»Ich muss wissen, ob sie hier wegen dem Urdrachen sind«, fragte Calin und ignorierte Demians finsteren Blick, um sich Lenius zuzuwenden. Dieser entspannte seine Gesichtszüge und nickte ihm zu.
»Der Urdrache bewegt sich gerade in den unbewohnten Wäldern im Osten. Wir sind hier, weil Prinzessin Elyon Hilfe braucht. Sie hat vor, ihn zu erlegen.«
Calin riss die Augen auf und wandte sich, fast schon lächelnd zu Demian hin.
»Hörst du das? Die Prinzessin wird ihn für uns beseitigen!«
Demian seufzte schwer und legte eine Hand auf seine Stirn.
»Wir werden ihr nicht dabei helfen, falls du das als nächstes Fragen wolltest«, gab ihr Cousin genervt zurück.
Calin stutzte. »Warum nicht?«
Demian zog die Hand von seiner Stirn. »Calin! Du hast doch gesehen, was er auf den Sturminseln angerichtet hat! Er hat die Hälfte der Insel vernichtet!«
Alina schluckte. Durch Aivens Tod, hatte sie bis jetzt verdrängt, dass sie den Urdrachen selbst schon gesehen hatte. Doch zu welcher Zerstörung er wirklich fähig war, konnte sie sich nicht vorstellen. So wie Demian sich verhielt, schien es unmöglich zu sein, dass Elyon ihn töten konnte. Sie wollte den genauen Plan wissen, gleichzeitig fühlte sich ihr Kopf sich jeden Tag so schwer an, dass sie sich sowieso keinen ausführlichen Plan merken konnte.
Mit einem tiefen Seufzer versuchte sie sich wieder daran zu erinnern, wozu Elyon fähig war, um ihre Zweifel zu dämpfen. Wenn sie sagte, dass sie eine Lösung hatte, dann wollte Alina ihr das auch glauben.
»Demian«, wisperte Calin. »Meine Familie kommt aus dem Norden. Nicht weit von den Wäldern, durch die das Biest gerade zieht. Und viele andere von uns sind ebenfalls um ihre Familien besorgt. Wenn es möglich ist, dann wollen wir helfen.«
Demian presste seine zitternden Lippen zusammen, während das Blau seiner Augen immer leuchtender wurde. Ein sicheres Zeichen, dass er den Tränen nahestand.
Ein Brennen entfachte sich in ihrer Brust. Er konnte für einen willkürlichen Drachen weinen, doch nicht für ihren Bruder?
»Ich habe versprochen euch zu beschützen. Ihr könnt nicht losziehen, das erlaube ich euch nicht. Auf keinen Fall!« Demians Nasenflügel bebten.
Tessa legte einen Arm auf seine Schulter und drückte sie, während Calin traurig den Kopf schüttelte.
»Demian, du hast geschworen, dass du uns nie wie Untertanen behandeln wirst. Ich will gehen. Andere wollen gehen. Wir wollen unsere Familien beschützen. Du solltest es uns nicht verbieten. Das weißt du selbst.«
In Alina wuchs der Wunsch, ihnen einfach den Rücken zu kehren und zu gehen. Die beiden tauschten Blicke aus, in denen alles zu liegen schien, was sie gemeinsam erlebt hatten. Etwas, dass sie früher auch mit ihm gewechselt hatte. Die Blicke, die zeigten, wie viel man von dem anderen wusste und wie gut man ihn deswegen verstand. Doch nun, schien es verschwunden zu sein. Ein weiterer Verlust. Sie fühlte sich Demian so fern, als würde noch nicht mal das gleiche Blut in ihnen fließen. Das Brennen in ihrer Brust wallte noch stärker.
»Demian, du solltest ihnen die Möglichkeit geben, zu wählen«, sagte Tessa vorsichtig. »Das ist ihr Weg, ihre Lieben zu beschützen und alle anderen Drachen, so wie du es auch tun möchtest. Und wer weiß? Wenn der Urdrache endlich tot ist, vielleicht verschwindet auch dieser Fluch?«
Demian schüttelte immer noch den Kopf, doch seine Gesichtszüge glätteten sich, sein Blick trüb.
»Bleib hier, Calin. Bitte«, wisperte ihr Cousin.
»Ich kann nicht.« Der Drache stupste Demians Kopf sanft an, dann wandte er sich Lenius zu.
»Meine Hilfe habt ihr und es gibt noch weitere Drachen, die euch helfen würden. Wenn ich mich richtig erinnere, würden mindestens zwanzig von uns sich freiwillig melden. Was sollen wir tun?«
Lenius zeigte mit der Schnauze auf Demians Faust, in der immer noch das zerknüllte Papier lag. »In dem Brief steht der genaue Treffpunkt. Wir wollen den Urdrachen zu den Wilden Steppen locken, in der Nähe des Kaiserflusses. Morgen Nachmittag, sollte das Ungeheuer dort antreffen.«
»Gut. Ich werde da sein und etwas Verstärkung mitbringen.« Calin nickte ihnen zu, dann stupste er Demian wieder freundlich an, dieses Mal an der Schulter, und flog davon.
Alina fing Tessas Blick auf, die fast unsichtbaren Brauen gerunzelt.
»Willst du hier bleiben?«, fragte sie vorsichtig.
Etwas in Alina wollte ja sagen. Etwas, dass sich nach ihrer Familie sehnte. Nach Menschen, die Aiven ebenfalls kannten und ihn vermissten. Nach Menschen, wo sie ungestört in ihrem Trauerzustand verwelken konnte. Doch eine andere Seite in ihr, stürzte sich bei der Vorstellung in so dunkle Gefühle, dass es ihr einen Stich in der Brust versetzte. Vor allem, wenn sie daran dachte, Demian täglich begegnen zu müssen.
Ohne es zunächst zu bemerken, wanderte ihr Blick zu Lenius hinauf und erst als er den Kopf schief legte, wandte sie ihn überrascht wieder ab und fokussierte sich auf die Pflasterstraße unter ihren Pfoten.
Sie waren ihre Familie. Doch Aiven war wegen Demian gestorben. Und immer sein Gesicht vor sich zu haben, würde sie auch immer wieder daran erinnern.
Ein Brennen in ihren Augen zwang Alina dazu, sie zu schließen, während ihr das Herz zerriss.
Sie wollte weg. Sie wollte alleine sein. Wollte hier bleiben. Aber nicht entscheiden. Als sie ein letztes Mal in Demians Gesicht blickte, aus dem sie außer Müdigkeit, keine anderen Gefühle sehen konnte, festigte sich ihr Entschluss ein wenig.
»Ich ... ich begleite Lenius zurück. Macht es gut.« Alina wartete erst gar nicht auf eine Antwort, sondern schoss hinauf, auf die weiße Wolkendecke zu.
Sie hatte als Drache keine Tränen. Dafür brach ein Winseln aus ihr heraus, dass sie nicht unter Kontrolle bringen konnte.
»Alina!« Lief Lenius aus der Ferne. Doch bald hörte sie ein Rauschen neben ihr.
Did you know this story is from Royal Road? Read the official version for free and support the author.
»Lass uns landen, dort unten am Fluss.«
Alina schüttelte den Kopf, verlor dadurch ihr Gleichgewicht und strauchelte in der Luft. Lenius flog unter ihr und stützte sie mit seinem Hals.
»Lass uns landen. Ich will was trinken.«
Alina wusste, dass er kein Wasser brauchte. Mit seiner Größe konnte Lenius viel längere Strecken fliegen, ohne trinken zu müssen. Doch Alina hatte keine Kraft, um ihm zu widersprechen. Also folgte sie Lenius, der einen Fluss anpeilte, der sich durch eine weite Steppe schlängelte.
Als sie neben ein paar Kiefern landeten, knickten ihre Beine ein und brach zusammen. Ihr ganzer Körper schien auseinander zu fallen, da zu viele Gefühle, zu viele Gedanken in ihr wüteten und ihr die Kräfte nahmen, sich zusammenzureißen.
»Du solltest dich verwandeln«, sagte Lenius sanft.
»Wozu?«, krächzte sie, ohne ihn anzusehen.
»Vertrau mir.«
Mehr sagte er nicht. Auch als Alina sich mehrere Momente lang nicht bewegte. Doch sie spürte seinen unablässigen Blick. Irgendwann, wagte sie es ihn zu erwidern. Lenius nickte ihr zu.
Sein weicher Blick gab ihr das Gefühl, als wüsste er genau, was sie durchmachte. Mit bitterem Gefühl gestand Alina sich ein, dass sie die ganze Zeit vergaß, dass so viele andere um sie herum, ebenfalls Verluste erlebt hatten.
Ohne weiter darüber nachzudenken, stand sie auf, krümmte ihren Körper zusammen und drückte den warmen Storm in ihrem Körper zurück in die Narbe. Während ihrer Verwandlung, beugte sie sich nach vorne, damit der Umhang ihren Körper verhüllte.
Als die Hitze wieder in ihrer Narbe versiegelt war, und sie mit den Händen gestützt auf dem Boden da kniete, merkte sie, dass eine andere Wärme zurückgeblieben war. Die in ihren Augen.
Eine Träne fiel in Gras. Dann noch eine und noch eine. Sie brachen ungewollt aus ihr heraus, genauso wie das Schluchzen, dass Alina kaum durch ihren engen Hals quetschen konnte. Sie legte das Gesicht in die Hände und weinte, so bitter wie am Tag seiner Beerdigung.
Die ganze Welt um sie herum war nicht mehr. Alles, was Alina wahrnahm, war erneut dieser abgrundtiefer Schmerz, der ihr Inneres zerriss.
Dann spürte sie, wie etwas Weiches ihre Arme berührte. Lenius legte sich mit seinem riesigen Körper um sie, den Kopf von ihr abgewandt und auf die Umgebung gerichtet. Er umgab sie wie eine warme, hohe Mauer.
Statt das nasse Gesicht wieder mit ihren Händen zu verbergen, vergrub Alina es in das weiße Fell, das ihr Wehklagen erstickte und all ihre Tränen aufnahm. Lenius bewegte sich nicht. Sagte nichts. Wartete nur, bis ihre Tränen versiegt waren.
–
Alina war so erschöpft, dass Lenius ihr seine Kleidung auslieh, die er in der Tasche dabei hatte und sie nach Adlerstal zurückflog. Alina hielt den Umhang eng um sich, da die Abendluft sehr kühl war. Der Sommer neigte sich langsam dem Ende zu.
Am frühen Abend kam die Burg in Sicht und ihr Anblick ließ Alina erleichtert aufatmen. Bald würde sie in ein ersehntes Bett schlüpfen können.
Da schoss etwas Weißes in ihr Sichtfeld. Ein schlanker Drache, der wie ein Blitz auf die Burg zuschoss.
»Etwas stimmt nicht. Das ist einer von den Drachen aus dem Tempel«, sagte Lenius und zog seine Geschwindigkeit an. Doch der andere Drache war zu schnell und landete noch vor ihnen im Burghof.
Als Lenius dort landete, stand der kleinere Drache neben ihnen, keuchend und hin und her tänzelnd, ohne dabei die Augen von der Eingangstür des Hauptgebäudes zu lassen.
Jaro kam nach einer Weile mit einem Wachmann aus der Burg geeilt.
Alina sprang von Lenius' Nacken ab und stützte sich an seiner Schulter, während die gehetzten Schritte, das nervöse Umherblicken ihren Herzschlag beschleunigten.
»Was ist passiert?«, rief Jaro, sobald er vor ihnen stand.
»Der ... der Urdrache ...« Der Tempeldrache schnappte nach Luft, bekam trotzdem kaum ein Wort heraus.
»Ganz ruhig, Enas, komm erstmal zu Atem«, warf Jaro sanft ein.
»Der Urdrache ... er ... er sammelt die anderen ... ruft nach ihnen ...«
Alina verstand nicht, doch ein flaues Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus, während sie Enas' angstverzerrte Mimik beobachtete.
Der Drache holte noch einmal tief Luft, dann begann er zu erzählen: »Der Urdrache läuft gerade durch den Wald und gibt immer wieder einen hohen, kreischenden Laut von sich. Kurz danach, fliegen immer mehr Drachen zu ihm. Gerade ist er gen Norden unterwegs, begleitet von einem immer größer werdendem Drachenschwarm.«
Alles im Hof erstarrte. Selbst die Abendbrise schien stehen zu bleiben. Jaro klappte den Mund auf. Die Wachen, die um sie standen, hielten den Atem an.
»Das ist nicht dein Ernst, oder?«, stieß Jaro aus.
Enas schüttelte den Kopf. »Es ist wahr. Wir haben ihn den halben Nachmittag beobachtet.«
»Wie viele?«, fragte Jaro mit belegter Stimme. »Welche Fellfarbe?«
»Das letzte Mal, als wir sie gezählt haben, waren es knapp unter fünfzig. Wahrscheinlich sind es seitdem mehr geworden. Die meisten waren schwarz bis hellgrau.«
»Verdammt.« Jaros Gesicht wurde immer blasser, während er nachdenklich ins Nichts starrte, dann schoss sein Blick zu Alina und Lenius.
»Bitte sagt mir, dass Demian sich geweigert hat, uns seine Drachen auszuleihen.«
Alina schluckte. Lenius öffnete sein Maul, doch er gab keinen einzigen Ton von sich.
»Nein ... nein ... das hat uns gerade noch gefehlt ...« Jaro vergrub die Finger in sein braungraues Haar.
»Er war nicht einverstanden«, wisperte Lenius. »Doch einige seiner Drachen möchten uns freiwillig helfen, auch ohne Demians Erlaubnis. Sie werden sich bald auf dem Weg zum Kaiserfluss machen.«
Jaro stieß einen gequälten Laut aus und lief vor ihnen hin und her. Alina lehnte sich noch mehr an Lenius und krallte sich an das weiße Fell. Ihre Beine hatten kaum noch Kraft und sie wollte nicht vor ihnen zusammenzubrechen.
»Wisst ihr zufällig, ob es graue, oder weiße Drachen sind, die uns helfen möchten?«, fragte Jaro und rieb sich das Kinn.
»Höchstwahrscheinlich Hellgraue bis Weiße. Demian besitzt kaum Drachen mit einer anderen Fellfarbe. Er ist schnell dabei, den Drachen beizubringen, dem Fluch Widerstand zu leisten.«
»Wir sollten sie trotzdem abfangen, bevor sie die Wilden Steppen erreichen«, drängte Lenius. Doch Jaro schüttelte den Kopf.
»Nein. Was, wenn wir keine Unterstützung aus Höhental bekommen? Und jetzt haben wir es nicht nur mit dem Urdrachen zu tun, sondern mit einem immer größer werdenden Drachenschwarm.«
»Wir waren zwei Weiße, die den Urdrachen beobachtet haben und wir wurden nicht von seinem Ruf angezogen«, erklärte Enas.
Alina atmete tief aus. Wenigstens eine gute Nachricht.
»Dann scheinen die weißen Drachen sicher zu sein«, überlegte Jaro.
»Sie scheinen, wir haben keine Versicherung dafür«, warf Enas ein.
»Lasst Demians Drachen kommen. Aber nur die Weißen«, sagte Jaro. »Enas, seid ihr aus dem Tempel immer noch bereit, uns dabei zu helfen, den Drachen abzulenken?«
Der Drache nickte. »Wir sind auch bereit, gegen seine Drachen zu kämpfen.«
»Gut. Dann bereiten wir uns weiterhin so vor, wie die Prinzessin es geplant hat.« Jaro seufzte und rieb sich mit dem Handballen die Stirn.
»Ich habe trotzdem ein ganz schlechtes Gefühl bei dieser ganzen Sache«, sagte Enas.
»Prinzessin Elyon muss nur an den Rücken des Urdrachens gelangen«, sagte Jaro. »Sie hat uns garantiert, dass dort seine Schwachstelle liegt und sie ihn mit einem Stich dort töten kann.«
Als er Elyons Namen erwähnte, löste Alina ihren Griff um Lenius' Fell. Sie konnten nichts tun, außer ihre Hoffnung in Elyon zu setzen. Dass sie es schaffen würde, die Wächter Höhentals zu überreden, ihnen zu helfen und dann das allmächtige Biest zu töten.
Alina versuchte sich daran zu erinnern, dass Elyon außergewöhnliche Fähigkeiten hatte. Sie konnte es schaffen. Hoffentlich.