»Das heißt, dass ich also recht hatte.« Nevin seufzte und strich mit seiner Hand über das Gesicht, dann lehnte er die Ellbogen an die Tischplatte seines Schreibtisches.
»Ja. Tero war der eigentliche Bandenführer. Er hat die ganze Zeit die Fäden in der Hand gehalten und für Demian gezogen. Kein Wunder, dass er sich ständig in meinen Entscheidungen eingemischt hat. Ich hatte es nicht geahnt. Er hat uns verraten. Jetzt sind alle tot. Außer ich.« Lenius bette die Stirn auf die Hände und blieb eine Zeitlang vorgebeugt in dem alten, dunkelroten Sessel sitzen, der rechts gegenüber von Nevins Arbeitstisch stand.
Nevin seufzte wieder und zog den Vorhang hinter ihm zurück, dabei wehte ihm der sanfte Geruch von altem Stoff und Lauge entgegen. Er starrte aus dem Fenster, direkt auf den hinteren Garten. Da von seinem Arbeitszimmer aus keine Obstbäume ihm im Weg standen, hatte er einen freien Blick auf den Friedhof, wo ein grauer Drache mit schwarzen Pfoten um eines der Gräber lag. Schon seit gestern hatte Alina sich nicht mehr gerührt. Tessa saß nicht weit von ihr im Gras, das um die Gräber wuchs und zupfte immer wieder ein paar Halme ab. Soweit Nevin es mitbekommen hatte, weigerte sich Alina etwas zu essen oder zu trinken. Neben ihren Gefühlen, musste auch ihr Körper voller Qualen sein, da der furchtbare Durst, der die Drachen befiel, auch fieberhafte Schmerzen auslösen konnte, neben den trockenen in der Kehle.
Er ließ den Vorhang wieder los und lehnte sich in das samtige Polster seines Sessels zurück. Seine Augen schmerzten und wann immer er sie rieb, fühlten sie sich trocken an. Außer Naias, hatte Nevin noch fünf weitere Diener verloren. Ein dicker Kloß bildete sich in seinem Hals, als sein Blick auf Naias' letzten Brief fiel, der immer noch vor ihm auf dem Tisch lag.
Es war seine Schuld. Hätte er sich nicht wie ein Feigling in der Singbucht versteckt, wäre er hier gewesen, um Adlerstal und seine Einwohner zu beschützen. Ein Herrscher, der sein Gebiet im Stich gelassen hatte. Es war unverzeihlich.
»Schon etwas von Elyon gehört?«, fragte Lenius leise, der seinen Kopf ebenfalls in das abgenutzte Polster seiner Rückenlehne bettete. Er sah immer noch etwas blass aus, doch die Wunden seiner Drachenform waren bereits verheilt. Den ganzen Morgen hatten sie sich bereits unterhalten und Informationen über die letzten Geschehnisse ausgetauscht.
»Nein. Und das macht mir große Sorgen. Sie hätten schon längst zurück sein müssen.« Der Kloß in Nevins Hals wurde dicker.
Da klopfte es an der Tür.
»Herein«, rief Nevin heiser.
Lia, sein Dienstmädchen kam herein und machte einen Knicks.
»Prinz Ilias, Eurer Onkel ist so eben angekommen.«
Nevin sprang auf. Sein Herz hämmerte gegen seine Brust. Warum war Jaro gekommen und nicht Dilek selbst? »Wo ist er? Ist er alleine gekommen?«
»Im Hof, Eure Hoheit. Zusammen mit Milo.«
Dilek musste etwas passiert sein. Er war bereit, sofort loszulaufen und Jaro entgegenzukommen, doch er wollte seinen Onkel nicht überwältigen, der so eben erst angekommen war. Und er brauchte Zeit, um den Kloß in seinem Hals zu lockern. »Lass ihn hinaufkommen und bitte bringe uns ein paar Erfrischungen.«
Das Dienstmädchen knickste wieder und eilte aus dem Arbeitszimmer hinaus. Nevin atmete tief durch und versuchte die kurze Zeit, die er auf Jaro warten musste, damit zu überbrücken, in dem er vor der Tür auf und ablief und immer wieder zu schlucken. Es musste nichts Schlechtes bedeuten, dass Jaro hier war. Vielleicht war Dilek einfach nur erschöpft. Er spürte Lenius' blaue Augen auf sich, doch er konnte nicht still stehen. Endlich ging die Tür auf und Nevin sprang auf Jaro zu.
»Wo sind Dilek und Elyon? Sind sie aufgetaucht? Sind sie unverletzt?«
Jaro hob abwehrend die Hände hoch, was Nevin innehalten ließ. Er atmete noch einmal tief ein und aus. Da legte Jaro seine Arme um Nevin und drückte ihn fest.
»Es tut mir so Leid, Nevin. Ich weiß, wie sehr du Naias geschätzt hast. Es ist ein großer Verlust.« Die Worte und seine Umarmung, trieben wieder Tränen in Nevins Augen. Doch dafür hatte er keine Zeit. So sanft wie möglich, löste er sich von ihm. Jaros Blick war etwas getrübt, so wie immer, wenn er Einiges zu berichten hatte. Üblicherweise nicht so gute Neuigkeiten.
Jaro ging zu den vier Sessel, wo auch Lenius saß. Nevin folgte ihm, da er wusste, dass Jaro sich lieber im Sitzen unterhielt, wann immer es möglich war. Sein Onkel starrte kurz auf den kleinen, niedrigen Holztisch in der Mitte, als würde er seine Worte sammeln. Lenius saß, verharrt wie eine Statue, vor ihnen. Nur seine Augen bewegten sich, während er die beiden beobachtete.
»Dilek und Elyon sind heute bei Morgengrauen zurückgekehrt. Wir haben beide, völlig erschöpft, am Strand liegend gefunden, etwas weiter östlich von der Singbucht. Sie sind also am Leben und eigentlich unverletzt.« Jaro schien wieder nach Worten zu suchen.
»Eigentlich?«, hakte Nevin nach.
»Dilek hat eine Verletzung am Bauch. Er hat anscheinend etwas von dieser schwarzen Flüssigkeit des Urdrachens, die Elyon zuvor erbrochen hat, abbekommen, wodurch ein Teil seiner Flughaut zersetzt wurde und er nicht mehr fliegen kann.«
»Aber, die Verletzung müsste doch wieder verheilt sein?«, fragte Nevin.
Jaro schüttelte den Kopf. Lenius zog scharf die Luft ein.
»Nein. Das ist das Seltsame. Er trägt nun eine breite Narbe an seiner linken Seite, bis zu seiner Flughaut. Sie ist nicht verheilt und er kann im Moment nicht fliegen. Seine menschliche Gestalt ist unversehrt.«
»Und Elyon?«, fragte Lenius.
»Sie ist unverletzt. Allerdings nicht ganz bei sich. Sie ist völlig verschreckt. Sie hat vermutlich irgendeinen Schock erlitten und ist nicht ansprechbar. Zuletzt haben sich unsere Krankenpflegerinnen um sie gekümmert.«
»Was ist passiert?« Nevin beugte sich vor und legte seine Vorderarme auf den Knien, ohne Jaro aus den Augen zu lassen.
»Das wird Dilek dir am besten selbst berichten. Wir haben leider nicht so viel Zeit. Es gibt noch andere Neuigkeiten.« Jaro rieb sich mit einem tiefen Ächzen die Stirn, auf die sich erste Falten zeichneten. »Der Urdrache hat die Sturminseln fast völlig zerstört. Unsere Drachen haben von mehreren Schiffen berichtet, die zu Demians Flotte gehören, auf denen höchstwahrscheinlich einige der Inseleinwohner evakuiert wurden. Sie segeln gerade in Richtung Siegenshafen.«
»Was ist mit dem Urdrachen?«, fragte Lenius, die Augenbrauen weit von seinen Lidern hochgezogen.
Jaro schluckte schwer. »Er bewegt sich gerade auf das Festland zu.«
Nevins Magen verkrampfte sich, als hätte ihn jemand in den Bauch geschlagen. Lenius hielt erschrocken die Luft an und wurde etwas blasser um die Nase.
»Ich sollte mich kurzfassen, da ich so schnell wie möglich zurück muss. Der Urdrache bewegt sich schon seit einiger Zeit direkt auf die Singbucht zu. Ob er tatsächlich in unserer Nähe an Land gehen wird, wissen wir noch nicht. Doch er macht seine Präsenz jetzt schon bemerkbar. Das Ungeheuer gibt einen seltsamen, schwarzen Schlack von seinem Körper ab, der alles um ihn herum tötet. Unsere Wasserdrachen haben aus der Ferne unzählige tote Meerestiere beobachtet, die an der Wasseroberfläche schwimmen. Der Schlack breitet sich immer weiter aus und kommt der Singbucht immer näher. Wir haben deswegen beschlossen, die Einwohner sofort zu evakuieren. Ich hoffe, du bist damit einverstanden.«
In diesem Augenblick, kam Lia mit einem silbernen Tablett herein, vollbeladen mit Wasser und Birnen aus dem Burggarten.
»Lia, wie ist der Zustand des Dorfs? Sind alle Einwohner sicher untergebracht?«, drängte Nevin.
Das Dienstmädchen schreckte kurz zusammen, dann nickte sie eifrig. »Ja, Eure Hoheit. Alle sind sicher untergebracht und sind gerade dabei, das übrige Geröll wegzuräumen.«
»Finde heraus, wie viele Drachen in Adlerstal sind. Schnell«, befahl Nevin.
Das Dienstmädchen stellte das Tablett auf der Holzkommode neben der Tür ab und hastete davon.
»Was willst du tun?«, fragte Jaro.
»Ich muss nach Dilek und Elyon sehen. Sollten wir noch genug Drachen hier haben, fliege ich mit dir und Milo zurück und helfe bei der Evakuierung. Geht es zum verlassenen Tempel?«
Jaro nickte.
»Ich möchte mitfliegen, ich muss unbedingt zu Gilwa. Und ich kann dabei helfen, die Einwohner der Bucht wegzufliegen«, sagte Lenius und rutschte weiter vor in seinem Sessel, bereit loszuziehen.
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Nevin nickte ihm zu. Nachdem morgendlichen Gespräch, hatte er ein verlässliches, kompetentes Bild von Lenius bekommen. Er vertraute dem jungen blonden Mann.
Ein kurzer Stich fuhr durch seine Brust. Jetzt würde er Adlerstal schon wieder verlassen. Doch es musste sein. Für Dilek. Für Elyon. Er warf einen kurzen Blick zu Jaro, wie um seine Erlaubnis zu bitten. Sein Onkel verstand es sofort und nickte ihm mit einem schwachen Lächeln zu.
»Lenius, bitte geh zu Tessa und Alina. Erkläre ihnen, was los ist und dass wir bald wieder zurück sind. Sie sollen sich jederzeit an meine Dienerschaft wenden, sollten sie etwas brauchen.«
Lenius machte sich sofort auf den Weg, gerade als Lia wieder in den Raum gestürzt kam.
»Es sind, Euch und Milo ausgeschlossen, noch zehn Drachen hier. Wir haben zudem noch vierzig kampffähige Männer.«
»Das sollte reichen«, sagte Jaro und stand gemeinsam mit Nevin auf.
»Verzeihung, Eure Hoheit?«
Erst jetzt fielen Nevin die Briefe in den Händen des Dienstmädchens auf. Ein Pochen klopfte in seinem Hals. »Von wem?«
»Von seiner Kaiserlichen Majestät. Und Eurem Bruder, Prinz Finan.«
Nevin fluchte in seinem Kopf auf, presste die Lippen zusammen, dann nahm er ihr die Briefe ab. Er starrte sie an, überlegte kurz, ob es nicht besser war, zumindest den Brief seines Vaters zu öffnen, doch dann schüttelte er für sich selbst den Kopf. Nicht jetzt. Er musste sich um die Singbucht kümmern. Er war zwar nur einer von vier, doch er war immer noch ein Anführer der Bucht. Und Ilka konnte ihren Pflichten in ihrem Zustand nicht nachkommen. Die Frage war, wie lange er es noch sein würde, jetzt wo seine wahre Identität herausgekommen war. Kaum jemand in der Singbucht hatte gute Worte für die kaiserliche Familie übrig.
Jaro legte eine Hand auf seine Schulter und zog ihn mit sich.
»Komm, es bringt nichts, deinen Kopf zu zerbrechen. Ich verlange nicht, dass du lächelst, aber behalte im Kopf, dass du schon immer ein Glückskind gewesen bist. Alles wird schon irgendwie gut werden.«
Nevin nickte und folgte Jaro aus dem Raum.
–
Als er den Strand betrat, dicht gefolgt von Lenius, zitterte der Sand vor lauter Bewegung. Einwohner liefen umher, vollbeladen mit Taschen und Kisten, die sie in der Mitte, nahe den steinernen Wänden sammelten, um sie schließlich in großen Tüchern einzuwickeln, die von den Drachen davongetragen werden sollten. Die Stimmen riefen so viele und so laute Wörter umher, dass sie das Meer und den Wind in ihrem Rauschen übertönten.
Odilia stand, fest wie ein Fels, vor den Gepäckstücken und richtete ohne Unterlass Anordnungen an jeden weiter, der in ihre Nähe kam.
Gilwa lief gerade in ihre Richtung am Wasser entlang, zunächst abgelenkt durch seine Spielkameraden, mit denen er herzlich lachte, doch dann bemerkte er die zwei größten Drachen, ließ seine Freunde links liegen und rannte mit wehenden Haaren auf sie zu.
»Lenius!«, rief er so laut, als würde sein Leben davon abhängen.
Der weiße Drache trabte auf den Jungen zu, der sich mit einem lauten Schluchzen an sein riesiges Bein drückte. »Ich hab dich vermisst! So sehr vermisst!«
Da Odilia alles unter Kontrolle hatte und er Gilwa und Lenius etwas Raum geben wollte, sah Nevin sich nach Dilek um. Er fand ihn weiter hinten, in der Nähe einer Höhle, die er gerade mit einer großen Tasche verließ.
»Dilek!« Mit seiner riesigen Drachengestalt konnte er weder schweben noch laufen, um die gesammelte Einwohnerschaft der Bucht nicht zu verletzen. So zwang er sich zu vorsichtigen Schritten, während er zu seinem besten Freund ging, der ihm ein keckes Lächeln entgegenbrachte.
»Nevin, schau mich nicht so an, als wäre ich schon halb tot. Mir geht es gut.«
»Ich hab es von Jaro gehört«, murmelte Nevin. »Du kannst nicht mehr fliegen.«
»Vorerst. Warten wir mal ab, vielleicht heilt es ja noch. Und selbst ohne zu fliegen, überrage ich dich an körperlicher Stärke immer noch. Schreib mich also bloß nicht ab.«
»Daran würde ich niemals zweifeln.« Nevin lächelte. Dileks Gegenwart vertrieb etwas von der Anspannung, die wie ein dichter Nebel in der Luft hing.
»Falls du Elyon suchst, sie ist bei den schwarzen Drachen. Aber sei nicht zu erschrocken. Sie ist ... etwas neben der Spur.«
»Danke, ich gehe gleich zu ihr.«
»Währenddessen, solltest du dich am besten gleich entscheiden, was mit den schwarzen Drachen geschehen soll. Odilia und Jaro konnten sich nicht einigen.« Dilek senkte den Blick und schulterte die Tasche die er trug. Nevin warf einen kurzen Blick auf die grauhaarige Odilia, die gerade ein paar der älteren Jungen mit lauten Rufen zurück in die Höhlen trieb, um noch mehr Gepäck zu holen.
»Ich rede mit Elyon. Vielleicht weiß sie etwas«, sagte Nevin mit einem Seufzen.
»Ich werde noch beim Packen helfen. Wir treffen uns später hier, wenn du so weit bist. Ich halte Odilia dir auch so lange vom Leib.«
Nevin nickte und ging zurück in die Schlucht auf der anderen Seite der Bucht. Er schwebte an den schwarzen Gesteinswänden vorbei, die ihn links und rechts umgaben, während er versuchte sich auszumalen, in welchem Zustand er Elyon antreffen würde und wie er sie um Hilfe bitten könnte, ohne sie noch mehr zu belasten. Es schien unmöglich. Als er den Steinkessel betrat, saß Elyon auf der anderen Seite, den Kopf angelehnt an den Gitterstäben vor Ilkas und Jeskos Zelle.
»Elyon? Alles in Ordnung?« Nevin trat vorsichtig näher.
Sie hob noch nicht mal den Kopf. Ihre Haare verdeckten die Hälfte ihres Gesichts und die einzige Bewegung war das sanfte Heben und Senken ihres Brustkorbs.
»Losfliegen?«, fragte sie schließlich nach einer Weile. Ihre Lider hoben sich und entblößten ihre matten Augen.
»Noch nicht. Ich wollte nach dir sehen. Warum bist du hier? Allein?«
Endlich löste sich Elyon von den Gitterstäben und rieb sich die Wange, wo die Stangen eine tiefe, rote Spur hinterlassen hatten.
»Zu laut«, wisperte sie.
Hinter ihr, gurrten Ilka und Jesko leise.Ein beschwichtigendes Geräusch unter Drachen. Jetzt, da Nevin seine Aufmerksamkeit kurz auf alle Tiere richtete, fiel ihm auf, wie friedlich sie waren. Kein Knurren war zu hören, keine gebleckten Zähne waren zu sehen. Das war noch nie passiert, während Menschen und hellere Drachen anwesend waren.
»Elyon, wie hast du sie beruhigt?«
Elyon ließ ihren Blick kurz über die Zellen schweifen, dann richtete sie sich ächzend auf.
»Mit ihnen geredet. Seitdem ruhig.« Unter ihren Augen lagen leichte Schatten und ihre Mundwinkel hingen tief nach unten.
Was war nur geschehen? Nevin hätte ihr gerne etwas Erleichterung verschafft, doch er wusste nicht, wie er seine Fragen so stellen konnte, dass er auch eine Antwort bekam, um ihr helfen zu können.
Am liebsten, hätte er sie ins Bett geschickt. Doch dafür war keine Zeit. Sein schlechtes Gewissen lag ihm schwer im Kopf, doch er musste Elyon schon wieder um einen Gefallen bitten. Vielleicht konnte sie das ja ein wenig ablenken. Sie ging gerne mit Tieren um.
»Elyon, ich muss dich leider wieder um Hilfe bitten. Wir müssen entscheiden, was wir mit den schwarzen Drachen machen.«
Elyon seufzte und massierte sich mit Mittel- und Ringfinger an den Schläfen. »Sind nicht gezähmt. Zu wenig Zeit.«
Wieder beobachtete Nevin die ruhigen Drachen. Einige lagen sogar in sich selbst geschlungen da und dösten vor sich hin. Und sie hatte nur mit ihnen geredet. Oder vielleicht ihnen befohlen? Reichte das aus? Ein Wort von ihr und sie gehorchten? Vielleicht genauso wie im Hof seiner Burg, als Elyon allen befohlen hatte, zurückzubleiben und selbst Nevins Körper ihr gehorcht hatte. Es war weit hergeholt. Doch wenn es möglich war, Menschen in Drachen zu verwandeln, warum sollte nicht ausgerechnet die Familie, von dem der Fluch stammte, eine Art Macht über ihn haben?
»Elyon, befiehl mir etwas. Egal was. Springen, hinlegen. Irgendwas.«
Sie hob fragend ihre schwarzen Brauen.
»Schnell. Sag mir, dass ich springen soll.«
Elyon verdrehte die Augen und wandte sich von ihm ab, um Ilka das Kinn zu kraulen.
»Elyon, bitte ich glaube, ich habe etwas entdeckt.«
Elyon warf ihm einen missmutigen Blick über ihre Schulter zu. Dann stöhnte sie und drehte sich wieder zu ihm um.
»Spring«, murmelte sie.
Nichts. Sein Körper blieb still stehen. So wie Nevin es wollte.
»Nein. Du musst es ernst meinen.«
Elyon verdrehte die Augen und ging an ihm vorbei auf den Ausgang zu.
»Nein! Warte! Ich mein es Ernst!« Nevin hastete ihr hinterher, überholte ihre kleine Gestalt und baute sich vor ihr auf.
»Im Hof, als wir gegen Demians Drachen gekämpft haben! Mein Körper hat deinem Befehl gefolgt. Und ich glaube, das Gleiche ist hier passiert. Und jetzt sind alle Drachen still! Elyon, sag mir, dass ich springen soll.« Sie wich ihm aus, doch Nevin stellte sich ihr immer wieder in den Weg, egal wie oft sie versuchte ihn zu umgehen.
Da wichen ihre müden Gesichtszüge und in ihren Augen brodelte es.
»Geh aus dem Weg!«
Als würde eine unsichtbare Kraft seine Beine ergreifen, sprang Nevin zur Seite. Gleichzeitig hallte das erschreckte Winseln der anderen Drachen durch den Steinkessel, die sich panisch von den Gitterstäben zurückzogen und sich so nahe an die Wände ihrer Zellen pressten, wie möglich.
Elyons Wut wich aus ihrem Blick, während sie stutzig die Drachen beobachtete.
»Nochmal! Ich war das nicht, es war mein Drachenkörper. Befiehl mir irgendetwas anderes.«
Elyon wandte sich ihm wieder zu. Ein neugieriger Ausdruck lag in ihrem Gesicht.
»Sitz«, befahl sie.
Sofort senkten sich seine Hinterbeine.
»Spring.«
Wieder hob sich sein Körper, so sehr Nevin sich auch dagegen stemmte und erhob sich in die Luft.
»Jetzt tu das Gleiche mit den Drachen. Versuch es bei Ilka.« Er war so aufgeregt, dass er es nicht lassen konnte, Elyon mit seiner Nase in Richtung seiner Ziehtante zu stupsen.
»Ich gehe schon.« Elyon schob seine Nase von sich und lief zu beiden Drachen.
»Aufstehen«, befahl sie ihnen.
Sofort erhoben sich beide, dann blinzelten Ilka und Jesko Elyon überrascht an.
»Sitz.«
Wieder folgten ihr beide Drachen ohne Widerwillen. Elyon erstarrte und riss die Augen auf. Dann trafen sie Nevins Blick und er lächelte sie an.
»Ich glaube, jetzt können wir die Drachen doch noch mitnehmen«, sagte Nevin und ging zur Höhle, die als Lagerraum diente um Elyon alle Ketten zu bringen, die er finden konnte.