Gerade als sie fertig gegessen hatten, kam Lenius vorbei, mit einer großen Tasche, die er direkt vor Eloras Füße abstellte. Das Mädchen nagte gerade an einem halbrohen Kaninchenschenkel und wann immer sie hineinbiss, jagte es Alina einen Schauer ein.
Lenius rümpfte die Nase. »Gilwa, hast du das Fleisch nicht richtig durchgekocht?«
»Doch, das habe ich! Elora wollte ihr Fleisch so haben«, entgegnete der Junge empört.
Elora warf den Knochen über ihre Schulter und leckte sich unbekümmert die Finger ab.
Lenius räusperte sich. »Jedenfalls, hier sind alle Kräuter, die du haben wolltest. Ich hoffe sie reichen. Könntest du später mit zur Burg kommen?«
»Waffen?«
„Ich habe keine auf der Burg, die ich für dich erübrigen könnte. Aber solltest du mir heute aushelfen, bringe ich dich Morgen in die Stadt und kaufe alles ein, was du für deine Weiterreise brauchst.«
Das Mädchen nickte zufrieden und überprüfte den Inhalt der Tasche.
»Muss Kräuter verarbeiten.« Elora stand auf und legte mehr Holz ins Lagerfeuer.
»Wie geht es dir?«, fragte Lenius an Alina gerichtet.
»Besser, danke«, wisperte sie und traute sich nicht hochzusehen, damit er nicht ihre betrübte Stimmung bemerkte. Stattdessen malte sie Wellen mit ihrem Finger in den Erdboden.
»Hier, streif dir das über und verwandle dich. Gilwa und ich bringen dir das Fliegen bei.« Er hielt ihr einen braunen Umhang hin, einen ähnlichen, wie er und Gilwa auf den Schultern trugen.
Erschrocken hob sie ihren Finger von der Erde. »Verwandeln?«
Lenius nickte und lächelte spöttisch. »Ich kann dir so schlecht das Fliegen beibringen.«
»Wir, wir müssen das nicht heute machen. Ich kann warten. Du bist sicher beschäftigt. Gilwa kann es mir später zeigen.«
»Nein. Gerade passt es mir gut. Geh ins Haus, wir warten hier draußen.«
Alina nahm den Umhang mit klammen Fingern an sich. Von der Seite spürte sie, wie Elora sie anstarrte. Sie wandte auch dann den Blick nicht ab, als Alina ihren Augen begegnete.
»Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich weiß ja noch nicht mal, wie ich mich in einen Menschen zurückverwandelt habe«, wisperte sie.
»Es ist ganz leicht.« Gilwa zog sie vorsichtig an ihrem Arm hoch. „Du musst die Hitze in deinem Biss durch deinen ganzen Körper fließen lassen. Das passiert auch ganz schnell, wenn du deine Narbe drückst oder kratzt. Und dann, um dich wieder in ein Mädchen zu verwandeln, drückst du die Hitze zurück in die Narbe. Siehst du? Ganz leicht.«
Alina drückte den braunen Umhang an sich und ging, mit zögernden Schritten, auf die Tür zu. Ein drückendes Gefühl baute sich in ihr auf, je näher sie der Tür kam und es fiel ihr immer schwerer, zu atmen. Was, wenn sie wieder in ihrer Drachenform stecken blieb? Ohne die Möglichkeit zu sprechen? Was, wenn sie das Fliegen niemals lernte? Oder sich vollends in einen Drachen verwandelte und für immer ihren eigenen Verstand verlor?
Keuchend trat sie ins Haus und ließ die Tür hinter sich zufallen. Sie konnte nicht. Sie wollte nicht. Alina fiel in die Hocke und begrub ihr Gesicht in den Umhang. Ihr Brust hämmerte und ihre Schultern zitterten. Sie wollte nicht. Alles, bloß nicht wieder ein Drache sein. Nie wieder. Sie saugte den staubigen Geruch des Umhangs ein, dann zog sie sich wieder auf die Beine und nach einem tiefen Atemzug, trat wieder hinaus. Lenius und Gilwa warteten auf sie, beide in ihren strahlend weißen Drachengestalten.
»Was ist los? Schaffst du es nicht?«, fragte Gilwa besorgt.
Alina schüttelte den Kopf und sah Elyon an, die, mit dem Rücken zu ihnen gekehrt, Kräuter aus der Tasche fischte und in Bündeln nahe dem Feuer legte.
»Ich will nicht.« Ihre Stimme brach zwischen den Wörtern. »Ich will nicht riskieren, dass ich mich nicht mehr in einen Menschen zurückverwandeln kann.«
Gilwa sah fragend zu Lenius hoch, der den Kopf schief legte und sich zu ihr hinunterbeugte, um sie zu beschnuppern.
»Du bist erst vor kurzem gebissen worden, nicht wahr?«
Alina nickte.
»Dann hast du nichts zu befürchten. Ich habe noch von keinem Drachen gehört, der zu Beginn nicht lernen konnte, seine Gestalten zu wechseln. Geh noch mal rein und probier es aus. Ich bin mir sicher, dass du es schaffst.« Lenius zog seinen Kopf zurück.
»Nein. Ich kann wirklich nicht.« Sie spürte keine Wärme. Die Bissnarbe war so kalt wie die Angst in ihren Knochen. Wieder packte sie ein Zittern und sie fiel in die Hocke, während sie immer lauter atmete, auch wenn sie das Gefühl hatte, dass selbst das Keuchen keine Luft in ihre Lungen brachte. Ihre Sicht verschwamm, nur dumpf drang der Klang einer Stimme in ihr Ohr, bis ein bekannter Geruch in ihre Nase wehte und ihre Sinne langsam wieder zurück zu ihrer Umgebung brachte. Ein grün bläuliches Kraut wurde ihr direkt vor die Nase gehalten.
Ein Gesicht klärte sich vor ihr auf, mit dunklen Augen, die sie mit so einer tiefen Ruhe betrachteten, dass Alina ihren Blick darin verankerte. Elora sagte nichts. Sie hielt ihr nur weiter das Kraut unter die Nase. Als Alina wieder durchatmen konnte, nickte sie Elyon zum Dank zu.
»Wenn ich mehr über Drachen weiß, kann ich helfen. Aber muss Verwandlung beobachten, um mehr zu lernen.« Elora stand auf und nahm ihr den Umhang ab. Sie öffnete ihn und legte ihn über Alinas Rücken. War das Mädchen vorher ablehnend und fern, wirkten ihre einfachen Gesten fast schon warmherzig und reichten aus, um Alinas Panik aufzulösen. Zusammen mit dem Kraut.
Alina stand auf. Elora nickte ihr zu und ging zuerst ins Haus. Alina folgte ihr, mit einer leicht pulsierenden Wärme in ihrer Bissnarbe.
–
»Ohne Wasser kannst du nicht fliegen«, erklärte Lenius, nachdem er, Gilwa und Alina am Fluss getrunken hatten und wieder zum Platz vor dem Haus gekehrt waren. »Jetzt musst du die Hitze, die du in deinem Körper spürst, auf die gesamte Unterseite deines Körpers konzentrieren und deinen Bauch lockern, damit sich deine Flughaut füllen kann.«
Alina konnte immer noch nicht in ihrer Drachenform sprechen. Sie winselte fragend.
»Das ist die Haut, die sich mit Dampf füllt.« Lenius' untere Körperseite blähte sich auf und als ein leises Zischen erklang, hob sein Körper ein Stück weit vom Boden ab. Er zog die Beine ein, und schwebte um sie herum.
»Dein Kopf steuert deinen Körper. Du musst deine Schnauze also dorthin richten, wo du hinfliegen willst.« Das Zischen wurde lauter und er hob weiter ab. Gilwa tat es ihm nach, flog in entgegengesetzter Richtung auf ihn zu und beide Drachen flogen in Kreisen über Elora und Alina. Wie Federn im Wind bewegten sie sich in der Luft.
Reading on this site? This novel is published elsewhere. Support the author by seeking out the original.
Alina schloss die Augen und drängte die ganze Wärme des Fluchs in ihre Unterseite, sammelte sie in ihrem Bauch, der langsam sich langsam aufheizte. Und dann spürte sie es. Etwas füllte sich und dehnte sich aus, von ihrer Kehle bis zu ihrer Schwanzspitze. Wärme floss streichelnd unter ihrem Bauch.
Als sie die Augen öffnete, schwebte sie ein kleines Stück über den Boden. Sie brummte erfreut und zog vorsichtig die Beine ab. Ihr Körper schaukelte etwas und fast verlor sie das Gleichgewicht, doch sie hielt ihren Kopf so still wie möglich und ihr Körper folgte ihm.
»Gut gemacht!«, rief Gilwa.
»Bevor wir weiter machen, darfst du eins nicht vergessen. Wenn deine Flughaut im Kampf durchstochen oder zerrissen wird, kannst du dich nicht mehr wehren, oder kämpfen. Es brennt furchtbar und raubt dir vor Schmerzen die Sinne. Und es dauert, bis sie wieder zusammengewachsen ist. Andere Wunden heilen durch dein Blut viel schneller ab. Also sieh zu, dass du immer darauf achtest, deine Flughaut nicht zu verletzen.«
Alina wagte es nicht zu nicken, deswegen stieß sie einen hellen Laut von sich, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte.
»Um dich vorwärts zu bewegen, musst deinen Kopf wie eine Schlange voranziehen. Links, rechts, links rechts.« Lenius machte ihr die Bewegung vor. Alina konzentrierte sich wieder auf die Wärme in ihrem Bauch und drückte von ihrem Magen aus, mehr Wärme in ihre Flughaut hinein und gewann so an Höhe. Dann machte sie Lenius nach und begann sich, mit etwas verkrampften Bewegungen, vorwärts zu kämpfen.
Am Anfang verlor sie mehrmals die Kontrolle über ihren Körper, als wäre er ein Wesen mit einem eigenen Willen, der schaukelte und zuckte und sie tollpatschig durch die Luft fliegen ließ. Mit viel Mühe, konzentrierte Alina sich auf die Bewegungen ihres Kopfes, damit sie ihre Flugrichtung bestimmen konnte. Ihre Bewegungen fühlten sich nicht besonders elegant an. Doch sie flog. Langsam. Aber sie flog! Alina röhrte voller Freude. Sie schwebte direkt über Elora, die ihnen abwechselnd zusah und den Blick senkte, um eifrig eine Seite in ihrem Heft mit Schriftzeichen zu füllen.
Mit Gilwa und Lenius als Vorbild, wurde sie immer sicherer in ihren schlängelnden Bewegungen und es dauerte nicht lange, bis sie die beiden weiter in die Höhe folgen konnte [https://img.wattpad.com/64c4456b13ed83bfc413cb7ca74d99e44eb28b3f/68747470733a2f2f73332e616d617a6f6e6177732e636f6d2f776174747061642d6d656469612d736572766963652f53746f7279496d6167652f617930496e7859594f4163496c413d3d2d3831333936363532322e313564656238346163393438643165333138323730343836313535322e6a7067?s=fit&w=1280&h=1280]
Mit Gilwa und Lenius als Vorbild, wurde sie immer sicherer in ihren schlängelnden Bewegungen und es dauerte nicht lange, bis sie die beiden weiter in die Höhe folgen konnte.
»Lasst uns die Burg umrunden. Hab keine Angst. Ich fliege über dir und kann dich rechtzeitig mit meinen Pfoten auffangen, solltest du fallen. Achte auf dein Körpergefühl. Im Flug, solltest du auch immer gut auf deinen Hals achten. Wenn er beginnt zu jucken, dann brauchst du mehr Wasser und solltest so schnell wie möglich landen.«
Lenius schwebte hinauf und hielt sich dicht über Alina, während Gilwa nach voransauste um den Weg zu führen. Ihr Herz bebte, als sie den sicheren Boden hinter sich ließen und über die tiefen Schluchten flogen. Schnell richtete sie ihre Augen wieder auf Gilwa und bewegte sich im selben Takt wie sein kleiner Drachenkörper. Sie flogen noch nicht schnell, doch sie schaffte es, sich der Geschwindigkeit der anderen Drachen anzupassen, ohne zurückzubleiben.
Alina grinste. Ein kühler Wind wehte ihr entgegen und strich durch ihr Fell. Sie kannte dieses Gefühl. Fast war es ihr so, dass sie wieder auf Aya saß und mit dem Feuervogel durch die Schluchten Höhentals flog. Doch sie musste zugeben, selbst zu fliegen, war noch viel besser. Sie spürte jede Strömung des Windes so viel intensiver. Es war fast wie schwimmen, doch müheloser, da der Wind viel leichter nachgab als Wasser.
Nach der ersten Runde, die sie um die Burg drehten, wusste Alina instinktiv wie sie ihren Körper bewegen musste und konnte endlich ihre Umgebung betrachten. Insbesondere die Burg. Auf den vier Türmen des hohen Gebäudes, standen jeweils ein grauer Drache, die sie neugierig beobachteten. Im Hof sah sie, mit Hilfe ihrer nun viel schärferen Augen, weitere Drachen und Männer die ihre Köpfe hoben, sie immer mal wieder kurz ansahen und dann weiter ihrer Arbeit nachgingen. Einige Teile der grauen Burg waren bereits eingestürzt, doch es stand noch genug von dem Gebäude, um eine große Anzahl an Menschen zu beherbergen. Wie groß Lenius' Drachenbande wohl war?
»Schaffst du noch eine Runde?«, fragte er.
Da sie noch kein Kratzen in ihrem Hals spürte, fiepste sie zustimmend und folgte Gilwa, der immer schneller durch die Luft schlängelte. Alina versuchte nachzuziehen, doch der Abstand zwischen ihnen wurde immer größer. Ihre Muskeln fingen an zu brennen. Als sie die Burg ein weiteres Mal umrundeten, juckte es in ihrem Hals. Statt Gilwa weiter zu folgen, richtete sie ihre Schnauze auf den Boden zu und drückte vorsichtig ihre Flughaut zurück an den Körper. Sie streckte ihre Beine aus und als ihre Pfoten den Boden berührten, spannte sich die zweite Haut wieder eng um ihre Unterseite.
»Du hast es geschafft!«, rief Gilwa fröhlich, der gerade neben Elora landete. Sein Körper zog sich zusammen und nach einem Wimpernschlag, stand er wieder als kleiner Junge vor ihnen, bedeckt von seinem langen Umhang bedeckt.
»Du musst jetzt nur noch den Fluch zurück in die Narbe drängen.« Lenius nickte ihr ermutigend zu.
Sie machte einen Buckel und beugte ihren Hals, so wie die anderen es gemacht hatte und versuchte, die überschüssige Wärme in ihrem Körper wieder los zu werden. Sie drängte und zwängte, spannte und drückte. Doch die Wärme nahm nicht ab, noch bewegte sie sich. Sie blieb in Alinas Körper stecken. Sie versuchte es weiter, bis sie mit ihre Kräfte nachließen und sie ihren zitternden Körper wieder entspannen musste.
»Probier es noch einmal. Du musst dich nicht so verspannen. Vielleicht klappt es dann besser«, sagte Lenius. Gilwa drückte die Lippen zusammen. Nicht besonders ermutigend.
Also probierte sie es noch einmal, hielt dabei die Luft an und drückte so lange, bis ihre Bauchmuskeln schmerzten. Wieder entspannte sie sich, saugte nach Luft, um es nochmal zu probieren. Und wieder und wieder, bis sie gar keine Kraft mehr hatte. Erschöpft fiel Alina zu Boden Ihr Herz bebte vor Anstrengung. Und vor Angst. Sie hatte es geahnt. Nun steckte sie wieder als Ungeheuer fest.
»Es sollte eigentlich nicht so schwierig sein«, murmelte Lenius. »Ich verstehe nicht, warum es bei dir nicht klappt.«
»Sie kann auch noch nicht sprechen. Das passiert doch eigentlich schnell, nicht wahr, Lenius? Nach der dritten Verwandlung?«, fragte Gilwa.
Alina winselte. Da trat Elora an sie heran und tastete ihr rechtes Vorderbein ab. In ihrer linken Hand hielt sie eine Schüssel, gefüllt mit einem dunklen Brei. Es roch scharf und etwas modrig. Als ihre Finger über Alinas Narbe strichen, zuckte ihr Drachenkörper unwillkürlich zusammen.
Elora kippte den Brei direkt auf die Stelle und verstrich sie.
»Dort drüben, Traumtod. Essen.« Elora zeigte in Richtung des Lagerfeuers. Alina stand mit zitternden Beinen auf, und während sie auf den Krauthaufen zuging, der vor dem Lagerfeuer lag, versuchte sie nochmal kurz die Wärme in die Narbe zurückzudrängen. Ohne Erfolg. Doch da Elora keinen Funken Unsicherheit in ihrem Gesicht zeigte, beschloss Alina ihr zu vertrauen und aß alles bis zum letzten Krauthalm auf.
»Jetzt warten. Nichts mehr essen. Nur trinken. Ruhig bleiben.«
Seufzend legte Alina sich hin und beobachtete Lenius und Gilwa, die verunsicherte Blicke austauschten.