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Elyons Fluch Band 1 (German)
25.1 Nevins Versprechen

25.1 Nevins Versprechen

Als er alleine mit Elyon zurückblieb, herrschte zunächst ein langes Schweigen zischen ihnen. Nevin wusste nicht, wo er beginnen sollte, was er sie fragen durfte. Er hoffte, Elyon würde das Wort zuerst ergreifen, doch sie blieb still, genau wie es ihrer Persönlichkeit entsprach.

Doch ein klein wenig, kostete Nevin die Stille auch aus, nach dem langen, mit zu vielen Gesprächen überfüllten Tag. Statt sich um Worte zu bemühen, hörte er kurz dem Zirpen der Grillen zu und starrte dabei auf die roten Tupfen auf der Oberfläche des Wassers, wo die Abendröte des Himmels gespiegelt wurde. Es erinnerte Nevin an die Ausflüge, die er als kleiner Junge mit seiner Mutter, Jesko und Dilek gemacht hatte. Sie hatten oft draußen gezeltet, nicht weit von den Gewässern die um die Kaiserstadt lagen. Als das Bild seiner Mutter in seinem Kopf aufblitzte, wusste er, wo er beginnen konnte.

»Wusstest du, dass deine Mutter und meine, gute Freundinnen waren? Bevor sie deinen Vater geheiratet und zu den Sturminseln gezogen ist? Meine Mutter und ich waren im gleichen Haus, als du geboren wurdest und Mutter hat mich zu dir getragen, um dich nach der Geburt willkommen zu heißen. Ich kann mich nicht genau daran erinnern, aber meine Mutter hat es mir oft erzählt.«

Wieder füllte ein sanftes Zirpen die Stille, ehe Nevin es wagte, weitere Fragen zu stellen.

»Deine Mutter war die dritte Frau deines Vaters. Offiziell heißt es, seine beiden Frauen und ihre Töchter, seien bei der Geburt gestorben. Doch das ist nicht wahr, stimmt's?«

Elyon seufzte leise, den Blick fest auf das Wasser vor ihnen gerichtet.

»Alle getötet. Angeblich, bringen erstgeborene Mädchen Unglück. Sie sollen getötet werden. Aberglaube, der lange in unserer Familie herrscht.«

»Darum hat deine Mutter also die Geburt eingeleitet. Ich habe später erfahren, dass eine erfahrene Hebamme ihr dabei geholfen hat, während deine Mutter einen Monat vor der errechneten Niederkunft ihre Verwandten in der Kaiserstadt besucht hat. Ich habe auch gehört, dass sie es geschafft hat, dein Geschlecht in den ersten Jahren zu verbergen. Aber wie?«

»Nur sie und ein Kindermädchen haben sich um Pflege gekümmert. Haben mich in den ersten Jahren als Junge verkleidet und mich so erzogen. Durfte nur wenig sprechen und mich nur versteckt entkleiden oder erleichtern. Aber, Vater hat es irgendwann herausgefunden.« Ihre Stimme wurde mit jedem Wort leiser.

»Dann ist der Bootsunfall damals nicht wirklich geschehen?« Das war zumindest, was man dem Hof des Kaisers mitgeteilt hatte. Die sechsjährige Elyon und ihre Mutter seien dank eines Sturms, der sie plötzlich auf See erfasst hatte, tödlich verunglückt.

Elyon nickte und sie senkte ihren Kopf ein wenig und ihre linke Hand, krallte sich am Saum ihres Hemds fest.

»Nein. Wache hat mich gesehen, so hat Vater alles herausgefunden. Mutter wollte fliehen, doch am Strand ...« Sie biss sich kurz auf die Lippen. »Vater hat uns erwischt, Kindermädchen getötet, dann Mutter verletzt und uns im Meer ausgesetzt.«

Nevin schluckte schwer. »Und wie hast du überlebt?«, wisperte er.

»Tümmler. Habe Rufe nachgemacht. Haben mich nahe der Insel gebracht. Für Mutter war es zu spät.«

Nevin wusste, dass sie dann für einige Zeit in der Wildnis gelebt hatte, unter Wölfen. Der offizielle Bericht lautete, dass man Elyon für tot erklärt hatte und es als eine glückliche Schicksalsfügung sah, dass sich Wölfe um sie gekümmert und ihr geholfen hatten, zu überleben.

»Wie kam es, dass die Wölfe dich angenommen haben?«

Elyons Hand löste sich von ihrem Hemd und lag nun entspannt auf ihren Schoß.

»Weiß es nicht. Bin im Wald, in einer Mulde eingeschlafen. Dann aufgewacht und die Wölfe waren da und haben mich beschnuppert und mich abgeschleckt. Bin ihnen gefolgt und habe dann mit ihnen gelebt.«

Kurz tauchten die Worte in Nevins Gedanken auf, die er dank seines Drachengehörs von Aik aufgeschnappt hatte. Gabe der Tiere. Gestaltwandlerin. Ihre Affinität zu Tieren, musste irgendetwas mit dieser rätselhaften Gabe zu tun haben.

»Und wolltest du nicht zurück nach Hause? Warum bist du bei den Wölfen geblieben?«

Der Schatten auf Elyons Gesicht, wurde mit dem flüchtenden Sonnenlicht immer dunkler. Nevin verzichtete auf seine Drachensicht, da ihre gebrochene Stimme genug von ihren Gefühlen verriet.

»Mutter hatte es so gesagt. Sollte in Wildnis überleben.«

»Es ist schwer, als Kind im Wald zu leben. Ich frage mich, warum sie dir das wohl sagte? Als wüsste sie, dass du in der Wildnis sicher wärst.«

Nachdenklich, betrachtete Nevin Elyons Gesicht, das immer mehr mit der Dunkelheit, die um sie herum einbrach, zu verschmelzen schien. Bald würde er nur noch sehr grob die Silhouette des Mädchens erkennen können. Doch jetzt konnte er sehen, wie Elyon ihre linke Hand hochnahm, um sie über ihre Augen zu streichen. Nevin löste die Augen von ihrem Gesicht und überlegte, ob Elyon vielleicht etwas über diese Gabe gewusst hatte? Denn warum hätte sie sonst ihre Tochter darum gebeten, im Wald zu leben?

»Und du? Warum noch am Leben?« Elyons Frage ließ ihn für ein paar Sekunden etwas verwirrt zurück, da er immer noch in seinen Gedanken getaucht war. Doch als er ihre Worte begriff, formte sich sein Mund zu einem bitteren Lächeln.

»Ich hatte das große Glück, dass ich drei Tage bevor ich von einem schwarzen Drachen gebissen wurde, in einer öffentlichen Zeremonie zum Thronfolger erkoren worden war. Meine Großeltern hatten dies bereits vor dem Ableben meines Großvaters entschieden. So hat ganz Rovisland mitbekommen, dass ich als nächster regieren sollte. So konnte mein Vater mich nicht einfach so töten, denn das hätte noch mehr Öl in die Konflikte geworfen, die zwischen dem Kaiser und den anderen Königreichen bestehen. Das kann mein Vater nicht riskieren. Deswegen treibt er mich seit sieben Jahren an, eine Lösung für den Fluch zu finden.«

»Wie? Was hast du versucht?«, fragte Elyon. Langsam drang die Abendkälte durch seine Kleidung hinein, doch sein Arm blieb durch Elyons Nähe gewärmt. Er ließ ein wenig von dem Fluch in seinen Körper fließen, nur genug, um sie beide zu wärmen und auf seine Nachtsicht zurückzugreifen.

»Einiges. Zusammen mit Jaro, Jesko und Ilka haben wir es bei den Händlern des südlichen Kontinents probiert, ob sie irgendwas über den Fluch wusste, ohne Erfolg. Ich wollte sogar Schiffe in den Osten schicken, doch die Reise dorthin ist offiziell verboten und selbst die wagemutigsten Piraten wagen sich nicht in die Nähe des Gewässers rund um den Verbotenen Osten, das schon so viele Schiffe verschlungen hat. Ich habe es selbst mal probiert, dorthin zu fliegen, nachdem ich meine Flügel bekommen hatte, denn der Weg über das Meer ist zu weit und das Meerwasser trocknet uns zu sehr aus, als dass es als Flugtreibstoff eigenen würde.« Nevin spürte bei der Erinnerung wieder die schrecklichen Muskelschmerzen und die Trockenheit, die ihn damals gequält hatten.

»Aber selbst ich musste aufgeben. Ich habe mich nahe an die Küste gehalten, doch die Stürme und der heftige Wind haben mir schnell die Kräfte geraubt. Wenn es diese nicht waren, dann war es die abartige Kälte in der Nähe der Berge, die es tat. Selbst im Sommer war es so kalt, dass ich mich warm genug halten konnte um zu fliegen. Schließlich habe ich mich mehrmals in Höhental eingeschleust, mit Hilfe von Höhentalern aus der Singbucht und habe dort immer wieder in den Archiven und der Bibliothek nach Hinweisen gesucht. Und nun hast du uns die Schriften aus den Sturminseln gebracht.«

Der Ruf einer Eule füllte die Stille, die nach seiner Erzählung eintrat. Nevin überprüfte ihre Umgebung auf wilde Tiere. Doch alle nachtaktiven Waldeinwohner hielten sich in einem weiten Radius von ihnen fern, da durch die Nutzung seiner Drachenkräfte, der Geruch des Fluchs aus seinem Körper ausströmte.

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»Wie ... wie wurdest du gebissen?«, fragte Elyon langsam.

»Ein paar Tage nachdem ich zum Kronprinzen deklariert worden war, habe ich mit Jesko, Jaro, Ilka und Dilek, nicht weit von den Wilden Steppen, einen kurzen Zeltausflug gemacht. Jesko war mein Ziehvater, Jaro mein Lehrer und Ilka hat meine Mutter in meiner Erziehung unterstützt. Dilek wurde zunächst als mein Spielbegleiter aus einer der Adelsfamilien in der Kaiserstadt ausgesucht, kurze Zeit später hat er seine Kampfausbildung begonnen, um später als meine persönliche Wache dienen zu können. Aber wir betrachten uns eigentlich als Familie. Tut mir leid, ich schweife ab, aber ich war mir nicht sicher, ob du das schon wusstest.«

Elyons Kopf war leicht nach unten gebeugt, was sie öfters machte, wenn sie tief in ihren Überlegungen versunken war.

Da sie nichts sagte, erzählte Nevin weiter: »Jaro war Wasser holen, oder so etwas Ähnliches, jedenfalls, war er im Wald unterwegs und wir waren in der Steppe. Dann wurden wir von zwei schwarzen Drachen angegriffen. Damals hatte ich nur entfernt von den Drachen und den Fluch gehört, deswegen war ich nicht auf ihren Anblick vorbereitet, noch auf die Gefahr, die sie darstellen. Jekso und Dilek versuchten uns zu verteidigen, doch Dilek war noch sehr klein und Jesko war selbst mit seinen guten Kampffähigkeiten überfordert. So wurden wir alle verletzt und auch gebissen. Wir überlebten nur, weil aus der Ferne eine Riesenbüffelherde angaloppiert kam, was die Drachen verscheuchte. Zum Glück zog die Herde wieder schnell davon, als die Tiere bemerkten, dass die Drachen das Weite suchten. Sonst wären wir alle wahrscheinlich nicht mehr am Leben.«

»Das tut mir leid.«

Überrascht warf er Elyon einen Seitenblick zu. Dank seiner Drachensicht, konnte er ihr Gesicht sehen und das Mitgefühl, das in ihren dunklen Augen lag. Doch es sollte ihn nicht überraschen. Viele sprachen schlecht über die wilde Prinzessin, doch er wusste es besser.

»Warum Blutenschwur?«, fragte Elyon.

»Warum nicht?«

Sie verdrehte die Augen und Nevin gluckste.

»Menschen mögen mich nicht. Bin nur als Tierbändigerin oder Kämpferin nützlich. Warum ich? Keine sehr gute Wahl.«

Er hatte so viele Worte und Gefühle, die er in seine Antwort packen wollte, dass Nevin sich einen kurzen Augenblick Zeit nehmen musste, bis er das Gefühl hatte, sie richtig ausdrücken zu können.

»Ich mochte es noch nie, das allgemeine Gerede über dich. Die Leute nehmen Dinge über dich an, die nicht stimmen. Für mich bist du, um ehrlich zu sein, einer der beeindruckendsten Menschen, die ich kennenlernen durfte. Statt dich von deinen schrecklichen Erlebnissen unterkriegen zu lassen, hast du gelernt deine Fähigkeiten einzusetzen, um zu überleben. Statt verbittert und gehässig gegenüber der Welt zu sein, nutzt du dein Wissen, um anderen zu helfen. Du hast eigentlich viel Mitgefühl, doch die meisten nehmen sich nicht viel Zeit, um dich zu beobachten und es in dir zu entdecken. Du könntest hochmütig sein und deine außergewöhnlichen Begabungen mit Leichtigkeit so einsetzen, dass andere ausgenutzt und erniedrigt werden. Doch das tust du nicht.«

Nevin sah auf Elyons Gesicht, das einen viel zu düsteren Ausdruck für ein junges Mädchen hatte. Doch das war nicht ihre Schuld. Sie hatte zu viel erlebt, zu viel gesehen.

»Du hättest zum Beispiel schon längst deine Macht über den Fluch ausüben können. Uns alle dazu zwingen, Dinge gegen unseren freien Willen zu tun. Doch du hast es nur zweimal benutzt. Einmal, nachdem ich dich drum gebeten hatte und das andere Mal, um die schwarzen Drachen zum Tempel zu bringen. Nur wenn es um Leben und Tod geht, zeigst du buchstäblich deine Raubtierzähne. Aber das ist verständlich, wenn man bedenkt, wie du aufgewachsen bist.« Etwas verlegen, fuhr er sich mit den Fingern durch die schulterlangen Haare. »Für mich ist es wirklich eine große Ehre, mit dir diesen Schwur abzulegen. Ich hoffe, du verstehst endlich, dass ich es ernst meine, wenn ich sage, dass ich dir helfen werde.«

»Nie oft mit dir getroffen. Woher nimmst du Wissen über mich her?«

Nevin streckte vorsichtig den Rücken, da sich langsam eine Anspannung an den Muskeln in der Nähe der Schulterblätter ausbreitete. Er zog trotzdem Elyon versehentlich mit, doch sie beschwerte sich nicht, sondern nutzte die Gelegenheit und sich ebenfalls zu strecken. Obwohl der Boden in der Nacht feucht werden würde, würde Nevin bald vorschlagen, dass sie sich nach unten setzten, um ihre Rücken gegen den Stein zu lehnen. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass die Regeln des Rituals etwas dagegen sagten.

»Ich muss was gestehen: Ich hab ein paar Leute für mich in der Burg arbeiten lassen, um auf dich aufzupassen. Weißt du noch, als wir uns zum ersten Mal getroffen haben? Ich glaube, ich war vierzehn, und wir gegeneinander gekämpft haben? Als ich deinen Vater gesehen habe, war er mir noch weniger geheuer, als davor und zu deiner Sicherheit, habe ich ein paar Diener auf die Inseln eingeschleust. Dadurch habe ich Berichte bekommen, über dich, deinen Alltag, die Leute, die es auf dich abgesehen hatten. Tut mir leid, ich weiß, das ist eigentlich reine Spionage und sicher ein wenig unheimlich.«

»Vater hat Gleiches probiert. Mit dir.«

Das überraschte Nevin kaum. Es war ein gängiges Spielchen zwischen adligen Familien, sich durch eingeschleuste Dienerschaft wertvolle Informationen zu holen, die einen Vorteil für die jeweilige Partei erschufen.

Nevin nahm sich einen Beutel mit getrocknetem Fleisch aus der Provianttasche und hielt ihn Elyon hin.

»Danke«, murmelte sie und starrte während dem Essen auf den See vor ihnen, der mittlerweile den Halbmond auf seiner Oberfläche spiegelte.

»Elyon, heute Mittag hat Aik meinem Vater etwas zugeflüstert, nachdem Halka dich untersucht hatte und ich habe es hören können. Er hat was von Gabe der Tiere und Gestaltwandlerin gesagt. Weißt du, was damit gemeint sein könnte?«

Elyons Gesicht blieb starr auf das Gewässer vor ihnen gerichtet, mit dem Unterschied, dass ihre Augen nun weit geöffnet waren.

»Aik erwähnte besondere Gabe. Hat Blitze in seiner Hand gemacht.«

Nevin drehte sich so abrupt zur Seite, dass er Elyon fast von dem Stein wegzog. Er hatte kurz vergessen, dass sie zusammengebunden waren.

»Verzeihung«, murmelte er und setzte sich wieder gerade hin. Elyon richtete sich wieder auf dem Stein zurecht.

»Hast du gerade gesagt, dass er Blitze mit seiner Hand gemacht hat?«

Elyon machte ein bejahendes Geräusch, doch Nevin zweifelte immer noch, ob sie tatsächlich das meinte, was er verstanden hatte.

»Blitze. Du meinst dieselben, die man am Himmel sieht? Bei Unwetter? Und sie waren in seiner Hand?«

»Ja. Kleine, Weiße. In seiner Hand und um die Finger.«

Nevins ganzer Körper erstarrte. Selbst seine Gedanken kamen zum Stillstand. Blitze. In den Händen.

Es dauerte eine Weile, bis er wieder aus der Starre herauskam. Erst als ein Frösteln seine Armhaare zum Stehen brachte, kam Nevin wieder zu sich und ließ wieder mehr von dem Fluch durch seinen Körper fließen.

»Das könnte also mit übermenschlichen Fähigkeiten im Osten gemeint, wie?«

Elyon gab ihm mit ihrer gebrochenen Sprache wieder, was zwischen ihr und Aik vorgefallen war, während sie sich, abseits von den anderen, unterhalten hatten.

»Ich habe Hilfe nicht angenommen. Ich konnte nicht.« Ihr Tonfall klang entschuldigend. Doch Nevin schüttelte den Kopf und betrachtete seine rechte Hand, während er versuchte sich vorzustellen, wie die Blitze in Aiks Hand ausgesehen hatten.

»Schon gut. Ich hätte genauso gehandelt. Der Kerl ist mir nicht geheuer. Obwohl er bei Weitem nicht die gefährliche Ausstrahlung meines Vaters hat, macht mich die Tatsache, dass mein Vater, brav wie ein Schoßhund, dem Vorschlag Aiks gefolgt ist, äußerst misstrauisch.«

»Doch was jetzt? Keine Ahnung, wie Urdrache zu besiegen ist«, wisperte Elyon.

Nevin seufzte tief. Er hatte zunächst auch keinen Plan. Doch er wusste, Elyon war eine Jägerin. Wenn er sich richtig erinnerte, hatte sie auch Bären erlegt, vor allem in der Arena ihres Vaters, wo Schaukämpfe stattfanden. Und auch einen Drachen, der einen Bären an Größe und Kraft übertraf.

»Wie gehst du vor, wenn du einem Tier gegenüberstehst, das größer und stärker ist als du? Wie bei Bären? Oder Drachen?«

»Bären sind langsam. Vorteil. Gefährlicher sind Berglöwen. Musste mal welche in Arena töten, kamen aus dem südlichen Kontinent. Sehr schnell und gewandt. Drachen sind klug, nicht voreilig, wenn ich Körpersprache beobachte, weiß ich, wann Angriff kommt und kann ausweichen. Demian hat zudem Schwachstelle in der Kehle verraten.«

»Das heißt, du greift immer die Schwachstellen an? Wie kommst du aber hin? Die Kehle eines Drachen lässt sich nicht so leicht erreichen.«

»Habe Anatomie studiert. Mit Vaters Oberarzt. War Wissenschaftler. Hat oft Tiere seziert, durfte mitmachen, dadurch kenne ich Schwachstellen. Und durch Beobachten.«

Nevin streckte wieder seinen schmerzenden Rücken, sowie den steifen Nacken. Er ließ mehr Wärme in diese Bereiche von dem Fluch hineinfließen, was ein ziemlich angenehmer und nützlicher Vorteil der Drachenkräfte war, denn die Schmerzen vergingen sehr schnell.

»Gut, Anatomie. Wir brauchen also einen Drachenkörper, den du dir anschauen kannst.« Nevin schluckte schwer bei der Vorstellung. »Ich ... Ich denke, wir könnten ein, oder zwei besorgen.« Er hielt kurz die Luft an, ehe er weitersprechen konnte. »Es gibt genug Drachenbluthändler, die tote Drachen entsorgen müssen. Ich kümmere mich darum, sobald wir zurück im Tempel sind. Und vorher, werden wir zum Urdrachen fliegen und versuchen, ihn aus einem sicheren Abstand zu beobachten. Meinst du, dass könnte dir etwas bringen?«

Elyon atmete tief durch, ein ängstlicher Ausdruck in ihren Augen.

»Ja«, sagte sie so leise, dass er es ohne sein Drachengehör nicht gehört hätte.

Nun mussten sie nur noch auf das Morgengrauen warten.