand hat einen Pfeil auf den Drachen geschossen und er ist wieder wild geworden.«

»Wurde sie verletzt?«

»Pah, natürlich nicht. Das Mädchen ist eine wahre Jägerin. Hat das Biest mit einem Stich in die Kehle den Garaus gemacht. Sie hat mehr Mumm, als die meisten Soldaten in unserem Heer.«

»Wer hat den Pfeil geschossen?«, fragte Nevin und brach kurz den Blickkontakt zu seinem Vater ab, um Idris zu beobachten. Er begegnete Nevin, ohne mit der Miene zu zucken. Doch er kannte seinen ältesten Bruder. Er konnte nicht verbergen, was in seinem Blick lag. Er hatte sicher seine Hand mit im Spiel. Idris war die Prinzessin schon immer ein Dorn im Auge gewesen. Alles, was Nevins Position stärkte, war für Idris inakzeptabel.

»Das wissen wir nicht. Noch nicht. Aber das ist gerade nicht wichtig. Die Prinzessin ist verschwunden. Und König Elyon hat uns hintergangen. Er hat sich mit dem Dreckskerl Demian zusammengetan, um nach ihr zu suchen und sich damit gegen mich gestellt.«

»Kannst du König Elyon nicht aufgrund von Hochverrat gefangen nehmen?«

»Nein, kann ich nicht, da Demian, dieser Bastard, die Hälfte seiner Flotte um die Sturminseln platziert hat, sodass keiner mehr von uns durchkommt!«

Speicheltropfen flogen aus dem Mund seines Vaters hinaus und seine Stirn färbte sich rot. Jetzt war besondere Vorsicht geboten. Ein falsches Wort, und die Klinge würde wieder ihren Weg zu Nevins Kehle finden.

»Und nicht nur das, der Rotzbengel hat auch noch eine Armee von Drachen auf seinem Schloss! Eine Armee! Wir reden nicht von zwei, oder drei Drachen, nein! Es sind genug, um ein Heer von den Biestern zu bilden!« Sein Vater schlug mit der Hand auf den Tisch, sodass seine Schreibfeder und das Tintenfass vom Tisch fielen. Idris bückte sich, hob sie wieder auf und behielt sie in den Händen.

Der Kaiser hob seinen vor Wut zitternden Finger und richtete ihn auf Nevin. »Ich will, dass du dich in Siegenshafen einschleust. Du sollst so nah wie möglich an Demian herankommen und herausfinden, wie viele und wie er verdammt nochmal so viele Drachen zusammenbekommen hat!«

»Was hat Davenius berichtet?«

Sein Vater brummte genervt. »Dein Bruder hat es kaum geschafft, einen Blick auf die Drachen zu werfen, ehe er aus der Stadt herausgeworfen wurde. Und kommt jetzt auch nicht mehr rein. Die Stadtwache verwehrt ihm den Eintritt. Deswegen sollst du auch nach Siegenshafen gehen. Dich haben wir glücklicherweise in den letzten Jahren versteckt gehalten. Du solltest also keine Schwierigkeiten haben. Ich will genau wissen, wie viele Drachen in Siegenshafen sind.«

»Ja, Vater.«

»Und noch was. Ich will in einer Woche einen Bericht von dir haben und der sollte besser Fortschritte von deiner Suche nach der Prinzessin beinhalten. Sollte Demian sie vor dir finden, ist meine Geduld am Ende! Du bist bald schon volljährig, noch länger kann ich den Hof nicht hinhalten, hast du mich verstanden?«, blaffte sein Vater mit hochrotem Kopf.

»Ja, Vater. Ich werde gleich losziehen.«

Hoffentlich war das alles. Hoffentlich konnte er nun gehen, pochte es in seinem Kopf.

»Gut. Das war alles. Geh.« Nevin atmete leise auf. Sein Vater zog in aller Seelenruhe eine neue Feder und ein Tintenfass aus einer Schublade, um sich wieder seinen Dokumenten zu zuwenden.