Um Elyon war alles so dunkel, als würde sie sich in einem unendlichen Nichts befinden. Sie konnte nichts sehen, nichts hören. Es gab nur eiserne Kälte, die sie zum Frösteln brachten. Elyon klapperte mit den Zähnen und sah sich weiter um, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Ihre Füße fühlten sich schwer an und sie ahnte, dass es nicht möglich sein würde, sich auch nur einen kleinen Schritt weit zu bewegen.
Ein Hauch bewegte die Haare an ihrem Hinterkopf und Elyons Eingeweiden zogen sich zusammen. Ein Atemhauch. Jemand war hier. Elyon wollte sich umdrehen, doch ihre Füße und ihr Nacken waren wie erstarrt.
Da packte sie etwas Hartes am Nacken. Elyon wimmerte, zog mit ganzer Kraft an ihren Beinen, ohne Erfolg. Als wären sie in schwerem Schlamm gefangen.
»Es bringt nichts, mich zu töten«, röchelte eine Stimme, die Elyon einen so kalten Schauer einjagte, dass ihre Knie weich wurden. Sie brach zusammen, doch König Elyon packte sie noch fester am Nacken und hielt sie fest.
Elyon packte mit einer Hand nach dem knöchernen Arm und versuchte ihn loszureißen, während Angst drohte, ihr den Verstand zu rauben.
»Du bist genauso korrupt wie ich, bald wirst auch du dich einer anderen Gestalt annehmen und deinen Verstand verlieren.«
In diesem Augenblick wimmerte Elyon und schreckte hoch. Keuchend öffnete sie die Augen und sah sich um. Es war nicht mehr dunkel. Sie sah etwas Licht, das wahrscheinlich aus einem Fenster kam, doch warum war alles verschwommen? Elyon blinzelte mehrmals, doch ihre Sicht klärte sich nicht. Ihr Hals begann zu pochen.
Wo war sie? Warum konnte sie nicht sehen? Ihr rechter Arm pulsierte und schmerzen strömten durch ihren Unterarm. Als sie mit der linken Hand ihren Unterarm halten wollte, griff sie ins Leere. Elyon probierte es wieder. Nichts. Mit zitternder Hand suchte sie nach ihrer rechten Hand, ihren Unterarm, bis ihre Finger endlich ihren Oberarm fanden und ihn langsam abwärts abtasteten. Er endete in einem verbundenem Stumpf.
Ein heiseres Stöhnen verließ ihre Lippen, ihr Herz klopfte und Übelkeit zog ihren Magen zusammen. Tränen füllten Elyons Augen, während sie wimmernd den Armstumpf abtastete. Was war passiert? Wieso hatte sie keine rechte Hand mehr?
Da hörte sie eine Klinke und das Quietschen der sich öffnenden Tür.
»Elyon! Du bist endlich wach!«, rief Alina, sie rannte zur ihr. Elyon konnte gerade noch ihre verschwommene Gestalt ausmachen, ehe sie zwei Arme um ihren Rücken spürte.
»Du bist schon seit einer Woche ohnmächtig! Wir dachten schon, du wachst gar nicht mehr auf!« Alina schluchzte in Elyons Schulter hinein.
Elyon wollte sie von sich stoßen, Fragen stellen, wissen, was um alles in der Welt mit ihr geschehen war. Doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. Kein Wort kam heraus. Die Luft schien immer dünner zu werden und Elyon musste keuchen, während ihre Gedanken und Gefühle zu rasen anfingen.
»Es ... es tut mir leid ... du hast sicher Fragen.«
Trotz verschwommener Sicht, hatte Elyon das Gefühl, als würde Alina sie voller Mitleid anschauen. Elyon biss die Zähne zusammen, schluckte und räusperte sich.
»Was ... kaum was sehen ... Arm ...« Ihre Stimme zitterte und brach ab.
Alina seufzte tief. »Als ich dich aus dem Drachen geflogen habe, war dein Unterarm zerschmettert«, erzählte sie langsam und mit leiser Stimme. »Wir mussten ihn amputieren, weil das Drachenblut kaum etwas bewirkt hat und ihn nicht heilen konnte. Und deine Augen ... wir wissen es nicht genau, doch die Ärzte haben gemeint, dass sie vernarbt sind. Du hast weißliche Flecken über dem Braun in deinen Augen. Sie sind wohl irgendwie verletzt worden, doch wir verstehen nicht wie. Kannst du ... kannst du noch was sehen?«
Statt ihr zu antworten, starrte Elyon das helle Rechteck an, wo sie das Fenster vermutete, während Tränen ihre Wangen herunterliefen. Vernarbte Augen. Sie hatte diese bereits gesehen. Auf den Sturminseln. Sie zu heilen, war aussichtslos.
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Weitere Schritte hallten in der Entfernung, kamen immer näher und hielten an.
»Elyon!«, rief Gilwas helle Stimme und seine Schritte schlugen gegen den knarrenden Holzboden.
»Gilwa! Vorsicht!«, rief Lenius ihm hinterher, doch zu spät. Das Gewicht des Jungen, der auf der Matratze landete, brachte das ganze Bett zum Schütteln und ein weiteres Paar Arme umschlang sie. Ein Zittern überfiel Elyons Körper, begleitet von einem unangenehmen Druck in ihrer Brust.
Zu viel, zu viel Berührung. Sie blinzelte. Warum fühlte sich die Haut um ihre Augen so komisch an? Als wäre sie schwerer und würde zu eng auf ihren Höhlen sitzen.
Ihre Lider pochten, während Elyon verzweifelt versuchte, ihre Sicht zu schärfen, um mehr als nur helle und dunkle, braune und gelbe Flecken zu erkennen. In ihren Ohren schellte es, als würden dort unzählige Glocken klingeln. Stimmen erklangen im Hintergrund, doch Elyon konnte kein einziges Wort aufnehmen. Wieder überkam sie ein Frösteln, doch selbst dann ließen sie die Arme nicht los. Der Druck in ihrem Körper wurde unerträglich.
»Weg ... weg ... weg! Alleine lassen!« Elyon holte mit ihren Armen aus und sobald sie gegen Alina und Gilwa stieß, schubste sie beide mit aller Kraft weg.
Sobald sie wieder frei war, schlang sie die Arme um sich selbst und drehte sich um, wohin, wusste sie nicht, hoffentlich war es Richtung Wand.
»Hab ich was Falsches gemacht?«, fragte Gilwa mit zitternder Stimme.
Kurze Stille, das leichte Streichen von Stoff auf Haut. Elyons Herz raste, als ihr bewusst wurde, dass, selbst wenn sie sich umdrehen sollte, sie nicht erkennen würde, was gerade vor ihr geschah.
Elyon schloss die Augen und drückte ihre Hand gegen die schmerzenden Lider. Die Haut fühlte sich dort seltsam rau an. Narben.
»Alina, kannst du mit Gilwa kurz rausgehen, ich komme gleich nach.«
Wenig später klangen leise Schritte, gefolgt von dem Quietschen der Tür, die hoffentlich geschlossen wurde. War sie alleine, oder war noch jemand da? Elyon traute sich nicht, die Hand von den Augen zu nehmen. Brauchte sie nicht. Der Boden knarrte leicht, als jemand sein Gewicht verlagerte, vermutlich. Sie konnte es nicht genau sagen. Oder ging die Person einen Schritt auf sie zu?
Das Pochen in ihrem Kopf wurde stärker, während tausende Gedanken, Fragen, Befürchtungen durch ihren Kopf rasten. Sie hatte keine rechte Hand mehr. Wie würde sie ein Schwert in die Hand nehmen? Mit Pfeil und Bogen schießen? Konnte sie überhaupt noch kämpfen? Ohne scharf sehen zu können?
»Elyon, bist du ganz sicher, dass du alleine sein willst?«, fragte Lenius leise. »Wird dir das helfen? Oder soll ich da bleiben, bis du dich beruhigt hast, dann können wir in Ruhe reden?«
Elyon schüttelte den Kopf. Der Druck in ihren Augen war unerträglich, genau so wie ihre enge Kehle. Sie wusste nicht, wie lange sie die Tränen, die Schreie zurückhalten konnte. Und sie hasste es, vor anderen zu weinen.
»Alleine lassen«, krächzte sie Stimme.
»In Ordnung. Aber ich komme bald wieder, um nach dir zu sehen und dir was zu Essen zu bringen. Neben deinem Bett steht ein Nachttisch mit einem Krug Wasser und ein Becher, falls du Durst bekommst.«
Elyon konnte nicht mehr Antworten. Ihre Kehle würde bald zerbersten, wenn er das Zimmer nicht verließ. Statt sich auf ihren gepeinigten Körper zu konzentrieren, achtete sie auf die Geräusche, die von Lenius kamen, um nicht völlig auseinanderzufallen.
Sie hörte nur seinen leisen Atem. Dann, endlich, scharrten seine Stiefel über dem Boden und er bewegte sich Richtung Tür. Mit angehaltener Luft wartete Elyon darauf, dass die Tür endlich zufiel, dann brachen die Tränen aus ihr heraus. Lautes Wimmern platzte aus ihrer Kehle heraus, während ihre Brust vor Schmerzen in Flammen aufging.
Immer wieder öffnete Elyon die Augen, in der Hoffnung, dass sich ihre Sicht vielleicht schärfen würde, nur um enttäuscht zu werden und sie gleich wieder zu schließen. Ihre Hand konnte sie nicht mehr von dem Stumpf lösen, der von ihrem Arm übrig geblieben war. Die Schmerzen zogen sich so weit aus dem Oberarm heraus, als würde ihr Unterarm und ihre Hand noch dranhängen. Doch sie waren nicht mehr da. Würden nicht zurückkehren.
Elyon lehnte sich nach vorne, schlug dabei mit der Stirn gegen die kalte Wand, was nur noch mehr Tränen aus ihren Augen heraustrieb. Sie schluchzte und wimmerte so laut, genau wie damals, als sie als Kind in einen Käfig gesteckt worden war. Als ihr Vater jeden Tag mit seiner Peitsche gekommen war und sie diese hatte spüren lassen.
Sie wusste nicht, welcher Augenblick schlimmer war. Dieser, oder der andere. Elyon wusste nur, dass sie verzweifelt die Zeit zurückdrehen wollte. Sie wollte ihre Sicht, ihren Arm wieder haben. Sie wollte nicht entstellt und behindert durch diese gefährliche Welt gehen. Doch es war unmöglich.
Mit bebenden Schultern und qualvollen Schmerzen im ganzen Körper konnte Elyon nichts anderes tun, als ihren Tränen freien lauf zu lassen, sich von Pein durchdringen zu lassen, während sie ihre Stirn an gegen die raue Steinwand drückte.