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Elyons Fluch Band 1 (German)
18.1 Elyons Albtraum

18.1 Elyons Albtraum

Ein Zucken fuhr durch Elyons Gesicht. Sie versuchte ihre Lider aufzureißen, doch es war unmöglich. Sie klebten förmlich aneinander.

Elyon hörte und spürte Dinge, die sie nicht einordnen konnte. Ein widerlicher Geschmack lag ihr im Mund. Sie holte tief Luft und wimmerte leise, als ein brennender Stich durch ihren Rücken und Magen fuhr.

»Alles wird gut, Elyon. Wir sind gleich im Zimmer.« Alinas Stimme.

Wo war sie? So sehr Elyon sich auch bemühte, sie schaffte es nur, ihre Lider zum Zittern zu bringen. Ihr Mund hing offen, doch sie brachte kein Wort heraus, da in ihrer Kehle ein kalter, fauliger Schleim hing. Sie würgte und ließ das widerliche Gebräu aus ihren Lippen rinnen.

»Schnell! Bringt einen Eimer!«, rief eine männliche Stimme. Dann kam die Ohnmacht zurück. Zunächst war alles schwarz, doch langsam, glitt Elyons Bewusstsein in den Schlaf und sie begann eine undeutliche Stimme zu hören, die sie langsam in einen Traum hineinzog.

»Prinzessin! Prinzessin! Wo seid Ihr?«

Elyon riss ihre Augen auf und sah sich schwer atmend um. Sie war in einem Wald. Umgeben von Walnussbäumen. Wie Riesen ragten sie in die Höhe. Wie stille Riesen. Ein leises Schnalzen lenkte ihren Blick auf ihre Kinderhände. Ein schwarzes Eichhörnchen saß dort und knabberte an einer Walnuss.

Vorsichtig setzte sie das Eichhörnchen auf dem Boden ab. Das kohlschwarze Tier hielt kurz inne, starrte sie an, dann sprang es prompt auf ihre Schulter und knabberte dort weiter an der Nuss.

Elyon kraulte kurz seinen Nacken, dann ging sie weiter. Eine leichte, salzige Brise umspielte ihre kurzen Haare. Über ihr flogen Eichelhäher und Hohltauben von Ast zu Ast, ohne sie aus den Augen zu lassen. Bald gesellten sich an Elyons Seite ein neugieriger Fuchs und ein Dachs. Wann immer sie in den Wald ihres Vaters ging, folgten ihr die Tiere.

»Prinzessin? Wir müssen zurückkehren! Wo seid ihr?«

Elyon hielt an. Der Wachmann hatte recht. Mama wartete auf sie. Bald war es Zeit, gemeinsam den Tee zu nehmen. Doch vorher, musste sie sich noch dringend erleichtern.

Ein Knacksen im Unterholz schreckte die Tiere auf, die in alle Richtungen davon sausten. Elyon suchte sich den breiten Stamm einer Eiche aus, um sich dahinter zu verstecken. Die Schritte kamen näher. Sie musste sich beeilen. Als sie gerade aufstand, um ihre Hose hochzuziehen, bemerkte sie den Wachmann, der neben ihr stand und sie mit riesigen Augen ansah.

Elyon schreckte zurück, zog ihre Hose hoch und rannte davon. Ihr Herz drohte mit jedem Schritt zu bersten. Mama hatte sie gewarnt. Niemand durfte sie jemals ohne Kleidung sehen. Elyon verstand nicht warum, doch sie musste ihr Bescheid sagen.

Bald hatte sie das Tor erreicht, das in den Hinterhof der Burg führte. Unter dem steinernen Bogen stand Mima, ihre Amme.

»Mima! Mima! Schnell! Wir müssen zu Mama!«

Ihre Amme hob fragend die blonden Augenbrauen, nahm Elyon in die Arme und trug sie zurück in die Burg.

»Eure Hoheit, was haben Eure Mama und ich Euch gesagt? Sprecht nur, wenn jemand Euch anspricht und selbst dann, gebraucht so wenig Worte wie möglich.«

Elyon legte ihre Wange an Mimas, sodass sie ihr in Ohr flüstern konnte.

»Mima, mein Wachmann hat mich beim Pieseln erwischt.«

Ihre Amme blieb stehen. So still, dass Elyon sie nicht mal atmen hörte.

»Mima?«

Da hastete ihre Amme mit Elyon immer noch im Arm auf die Burgtür zu, die sie knarzend aufzog, um dann mit wehendem Rock die Turmtreppen hinaufzulaufen, wo sie mit ihrer Mutter wohnte.

Die Tür zum Wohnzimmer war offen. Mima schlug sie mit dem Fuß hinter sich zu. Ihre Mutter, die bereits am Teetisch saß, sah erschrocken von ihrer Nadelarbeit hoch.

»Mima, was ist los? Du siehst aus, als wärst du von wilden Tieren gejagt worden.«

Elyon löste sich von Mimas Armen, sprang ab und rannte zu ihrer Mutter, die sie in die Arme schloss. Die langen, seidigen Haare fielen über Elyon und bedeckten ihren kleinen Körper wie ein weicher Vorhang.

»Der Prinz, ich meine, Prinzessin Elyon wurde gesichtet«, wisperte Mima.

»Mama, mein Wachmann hat mich beim Pipi machen gesehen. Ist das schlimm?«

Elyons Mutter riss die fast schwarzen Augen auf. Ihre Lippen zitterten. Elyon schluckte schwer. Sie hatte etwas falsch gemacht. Doch sie verstand nicht was.

»Wo ist dein Wachmann?«, fragte ihre Mutter, fast stimmlos.

»Ich bin ganz schnell weggerannt. Vielleicht ist er noch im Wald.«

Ihre Mutter sprang vom Stuhl auf und zerrte Elyon an der Hand ins Nebenzimmer.

»Fliehen wir?«, fragte Mima.

»So wie wir es in einem solchen Fall geplant haben. Und jetzt schnell, bevor man uns abfängt«, sagte ihre Mutter, die Elyon aufs Bett setzte.

»Eli, bleib brav hier sitzen und zieh diesen Umhang an.« Elyons Mutter warf ihr den Kindermantel zu, dann wühlte sie in einer Truhe, als würde sie ganz dringend etwas suchen.

Elyon blinzelte verwirrt und band sich den Umhang um, als sie hochsah, war das Zimmer verschwunden und sie waren umgeben von Bäumen. Ihre Mutter trug sie in den Armen und rannte mit Mima durch den Wald. Die Arme ihrer Mutter zitterten so sehr, dass es Elyon Angst machte.

Etwas stimmte nicht. Sie legte den Kopf auf die Schulter ihrer sonst so ruhigen Mutter. Da stieg eine schwere, dunkle Ahnung in ihr auf. Ihr Herz klopfte und es war, als könnte sie die Hufen von galoppierenden Pferden hören. Ihr Vater. Er würde sie einholen und dann ...

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Elyon wollte schreien, ihre Mutter warnen, doch sie konnte sich nicht bewegen, konnte nicht sprechen, als wäre sie gefangen in ihrem kindlichen Körper, der ihr nicht gehorchte.

Als sie ihren Kopf wieder hob, liefen sie gerade an den Strandkiefern vorbei, hinter denen ein grauer Himmel und ein raues Meer lag.

Nicht mehr weit und sie würden den Steg erreichen, wo die Segelboote anlagen, mit denen sie öfters Ausflüge machten. Er war nur noch ein paar Schritte entfernt, als Elyon die Pferde entdeckte, die gerade aus dem Wald galoppiert kamen.

»Eure Majestät! Nicht!«, schrie ihre Mutter und ließ sich in den Sand fallen. Ein dunkles Pferd schwebte über sie.

»Widerwärtiges Weib! Du wagst es, mir vorzugaukeln, dass dein Balg ein Junge ist?!«

Elyon hob zitternd ihren Kopf. Ein Soldat packte Mima und stieß sein Schwert in ihre Brust.

»Mima!«, rief Elyon. Sie klammerte sich vor Angst an ihre Mutter, doch im nächsten Moment wurden sie gewaltsam auseinander gerissen und auf das Boot gezerrt. Elyons Sicht verschwamm, sie konnte nichts mehr sehen, außer den hasserfüllten Blick ihres Vaters. Ihr ganzer Körper schwankte mit dem Boot, das sie aufs weite Meer hinaustrug.

»Mama!«, rief sie, da wurde Elyon wieder am Kragen gepackt und ihr Vater warf sie fluchend ins Wasser. Neben ihr fiel ein zweiter Körper ins dunkle Nass. Blutschwaden strömten aus dem Bauch ihrer Mutter heraus und hüllten sie in eine dunkle Wolke ein.

Da streckten sich die Arme ihre Mutter nach ihr aus und schwamm mit ihr zurück an die Oberfläche.

»Eli, du musst, du musst mir jetzt gut zuhören, mein Schatz.« Die Stimme ihrer Mutter zitterte. Mit jedem Wort wurde ihr Gesicht blasser. Elyon wimmerte.

»Du hast eine ganz besondere Gabe. Sie wird dir das Leben retten, schwimm zurück zur Insel, so weit du kannst. Kannst du dich noch daran erinnern, wie du mal die Rufe der Tümmler nachgemacht hast? Und sie dir gefolgt sind? Tu es wieder. Ich bin mir sicher, sie werden dir wieder folgen. Versprich es mir. Und nun los, schwimm!«

»Nein! Nicht ohne dich! Kommt mit mir mit, Mama!«, heulte Elyon.

Ihre Mama zog sie mit zitternder Hand ihre eiskalte Brust und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.

»Wo auch immer du landest, kehr nicht zurück in die Burg. Überlebe in der Wildnis, mein Schatz.«

»Nein. Nein. Nein!«, jammerte Elyon, dann brach eine Welle über sie ein und beide wurden mit Gewalt in die kalte Tiefe gedrückt. Panisch sah Elyon sich um, doch ihre Mutter war verschwunden. Dafür blitzte etwas im Wasser auf. Zwei riesige, schlangenähnlich Augen leuchteten grünlich in der Dunkelheit.

Elyon schrie und setzte sich auf. Keuchend sah sie sich um. Dunkle Wände umgaben sie. Die Wände einer Höhle. Ihre Brust drückte sich zusammen vor lauter Panik. Elyon wimmerte und tastete nach der Unterlage, auf der sie saß. Ein Bett. Es konnte nicht die Höhle sein.

Da brodelte ihr Magen und Übelkeit machte sich in ihr breit. Galle schoss in ihre Mundhöhle. Elyon beugte sich zur Seite und übergab sich. Ein widerlicher, fauliger Geschmack legte sich über ihre Zunge.

»Elyon?«, fragte Alina. »Elyon!« Zwei warme Hände packten sie an der Schulter und halfen ihr sich wieder aufzusetzen.

»Gilwa, bring mir schnell ein paar feuchte Lappen!«, rief Alina.

Der faulige Geruch breitete sich in der Luft aus und ihr Magen krampfte sich noch mehr zusammen.

Es klingelte so laut in ihren Ohren, dass Elyon nichts mehr hören konnte und sie zuckte erschrocken zusammen, als Alina ihr den feuchten Lappen auf den Mund legte, um ihn abzuwischen.

Langsam ließ das Klingeln nach und stattdessen, kam ein Rauschen. Aber nicht von ihren Ohren. Elyon hielt inne. Ihr Herzschlag setzte aus. Warum hörte sie Meeresrauschen? Warum roch die Luft so salzig?

Wimmernd schubste sie Alina von sich, zwang sich auf die Füße und stolperte auf den Ausgang zu, wo schwaches Mondlicht hineinschien.

»Elyon! Warte!«

Elyons Panik sendete neue Kraft in ihre Beine und sie rannte durch den Vorhang, durch den Gang nach draußen. Ihre Füße trafen auf Sand. Wie betäubt lief sie auf das Wasser zu. Es war das Meer. Rundherum von hohen steinernen Mauern eingekesselt. Sie war gefangen.

»Nein, nein, nein, nein!«, schrie Elyon und fiel zitternd auf dem Sand zusammen.

»Elyon!« Es war wieder Alinas Stimme, doch Elyon konnte sie nicht sehen, konnte nicht verstehen, was sie sagte. Alles, was Elyon hörte, war das Meeresrauschen und ein langgezogenes Piepsen im Ohr, das immer lauter wurde. Ihre Sicht verschwamm, die Luft wurde immer knapper, bis sie das Gefühl hatte zu ersticken. Eiskalter Schweiß breitete sich auf ihren Rücken aus.

»Elyon! Elyon, komm zu dir!« Ein Stimmengewirr schwoll hinter ihr an.

Genau vor ihr hockte sich eine kleine Gestalt hin. Elyon wollte zurückweichen, als eine Kinderstimme zu ihr sprach.

»Du bist nicht allein, Elyon. Wir sind da. Es gibt keinen Grund, Angst zu haben. Du bist sicher. Dir wird nichts passieren«, wisperte Gilwa. »Es wird alles wieder gut. Gleich ist es vorbei.« Ein schwacher Geruch von frischem Wind und Harz wehte ihr entgegen, als Gilwa etwas näher rückte. Sie schnappte nach Luft, zwang sich dazu ihren Kopf zu heben und dem kleinen Jungen in die Augen zu schauen. Für die nächsten Augenblicke, schien es nur noch sie und die ruhigen, großen Augen vor ihr zu geben. Er sah sie an, als würde er genau verstehen, was in ihr vorging. Dabei sollte er eigentlich zu jung dafür sein. Langsam, beruhigte sich ihr Atem wieder.

»Hat es geholfen? Lenius redet immer so mit mir, wann immer ich ganz, ganz viel Angst kriege und gar nichts mehr sehen oder hören kann. Er nimmt mich auch in den Arm, aber Lenius hat mir erklärt, dass einige das nicht mögen, wenn sie Angst haben.«

Elyon atmete nochmal tief ein und nickte ihm zu, obwohl ihr Herz immer noch drohte, aus ihrer Brust zu springen. Das Gemurmel im Hintergrund konnte sie nicht verstehen. Sie hatte das Bedürfnis, ihre Arme um sich zu schlingen, doch sie hingen völlig entkräftet von ihren Schultern herab. Ihr Oberkörper war so matt, dass es fast eine Qual war, aufrecht zu sitzen.

»Jemand putzt gerade das Krankenzimmer, ich glaube wir können sie wieder zurückbringen«, sagte eine unbekannte, männliche Stimme.

Als Elyon endlich wieder ihren Kopf heben konnte, war eine kleine Menschentraube um sie versammelt. Alle standen da, mit ungekämmten Haaren und in ihren Nachtkleidern. Sie fing den Blick eines jungen Mannes auf, der Größte unter ihnen. Er stand direkt neben ihr und lächelte sie an.

Unruhe wühlte ihr Herz wieder auf. Elyon kannte dieses Lächeln. Doch sie erinnerte sich nicht, woher. Ihre Sicht war zu sehr von Panik aufgewühlt, um mehr als seine schulterlangen Haare und seine gerade Nase zu bemerken. Sie wollte weg. Aufstehen, wegrennen, sich verstecken. Doch sie konnte ihre Beine nicht bewegen.

Da legte Alina Elyons Arm auf ihrer Schulter, zog sie hoch und stützte sie auf dem Weg zurück in einer der Höhlen. Sie sagte nichts, stieß sie nicht weg, auch wenn sie die Berührung nicht ausstehen konnte. Denn Alina brachte sie weg. Weg von dem Gemurmel, dem Meeresrauschen. Elyons Sicht verschwamm mit jedem Schritt und das letzte was sie noch mitbekam war, wie Alina ihr vorsichtig auf das Bett half.