Nevin trug sie mit leisen Schritten durch die Schlucht hindurch. Je weiter er ging, desto mehr ging sein Gang in ein Schleichen über und seine Ohren zuckten immer wieder, als würden sie auf ein Geräusch warten. Dann begann ein lautes Knurren, dass durch die Schlucht echote. Laut und voll. Das kam nicht nur von einem Tier. Elyon schätzte mindestens zehn.
»Hinter der Biegung dort vorne, sind die schwarzen Drachen. Sie haben nichts Menschliches mehr an sich und sind extrem aggressiv.«
Ihr Herzschlag bebte in ihrer Brust. Doch nicht vor Angst. Es die Aufregung, die Elyon half ihre Sinne zu schärfen und sich ganz auf die Tiere zu konzentrieren. Diese Drachen konnten nicht so gefährlich sein wie der, dem sie in der Höhle begegnet war. Schnell schob Elyon die Bilder, die sich ihr aufdrängten zur Seite und sah voller Neugierde nach vorne, als hinter einer Biegung ein weiterer Steinkessel lag. Doch hier gab es kein Wasser und kaum Sand. Nur eine dünne Körnerschicht bedeckte den dunkelgrauen Boden. Die hohen Steinmauern, die sie einkesselten, waren ausgehöhlt und vor den Halbhöhlen, standen dicke Gitter, die in die Felswand übergingen. Ein grollender Chord schwoll an und brachte den Sand auf dem Boden zum Zittern.
Gelbe Augen blitzten zwischen den Gitterstäben. Üblicherweise, glichen die Augen der Drache fast ihrer menschlichen Form. Doch diese, erinnerten sie an die Augen von Füchsen, Adlern und Schlangen. Das musste sie sich merken und später irgendwo aufschreiben.
Nevin hielt mitten auf dem steinernen Platz an und bückte sich, damit Elyon absteigen konnte. Als sie neben ihm stand, bemerkte sie seine angespannten Lippen. Ein kleines Stück von seinem Reißzahn tauchte unter Nevins Maul hervor.
»Geh zum Ausgang«, befahl sie, während sie der Reihe nach die schwarzen Drachen musterte. Ihr Fell stand ihnen zu Berge. Die Ohren waren nach hinten gedrückt. Alle zeigten das Weiße in ihren Augen.
»Was? Nein, sonst werden sie noch aggressiver.«
»Nicht aggressiv. Ängstlich. Du bist für sie ranghohes Tier. Geh zurück, zeige nicht deine Zähne. Lockere Körperhaltung. So zeigen, dass du nicht angreifen willst.«
Elyon achtete nicht darauf, ob er ihren Anweisungen folgte, da sie weiterhin die anderen Drachen beobachtete. An einem von ihnen, bemerkte sie frische Bissspuren am Vorderbein. Da er alleine eingesperrt war, konnten sie nur von ihm selbst stammen. Ein anderer Drache knurrte, doch drückte er gleichzeitig den Kopf an die Wand, direkt neben den Gitterstäben. Zwei Drachen, die sich eine Zelle teilten, zuckten mit den Augen hin und her, als wären sie vom Wahnsinn überfallen.
Elyons Herz verkrampfte sich in ihrer Brust. Hätte sie nichts von dem Fluch gewusst, sie hätte gedacht, alle Tiere wären von der Tollwut überfallen. Doch das hier war etwas anderes. Der gleiche Gestank, den sie auch schon in der schrecklichen Höhle gerochen hatte, und der immer noch an ihrem Körper hing, hing in der Luft und kam eindeutig von den Tieren. Sie würde Traumtod brauchen. Eine ganze Menge davon. Als Elyon gerade darüber nachdachte, ob sie noch andere Pflanzen einsetzen konnte, die beruhigend wirkten, sprach Nevin sie an.
»Die beiden da vorne, die sich eine Zelle teilen«, begann Nevin und seine Stimme zitterte, »sind mein Ziehvater Jesko und meine Ziehtante Ilka.«
Elyon näherte sich den Drachen mit vorsichtigen Schritten. Der größere, war wahrscheinlich Jesko. Er starrte sie mit großen, blutunterlaufenen Augen an und fletschte seine Zähne. Daneben stand die kleinere Drachin. Ilkas schwarzer Kopf war etwas zierlicher. Statt Elyon zu drohen, riss sie nur erschrocken ihre Augen auf und winselte.
Aus Gewohnheit griff Elyon nach ihrem Gürtel. Doch der Beutel hing nicht dort. Sie unterdrückte ein Seufzen und drehte sich zu Nevin um, der mit nach unten hängenden Lippen auf die zwei Drachen sah.
»Traumtod.«
Nevin blinzelte verwirrt.
»Kraut. Traumtod. Brauche so viel wie möglich. Vielleicht kann ich helfen.«
Für einen Moment, stand Nevin da wie eine Statue. Dann nickte er eifrig, wandte sich um und galoppierte davon. Elyon wandte sich wieder den beiden Drachen zu, setzte sich etwa drei Schritte von den Gittern entfernt auf den sandigen Boden und blieb dort, ohne den Blick zu heben und wartete, bis das Knurren langsam nachließ und Nevin zurück mit dem Kraut kam.
–
„Das ist zu gefährlich. Ich weigere mich." Kopfschüttelnd stampfte Nevin mit einem Bein. Elyon ignorierte ihn und nahm eine der Ketten, die in einer Halbhöhle, geschützt vor Wind und Wetter, lagen. Auf dem steinigen Boden waren einige Ringe befestigt worden. Sie drückte den Schnappverschluss zurück und hakte die Kette an einem dieser Ringe ein.
Sie hätte gerne gewusst, wie sie dies alle Zustande gebracht hatten. Die Zellen, die Ringe auf dem Boden, das Krankenzimmer in der Bucht. Waren die Höhlen völlig natürlich entstanden, oder von ihnen gemacht? Die Ketten und Gitterstäbe zeigten Rostspuren. Auch die Möbel in ihrem Krankenzimmer hatten Dellen, Kratzer und Flecken, die sich über einen längeren Zeitraum angesammelt hatten.
Elyon schüttelte leicht mit dem Kopf. Sie hatte keine Zeit für ihre Neugierde. Je schneller sie diese Drachen zähmte, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass dieser nervige Prinz ihr wieder von der Pelle rücken, und sie vielleicht sogar gehen lassen würde.
»Elyon, bitte, tu es nicht!«
Elyon verdrehte die Augen und ging mit der Kette in der Hand, auf die zwei Drachen zu.
»Elyon!« Sein ständiges Rufen brachte nur noch mehr Unruhe in die bereits knurrenden Drachen. Sie musste ihn irgendwie zum Schweigen bringen. Also ließ sie die Kette liegen, drehte sich wieder zu ihm um, verschränkte ihre Arme vor der Brust und starrte ihn voller Verachtung an.
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»Bären, Berglöwen, Wölfe, Wildhunde, Büffel, Schlangen, Falken, Adler, Luchse und sogar Vielfraße. Alle schon gezähmt. Ich kann das. Sei still, muss mich konzentrieren.«
Nevin klappte sein Maul auf, doch als Elyon ihn anknurrte, schloss er es schnell wieder und trat ein paar Schritte zurück.
Nicht weit von der Zelle der zwei Drachen, lag bereits ein großer Haufen Traumtod. Elyon nahm etwas von dem grünbläulichen Kraut in die Hand und zerrieb es zwischen den Händen. Als der blumig scharfe Duft sich ausbreitete, atmete sie zur Sicherheit etwas flacher, um nicht benebelt zu werden. Elyon wendete sich zuerst Ilka zu. Diese hatte die Ohren zurückgelegt und zeigte ihre Vorderzähne, doch sie knurrte nicht.
»Ruhig, alles gut. Bin hier zu helfen«, säuselte Elyon. Die schwarzen Ohren beider Drachen zuckten nach vorne. Die Drachin schnupperte in der Luft. Elyon hielt ihr das Kraut hin. Sofort entspannten sich die Ilkas gelben Iriden und das Weiße verschwand von ihren Augen.
Mit sanfter Stimme, sprach Elyon weiter auf sie ein und schob vorsichtig den Riegel der Zelltür zur Seite. Sofort zuckten Ilkas Augen zu dem Riegel. Die Pupille zog sich zusammen. Ohne zu zögern, sprang Elyon von der Tür weg. Da wurde diese auch schon von Ilka aufgestoßen und sie stürmte hinaus.
Elyon fing die Tür ab, stieß sie zu und schob den dicken Riegel wieder zurück, ehe Jesko ebenfalls fliehen konnte. Ein Japsen ließ Elyon herumfahren.
Wie erhofft, hatte Nevin sich um seine Tante gekümmert und hielt sie mit einer Pfote auf dem Boden. Winselnd wandte sie sich in seinem Griff.
Elyon schnappte sich die Kette und eilte zu ihnen. Sie setzte sich auf das rechte Vorderbein der Drachin und versuchte ihr die Fußschelle anzulegen. Ilka wandte sich so sehr, dass es Elyon erst im vierten Versuch gelang.
»Lass sie frei!«
Nevin entfaltete die Flügel und sprang, mit ihrer Hilfe, in einem weiten Satz nach hinten. Nun versperrte sein riesiger Körper den einzigen Ausweg.
Elyon löste sich von Ilka. Die Drachin winselte und knurrte, versuchte sich von der Kette los zu beißen und sprang immer wieder hoch um davonzuschweben. Doch jedes Mal wurde sie von der Kette zurückgerissen. Elyon wartete, bis sie sich beruhigt hatte. Solange hielt sie Abstand zu dem Drachenweibchen.
»Ruhig. Alles wird gut.« Elyon holte sich inzwischen noch mehr Traumtod und zerrieb es wieder in ihren Händen.
Schweratmend hielt die Drachin endlich an. Die gelben Augen musterten sie, voller Misstrauen. Elyon ließ sich nicht davon einschüchtern und wagte ein paar Schritte auf das keuchende Tier zu. Während sie näher kam, hob die Drachin ihre Schnauze und schnupperte. Ilkas gekräuselten Lippen entspannten sich und legten sich wieder über ihre Zähne.
»Gut. Brav. Kein Grund zur Angst.« Elyon hielt an, streckte ihre Hand aus und wartete, bis das Drachenweibchen von selbst auf sie zukam. Zunächst witterte Ilka nur die Luft, doch schon bald kam sie zwei Schritte näher und streckte ihren langen Hals so weit, bis ihr Kopf Elyons Hand erreichen konnte.
Elyon starrte auf die weit geöffneten Nüstern. Warmer Atem blies auf ihre Finger. Dann strich die Drachin mit ihrer dunklen, glatten Zunge über ihre Hand und schluckte das Kraut.
Elyon wollte gerade ihr Kinn streicheln, als ein lauter Ruf durch die Schlucht hallte. »Nevin!«
Die Drachin schreckte auf, fletschte die Zähne und biss Elyon in den Arm. Ein schrecklicher Schmerz brachte ihren Arm zum Zucken. Mit zusammengebissenen Zähnen unterdrückte sie ein schmerzhaftes Stöhnen, und den Reflex, ihren Arm wegzuziehen. In wenigen Momenten war ihre Stirn schweißgebadet.
»Elyon!«, rief Nevin erschrocken und knurrte laut.
»Nicht bewegen!«, stöhnte Elyon.
Die Zähne hingen an ihr fest. Ihr Arm pochte und brannte und der Schmerz ließ Elyon kurz schwarz vor Augen werden. Die eigenen Zähne wieder fest aufeinander gepresst, schloss Elyon die Augen und hielt still. Sie musste es aushalten. Um das Tier nicht noch mehr zu beunruhigen. Um die Verletzung nicht zu verschlimmern.
Da hörte sie ein Winseln. Elyon öffnete schweratmend die Augen und traf den Blick der Drachin. Die Augen färbten sich von rot zu gelb und starrten dann entsetzt auf ihren Arm. Ilka winselte noch lauter, dann öffnete sie ihr Maul und ließ vorsichtig ihren Arm los.
»Was um alles in der Welt ...?«, wisperte Nevin.
Die Drachin begann Elyons Wunde abzulecken. Vor lauter Erstaunen, wagte sie nicht auch nur einen mit einem Muskel zu zucken, während das Tier sämtliches Blut ableckte, das aus der Wunde trat.
»Alles gut«, sagte Elyon beruhigend und kraulte ihr Kinn. Ihr Arm pochte immer stärker vor Schmerzen.
»Nevin! Endlich habe ich dich gefunden! Ich muss dir dringend-«, rief ein fremder junger Mann, der atemlos neben dem weißen Drachen stand. Er hielt inne, als Nevin ihm keine Aufmerksamkeit schenkte, dessen erstaunter Blick auf Elyons Arm gerichtet war. Als könnte er nicht glauben, was da vor ihm geschah.
»Wieso verwandelst du dich nicht?«, fragte Nevin schließlich.
Elyon hob fragend die Augenbrauen.
»Du hättest dich schon längst in einen Drachen verwandeln müssen. Doch du stehst immer noch da, als wäre nichts geschehen!« Er löste sich aus seiner Starre und trat auf sie zu.
Winselnd zog sich der kleinere Drache zurück und kauerte sich in einem sicheren Abstand auf dem Boden zusammen.
Der weiße Drache schnupperte an Elyons Wunde, starrte sie an, dann beschnupperte er ihren ganzen Körper. Elyon schob seinen Kopf weg und wich vor ihm zurück.
»Spürst du irgendetwas? Hitze? Schmerzen? Als würde dein Körper auseinander gezogen werden?«
Elyon schüttelte den Kopf. Das einzige was schmerzte, war ihr von Blut bedeckter Arm, das in dicken Rinnsalen langsam zu Boden tropfte.
»Wie kann das sein? Bist du bereits ein Drache? Hat es deswegen keine Wirkung auf dich?«
Elyon schüttelte den Kopf und hielt Ausschau nach etwas, womit sie vielleicht die Blutung stoppen konnte.
Nevin setzte sich überwältigt hin. »Dann muss es was mit deiner Abstammung zu tun haben. Irgendwie. Auch, wenn es fast schon nach Zauberei klingt.«
Elyon ignorierte ihn und hielt sich stöhnend den verletzten Arm.
»Verzeih mir! Wo habe ich nur meinen Kopf? Warte kurz.« Nevin biss sich, mit einem leisen Grunzen, in die Pfote. Sobald es blutete, ließ er die roten Tropfen auf Elyons Wunde fallen. Jetzt, wo sie es mit ihrem eigenen vergleichen konnte, fiel ihr auf, wie viel flüssiger Drachenblut war.
»Ähm, Nevin? Es tut mir echt leid, wenn ich störe, doch im müsste dich dringend sprechen. Ist das die Prinzessin?«, fragte der schwarzhaarige Mann, der sich vorsichtig annäherte.
»Tut mir leid, Isko. Ich war abgelenkt. Ja, das Prinzessin Elyon.«
»Wunderbar! Dann könnt ihr beide gleich mitkommen! Wir haben eine fantastische Entdeckung gemacht!«
»Ist es sehr wichtig? Elyon ist gerade dabei, Ilka zu zähmen.«
»Nevin, das gesamte Gebiet von Höhental, gehört rechtmäßig Prinzessin Elyon! Ihr müsst sofort mitkommen und euch die alten Dokumente anschauen!« Isko breitete vor Begeisterung die Arme aus und starrte sie erwartungsvoll an.
Völlige Stille breitete sich aus.
»Was hast du gerade gesagt?«, wisperte Nevin schließlich.
»Es ist wahr! Elyon ist die Besitzerin von Höhental! Sämtliche Ländereien gehören ihr! Sie hat zwar dort keine Regierungsmacht, doch sie hat Zutritt! Und kein noch so aufgeblasener Großwächter kann ihn ihr verwehren!«