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Elyons Fluch Band 1 (German)
27.2 Nevins Prüfung

27.2 Nevins Prüfung

Während Elyon in Nevins Arbeitszimmer über ihr Heft und eine Landkarte brütete, ging Nevin ans andere Ende des Flurs, wo Milos und Alinas Zimmer lagen. Er klopfte zuerst an der Tür des älteren Jungen, doch er antwortete nicht. Nevin presste kurz sein Ohr an die glatte Holztür, dann schoss ein warmer Strom von seiner Bissnarbe zu seinem Ohr hinauf. Er hörte Milos leise und sanfte Atemzüge und löste sich zufrieden wieder von dem kühlen Holz und drehte sich um, da direkt gegenüber Alinas Zimmer lag. Nachdem er geklopft hatte, öffnete Lenius die Tür, öffnete den Mund, doch dann schreckte er zusammen, als er Nevins Blick begegnete.

»Ich dachte du wärst die Dienerschaft«, sagte er und legte kurz eine Hand über sein Herz.

»Wie geht es ihr?«, fragte Nevin leise.

Lenius seufzte und schüttelte den Kopf. Dann öffnete er die Tür und trat zur Seite.

Nevin näherte sich mit leisen Schritten dem Bett, damit die Holzdielen nicht ganz so laut knarzten. Doch Alina regte sich nicht. Sie lag auf ihrer Seite, den Rücken zu ihnen gekehrt und bis zu ihrer Schulter mit einer dünnen Daunendecke bedeckt. Gilwa saß neben ihr und streichelte ihren linken Oberarm. Als der Junge seine Augen auf Nevin richtete, schob er seine Unterlippe nach vorne.

»Alina hat noch nichts gegessen oder getrunken. Kannst du ihr sagen, dass sie das machen muss? Sonst wird sie krank!«

Alina blieb weiterhin still liegen. Nevin beugte sich leicht vor, um einen Blick auf ihr Gesicht zu erhaschen. Mit matten Augen starrte Alina die gelbe Wand an, an der ihr Bett lag. Hätte sie nicht geatmet, hätte Nevin sie für tot gehalten. Durch ihr blutleeres Gesicht, wirkten ihre Augenringe noch dunkler.

»Weißt du, Kleiner, manchmal ist es schwer etwas zu sich zu nehmen, wenn man jemanden sehr vermisst. Gib ihr noch ein paar Stunden. Frag sie immer wieder, ob sie etwas trinken möchte. Ich schicke später Elyon zu euch, um nach ihr zu sehen.« Nevin streichelte die hellbraunen, weichen Haare, die dem Jungen ungebunden bis zur Schulter fielen.

Gilwa nickte traurig, dann fing er erneut an, Alinas Arm zu streicheln.

»Wo ist Elyon?«, fragte Lenius.

»Sie ist gerade in meinem Arbeitszimmer und denkt sich einen Plan aus. Ich werde gleich nach ihr sehen. Du kannst gerne mitkommen, wenn du willst.«

Nachdem Lenius Gilwa darum gebeten hatte bei Alina zu bleiben, folgte er Nevin aus dem Zimmer zum anderen Ende des Gangs, wo gegenüber der hölzernen Treppe, die nach unten führte, sein Arbeitszimmer lag. Eine Dienstmagd schloss gerade die Tür hinter sich.

»Ich habe ihr soeben etwas zu essen und zu trinken gebracht, Eure Hoheit.«

»Danke.« Nevin nickte ihr mit einem Lächeln zu, dann trat er ein.

Elyon saß an seinem Schreibtisch, dessen Oberfläche mit vollgeschriebenen Blätter und einer Karte bedeckt war. Auf einigen der Blätter entdeckte Nevin ein paar Zeichnungen. Die Prinzessin ließ ihren Finger über eine Karte fahren, wo nicht nur Rovisland eingezeichnet war, sondern auch die Grenzen von Höhental.

Am Rand des Arbeitstisches, standen eine Karaffe, Gläser und eine Obstschale mit Birnen, Äpfeln und Weintrauben. Unberührt.

Ohne Elyons Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen, schenkte er etwas Wasser in ein Glas ein, dann stellte er es zwischen ihren Unterarmen hin, die auf der Tischplatte lagen.

Sie zuckte kurz zusammen, dann legte sie die Stirn in Falten und starrte ihn an, eindeutig genervt von seiner Unterbrechung.

»Du musst was Essen und Trinken. Dann fällt dir das Planen leichter, glaub mir.« Nevin schob das Glas näher an ihre Hände.

Elyon blies eine dunkle Haarsträhne, die auf ihrer Nase lag zurück, dann nahm sie etwas Wasser zu sich.

»Schon etwas gefunden?«, fragte Lenius und setzte sich auf eines der gepolsterten Stühle die gegenüber von Elyon standen. Nevin tat es ihm nach.

»Vielleicht. Doch ein großes Problem. Ich brauche Ablenkung. Von Drachen. Viele Drachen.«

»Von wie vielen sprichst du?«, fragte Nevin.

Elyon seufzte und stellte das Glas zur Seite. »Mindestens hundert.«

Lenius schnappte nach Luft.

Nevin lehnte sich, getroffen von der Zahl, zurück an die Stuhllehne. Hundert Drachen. Wenn er die im Tempel mit einrechnete, kamen sie noch nicht mal auf vierzig Drachen. Er vermutete, dass sie den Urdrachen ablenken sollten. Doch selbst mit ihren Flugfähigkeiten, würde das ein schwieriges Unternehmen werden, wie er selbst erfahren hatte. Doch mit mehr Drachen, war die Wahrscheinlichkeit geringer, von seinem Schlack getroffen zu werden.

»Wann muss dein Plan stehen?«, fragte Lenius.

»Morgen muss abgeschickt werden. Kaiser verlangt es.« Elyon rieb sich die Stirn. Doch egal wie fest sie rieb, die Falte zwischen ihren Augenbrauen verschwand nicht.

»Der Einzige,«, warf Lenius vorsichtig ein, »der in so einer kurzen Zeit, so viele Drachen bereitstellen könnte, wäre Demian.«

Ein saurer Geschmack breitete sich in Nevins Mund aus.

Elyon schloss mit einem gequältem Gesichtsausdruck die Augen. »Ich weiß.«

»Glaubst du, er würde mit uns kooperieren?«, fragte Nevin an Lenius gerichtet.

Lenius beugte sich nach vorne, stützte die Ellbogen auf seine Oberschenkel und legte das Kinn auf die gefalteten Hände.

»Wenn du, oder der Kaiser ihm Siegenshafen überlassen würden, vielleicht schon.«

Nevin prustete. »Das wird Vater niemals akzeptieren. Wenn Siegenshafen seine Unabhängigkeit bekommt, dauert es nicht lange und die anderen Königreiche werden ebenfalls auf ihre eigene bestehen.« Wogegen er persönlich nichts hatte, denn Nevin war schon immer dafür, den Königreichen mehr Freiheiten über ihre Reiche zu geben.

»Anders wirst du ihn nicht überzeugen können. Außer Alina redet mit ihm. Doch sie ist gerade in Trauer und wer weiß, wann sie wieder ansprechbar ist.« Lenius seufzte.

Der junge Mann hatte recht. Doch Nevin konnte Demian nichts versprechen, nichts überlassen. Er war noch nicht Kaiser. Seine Krönung würde erst nach dem siebzigsten Geburtstag seines Vaters geschehen. Bis dahin waren es noch knapp zwanzig Jahre.

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»Ich hätte andere Lösung«‚ warf Elyon ein. Die dunklen Augen auf die Karte gerichtet, tippte sie mit dem Zeigefinger auf die Hochebene hinter den Wilden Steppen. »Wächter fragen.«

Nevin blinzelte. Er hatte sich verhört. Sicherlich hatte er sich verhört. Doch als einen Seitenblick zu Lenius warf, saß dieser genauso verdattert da, wie Nevin sich fühlte.

»Warte mal, du meinst die Wächter? Aus Höhental? Mit den Feuervögeln?«, hakte Nevin nach.

Elyon nickte kräftig und ihre Augen blitzten auf. »Eigentlich besser als Drachen.«

Nevin grub sein Gesicht in die Hände. Ein kaltes Gefühl breitete sich in seiner Magengrube aus. Dann schüttelte er den Kopf, nahm tief Luft und versuchte all seine Einwände, all seine Befürchtungen zur Seite zu schieben und sich ganz auf das junge, intelligente Mädchen vor ihm zu konzentrieren.

»Erkläre es uns bitte. Warum du glaubst, dass die Wächter besser geeignet sind. Und auch, wie du erstens, in Höhental eindringen willst und zweitens, auch noch die Großwächter dazu überreden willst, uns zu helfen.«

»Weil Feuervögel Tiere, echte Wesen. Drachen nicht, nur Hülle. Feuervögel können nicht von Urdrachen kontrolliert werden. Vermute, dass Urdrache selbe Fähigkeit wie ich hat und Drachen gegen uns hetzen.«

»Warte mal, was hast du gerade gesagt? Drachen sind nur eine Hülle?«, fragte Lenius mit einem verwirrten Gesichtsausdruck.

Elyons Gesicht hellte sich auf, dann nahm sie ihr Heft, blätterte es auf und legte es ihnen zugewandt auf den Tisch. Die Skizze zeigte einen Drachenkörper. Von innen. Direkt unter dem Rücken lag ein Mensch in einem Membransack, so wie er es bei Morgengrauen gesehen hatte.

Lenius schluckte schwer. »Was ... was hat diese Gestalt in dem Drachen zu suchen?«

»Drache, ist kein Tier. Kein richtiger Körper. Hat kein Blut, keine Organe wie andere Tiere. Selbst Knochen, sind anders als normale.«

Lenis saß mit offenem Mund da, sein Blick vollkommen verwirrt. »Ich verstehe es nicht. Was sind Drachen dann?«

»Menschlicher Körper existiert noch im Drachen. Menschen verwandeln nicht in Drachen. Drachenkörper wird um sie gebildet. Verbindet sich mit deinem Körper.« Elyon zeigte eine weitere Skizze, wo nur der Membransack mit dem Menschen zu sehen war und die Gewebestränge, die aus dem Kopf, Nacken, Schultern, Arme, Torso und Beine wuchsen.

Elyons Augen leuchteten immer mehr auf, während sie mit ihrem Zeigefinger auf verschiedene Stellen ihrer Skizzen zeigte. Ihre Lippen formten sich zu etwas, dass man fast als Lächeln bezeichnen konnte. Ihr Wissensdurst war ebenfalls durch die mit Eile geschriebenen Notizen. Die krakelige Schrift war kaum zu entziffern.

»Drachenkörper erinnert mehr an Pflanze. Wie Mantel aus lebender Pflanze wächst Drachenkörper um Mensch. Gleiches auch mit Urdrachen. In ihm befindet sich Elyon der Erste. Da ich Fähigkeit habe, Drachen zu befehlen, hat Urdrache wahrscheinlich gleiche Fähigkeit. Deswegen Drachen schlecht, Feuervögel sicherer.«

»Warte, warte, warte!« Lenius saß nach vorne gekrümmt da, sämtliche Farbe wich von seinen Wangen. Nevin konnte es ihm gut nachempfinden. Er selbst kämpfte darum, das kalte Magengefühl weiterhin zu ignorieren und sich ganz auf die nahende Bedrohung durch den Urdrachen zu konzentrieren. Das ihm jedoch nur weitere Magenpein brachte.

Ein Klopfen an der Tür half ihm sich abzulenken. »Herein!«

Jaro trat ein, mit aufeinander gepresste Lippen und Briefen in seinen Händen. Einer war offen, der andere versiegelt. Nevin seufzte tief. Die Briefe mussten von seinem Vater kommen.

»Guten Morgen. Gut, dass ihr versammelt seid. Jaro rückte eins der Sessel, die schräg gegenüber des Schreibtisches, um einen kleinen Tisch standen, näher an sie heran und setzte sich ächzend zu ihnen.

»Ein Brief kommt von unseren Leuten. Der Urdrache ist an Land gegangen. Er hat die östlichen Klippen erklommen und ist gerade auf dem hierher. Wenn wir Pech haben, wird er dem Tempel sehr nahe kommen.«

Es war nicht mehr einfache Kälte, die sich in seinem Magen ausbreitete. Es war, als würde sich alles in ihm vereisen. Als würde sein Magen immer weiter und weiter schrumpfen. Als würden sich alle seine Muskeln aus lauter Furcht zusammenziehen.

Angespannte Stille breitete sich im Raum aus. Keiner bewegte sich. Nicht einmal Atemgeräusche waren zu hören. Doch dann kam ein Keuchen. Zunächst leise, dann es wurde mit jedem Zug stärker. Nevin drehte sich langsam zu Elyon hin. Ihre Augen waren weit aufgerissen, die leichenblasse Stirn glänzte vor Schweiß.

Nevin sprang auf und hastete zu ihr. Legte eine Hand auf ihre Handknöcheln, die weiß herausstachen.

»Ganz ruhig, ganz ruhig, Elyon. Wir sind hier. Du bist nicht alleine. Wir sind hier. Du hast einen Plan, nicht wahr? Du weißt, wie man das Ungeheuer beseitigen kann?«

Jaro stand auf und legte schnell einen geschlossenen Brief auf den Tisch.

»Eure Hoheit, seht her, das hier ist ein Brief von Aik, an Euch gerichtet. Vielleicht sind es gute Nachrichten.«

Elyon starrte, immer noch um Luft ringend, den Brief an. Doch sie bewegte sich nicht.

»Darf ich den Brief für dich öffnen?«, fragte Nevin vorsichtig.

Elyon nickte und schluckte schwer.

Schnell brach er das goldene Siegel, ein weiterer Hinweis, in welch hoher Gunst der Fremde stand. Sein Üblicherweise war es nur dem Kaiser und seinen Söhnen erlaubt, goldenes Wachs zu benutzen.

Eine kleine Schrift breitete sich in dem Papier aus. Die Striche waren klar gezeichnet, wie die eines Kindes, das noch vorsichtig und sorgfältig auf die eigene Orthografie achtete.

»Darf ich ihn dir vorlesen?«, fragte Nevin und wieder bekam er ein Nicken als Antwort.

An Eure Königliche Hoheit, Prinzessin Elyon,

Ich habe über Eure Worte nachgedacht und möchte mit diesem Brief mitteilen, dass ich nachvollziehen kann, wie ich Euer Misstrauen weiter aufgewiegelt habe. Dies tut mir sehr leid und ich möchte Euch hiermit meine bedingungslose Unterstützung anbieten, in der Hoffnung, dass wir uns, nachdem der Urdrache beseitigt ist, ein zweites Mal in Ruhe unterhalten können.

Meine Kräfte sich stark genug, um den Urdrachen für einige Momente kampfunfähig zu machen. Leider kann ich Euch nicht die Aufgabe abnehmen, ihn zu erlegen. Jemand aus der gleichen Blutlinie muss den Verfluchten beseitigen. Dafür kommt nur Ihr, oder Eure Verwandtschaft infrage, die Euch jedoch in Wissen und in Kampffähigkeit unterlegen zu sein scheint.

Der Urheber des Fluchs befindet sich im Drachen und dort müsst Ihr ihn töten. Solltet Ihr noch irgendetwas brauchen, Fragen haben, oder sollte Euch etwas einfallen, womit ich ebenfalls behilflich sein kann, lasst es mich wissen.

Mit tiefster Bewunderung und Hochachtung,

Aik Halla

Behutsam legte Nevin den Brief vor ihr hin. Elyon hatte ihren Atem wieder und obwohl ihre Stirn mit Schweiß bedeckt und ihre Haut immer noch blass war, schaffte das Mädchen den Brief an sich zu nehmen. Sie überflog die Zeilen, nahm tief Luft, dann legte sie ihn zur Seite.

Nevin wünschte, er hätte sie von Jaros und Lenius' erwartungsvollen Blicken abschirmen können und auch Zeit, um sich wieder zu fangen. Doch sie hatten keine Zeit mehr. Der Urdrache und der Kaiser saßen ihnen auf dem Nacken.

Er setzte mehrmals an, ohne ein Wort herauszubringen. Hilfesuchend schaute er seinen Stiefonkel an. Doch der zeigte mit einem Augenzucken auf Elyon, ein Zeichen, dass Nevin sie ansprechen sollte.

»Elyon, was ist dein Plan? Wie willst du Höhental überzeugen, uns zu helfen? Und wie willst du den Urdrachen töten?«, fragte er schließlich leise.

Das Mädchen starrte auf die Karte, dann zeigte ihr Finger vorsichtig auf ein paar dunkle Flecken, die in den Wilden Steppen eingezeichnet waren, die zwischen dem Kaiserreich und Höhental lagen. Die Flecken standen für die Riesenbüffel, die über dieses Gebiet herrschten. Dann erzählte sie ihnen ihren Plan.