Nasse, wirre Haarsträhnen, so schwarz wie das Wasser um sie herum, klebten über ein Gesicht, das nur zur Hälfte mit Haut bedeckt war. Auf der rechten Seite lag ein Augapfel tief in der Höhle des Schädels. Auf der linken Seite war das Gesicht von Haut bedeckt, die grau und voller dunkler Flecken war, als wäre sie schon längst gestorben und dabei zu verwesen.
Elyon wimmerte und wollte sich von dem schrecklichen Gesicht abwenden, doch etwas Hartes hielt ihren Arm fest. Eine Knochenhand. Weiße Fingerknochen drückten sich fester um ihr Gelenk und Schmerzen schossen durch Elyons Arm und brachten sie zum Stöhnen.
»Du wirst hier bleiben!«, röhrte der Halbtote und lachte heiser. »Dein Vater war ein Wicht! Hat mir nichts gebracht, aber du! Du bist genau das, was ich brauche. Mit deiner Gabe kann ich endlich meine Drachengestalt zu ihrer ursprünglichen Kraft zurückbringen und dieses vermaledeite Land dem Garaus machen!«
Trotz der Schmerzen, die Elyon fast den Verstand raubten, packte sie mit der freien Hand ihren Arm und versuchte sich von ihm los zu zerren. Doch die Knochenhand war wie eine große, eiserne Zange. Elyon gab auf, schnappte sich das Schwert und schwang die Klinge auf den Halbtoten zu. König Elyon parierte den Hieb mit seinem anderen Arm und der Klang des Schlags von Metall auf Knochen ließ ihre Nackenhaare zu Berge stehen.
»Du solltest keinen Widerstand leisten, meine Liebe. Sei unbesorgt, es wird nicht wehtun. Du wirst einfach nur ein Teil meiner Drachengestalt werden und wenn alles vorbei ist, sind wir sie alle los. Alle erbärmlichen Menschen, die mein Königreich zerstört haben. Mich verbannt haben. Und wenn ich fertig bin, wirst du auch frei sein. Frei sein, um dieses Reich von neuem aufzubauen, um endlich den Osten mit dem Westen zu verbinden.«
Elyon hielt inne. Seine Worte fingen ihre Aufmerksamkeit auf eine Art auf, die ihre Neugierde entfachte. Fast war sie versucht, ihm Fragen zu stellen, ins Gespräch zu kommen. Was wusste er von dem Osten? Wie genau war er damals König von Höhental geworden?
Doch sein übriges Auge, so matt es auch war, glänzte mit einem gehässigen Ausdruck und Elyon zerrte ihren gefangenen Arm.
»Nein!«, schrie sie und keilte ihren Fuß an seinem linken Bein, um ihn zu Fall zu bringen, doch die Gestalt bewegte sich nicht. Kein bisschen. Als wären seine Füße im nassen Boden festgewachsen.
Der König lachte.
»Spar dir deinen Kampfgeist für später auf.«
Etwas schoss auf sie zu. Elyon duckte sich instinktiv, bevor sie es erkennen konnte und schwang zur Seite, um wegzurollen, doch die Knochenhand hielt sie immer noch fest und zog sie zurück. Kalter Schleim landete auf Elyons Rücken. Auf ihren Kopf, ihrer Schulter, ihren Beinen.
Es breitete sich immer weiter aus, schwer und kalt. König Elyon ließ sie los, doch als Elyon sich wandte, konnte sie sich kaum bewegen. Ein saurer Geschmack schoss ihre pochende Kehle hinauf. Der Schleim drückte sie mit seinem Gewicht nach unten. Sie wandte, schüttelte sich. Doch die Fäden waren so dick und zäh, dass Elyon nicht von der Stelle kam. Die langen Schleimfäden zogen sich in die Dunkelheit der Höhle hinein und zogen sie langsam in die Höhe, bis sie knapp über dem dunklen Wasser schwebte.
»Nein. Nein. Nein! Freilassen!«, schrie sie. Elyon versuchte ihre Arme von dem Schleim wegzuziehen, strampelte mit den Beinen. Panik ließ ihr Herz gegen ihre Brust donnern, so heftig, dass es schmerzte.
»Entspanne dich einfach.« Der König kam langsam näher, die fahle, graue Hand auf sie zu gestreckt. Er legte die eiskalten Fingerspitzen auf ihre Stirn. Elyon versuchte sich von seiner Berührung loszureißen, doch sie konnte ihren Kopf kaum bewegen wegen des Schleims, der hinten auf ihrem Scheitel klebte.
Die Kälte seiner verfaulten Hand, lag zuerst nur auf Elyons Stirn, dann breitete sie sich tiefer aus, unter der Haut, weiter in ihrem Kopf, bis ihre Zähne klapperten. Dann hörte das Klappern auf, als die Kälte langsam ihre Sinne raubte und sie sich taub und leer fühlte. Die Spannung in Elyons Körper löste sich und sie hing schwer in den Fängen des Schleimkokons.
»So ist es gut.«
Elyon wollte sich aufbäumen, alles abschütteln, was da in sie hineinkroch, doch nun kam zu der Kälte und Taubheit etwas Brennendes, etwas Schweres. Wut und Trauer drang in sie hinein. Wie ein Fremdkörper, überwältigte es ihre Gedanken, während ihr Körper weiterhin regungslos blieb. Doch im Inneren tobte und brannte es.
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Bilder zuckten durch ihren Kopf. So schnell wie Blitze. Elyon konnte kaum Einzelheiten ausmachen. Bilder von toten Körpern. Einer blonden Frau und vier jungen Kindern besudelt mit Blut. Dann ein riesiges Feld, durchtränkt mit Blut, bedeckt von unzähligen Kriegern, die überall verstreut lagen. Schreiende Männer, Frauen und Kinder, die durch die Straßen liefen, während schwarze, klebrige Geschosse ihnen hinterher flogen.
Hitze brodelte in Elyons Brust, je mehr sie von den Bildern sah. Die Hitze breitete sich durch ihren Oberkörper aus und die Bilder verschwammen, während Wut sie dazu brachte, ihre Zähne zusammenzubeißen. Das, was um sie herum geschah, konnte Elyon nicht mehr wahrnehmen. Selbst die kalten Finger auf ihrer Stirn spürte sie nicht mehr. Alles, was für sie in diesem Augenblick existierte, war Hass. Sie vergaß, warum sie hier war, wer vor ihr stand, wer sie war. Es war egal. Es gab nur noch das Brennen, das Brodeln. Ein heiseres Knurren kratzte in Elyons Kehle. Töten. Sie wollte töten. Alle. Jeden, der ihr jemals etwas angetan hatte. Jeden, der sie nur als Untier angesehen hatte, sie geschlagen, ausgepeitscht, bespuckt hatte.
»Ja, so ist es gut, meine Liebe. Nur noch ein wenig mehr, und du wirst ein Teil meiner göttlichen Schöpfung werden.«
Die heisere, kalte Stimme brach durch den Hass und das Knurren in Elyons Kehle verstummte. Etwas stimmte nicht. Dieser Hass fühlte sich nicht richtig an. Dieses Brennen war fremd. Das war nicht ihre Wut. Elyon ließ sich nicht von solchen Gefühlen so stark einnehmen. Das war gefährlich, so hatte sie es in der Wildnis gelernt. Etwas Kaltes packte ihr Herz und drohte es zu zerquetschen. Das Brennen verschwand, ihr Körper bebte immer heftiger, als die Panik hereinbrach. Dies war ihre eigene.
Elyon wimmerte. Sie musste hier raus. Musste sich befreien. Den König töten. Wieder begann sie an der klebrigen Masse zu zerren, die sie gefangen hielt.
»Was zum ...?!«, rief König Elyon.
Elyon biss die Zähne zusammen und grollte, erst leise, denn der Schleim um ihren Hals drückte ihr die Kehle zu und schlang sich so fest um ihre Brust, dass sie diese kaum dehnen konnte. Dann knurrte sie lauter, wie die Wölfe, die sie großgezogen hatten. Die sie durch ihre Kindheit gebracht hatten. Sich durch keinen Jäger, oder Raubtier hatten unterkriegen lassen.
Elyon hob ihren Blick und stierte den König vor ihr an. Er. Er hatte ihre Wolfsfamilie ausgelöscht. Der Urdrache.
Elyon schloss die Augen und dachte weiter an ihre Familie. An ihre Ziehmutter. Dann kam das Bild der Krallen an ihren Fingern in ihr hoch. Wärme breitete sich in ihren Armen aus. Elyon spannte sie an und zog mit aller Kraft an den schwarzen Fäden.
»Nein!«, schrie der Halbtote.
Die Knochenhand griff nach ihrem rechten Unterarm, dann spürte sie einen Zug an ihrem Gürtel. Das Schwert. Elyon schwang sich nach hinten. Wie Kleber zog sich der Schleim in die Länge. Nur noch ein wenig.
Da fuhr ein stechender Schmerz durch ihren Arm, der ihr den Atem raubte. Elyon stöhnte und ihre Knie gaben nach. Ihre Sicht verschwamm und in ihren Ohren schellte es.
Mit lautem Keuchen versuchte sie den Schrei zu unterdrücken, als sie wieder die kalten Finger des Königs auf ihrer Stirn spürte. Elyon grollte ihn an, doch ihre Stimme brach durch den Schmerz wieder ab.
Als würden seine Finger sich in ihren Kopf hineinbohren, breitete sich eine Kälte in ihrem Schädel aus, dass es ihren Atem zum Stocken brachte. Fremde Bilder entfalteten sich in ihren Gedanken, doch Elyon weigerte sich, ihnen Beachtung zu schenken und konzentrierte sich auf die Schmerzen in ihrem Arm, auf ihren eigenen Körper. Verwandeln. Sie musste sie verwandeln. Nicht nur Krallen an den Händen, nicht nur die Augen. Sie brauchte Fell, einen größeren Körper.
Hitze breitete sich wieder in ihr aus. Elyons Blut prickelte in den Adern.
»Nein!«, brüllte der König, packte nach ihrem Kopf und stieß seine Finger in ihre Augen. Schmerzen explodierten in Elyons Augäpfeln. Ein Schrei gellte aus ihrer Kehle heraus. Der Druck in den Augen pochte so heftig, dass Elyon schwindelig wurde. Ihr Körper krümmte sich zusammen. Sie schrie wieder, biss die Zähne zusammen und stieß den König mit einem Bein von sich. Der Mann ächzte und landete im flachen Gewässer.
Wimmernd versuchte Elyon ihren Unterarm gegen ihre Augen zu drücken, doch die Schleimfäden hielten ihn zurück. Die Augen drückten und brannten. Ihr Kopf pochte so heftig, dass sie dachte, er würde gleich platzen. Elyon keuchte, drückte die tränenden Augen zu, doch der Schmerz wurde nur schlimmer und schlimmer. Sie riss an den Schleimfäden, heftig genug, dass sie nachgaben und drückte weinend und schreiend die Hände an die Augen.
Als sie Schritte im Wasser hörte, verwandelte sich ihr Schrei in ein Grollen. Wut brodelte in ihrer Brust. Doch dieses Mal war es ihre eigene. Etwas zerriss in ihr und wie eine Flut, löste eine so heftige Hitze in ihrem Körper aus, dass es selbst die Augenschmerzen betäubte.
»Elyon!«, hörte sie in der Ferne. Eine bekannte Stimme. Eine weibliche Stimme. Sie kam von oben. Gerade als sie hochsehen wollte, krümmte Elyons Körper sich, als ein heftiger Druck durch ihre Glieder fuhr und ihr Blut zum Wallen brachte
»Nein!«, brüllte der Urdrache, dann rannte er auf sie zu.
Elyons Knurren war nun so laut, dass das Wasser um sie herum zitterte. Sie konnte nichts sehen, doch sie konnte ihn riechen. Die Fäulnis, die aus seinem Körper herausströmte.
Die Hitze in ihrem Körper sammelte sich in Elyons Beinen und auf allen Vieren, stürzte sie sich nach vorne, direkt auf den Halbtoten zu. Ihr Maul bereit, ihn in Stücke zu reißen.