Nevin, Lenius und Alina landeten in der Nähe eines Weihers, der dicht umringt von Trauerweiden war und deren überhängenden Äste bis ins Wasser reichten. Zwischen ihnen standen riesige Schwarzerlen und im Gegensatz zu den Weidenäste, schienen ihre so hoch wie möglich nach dem Himmel zu greifen. Sie schreckten ein paar Enten von ihrer Abendruhe auf und mit lautem Schnattern flogen sie über das Wasser zu der andere Seite des Weihers.
Alina hatte irgendwie mitbekommen, dass Elyon für eine Nacht weg sein würde und hatte darauf bestanden mitzufliegen. Elyon sprang schnell ab, um von Iskos Nähe wegzukommen, der direkt hinter ihr gesessen hatte. Der schwarzhaariger junge Mann zog, kaum dass er wieder Boden unter den Füßen hatte, ein tragbares Schreibpult aus seiner großen Umhängetasche und hetzte zu den großen Steinen hin, die nicht weit vom Ufer aus der Erde herausragten und wo sie das Ritual durchführen wollten.
Das Ritual des Blutenschwurs verlangte mindestens vier Zeugen. Isko wollte das ganze Geschehen aufschreiben. Als weitere Zeugen dienten Jaro, Dilek und Alina, sowie Lenius, der hauptsächlich mitgekommen war, um die anderen wieder zurückzufliegen, da Alina mit ihrer Größe nur einen Menschen tragen konnte. Und Dileks Flughaut war immer noch nicht verheilt. Nevin und Elyon würden die Nacht in der Nähe des Weihers verbringen.
Jaro war gerade dabei, ein einfaches Leinentuch auf einem flachen Stein auszurollen. Er kümmerte sich um das Blütenblatt, das man mit Saft und Essig behandelte, damit es seine färbende Kraft entfalten konnte.
Während Nevin sich im Unterholz verwandelte und anzog, trat Elyon näher an den Stein heran und beobachtete, wie Jaro sich die Hände mehrmals abwischte, um dann vorsichtig ein Blatt der roten Blume abzuzupfen. Dieses legte er auf einen Holzteller, goss ein wenig Essig und Apfelsaft auf die Blüte und tauchte zum Schluss den Rest der Blume in die Flüssigkeit hinein, sodass sich der Blütenstaub in das Flüssigkeitsgemisch verteilte.
Blutenblumen wurden für ihre stark färbende Eigenschaft geschätzt. Mit dem Saft und dem Essig vermischt, war die Farbkraft der Pflanze so stark, dass selbst uralte Stoffteile ihr tiefes Rot nicht verloren. Die Färber mussten mit riesigen Holzlöffeln arbeiten, da sich die Farbe selbst von der Haut nicht mehr abwaschen ließ, wenn man zu lange mit ihr in Berührung kam.
»Ich wäre so weit«, sagte Nevin, sobald er sich zu ihnen um den Stein stellte, dicht gefolgt von Dilek, der eine große Tasche um die Schulter trug. Nevins enger Freund und sein Onkel trugen Sorgenfalten auf der Stirn. Doch sie brachten keine Einwände mehr ein, wofür Nevin dankbar war. Er hatte schon genug Standpauken gehört.
Lenius und Alina legten sich nicht weit von dem Stein hin, um alles zu beobachten. Alinas Blick war immer noch etwas trüb, doch sie richtete ihn ganz auf den Stein und verfolgte Jaros Handbewegungen.
Während die Blüte langsam ihre Farbe in der Schüssel an die Flüssigkeit um sie abgab, holte Nevin eine Schere aus der Ledertasche heraus, die Jaro in der Nähe des Steins abgelegt hatte. Elyon schälte sich aus ihrem Pelzumhang heraus, den Nevin ihr gegeben hatte und wandte ihm ihre rechte Schulter zu. Vorsichtig schob er eine Klinge zwischen den Nähten ihres Hemds und begann, sie aufzutrennen. Dann zog er ihren gelösten Ärmel aus und schnitt es in zwei lange Streifen. Sie wiederholte das Gleiche bei ihm, nur dass sie den linken Ärmel von Nevins Hemd abschnitt.
»Ihr seid euch beide ganz sicher, dass ihr den Schwur leisten wollt?«, fragte Jaro noch einmal, mit einem kleinen Spachtel in der Hand. Neben ihm stand Isko und schrieb mit zusammengepressten Lippen alles mit auf, so schnell, das Elyon an der Leserlichkeit seiner Schrift zweifelte.
Elyon warf Nevin einen prüfenden Blick zu. Er nickte ihr lächelnd zu.
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»Wir sind bereit«, röchelte sie. In ihrem Kopf schrien mehrere Einwände auf, doch sie folgte immer noch dem Gefühl in ihrem Bauch. Ja, er war ein kaiserlicher Prinz, angehöriger einer nicht gerade freundlichen Familie. Doch es war nicht dumm, jemanden aus Nevins Stand als Verbündeten zu haben. Und mit dem Schwur, konnte sie darauf bestehen, dass er seine Versprechen hielt. Sie konnte ihn jederzeit um Hilfe bitten.
Und er durfte das Gleiche von ihr erfordern. Doch sie glaubte kaum, dass seine zukünftigen Anliegen die jetzigen Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert war, übertreffen konnten. Vielleicht hatte er ja recht und sie würden es irgendwie schaffen, den Urdrachen zu beseitigen. Danach konnte sie mit Nevins Hilfe endlich Richtung Osten reisen, wo sie mehr über sich und über ihre Familie erfahren würde. Wo sie vielleicht auf Menschen treffen würde, die sie nicht wie eine Missgeburt oder einen Trumpf behandeln würden.
»Gut, dann machen wir es euch noch auf dem Stein einigermaßen bequem. Bedenkt, dass ihr die ganze Nacht nicht mehr aufstehen dürft. Falls ihr euch erleichtern müsst, würde ich das jetzt machen.«
»Danke für die Erinnerung, Onkel Jaro«, sagte Nevin und lachte.
Nachdem sie die letzten Vorbereitungen getroffen hatte, war die Dämmerung fast vorbei. Elyon setzten sich auf den Stein hin, der breit genug war und nun mit etwas Lammfell bedeckt war. Alle Taschen, vor allem die ihr Proviant enthielten, lagen griffbereit in der Nähe ihrer Füße. Sie hatten zur Sicherheit noch Wurfäxte und Speere mitgenommen, doch Elyon bezweifelte, dass sie Waffen brauchen würden. Dieser Teil des Landes war unbesiedelt.
Und der Geruch des Fluchs, den Nevin nach Bedarf von sich ausströmen konnte, würde die meisten Tiere vertreiben, die es wagen sollten, sich ihnen zu nähern. Der scharfe Geruch machte jedem Tier mit einer Schnauze deutlich, dass Nevin in der Nahrungskette weit oben stand.
Jaro trat an sie heran und legte mit Hilfe der Spachtel das Blütenblatt behutsam auf die untere Hälfte von Nevins Oberarm. Durch die Flüssigkeit, die sie aufgesaugt hatte, klebte die tropfenförmige Blüte auf seine leicht gebräunte Haut. Danach gab er Dilek den Spachtel und nahm ihm die Stoffstücke ab, die sie vorhin zerschnitten hatten.
Er seufzt laut und starrte mit besorgter Miene die Stoffe an. Der kühle Abendwind, wehte über ihren nackten Arm und Elyon bohrte den Mann mit ihren Blick an, in der Hoffnung, dass er sich etwas beeilen würde. Er fing ihren Blick auf und kam wieder näher.
»Durch das Vereinen eurer Arme, werdet ihr auch in eurem Schicksal vereint. Ihr seid nun für das Glück, die Sicherheit und das Wohlbefinden eures Schwurpartners verantwortlich bis der Tod den Blutenschwur wieder nichtig macht. Sollte einer von euch dem anderen Schaden zufügen, hat der Geschädigte das Recht auf Vergeltung nach seiner eigenen Auffassung.« Jaro warf ein letztes Mal einen flehentlichen Blick auf Nevin, doch er antwortete ihm abermals mit einem Lächeln.
»Seid ihr willig, den Blutenschwur einzugehen?«
»Ja«, sagte Elyon, gemeinsam mit Nevin. Dann rückte Elyon näher an den Prinzen heran, bis ihr Oberarm seinen berührte. So konnte Jaro die Stoffstreifen wie einen Verband um ihre Arme wickeln, und zwar so fest, dass man sie nur mit dem Lösen des Knotens oder mit Hilfe einer Klinge trennen konnte. Sie würden nun bis zum Morgengrauen nebeneinander verharren. So wollte es das Ritual.
Für Elyon kam nun der schwierigste Teil des Schwurs, denn sie sollten die Nacht in Unterhaltung verbringen. Blutengeschworene, mussten ihre ganze Lebensgeschichte dem Schwurpartner offenbaren, denn, so stand es in den alten Erzählungen geschrieben: Nur wer einen Menschen bis ins Innere kennt, kann ihn verstehen und sich ihm erfolgreich versprechen und ihm widmen.
»Wir gehen dann. Bist du dir sicher, dass wir euch nicht abholen kommen sollen?«, fragte Dilek, mit einem sorgenvollen Ausdruck im Gesicht.
»Sicher. Bei Morgengrauen werden wir zu zweit nach dem Urdrachen suchen, um zu überprüfen, ob er Elyon tatsächlich gefolgt ist. Und zieh nicht so ein Gesicht. Ich kann gut auf mich alleine aufpassen. Auch wenn meine Drachengestalt in Hinsicht auf Muskelkraft nicht an deine reicht, wie du es so gerne betonst, solltest du mich nicht unterschätzen.«
Dilek verzog leicht sein Gesicht, als würde er Nevins Aussage nicht akzeptieren wollen. Dann nickte er hastig, drückte Nevins Schulter und ging zu den zwei Drachen, die Abflugbereit waren.
Auch Alina schien nicht darüber begeistert zu sein, sie zurückzulassen, denn statt die Nase gen Himmel zu richten und abzuheben, blieb sie noch einen Augenblick stehen, die grünbraunen Augen auf Elyon gerichtet, dann erst wandte sie sich seufzend ab und flog Lenius hinterher.