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Elyons Fluch Band 1 (German)
35 Nevins Bedrängnis

35 Nevins Bedrängnis

Nevin ließ Amin und Neara, die zwei Drachen, die Dilek und ihn im Kampf unterstützt hatten, mit etwas Abstand zu dem Zelt seines Vaters landen. Es war halboffen und bestand aus einem dichten, grünbraunen Stoff, der eine gute Tarnung von oben herab anbot. Nicht so sehr die über zwanzig Kämpfer, die sein Vater dabei hatte, gekleidet in rotgoldenen Stoffen. Einige seiner Männer trugen graue Umhänge, ein Zeichen des Drachenjägerstatus.

Er wollte die beiden Drachen nicht gefährden. Am liebsten hätte Nevin sie weggeschickt, doch Dilek konnte nicht mehr fliegen. Und er konnte sich nicht mehr so leicht zurückverwandeln. Sie brauchten die Drachen, falls sie fliehen mussten. Wer wusste schon, was sein Vater ihm antun würde, sollte seine Wut sich weiter steigern.

Hinter ihm, in der Ferne, war Idris immer noch dabei, sie im vollen Galopp einzuholen. Nevin beschloss nicht auf ihn zu warten und trat direkt auf das Zelt zu.

Alle Drachenjäger standen neben dem Zelt. Hochgewachsene Männer, mit breiten Armen, bewaffnet mit Schwertern, Bögen, Lanzen und Ketten.

Die persönlichen Wachen des Kaisers standen im Zelt, am Rand, während Nevins Vater in der Mitte saß, auf einem goldroten Hocker. Wie immer die großen Hände auf dem Griff seines beliebten Schwertes. Um ihn stand Finan, Aik und vier Bedienstete.

Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Die Krieger und Bedienstete verbeugten sich und riefen mit einer Stimme: »Mögen Kraft, Weisheit und Mitgefühl Euch leiten und Eure Jahre ewig sein, Eure Kaiserliche Hoheit.«

Nevin nickte, während ein kalter Schauer über seinen Rücken fuhr. Etwas stimmte nicht. Sie verbeugten sich nicht so tief wie sonst. Ihre Stimmen waren leiser. Ihre Blicke wichen seinen aus und hier und da entdeckte Nevin eine krause Stirn. Die Ehrfurcht, der Respekt und die Bewunderung, die er sonst in ihren glänzenden Augen gesehen hatte, war verschwunden. Einige behielten zudem die Hände auf dem Rücken. Als würden sie etwas halten, dass nicht gesehen werden sollte.

Fast war Nevin versucht, kehrt zu machen und die Flucht zu ergreifen.

Doch der Gedanke wog so schwer in seiner Brust, dass es ihn zwang, weiter auf seinen Vater zuzugehen. Mit jedem Schritt fühlte sich die Luft stickiger an.

»Deine Verlobte hat ganze Arbeit geleistet. Ich hoffe, sie wird schnell wieder genesen«, sagte sein Vater, mit einem solch trockenem Ton, dass es Nevin einen weiteren Schauer einjagte.

Er blickte nicht in die finsteren Augen seines Vaters, sondern konzentrierte sich auf dessen Nasenansatz, um nicht die Nerven zu verlieren.

»Wann trifft die Prinzessin bei uns an?«, fragte sein Vater und polierte den Griff des Schwertes mit dem goldenen Saum seines Ärmels.

Nevin atmete kurz ein, eher er antwortete. »Sie wird zunächst nach Höhental gebracht.«

Sein Vater sah von seinem Schwert auf, die Stirn in tiefen Falten gelegt. Ehe er Nevin anblaffen konnte, erklärte er schnell weiter. »Da sie eine Nachkommin des ehemaligen Königs von Höhental ist, muss die Prinzessin einige rechtliche Angelegenheiten klären, sobald sie aufwacht. Die Wächter möchten sie nicht dem Kaiserreich überlassen und werden sie im Hochtal versorgen.«

Die dichten Brauen des Kaisers zogen sich tief nach unten. Nevin kämpfte darum ruhig weiter zu atmen. Seine Stirn wurde feucht.

»Ha! Höhental hat mir die Prinzessin weggeschnappt?! Elendige Wichte!« Sein Vater stand auf und Dilek wich unwillkürlich ein Stück zurück. Nevin blieb dort stehen, wo er war, auch wenn sein Herz so schnell schlug, dass ihm schlecht wurde.

Nevins Vater hob sein Schwert und richtete es über Nevins Schulter. Die Spitze zeigte nach draußen.

»Warum stehen da draußen Drachen?! Warum sehe ich zwei abartige Biester vor mir? Du sagst mir jetzt besser, dass das die zwei einzigen sind, die noch übrig geblieben sind und das der Fluch endlich aufgehoben ist!«

Speicheltropfen flogen aus dem Mund seines Vaters und landete auf Nevins Gesicht. Nevin zuckte, als sein Vater anfing zu schreien, er konnte es nicht verhindern. Doch er behielt die Füße fest auf dem Boden, ohne vor seinem Vater zurückzuweichen.

Der Fremde aus dem Verbotenem Osten, Aik, starrte nachdenklich zu Boden. Seine Lippen waren zu einem dünnen Strich gezogen und er seufzte leise. Wieso sagte er nichts? Hatte er nicht behauptet, eine Lösung für den Fluch zu besitzen?

»Ich weiß nicht, wann und ob der Fluch aufgehoben ist. Wir müssen warten, bis Prinzessin Elyon aufwacht. Sie wird bestimmt mehr wissen.«

»Pah, wenn diejenigen, die direkt mit dem Land zu tun haben, das den Fluch überhaupt zu uns gebracht nichts wissen, wird sie es wohl kaum schaffen.« Aik hob eine Augenbraue, sein Gesicht verzerrte sich in einem kurzen Anflug von Wut, doch dies schien nur Nevin zu bemerken.

»Genug! Ich bekomme keine Antworten oder Lösungen. Deine Zeit ist abgelaufen, Sohn!«

Er stampfte zurück zu seinem Hocker, schlug einmal mit dem Schwert auf dem Boden und alle Wachen stürzten auf Dilek und ihn zu.

Nevin stolperte nach hinten, starrte die ausdruckslosen Gesichter seiner Untertanen an, versuchte zu begreifen, was sie taten. Doch da legten sie bereits Ketten um seine Handgelenke. Hände griffen mit voller Kraft nach seinen Armen.

Ein scharfer Geruch wehte ihm um die Nase. Dileks Fluch.

»Nein! Halt dich zurück!«, flehte er seinen Freund an. Da hörte er lautes Stampfen hinter sich.

»Fliegt weg! Sofort!«, brüllte Nevin nach hinten, gerade als weitere Männer nach draußen liefen, Lanzen und Zweihänder bereit, die Drachen zu erlegen.

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»Fliegt weg! Kümmert euch nicht um mich!«, rief Nevin weiter, während ihm die Wachen immer mehr Ketten anlegten.

Er keinen weiteren Blick nach hinten werfen, denn die Männer drückten ihn zu Boden, bis er auf seinen Knien war.

Die Drachen hörten nicht auf ihn. Sie galoppierten direkt auf die Männer zu und kämpften gegen sie an.

»Tötet sie!«, befahl der Kaiser und zeigte mit dem Schwert auf die Drachen.

»Vater nicht! Ich flehe dich an! Lass sie laufen!«, rief Nevin, auch wenn er wusste, dass es keinen Zweck hatte.

Für einen kurzen Augenblick war er versucht sich zu verwandeln. Wärme breitete sich in seinem Bein aus, doch Nevin drückte die Zähne aufeinander, während sich sein Magen vor lauter Frust zusammenzog. Dilek knurrte neben ihm, acht Männer mussten ihn nach unten drücken und in Ketten halten, damit er sich nicht losriss.

»Vater ... Nevin ist doch der Thronfolger ... das Volk ...«, stammelte Finan. Sämtliche Farbe war von seinem Gesicht verschwunden. Sein verängstigter Blick war wie ein Dolchstich in Nevins Brust. Finan hasste es, Nevin unter seinem Vater leiden zu sehen, genauso wie er es tat, wenn sein Bruder eins von ihrem Vater gewischt bekam. Nevin starrte Finan an, im Versuch, seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Er musste still sein, sonst würde sein Vater auch ihn ergreifen lassen.

»Nicht mehr lange, wenn er diesen Fluch nicht loswird! Schafft ihn weg! Und du Finan!« Sein Vater schwang sein Schwert, gepackt in einer dicken Lederscheide und traf Finan auf dem Hinterkopf. Er fiel nach vorne und fing sich gerade noch mit den Händen auf. Aik, der nicht weit von seinem Bruder stand, trat einen Schritt zurück. Sein Mund war wieder nur ein dünner Strich, ein dunkler Ausdruck lag auf seinem Gesicht.

»Du nimmst Kontakt mit Höhental auf, egal wie. Sobald die Prinzessin wach ist, werde ich mich mit ihr treffen und wir werden über das Schicksal meines fünften Sohns entscheiden«, blaffte der Kaiser Finan an.

Hinter ihm erklang ein schmerzhaftes Brüllen. Nevin blickte über seine Schulter, auch wenn er genau wusste, dass es ein Fehler war. Amin, der größere Drache, fiel in sich zusammen. Neara war blutüberströmt. Die Drachenjäger seines Vaters hatten Ketten in den Hals der hellgrauen Drachin eingehakt und zogen sie gerade hinunter, um an die Kehle heranzukommen.

Ein Schrei baute Druck in seiner Brust auf. Nevin hatte das Gefühl, er würde zerbersten, sollte er ihn nicht freilassen. Doch er biss sich auf die Zunge, während sein Magen sich zusammenzog, als würde jemand unaufhörlich Messerstiche dort hinterlassen. Seine Glieder zitterten, er schnappte nach Luft, während Kälte und Hitze abwechselnd durch seinen Körper tobten. Zwei weitere Drachen, tot. Seinetwegen.

Der Fluch bäumte sich in seinem Bein auf. Nevin wollte sich verwandeln, alle abschütteln, Neara retten, Dilek und Finan. Seinem Vater und dem Kaiserreich für immer den Rücken zukehren.

Aber er konnte nicht. Durfte nicht. Ein schweres Gewicht legte sich auf seinen Gliedern. Jahre von Erziehung. Jahre von den Worten seiner Liebsten, die ihn ermutigt hatten, die an ihn glaubten. Die sich wünschten, dass er den Thron bestieg um Rovisland zu einem besseren Ort zu machen. Seine Mutter, die ihn voller Stolz immer und immer wieder geküsst und umarmt hatte, nachdem seine Großeltern verkündigt hatten, dass er der nächste Kaiser werden würde. Die Drachen, die er beschützen wollte. Er konnte den Thron und sein Leben nicht so leicht aufgeben.

Nevin sah auf und betrachtete Dilek, der immer noch mit hochrotem Kopf gegen die Ketten ankämpfte. Sein Bruder, der sich an den Hinterkopf hielt, mit Tränen in den Augen, die er nicht fließen ließ. Würden die beiden sicher sein, wenn er sich hier ergab? War es nicht doch besser, sich zu verwandeln?

Da traf er Finans Blick. Dieser schüttelte den Kopf, dann öffnete er den Mund und sagte, ohne einen Ton von sich zu geben: Elyon. Sie wird helfen. Halte durch.

Wärme stieg in seinen Augen auf. Nevin musste mehrmals blinzeln, um die Tränen zurückzuhalten. Ein zweites Brüllen traf ihn wie ein Pfeil in der Brust. Dieses Mal wagte Nevin es nicht nachzusehen.

Die anderen Wachen begannen bereits den Proviant, die Klappstühle und die Waffen einzupacken, während sein Vater nach draußen marschierte, zu den Pfählen wo die Pferde angebunden waren.

Idris traf dort gerade ein und besprach sich kurz mit seinem Vater. Dann drehte er sein Pferd so um, dass er Nevin anschauen konnte und grinste hämisch, saugte sich mit seinen Augen voll an Nevins Anblick.

Er biss sich auf die Zähne und knurrte leise. Wie gerne er seinen Bruder eine mit seinen Krallen verpasst hätte!

»Sie wird leben, nicht wahr?«, fragte Aiks leise Stimme, mit dem seltsamen, scharfen Akzent. Nevin zuckte leicht zusammen, als er sein blasses Gesicht direkt über sich sah.

»Was geht dich das an?«, murrte Nevin.

»Der Fluch wird ohne sie nicht verschwinden. Und dir zuliebe sollte sie es. Du machst es nicht mehr lange«, raunte der blonde Mann. Sein strenges Gesicht war regungslos, wie die Statue eines alten Kriegers. Aik wandte sich ab und ging ebenfalls auf die Pferde zu.

Immer noch die Hand an den Kopf haltend, stand Finan ächzend auf und ging zu seinem schwarzen Hengst, während die Wachen Nevin und Dilek auf die Beine zogen und sie aus dem Zelt brachten, das gerade abgebaut werden sollte.

Man warf ihnen Umhänge drüber und zog die Kapuzen tief über ihre Stirn. Es schien, als würde sein Vater ihnen vorerst nichts Weiteres antun und sie unerkannt in die Hauptstadt bringen lassen.

Fast hätte Nevin ein bitteres Prusten von sich gegeben. Sein Vater würde ihn also verstecken. Er würde das Volk nicht wissen lassen, dass er seinen Erben ins dunkelste Verlies schmeißen würde. Oder vielleicht sogar bald umbringen. Nevin schüttelte leicht den Kopf. Nein, er würde auf Elyon warten. Und sie würde definitiv überleben, was ihn zunächst vor einer Hinrichtung retten würde.

Nevins Brust wurde enger, während sein Herz immer heftiger schlug. Er brauchte Elyon. Wenn sie es schaffte, irgendwie mit seinem Vater zu verhandeln, dann konnte er vielleicht überleben und immer noch den Thron besteigen. Und wenn nicht ...

Nevin warf einen Seitenblick auf Dilek. Was würde mit seinem besten Freund geschehen? Sollte er hingerichtet werden ... nein, er musste Dilek irgendwie aus dieser brenzligen Lage retten. War es nicht sinnvoller, sich gleich hier und jetzt dem Fluch hinzugeben? Vielleicht konnte Elyon ihn finden und noch irgendwie dabei helfen, sich zurückzuverwandeln? Doch was, wenn er ganz seinen Verstand verlor und anderen Menschen gefährlich wurde?

»Hör auf, dir Szenarien auszumalen, die noch nicht geschehen sind. Solange Elyon noch am Leben ist, wird er dir nichts antun. Dafür stehst du zu hoch in der Gunst des Volkes«, flüsterte Dilek, der es geschafft hatte, sich direkt neben ihm zu stellen, während sie zu den Pferden gebracht wurden.

Sofort wurde er von drei Wachen weggezogen. Doch seine Worte waren genug. Genau so wie seine Gegenwart. Dilek sah ihn weiterhin an und gab ihm wortlos Zuspruch.

Nevin grinste, doch ihm war zum Weinen. Dilek verdiente es nicht, sein Schicksal zu teilen. Doch er war Nevin eine Stütze, selbst in seiner misslichen Lage.

Er musste warten. Erst wenn Elyon wieder vor ihm stand, würde Nevin entscheiden, ob und wie er sich selbst verlieren würde.