»Dir ist bewusst, dass die anderen jetzt erfahren werden wer, du wirklich bist, oder?«, raunte Dilek, der Nevin und Elyon nach Adlerstal trug, gefolgt von fünf weiteren Drachen. Auf zwei von ihnen, saßen Aiven und Tessa.
»Früher oder später, hätten es die anderen Bewohner der Singbucht sowieso erfahren. Du und ich allein, können es nicht gegen seine Drachen aufnehmen. Ich habe keine andere Wahl.«
»Nun, die anderen werden dich, nachdem sie es erfahren, vielleicht nicht mehr als Nevin sehen, aber ich und Jaro schon. Vergiss das nicht«, gab Dilek zurück.
»Ha! Du redest so, als wäre uns ein Sieg bereits sicher. Wo ist deine Schwarzmalerei hin?«, fragte Nevin bitter. Heute war er derjenige der daran zweifelte, dass sie und sein Dorf unbeschadet davon kommen würden.
»Wenn wir mit ihm fertig sind, wird der Wurm sich wünschen, er wäre nie geboren worden.«
Elyon, die vor ihm saß, sagte kein Wort. Ihr Kopf zuckte, mal nach links, dann nach rechts, immer auf die Landschaft unter ihnen gerichtet.
Nevin war ihr Schweigen recht. Seine Gedanken waren in Adlerstal. Alle seine Muskeln stählten sich, die Wut kochte in seinen Adern. Vor seinem inneren Auge liefen bereits frühere Kampfszenarien ab, um ihn auf das, was ihm vielleicht bevorstand vorzubereiten.
Als die Burg am Horizont auftauchte, zeigte Elyon auf das hohe Gebäude.
»Adlerstal?«
»Ja«, gab Nevin zurück.
»Wald.«
»Wie bitte?« Nevin wollte sich vorbeugen, um sie besser verstehen zu können, doch sie wich ihm aus, in dem sie sich ebenfalls nach vorne beugte und Nevin zog schnell seinen Oberkörper zurück.
»Im Wald absetzen. Komme nach. Versprochen. Brauche etwas.«
Nevin hatte keinen Kopf, um mit ihr zu diskutieren, oder sie auszufragen. Er musste Adlerstal so schnell wie möglich erreichen.
»Dilek, flieg in Richtung des Waldes, lass die Drachen am See Wasser auftanken und setze Elyon dort ab, bevor wir zur Burg weiterfliegen.«
Dilek stieß ein bejahendes Brummen aus und beschleunigte seinen Flugbewegungen.
»Elyon, bereite dich darauf, vor zu springen, sobald Dilek dicht über den See fliegt.«
Nevin betrachtete Elyons dunkle Haare, während sie nickte. Fast war er versucht ihr zu sagen, dass sie fliehen sollte. Nun, da sie vor ihm saß und auf dem Weg in eine gefährliche Auseinandersetzung war, erinnerte Nevin sich an all die Dinge, die er über ihre Behandlung auf der Sturminsel erfahren hatte. Täglich ausgepeitscht von ihrem Vater. Herablassende Bemerkungen vom Hofstaat. Wie ein preisgekröntes Pferd vor dem Adel in der Kampfarena vorgeführt, um für die Unterhaltung der hochnäsigen Schmarotzer zu sorgen. Es war grausam, sie in noch gefährlichere Geschehnisse mit hineinzuziehen. Doch sie war seine einzige Hoffnung, irgendwie noch eine Auflösung des Fluchs zu finden.
Dilek flog direkt auf den Waldsee zu, öffnete sein Maul und schluckte so viel Wasser wie möglich. Als er das Ufer erreichte, legte er seinen Kopf ins Gras, während der Rest seines Körpers knapp über die glänzende Wasseroberfläche schwebte. Sobald Elyon abgesprungen war, zog Dilek sich wieder hoch in die Luft und flog weiter auf Adlerstal zu.
Nevins Herz zog sich schmerzhaft in seiner Brust zusammen, als sie das Dorf um die Burg fast erreicht hatten. Mehrere Häuser waren zerstört. Die Wände, die Dächer und die Straßen waren übersät mit schwarzen Flecken. Der Gestank des Fluchs hing in der Luft. Er hörte Schmerzensschreie, verängstigte Rufe. Einige tote Drachenkörper lagen verstreut auf den Straßen.
»Flieg so dicht ans Dorf heran, wie möglich«, befahl Nevin und Dilek folgte sofort. Einige Bewohner, die mit verzweifelten Gesichtern durch die Straßen irrten, zeigten auf den riesigen Drachen, als sie über die zerstörten Häuser flogen.
»Prinz Ilias! Prinz Ilias ist hier!«, riefen sie erleichtert.
Dilek flog den Weg hinauf zur Burg. Das Tor zum Hof lag in Stücken verstreut auf dem Weg. Links und rechts waren viele Steine der Burgmauer abgerissen und lagen zwischen den kaputten Holzstücken des Tors. Auch hier war der Boden und der Schutt bedeckt mit den seltsamen schwarzen Flecken.
Als Dilek über die zerstörte Mauer stieg, schlug ihnen lautes ein Knurren entgegen. Dilek und die Drachen hinter ihm, stimmten sofort mit ein. Mit klopfendem Herzen, zuckte Nevins Blick schnell über den Hof. Etwa zwanzig Schritte vor ihm, Demian in seiner menschlichen Gestalt und neben ihm, vier graue Drachen die einen leblosen, weißen Drachen festhielten, der über und über mit Blut befleckt war. Lenius. Ganz weit hinten auf der anderen Seite nahe der Burgmauer, neben den Stallungen, waren seine Bediensteten von Demians Drachen umzingelt. Einige hatten blutige Flecken auf ihrer Kleidung, alle hatten ihr Gesicht vor Angst verzerrt.
Nevin sprang ab und mit einer Hand auf seinem Schwertknauf, feixte er den abtrünnigen König an.
»Du wagst es meine Burg anzugreifen, meine Leute?! Dir ist bewusst, dass ich dich dafür an den Galgen bringen kann!«
»Spart Euch Eure Drohungen, Prinz! Verratet mir sofort, wo Prinzessin Elyon ist!« Demians Augen, gezeichnet von dunklen Augenringen, waren weit aufgerissen. Doch nicht vor Hass. Nevin war etwas verwirrt, als er das ängstliche Zucken seiner Mundwinkel sah. Auch Demians zitternde Stimme brachte ihn etwas aus seiner Wut heraus. Doch das Wimmern seiner Dienerschaft erreichte seine Augen und wieder brodelte sein Blut.
»Wenn dir dein Leben lieb ist, mach das du und deine Drachen sofort von hier verschwinden!«
Nevin wollte dringend wissen, wo Aiven, Alina und Tessa so lange blieben, doch er wagte es nicht Demian oder seine Dienerschaft aus den Augen zu lassen.
Statt ihm zu antworten, drehte Demian sich kurz um und nickte einem Drachen in der Nähe der Burgmauer zu. Bevor Nevin begriff was geschah, umschlang der Drache mit seinen langen Fingern ein junges Dienstmädchen und drückte zu. Sie schrie auf und es war, als würden ihre Schmerzensschreie Nevins Brust zerreißen.
»Stopp! Aufhören!«, brüllte Nevin.
»Demian! Was tust du da?!«, rief Tessa, doch es war zu spät. Das Mädchen hing bereits ohnmächtig in der Pfote des Drachens. Daraufhin warf er sie zu Boden und fuhr seine Krallen in ihre Brust hinein.
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Sofort zog Nevin sein Schwert und raste auf Demian zu, der völlig verdattert vor ihm stand und an ihm vorbeisah.
»Nevin! Nicht!« Tessa packte den Saum seines Rocks und zog ihn zurück.
»Lass mich los!«, brüllte Nevin, doch Tessa warf ihre Arme um seine Taille. Alina und Aiven eilten ihr zu Hilfe und griffen nach Nevins Armen.
»Was um alles ... Tessa? Was machst du hier?« Demians Stimme zitterte. »Warum bist du hier? Du solltest nicht hier sein! Warum bist du nicht in Höhental?!« Mit jedem Wort, klang er schriller und schriller.
»Demian! Ruf deine Männer von den Bediensteten zurück! Schnell!«, rief Aiven, als sich Nevins Drachen hinter ihnen aufbauten und ohne Unterbrechung grollten.
»Ich kann nicht! Ich brauche die Prinzessin, dringend! Sonst sind wir alle verloren!«, rief Demian.
Nevin hielt inne. Auch wenn sein Körper vor Wut bebte und drohte, seinen Verstand zu übernehmen, zwang ihn Demians letzter Satz dazu, sich zusammenzunehmen.
»Was heißt das? Wo von sprichst du da?!«, brüllte Nevin.
»Wo ist die Prinzessin? Der Urdrache ist ausgerissen, er ist-« Ein Surren unterbrach Demian und gleich darauf, traf ein Pfeil ihn am Rücken. Stöhnend beugte Demian sich vor und landete auf allen Vieren. Dann riss seine Kleidung und weißes Fell schoss durch die Nähten. Kaum stand seine Drachengestalt da, wurde er von einem zweiten Pfeil, dann von einem dritten, vierten getroffen.
Auf der Burgwehr, links von seiner Dienerschaft, stand Elyon und legte einen weiteren Pfeil an. Von der weißen Pfeilspitze tropfte eine dunkelgrüne Flüssigkeit. Für einen kurzen Moment, durch Elyons überraschenden Auftritt, schien die Zeit für Nevin langsamer zu vergehen.
»Schnell! Zieht die Pfeile aus meinem Körper raus!«, rief Demian panisch. Einer der Drachen, die Lenius festhielten, löste sich von der Gruppe und folgte seinem Befehl. Gleichzeitig schoss einer von Demians Drachen zu der Burgwehr hoch auf Elyon zu, doch ehe er sich die Prinzessin schnappen konnte, sprang sie von der Burgwehr, flog über den Kopf des kleinen Drachens, drehte sich wie eine Katze in ihrem Fall und schnappte sich mit ihrer freien Hand seiner Mähne, bevor er auf der Burgwehr landete.
»Schnappt sie euch!«, rief Demian und rannte selbst auf die Burgmauer zu. Ein Chor aus Rufen und Knurren erschallte hinter Nevin. Er selbst ließ die Hitze durch seinen Körper laufen und sobald er mit vier Pfoten auf dem Boden stand, schoss Nevin Demian hinterher.
Der kleine Drache auf der Burgwehr brüllte, als Elyon vier von den präparierten Pfeilen in seinen Hals steckte. Sie ließ die Pfeile stecken, sprang von dem Drachen ab und raste sie, schneller als es Menschen möglich sein sollte, auf den nächsten zu, der gerade auf der Wehr landete. Ehe der Drache reagieren konnte, zog sie ihr Schwert und rammte es ihm in die Brust. Er beugte sich vor und Elyon zog ihr Schwert aus seiner Brust, drehte sich zu um und stach mit der Klinge in seine Kehle.
Der Drache erschlaffte, hinter ihm landete Demian gerade stolpernd und keuchend auf der Burgmauer. Nevin nun selbst auf die Wehr und überließ Dilek und den andere die Drachen, die um seine Dienerschaft standen.
Ein Drache stellten sich Nevin in dem Weg, den er mit einem heftigen Schlag seines Halses von der Mauer fegte und ihn in den Garten sendete.
»Elyon!«, rief Nevin.
Am andere Ende der Burgwehr, kämpfte Elyon gerade mit Demian. Aus einer Wunde an Demians Bauch trat Blut hervor. Demian fiel stolpernd zurück, seine Bewegungen verkrampft und er hechelte, als würde er keine Luft kriegen. Jetzt war er nicht nur von dem Gift geschwächt, Elyon hatte ihn auch an der Flughaut erwischt.
Da traf Demian seinen Blick. Sofort sprang er von der Mauer und landete mit einem lauten Ächzen auf das Pflaster im Hof.
»Elyon!«, rief Nevin.
Als er sie erreichte, griff die Prinzessin nach Nevins Schulterfell und er schwebte mit ihr Demian hinterher. Tessa, Aiven und Alina hatten sich um den keuchenden, weißen Drachen versammelt, dessen Beine vor Anstrengung zitterten, während er versuchte sich hochzuziehen.
»Prinzessin«, grunzte er zwischen zusammengepressten Zähnen. »Ihr müsst ... sofort ... begleiten. Urdrache ... ausgebrochen.«
Elyon hörte ihm gar nicht zu. Sie war bereits von Nevin abgesprungen und stürmte auf Demian zu, das Schwert auf ihn gerichtet.
»Elyon! Nicht!«, rief Alina und wollte sie festhalten, doch Elyon schlug einen Hacken zur Seite, wich Aiven und Tessa aus, die ebenfalls nach ihr griffen und landete mit zwei riesigen Sätzen vor Demian. Sie rammte seine Schulter mit dem Schwertknauf und er fiel wieder um. Sofort sprang sie ihm an die Kehle und legte die Schwertspitze dort an.
»Drachen zurückrufen! Sofort!«, befahl sie. Ihr Blick loderte vor Zorn.
»Rückzug!«, röchelte Demian, doch es war laut genug, denn die grauen Drachen, die noch vor der Mauer standen, eilten ihm zur Seite. Von seinen Drachen waren nur noch sechs übrig geblieben. Die anderen lagen tot im Hof. Die übrigen knurrten Elyon an. Nevin ging näher an Elyon heran und knurrte zurück.
»Zurückbleiben!«, brüllte Elyon, mit so einer verzerrten Stimme, dass Nevins Fell sich aufstellte. Etwas in ihrer Stimme packte seinen Körper und ließ ihn, ohne dass er es wollte, einen Schritt zurückgehen. Genau wie alle anderen Drachen auch, egal wer sie waren oder wo sie standen. Selbst die Drachen, die Lenius immer noch festhielten, zogen sich zurück. Lenius winselte leise, als sie ihre Krallen aus seinem Körper heraus zogen.
»Prinzessin, ich flehe Euch an«, keuchte Demian, der wieder ruhiger atmete. »Hört mir zu. Der Urdrache ist aus der Höhle ausgebrochen. Er ist auf dem Weg ... Auf dem Weg Richtung Sturminseln. Und verätzt alles in seiner unmittelbaren ... unmittelbaren Umgebung zu Tode. Er ist völlig außer Kontrolle. Ihr müsst ihn aufhalten!«
Elyon stand da wie vereist, nur ihr Mund klappte auf.
»Sturminseln?«, wisperte sie.
»Wir haben versucht ihn aufzuhalten, doch wir können es nicht. Er hat bereits mehrere meiner Drachen getötet. Wenn er die Inseln erreicht, wird er sie zerstören!«
Elyons Schwert sank an ihrer Seite. Da blitzten Demians Augen auf.
»Elyon!«, rief Nevin, doch es war zu spät. Demian stürzte sich mit offenem Maul auf sie, stieß sie zu Boden und legte seine Zähne um ihre Kehle. Elyon grummelte und ächzte, legte schnell ihre freie Hand auf seine Schnauze und versuchte es mit zitternden Arm von sich zu schieben.
»Demian! Lass Elyon in Ruhe!« Alina lief auf ihren Cousin zu, doch er legte gerade seine Pfote auf Elyon, mit den Krallen auf die Mitte ihrer Brust gerichtet und hob seinen Kopf.
»Bleib zurück! Oder sie stirbt!«
Sofort hielt Alina an und starrte ihren Cousin mit entsetztem Gesicht an.
»Bist du von Sinnen?«, rief Nevin. »Wie soll sie diesen Urdrachen aufhalten, wenn sie tot ist?!«
»Entweder, die Prinzessin kommt mit mir mit, oder ich töte sie und der Urdrache wird durch das Kaiserreich wüten und es zerstören!« Seine hellblauen Augen waren so weit aufgerissen, dass Nevin fürchtete, seine Augäpfel würden herausfallen. Als wäre er von einem Wahnsinn überfallen worden. Dann brüllte er laut, als Elyons Schwert durch die Mitte seines Vorderbeins fuhr. Mit lautem Winseln zog Demian sein Bein an. Elyon zog sich hoch, legte ihre andere Hand um den Schwertgriff und drückte es gerade zur Seite, als Demian sie mit dem Kopf wegstieß und sie im Fall das Schwert wieder herauszog.
»Demian warte!«, rief Tessa gerade, da drehte Demian sich um die eigene Achse und holte gleichzeitig mit seinem Schwanz aus. Tessa und Alina duckten sich schnell, der weiße Schwanz flog über ihren Köpfen hinweg und schlug mit voller Wucht gegen Aiven, der gerade zur Seite springen wollte. Er flog im hohen Bogen durch die Luft und schlug gegen die Burgmauer auf. Ein Schmerzensschrei, gefolgt von einem Knacken, fuhr Nevin durch Mark und Bein.
»Aiven!«, schrie Alina und rannte auf ihren Bruder zu, der nun regungslos auf das Pflaster lag.