Elyon legte eine Hand über ihren Magen, der sich immer mehr zusammenkrampfte, je weiter sie sich von dem Festland entfernten. Mit der anderen griff sie tiefer in Dileks Nackenfell und versuchte etwas von dem rasenden Flugwind einzuatmen, um die Übelkeit zu vertreiben. Mit wenig Erfolg. Der salzige Duft des tosenden Wassers unter ihnen verschlimmerte die Krämpfe nur.
Der Gedanke, bald die Sturminseln zu erreichen, weckte alte Bilder in Elyon auf, die sie am liebsten für immer vergessen würde. Ihr Vater mit seiner Peitsche. Einmal sogar mit einem Schwert. Die Schmerzen, das Brennen, der Käfig. Elyon presste ihre Lider zusammen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie wollte ihn nicht sehen. Sie hatte ihn nie wieder sehen wollen. Doch sollte sie diese Urkunde finden, würde sie vielleicht endlich dieses elende Kaiserreich hinter sich lassen können.
Der Wind wurde immer kälter, je länger sie über das Meer flogen. Über ihnen schimmerte der Abendhimmel in rötlichen Tönen, doch in der Ferne, wo die Sturminsel lagen, war er von dunklen Wolken bedeckt und die ersten Blitze zuckten über dem Horizont.
Elyon seufzte. Es wäre zu schön gewesen, die Sturminseln im trockenen Zustand zu erreichen. Doch gerade im Herbst wurde ihre ehemalige Heimat von Stürmen heimgesucht. Langsam kam die Insel in Sicht, als ein dunkler Schatten, der sich über das brausende Meer erhob.
Bald würde sie wieder in seiner Nähe sein. In der Nähe ihres Vaters, der verhassten Burg. Elyon zwang die Bilder zu verschwinden, indem sie an angenehmere Dinge dachte. An ihr Rudel, den Wald. Elyon wollte gerade Dilek zurufen, dass er die südliche Seite der Insel anfliegen sollte, wo das unbewohnte Waldgebiet lag, als sie eine riesige Gestalt am Horizont, rechts von ihnen, entdeckte.
»Was um alles in der Welt?« Dilek hielt an und wippte leicht in der Luft. Seine Ohren zuckten, während er den riesigen Schatten beobachtete, der sich durch das Meer, langsam in Richtung der Inseln bewegte.
Ein eiskaltes Gefühl packte Elyons Eingeweiden und sie bildete sich ein, dass die schlangenähnlichen Augen selbst von dieser Entfernung auf sie ruhten.
»Dilek! Schnell! Hauptinsel anfliegen! Von Süden, wo der Wald ist!« Elyon zerrte an seine Ohren, um seinen Kopf wieder auf die Inseln zu richten.
»Was ist das in der Ferne?«, fragte er und schüttelte seine Ohren frei.
Elyon schluckte schwer, ehe sie ein Wort aus sich herausbringen konnte. »Urdrache.«
Sofort zog Dilek seinen Körper zusammen und schoss, fast so schnell wie ein Pfeil, über das Meer. Sie ließen den rötlichen Abendhimmel hinter sich und tauchten in den Regen ein, der sie in wenigen Augenblicken völlig durchnässte. Elyon schnaufte immer wieder, um die Wassertropfen, die in ihre Nase flogen, loszuwerden. Dabei klopfte ihr Herz so laut, dass es das Sausen, Brausen und Donnern um sie herum übertönte.
»Verflucht! Ich werde einen weiten Bogen machen müssen, um nicht gesehen zu werden!«, rief Dilek.
Sie waren nun nahe genug an der Insel, um eine Gruppe von grauen Drachen am Hafen sehen zu können. Elyon kniff ihre Augen zusammen und glaubte, Menschen zu erkennen, die auf den Schiffen arbeiteten, während die Drachen Kisten und Fässer auf die Schiffe flogen. Sie ahnte, dass es vielleicht mit dem sich näherndem Ungeheure zu tun haben konnte.
Dilek richtete seine Schnauze nach oben und tauchte durch die Sturmwolken hindurch. Die Wolken versperrten die Sicht und um sie herum und für einen Augenblick, war nichts als Grau zu sehen und eine eisige Kälte schnitt ihr in die Haut. Dann wich das Grau einem weißen Schleier und eine sanfte Brise wehte über Elyons nassen Körper.
Mit donnernder Brust beobachtete sie Dileks Flugweg. Wie konnte er sich sicher sein, wohin er flog? Elyon beugte sich zur Seite, in der Hoffnung, einen Blick auf die Insel zu erhaschen, da tauchte Dilek wieder nach unten ab, der Regen schoss ihnen erneut entgegen und die Insel, umringt von dem stürmischen Meer, kam wieder in Sicht. Dilek flog die Südseite an, wo der größte Hügel der Sturminseln die Waldgrenze markierte und direkt dahinter in eine Steilküste überging.
»Landen, schnell.« Elyon hielt es kaum noch auf Dileks Nacken aus. Am liebsten wäre sie jetzt schon abgesprungen. Das Ungeheuer war auf dem Weg. Sie musste nach ihrem Rudel sehen und sie sicher in ein paar Höhlen unterbringen. Und die Urkunde finden.
Elyon sprang ab, als der Drache noch nicht mal seinen Kopf gesenkt hatte. Kaltes Regenwasser rann über ihre erhitzten Wangen, während sie in den dunklen Wald hineinhorchte. Etwas stimmte nicht. Es war zu still. Selbst im nächtlichen Regen, sollten ein paar der Vögel zu hören sein, um die restlichen Waldbewohner vor Dileks Ankunft zu warnen. Sie tauchte zwischen zwei Tannen tiefer in den Wald hinein. Trotz des Regens, hörte sie bereits den Fluss, der den Beginn des Jagdgebiets ihres Rudels markierte.
»Prinzessin! Wartet!«, rief Dilek hinter ihr. Doch Elyon rannte nur schneller.
Sobald der Fluss in Sicht kam, dessen Wasser durch das Wetter fast über das Ufer floss, steuerte sie, ohne nachzudenken, nach links, wo ein paar flache Steine aus dem Flussbett herausragten und mit ein paar schnellen Sprüngen erreichte sie die andere Seite des Ufers.
Sie rannte zwei Schritte weiter, doch als sie ein paar Gestalten entdeckte, die auf dem Waldboden lagen, hielt sie an. Sie regten sich nicht. Mit einem zögernden Schritt, ging sie auf eine der liegenden Wesen zu. Es waren Rehe. Tote Rehe.
Mit angehaltenem Atem wischte Elyon sich ein paar nasse Haarsträhnen von der Wange, ehe sie sich weiter durch den Wald zwang. Auf ihrem Weg entdeckte sie noch weitere Tierkadaver. Bären, Füchse, Wildschweine. Was war geschehen? Und wo war ihr Rudel? Sie hätten Elyon schon längst hören müssen und mit einem Heulen begrüßt.
Ihr Herzschlag pochte in ihren Ohren. Ein Zittern überfiel ihre Beine. Schnell wandte sie sich von den Tierkadavern ab und rannte weiter. Vorbei an Buchen und Tannen, die Elyon selbst im dunklen Sturm kannte, sodass sie ohne zu stolpern oder sich zu stoßen, durch den Wald laufen konnte.
Sie sprang über den kleinen Waldbach, rutschte im schlammigen Ufer aus, fing sich mit den Händen ab und lief weiter. Bald erreichte sie eine Lichtung, die von einigen kleinen Höhlen umringt war. Trotz der dunklen Wolken, konnte Elyon die Umrisse der Wölfe entdecken. Sie lagen verstreut auf den steinigen Boden. Völlig regungslos.
Elyon ballte die Fäuste und näherte sich wie betäubt einem Wolf. Er lag auf einem weiten, dunklen Fleck. Mit zusammengepressten Lippen tauchte sie zwei Finger in den Fleck hinein. Es war Blut. Wimmernd tastete sie den Kadaver ab und spürte tiefe Bisspuren. Dann stand sie auf und hastete zum nächsten. Auch die anderen Wölfe waren tot. Elyon fiel mit den Knien auf den nassen, steinigen Boden.
Nein. Nein. Nein. Das konnte nicht sein. Nicht ihre Wölfe. Kein Jäger, kein Bär hatte ihnen was anhaben können. Wieso? Wer hatte das getan? Ihr Vater sicher nicht. Er hatte ihr die Sicherheit ihres Rudels garantiert, als er sie wieder in die Burg aufgenommen hatte. Und er würde sie weiterhin am Leben halten, wenn auch nur, um sie für ihre Gehorsamkeit zu erpressen.
Heiße Tränen mischten sich mit dem kalten Regenwasser auf ihren Wangen. Nicht weit von sich, entdeckte sie die älteren Wölfe, die schützend um die einjährigen Welpen lagen. Alle Tod. Jeder Kampf für umsonst. Dann fiel ihr Blick auf die größte Gestalt, nahe dem Höhleneingangs. Ein Stich fuhr durch ihr Herz und stolperte auf die Wolfsfähe zu und landete mit den Knien vor ihr.
Die Fähe hechelte. Sie war noch am Leben. Elyon winselte leise und bekam ein röchelndes Winseln als Antwort zurück. Die Fähe versuchte ihren Kopf zu heben, doch er fiel zurück auf den Boden. Elyon schluchzte und lehnte ihre Stirn gegen das nasse Fell ihrer Ziehmutter.
Elyon hatte sie im Stich gelassen. Ihre Familie. Wäre sie hier geblieben, wäre das nicht passiert. Sie hätte sie beschützen müssen. Die Schuldgefühle zerrissen Elyons Brust und raubten ihr den Atem.
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»Es tut mir leid. So leid«, schluchzte sie in das nasse Fell hinein. Dann hob sie den Kopf, schniefte und suchte die Lichtung nach Kampfspuren ab.
In der Nähe der Höhle entdeckte sie eine große, tiefe Mulde im schlammigen Boden. Auch die Bissspur im Bauch der Fähe war riesig. Sie war nicht durch ein Schwert oder einem Pfeil entstanden. Auch nicht von einem Bären, oder einem Hirschgeweih. Es konnten nur Drachen gewesen sein. Demians Drachen. Elyon biss die Zähne zusammen, während in ihren Adern das Blut zu kochen anfing.
Ihre Mutter winselte wieder, ganz leise, doch dann hörte sie abrupt auf und ihre Zunge hing schlaff aus ihrem Maul heraus.
»Nein«, wisperte Elyon. Die Augen der Fähe erstarrten. Sie hob noch einmal ihre Brust, dann lag sie völlig regungslos und steif da. Elyon schluchzte laut und drückte ihr Gesicht wieder in das nasse Fell, ihre Hände tasteten den Körper ab, in der Hoffnung noch irgendwie ein Herzschlag zu finden.
»Prinzessin?«, rief Dilek in die Lichtung hinein. Seine Stimme holte sie ein wenig aus der Trauer heraus und sie erinnerte sich, warum sie hauptsächlich gekommen waren.
Ein letztes Mal, atmete Elyon noch tief den leichten Waldgeruch ein, der noch im Fell der Fähe hing und löste sich mit großem Widerwillen von ihr. Ihre Brust war immer noch wie zerrissen, doch der Schmerz entfachte nur weiter die Wut in ihr und sie ballte mit einem leisen Knurren die Fäuste zusammen. Demian würde bezahlen.
Ihr Blick glitt über die toten Wölfe, dann richtete er sich in die Ferne. Als ein Blitz den Himmel kurz erhellte, waren drei schlängelnde Gestalten zu sehen, die um die Türme der Burg flogen.
Dilek näherte sich ihr vorsichtig an. Doch sie gab Dilek nur einen kurzen Seitenblick, ehe sie ihre Beine anspannte und dann wieder ins Unterholz hinein sprintete. Ihr Blick war verschwommen vor lauter Regenwasser und Tränen, doch sie kannte jeden Baum, jede Erhöhung des Bodens, jede Wurzel, die heraustrat und sie lief von ihrem Gedächtnis gesteuert durch den Wald.
Sie hielt erst an, als sie ein Rascheln hörte, das von ein paar zitternden Bäumen links von ihr kam, nicht weit von dem Waldsaum entfernt. Elyon suchte Deckung hinter ein paar Büschen und breiteren Bäumen und schlich zum Waldrand vor.
»Ich muss schnell meinen Mund ausspülen, bevor das Blut mich noch wahnsinnig macht«, röhrte eine männliche Stimme durch den Wald.
»Warum musstest du die Wölfe auch beißen? Halt einfach dein Maul offen und schluck etwas Regenwasser«, sagte eine zweite, tiefere Stimme.
»Hast du die Größe von den Biestern gesehen? Die haben gekämpft als wären sie tatsächlich schlau, die Viecher. Ein Glück, dass wir sie ausgeschaltet haben.«
»Die Frage ist nur, wozu Demian verlangt hat, dass wir die Waldtiere ausmerzen?«, fragte die tiefe Stimme.
»Du Vollpfosten, damit König Elyon seine Tochter nicht mit ihnen bestechen kann. Das wurde uns doch oft genug erklärt.«
Das Brodeln in ihr trieb sie auf die Drachen zu und es kostete sie viel Mühe, nicht ihr Versteck zu verlassen. Stattdessen kletterte Elyon leise eine Buche hinauf, bis sie fast auf Augenhöhe der Drachen war, die gerade anhielten und mit den Ohren zuckten.
»Hast du was gehört? Was war das?«, fragte die tiefe Stimme.
Elyon hatte freie Sicht auf die Kehle des kleineren Drachens. Sie nahm den Bogen, dann einen Pfeil in die Hand. Als der Drache zurückblickte, schwebte sein Kopf etwas über dem Ast, auf dem sie saß. Sie zog an der Sehne und schoss den Pfeil direkt in die Kehle des Drachens. Vor Schreck japste er, dann kam ein Gurgeln und er fiel um.
Eher der zweite Drache begreifen konnte, was geschah, schoss sie den zweiten Pfeil ab, doch er erwischte den Drachen nur an der Seite seines Halses.
Geschwind kletterte Elyon den Baum hinunter, während der Drache unter Grollen sich der Buche näherte. Sie klemmte den Bogen zurück an ihren Köcher, zog ihr Schwert, schlitterte im schlammigen Boden zwischen den Beinen des grauen Tiers und bohrte die weiße Klinge in seinen Magen.
Der Drache brüllte. Elyon spürte wie Hitze ihr entgegenblies. Schnell zog sie das Schwert raus und sprang zur Seite, weg von dem sich windendem Körper. Dann wandte sie sich seinem Vorderbein zu, holte Schwung und fuhr die Klinge tief hinein, bis in die Sehnen.
Der Drache brüllte und taumelte, doch bevor sie auch das zweite Bein treffen konnte, hatte der Drache sein Gleichgewicht wieder gefunden und Elyon spürte wie der Regen über sie ein wenig nachließ. Sie duckte sich und kraxelte zwischen den Vorderbeinen durch um unter seinem Bauch Deckung zu finden, gerade als der Kopf nach ihr schnappte.
Er zwängte sich durch seine Vorderbeine und versuchte erneut nach ihr zu schnappen, doch Elyon warf sich rücklings in den Schlamm und stach genau dann mit dem Schwert zu, als seine Kehle über ihr lag.
Sie drückte ihre Führhand fester um den Griff und zog ihn, während sie gleichzeitig zur Seite rollte, die Klinge heraus und sprang auf die Beine. Der Drache fiel vor ihr zusammen. Er gab noch ein leises Gurgeln von sich, dann war er still.
Durch das Gebrüll, würden bald weitere Drachen auftauchen. Elyon schüttete mit einer schnellen Wischbewegung das Blut von der Klinge und mit den Ärmeln entfernte sie etwas Schlamm von ihrem Gesicht. Sie wollte gerade den Wald verlassen, als jemand ihr Handgelenk packte und sie hinter ein paar Büschen zog.
»Prinzessin!«, zischte Dilek. »Seid Ihr wahnsinnig?«
Sie wollte ihn abschütteln, doch Dilek legte eine Hand über ihren Mund und bedeutete ihr, still zu sein, bevor er sie mit seinen Armen vom Boden aufhob und mit einem hohen Sprung auf den Ast einer Eiche landete. Im selben Moment, kamen von links zwei Drachen angepirscht, die Ohren aufmerksam nach vorne gerichtet.
»Was zum ...!«, rief einer, als er die toten Drachen bemerkte.
Elyon hielt den Atem an, während die Drachen mit leisen Flügeln die Kadaver untersuchten.
»Geh zurück. Sag den anderen Bescheid. Ich suche nach den Eindringlingen.« Dieser Drache begann sofort umher zu schnuppern und kam dabei ihrem Baum immer näher. Dann zerriss ein entferntes Brüllen die Luft und der Drache hielt abrupt an.
»Verflucht!«, rief der Drache. Er ließ von ihnen ab und sauste aus dem Wald heraus. Da dröhnte ein weiteres Brüllen. Wenn selbst der feindliche Drache das Weite suchte, konnte es nur von einem Ungeheuer kommen. Dem Urdrachen.
Als der Drache außer Sicht war, löste Dilek sich mit einem leisen Ächzen von ihr. »Prinzessin, bei allem Respekt, seid Ihr nicht mehr bei Sinnen? Wollt Ihr alle Drachen auf uns hetzen?«
Sie richtete sich gerade auf und wollte ihm einen eisigen Blick zu werfen, da riss er seine Augen auf und wich vor ihr zurück. Er brachte den Ast zum Schütteln und Elyon musste sich schnell an dem Stamm festhalten, um nicht zu fallen.
Er blieb für einige Momente erstarrt in der Hocke, nur seine Augen zuckten, während er sie betrachtete. Dann griffen seine Hände nach dem dicken Ast unter ihm und er beugte sich leicht vor, die Augenbrauen vor Argwohn zusammengezogen.
»Eure Hoheit.« Dilek räusperte sich. »Euch ist bewusst, dass Eure Augen gerade wie die eines Wolfs aussehen und Ihr Krallen an den Fingern habt?«
Es dauerte einen Augenblick, ehe Elyon begriff, was er da gerade von sich gegeben hatte. Dann löste sie langsam eine Hand von dem Stamm und schreckte so heftig zusammen, dass sie den Halt verlor und von dem Ast fiel. Dilek packte sie blitzschnell am Kragen und sprang mit ihr von der Eiche.
Er ließ sie los, doch Elyons Beine knickten ein und sie fiel in den matschigen Boden, während sie ihre Hände betrachtete. Statt Nägel hatte sie zehn dünne Krallen an den Fingerspitzen. Sie hielt den Atem an, blinzelte, dann waren die Krallen wieder verschwunden. Sie drehte mehrmals die Hände um, doch sie kamen nicht wieder zurück.
»Was um alles in der Welt seid Ihr? Ich kann keinen Fluch an Euch riechen.«
Gerade als Elyon ihre Fingernägel genauer betrachten wollte, krampfte sich ihr Magen zusammen und ein übler Geschmack stieg ihr in den Mund. Sie beugte sich nach vorne, würgte, versuchte noch die Galle herunterzuschlucken, doch sie war zu schwach. Elyon übergab sich.
Dilek fluchte leise, doch dann kniete er sich vor ihr hin und wischte ihren Mund mit seinem Umhang ab. »Schafft Ihr es in die Burg einzudringen, Eure Hoheit? Ich brauche Eure ganze Konzentration.«
Elyon legte den Kopf in den Nacken und ließ den Regengeruch die Übelkeit vertreiben, ehe sie ihm antwortete. Doch bevor sie ihren Mund aufmachen konnte, hörte sie schnelle Schritte im Unterholz. Sie zog an Dileks Umhang und zog ihn zu sich runter. Beide horchten.
Wieder krampfte sich Elyons Magen zusammen. Es war, als würde sämtliche Luft aus ihren Lungen entweichen und ihre Hände fühlten sich kalt und klamm an.
»Schnell. Zur Burg«, sagte sie und wollte wieder aufstehen, doch Dilek hielt sie zurück.
»Moment, ich weiß, dass wir es eilig haben, doch wir können nicht planlos die Burg stürmen. Was habt Ihr vor? Wisst Ihr, wo die Dokumente sind?«
Elyon schüttelte den Kopf. Als Erstes fiel ihr die geheime Kammer in der Bibliothek ein, doch es konnte nicht sein, dass solch ein wichtiges Dokument dort gelagert wurde. Wenn jemand wusste, wo diese Urkunde war, dann war es ihr Vater.
Das klamme Gefühl breitete sich weiter in ihren Armen und Beinen aus. Sie wollte ihrem Vater nicht begegnen. Nicht jetzt, nicht in ihrem schwachen Zustand. Wann immer sie ihm begegnete, fror ihr ganzer Körper ein und sie konnte nichts tun, als sich seinen harschen Worten und Befehlen zu ergeben, um die Bestrafungen von früher zu entgehen.
»Geheimer Gang, an der rechten Seite der Burg. Von dort zu den Räumen des Königs. Dann ...« Elyon schluckte schwer. »Dann Vater finden und ihn ausfragen.«
»Alles klar. Ich kümmere mich um den König. Trägt er Waffen mit sich?«
»Ein Säbel. Zwei Dolche, in Stiefeln versteckt.«
»Gut, ich folge Euch.«
Elyon nickte, sah sich nochmal im dunklen Wald um, dann huschte sie durch das Unterholz auf die Burg zu.