Dreißig. Mehr hatten sich nicht freiwillig gemeldet. Weniger als erhofft. Doch sie nahm, was sie kriegen konnte.
Elyon saß wieder auf den Bullen, der mit ihr durch die Steppe galoppierte, dicht gefolgt von seiner Herde. Sie waren auf dem Weg zu dem ausgemachten Treffpunkt. Nicht weit von dem Fluss, wo die Drachen aus dem Tempel ihre Wasservorräte während des Kampfes auffüllen konnten. Und wohin ihnen die Wächter bald folgen würden.
Senan flog bereits mit ihnen, auf einem prächtigen, rotgoldenen Feuervogel, weit hinter der Herde, da er seinen Vater nicht verlassen wollte. Alle anderen Wächter bereiteten sich und ihre Flugtiere auf den Kampf vor.
Elyon biss sich auf die Lippen. Hoffentlich waren dreißig genug, zusammen mit den Drachen, die sie noch aus dem Tempel erwarteten. Einige sollten schon am Treffpunkt sein. Und das waren sie auch. Elyon erkannte schon von weitem Lenius, dessen riesige Gestalt in der Nähe des Flusses stand, begleitet von zehn weiteren Drachen.
Was machte er hier? Sie hatte Lenius nicht gesagt, dass er kommen sollte. Sie hatte erwartet, dass er bei Gilwa bleiben würde, da der Junge hatte sonst keine enge Bezugspersonen hatte und sehr an den blonden jungen Mann hing.
Lange bevor sie den Fluss erreichten, hielt Elyon die Herde an, sobald sie spürte, dass Neugier in den Leitbullen hochkam, dicht gefolgt von einem unruhigen Gefühl. Er hatte die Drachengruppe am Fluss bemerkt. Sie kletterte hinunter und kraulte dem Bullen beruhigend das Kinn.
»Weit weg ziehen«, raunte sie ihm zu. Der Riesenbüffel löste die braunen Augen von der Ferne und sah sie an, blinkte, dann wandte er sich ab und preschte durch die Herde davon. Schnell liefen Nevin und die anderen von der Herde weg, als sich die restlichen Büffel in Bewegung setzten. Die Erde bebte unter ihren Füßen. Elyon konnte es sich nicht nehmen lassen, die mächtigen Tiere beim Galoppieren zu beobachten. Ein Stich fuhr durch ihre Brust. Sie hätte nur zu gerne mehr Zeit mit ihnen verbracht und sie studiert.
Seufzend wandte sie sich ab, als Senan dicht über ihnen flog und stapfte auf das Lager zu. Als Elyon auf den Horizon blickte, hielt sie die Luft an und blieb stehen. Eine riesige Gestalt die über die Wälder thronte, dunkler als die Berge im Hintergrund. Der Urdrache. Ihr Herz zog sich zusammen, als würd eine eiskalte Hand sie packen.
Da landete Lenius mit einem weiteren, viel kleineren weißen Drachen genau vor ihr. Elyon blinkte, dann begegnete sie seinen blauen Augen.
»Warum hier?«, fragte Elyon.
»Um zu helfen. Weil wir mehr weiße Drachen brauchen. Was mich zu den Nachrichten bringt, die wir überbringen müssen.« Lenius' Worte kamen langsamer als sonst. Als müsste er sich nebenbei überlegen, was er als nächsten sagen wollte. Wie er es sagen wollte. Es konnten keine guten Neuigkeiten sein.
»Ein paar der Drachen aus Siegenshafen haben beschlossen, uns zu helfen. Doch wir sind uns nicht mehr sicher, ob das so eine gute Idee ist«, sagte er.
»Warum?«, fragte Nevin mit gerunzelten Augenbrauen. Er sah fast wie sein Vater aus, nur dass sein Blick viel milder war, als den des Kaisers.
»Nun ...« Lenius seufzte. »Wir haben ein Problem. Ein großes Problem. Einige aus dem Tempel haben den Urdrachen beobachtet. Er sammelt Drachen ein, die ihm ohne Widerwillen folgen.«
Elyon schnappte nach Luft. Nein. Sie hätte es sich denken müssen, doch Elyon hatte nicht damit gerechnet. Sie hätte sich selbst an den Kopf schlagen können. Warum hatte sie nicht daran gedacht? Wo sie es selbst auch diese Fähigkeit hatte?
Support creative writers by reading their stories on Royal Road, not stolen versions.
»Was? Wie meinst du das?«, fragte Dilek.
Der kleinere weiße Drache neben Lenius trat vor.
»Ich hab es mit eigenen Augen gesehen. Der Urdrache stößt immer wieder einen seltsamen Ruf aus, daraufhin tauchen Drachen aus den Wäldern auf und folgen ihm. Er hat bereits einen riesigen Schwarm gesammelt. Die meisten haben jedoch schwarzes oder dunkelgraues Fell.«
»Verdammt!«, rief Dilek.
Elyons Blick verschwamm, während sie versuchte sich auszumalen, was das für ihren Plan bedeutete.
»Wie viele?«, wisperte sie.
»Das letzte Mal, als ich sie sah, waren es um die fünfzig.«
Elyon fiel in die Hocke und wischte sich mit der Hand über ihr Gesicht. Es waren mittlerweile sicherlich mehr.
»Da kommen sie! Die Drachen aus Höhental!«, rief der fremde weiße Drache.
Er hatte recht. Der Schwarm war bereits zu erkennen, auch wenn Elyon nicht genau ihre Fellfarbe ausmachen konnte, noch ihre Zahl.
»Es scheinen hauptsächlich Weiße zu sein«, sagte Lenius und atmete erleichtert auf. »Ich schätze so um die fünfzig.«
»Aber was, wenn der Urdrache auch die hellen Drachen befehlen kann?«, fragte Dilek und raufte sich die Haare.
Nevin stand da und auch wenn er erheblich blasser aussah, rieb er sich nachdenklich das Kinn. »Er hat wahrscheinlich genau wie Elyon eine gewisse Macht über den Fluch und kann deswegen die Drachen steuern.« Nevin richtete den Blick auf sie. »Die Frage ist, ob du nicht vielleicht seine Macht übertrumpfen kannst.«
»Kann sie nicht den Urdrachen befehligen?«, fragte Dilek atemlos.
Elyon schüttelte den Kopf. Sie hatte es versucht, als sie in den Schnabel des Drachens gefallen war. Das Ungeheuer war zu mächtig.
»Bei Rovis' Bart! Was, wenn das Ganze ein absoluter Reinfall wird?!« Dilek raufte sich die dunkelblonden Haare.
»Nevin?« Lenius starrte in die Ferne, doch nicht in Richtung des Drachenschwarms aus Siegenshafen. Auch nicht in Richtung des Urdrachens, sondern direkt hinter Elyon und den anderen. »Erwartest du Truppen aus der Kaiserstadt?«
Alle drehten sich um. Elyon kniff die Augen zusammen, um besser erkennen zu können, was die anderen sahen, als ihre Sicht sich plötzlich schärfte und alles viel näher zu sein schien. Sie stutze und warf erschrocken den Kopf zurück, doch nun sah sie die große Menschengruppe, die sich ihnen annäherte. Eine zwanzigköpfige Kavallerie, welche die Flaggen des Kaisers trug. Angeführt von dem ersten kaiserlichen Prinzen, Aik und dem Kaiser selbst.
»Was zum ...?! Warum ist Vater hier?« Nevins Lippen zuckten.
Die Kavallerie bewegte sich nur langsam voran. Elyon hatte nicht den Eindruck, dass sie wirklich vorhatten, zu ihnen aufzustoßen. Nein, sie ritten nur nahe an sie heran.
»Nicht hier, wegen kämpfen«, überlegte sie laut. Dann drehte sie sich zu Nevin. »Hier wegen beobachten?«
Nevin starrte sie an, dachte kurz nach, dann nickte er langsam. »Das würde zu ihm passen.«
»Elendiger Hund!«, raunte Dilek und seine Nasenflügel bebten. »Ich sehe Finan. Er bricht gerade aus der Gruppe heraus und galoppiert von ihnen weg, gefolgt von dem Fremden aus dem Osten.«
Nevin hob den Kopf und etwas Farbe kehrte zurück in seine Wangen. Elyon wusste, dass Prinz Finan direkt nach Nevin geboren worden war. Dass sie verschiedene Mütter hatten und dass er der Aufseher über Tannenschwärze war. Aber mehr wusste sie nicht. Doch nach der Erleichterung, die sich nun in Nevins Gesichtsausdruck ausbreitete, schien er es nicht als Nachteil zu sehen, dass sein Bruder auf sie zuritt.
»Typisch Vater. Statt einen seiner Reiter zu schicken, muss sein eigener Sohn als Kundschafter herhalten.« Nevin schüttelte den Kopf.
Aik schien wohl sein Wort halten zu wollen und ihnen zu helfen. Er ritt auf einem weißen Pferd direkt neben Finan, der auf einem prächtigen, schwarzen Hengst saß. Elyon traute dem Ausländer immer noch nicht. Doch nachdem, was Lenius und der andere Drache erzählt hatten, war sie erleichtert, dass sie ihm doch geschrieben hatte. Hoffentlich war das Ausmaß seiner Gabe nicht kleine Blitze in seiner Handfläche entstehen zu lassen. Doch sie ahnte, dass er zu weitaus Schlimmeren fähig war.
Elyon atmete tief ein und blickte auf die rote Hochebene zu ihrer Rechten. Hoffentlich, würden bald auch die Wächter und ihre Vögel zu sehen sein. Jetzt war nämlich nicht nur der Urdrache zu erkennen, sondern auch der riesige Schwarm, der wie ein Ring um seinen langen Hals flog.