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2.3 Elyons Plan

Kleidung, Werkzeug, Waffen, Medizin, Kräuter, Pfeil und Bogen. Das Kurzschwert, Gold, der Umhang, das rote Tuch, Grafit und ein Notizheft. Elyon durchquerte unter dem schwachen Mondlicht den Hof, um zu den Ställen zu gelangen, während sie in ihren Gedanken aufzählte, ob sie wirklich alles dabei hatte. Aber selbst wenn nicht, solange sie noch etwas Gold hatte, konnte sie es kaufen. Seufzend ging sie in den Stall hinein und schritt lautlos zur anderen Seite des Stalls wo ihr Pferd Schnee stand. Sie streichelte den Hengst mit enger Brust. Ein weißes, stämmiges Inselpferd war zu auffällig, sie musste ihn zurücklassen. Der Hengst knabberte ihr langes Haar an und sie drückte ihm einen Kuss auf die Nüstern. Mit brennenden Augen ging Elyon wieder hinaus.

Als sie vor dem Tor stand, das den Wald von dem Hof trennte, traten die vier Wachen, die dort standen zur Seite.

»Königliche Hoheit, sollen wir Eurer Pferd zur Jagd satteln?«, fragte einer der Männer mit einer Verbeugung.

Elyon schüttelte den Kopf. »Zu laut. Alleine.«

»Viel Erfolg, Eure Hoheit. Bleibt nicht zu lange weg«, mahnte eine andere Wache. Sie waren es gewohnt, dass sie oft in den Wald ging um zu jagen, auch in der Nacht. Deshalb stellte niemand Fragen.

Elyon nickte nur und kehrte dem dunklen Schloss den Rücken zu. Die Bäume verschluckten Elyons kleine Gestalt und fast sämtliches Mondlicht das vom Himmel herabschien. Doch sie marschierte ohne zu stolpern, oder irgendwo hängenzubleiben immer tiefer in den Wald, bis sie eine lichtere Stelle erreicht hatte.

An einem Baumstamm legte sie ihre Tasche ab, nahm ihren Bogen in die Hand, zog einen Pfeil aus dem Köcher und horchte. Hinter einem Busch raschelte es leise. Sie spannte die Sehne an. Eine Sekunde später huschte ein Schatten über das Gras. Das Kaninchen blieb stehen, bemerkte Elyon, klopfte einmal mit dem Fuß, doch bevor es fliehen konnte, schoss ihr Pfeil auf das Tier zu, bohrte sich durch den braunen Körper und es blieb regungslos im Gras liegen. Elyon zog ein zweites Hemd und eine Hose aus ihrer Tasche und ging damit zum toten Tier. Nach ein paar Schlitzen, floss Blut aus dem Kaninchen heraus mit dem sie die Kleider in ihrer Hand beschmierte , so wie ihre langen Haare. Als kein Blut mehr übrig war, nahm Elyon ein Messer und schnitt ihr dunkelbraunes Haar ab. Eine Last weniger auf ihrem Rücken.

Mit der Kleidung und den Haaren in einer Hand, schulterte sie mit der anderen die Tasche und machte sich auf zum Fluss. Dahinter war ein Bärengebiet. Der Boden war dicht genug von Gras bedeckt, sodass es Sinn machte, wenn keiner Pfotenspuren fand. Sie verteile die Kleiderfetzen und die Haare am Boden und an den Ästen von Bäumen und Büschen und rollte sich dann im Gras herum um es platt zu drücken

Als Nächstes schoss sie mit ihrem Bogen vier Pfeile durch die Gegend. Nachdem sie sich die Hände und ihr Gesicht gewaschen hatte und sämtliche Gras und Blätter aus den Haaren und den Kleidern gezupft und abgeschüttelt hatte, ließ sie ihren blutverschmierte Bogen und den Köcher auf dem Boden liegen und machte sich auf den Weg zu ihrer Familie. Sie sollten nicht weit von dem Fluss auf der Jagd sein. Endlich. Nach so vielen Jahren der Vorbereitung, würde sie endlich ihrem Vater entkommen. Seinen Beschimpfungen, seinen Schlägen, seiner Peitsche, seinem Schwert.

Als sie eine Lichtung erreichte, hörte sie ein bekanntes Heulen. Elyon riss ihren Mund auf und heulte zurück. Bald hörte sie aufgeregtes Rascheln im Unterholz, als sieben Wölfe auf sie zuliefen. Das Alphaweibchen, das Elyon als Kind aufgenommen hatte, sprang auf sie zu und rieb ihren Kopf liebevoll an Elyons Schulter. Die anderen zupften an ihrer Kleidung, leckten sie ab und stupsten sie mit ihren Nasen an. Elyon reichte ihrer Ziehmutter das Kaninchen. Doch statt danach mit ihren Zähnen zu greifen, drückte die Fähe ihren Kopf gegen Elyons Brust und blieb für einen Moment so stehen.

Elyon legte ihren Kopf auf die Stirn ihrer Mutter und sog gierig ihren Geruch ein. Der Geruch von kaltem Fell, Baumharz, Blut und Gras. Ihre Hände zitterten, während sie sich in dem weichen, grauweißem Fell hineingruben. Elyon presste ihre heißen, nassen Lider zusammen. Sie musste gehen. Sie durfte keine Zeit verlieren. Doch weder sie, noch die Wölfin bewegte sich von der Stelle. Als die anderen Rudelmitglieder anfingen leise zu winseln, löste Elyon sich von ihrer Mutter, streichelte ihre Brüder und Schwestern, ihre Tanten und Onkel und lief leise in die entgegengesetzte Richtung. Als sie sich ein letztes Mal umdrehte, war das Rudel verschwunden. Nur ein fernes Winseln verriet ihre Gegenwart.

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Elyon lief weiter in Richtung der Klippen. Es würde bald Mitternacht sein. Die ersten Schiffe, die ihre Güter hinüber ins Kaiserreich fuhren, würden kurz vor Morgengrauen losfahren, um rechtzeitig die Markthändler am Festland zu erreichen. Die Sturminseln hatten nicht viel anzubieten, doch sie hatten wertvolles Wild, Pelze, Leder und Medizin. Und solange die Händler ihre Boote nicht verließen, durften sie ihre Ware verkaufen.

Keuchend und verschwitzt erreichte sie endlich den Waldsaum hinter dem Hafen. Sie wollte gerade auf die Lichter, die an der Bucht im schwarzen Wasser schimmerten zulaufen, als eine Stimme sie aufhielt. Nicht weit von ihr, in einer Lichtung, standen drei Männer. Sofort kauerte Elyon sich auf dem Boden und schlich hinter einem Baumstamm.

»Sie hat ihn umgebracht!«, rief einer der jungen Männer.

»Ich weiß! Mir tut es auch Leid. Es war nicht so geplant.« Es war Demians Stimme. Belegt und zittrig.

»Sie muss dafür bezahlen!«, rief ein weiterer voller Bitterkeit.

»Psst! Leise!«, zischte Demian. »Es war nicht ihre Schuld. Wir brauchen sie! Wäre nicht der Pfeil gewesen, hätte sie ihm helfen können. Er hat auf ihre Stimme reagiert.«

»Pah, und wie sollen wir sie bekommen? Der König wird sie doch weiter an den Deppensohn des Kaisers geben, und dann werden sie uns zusammen vernichten.«

»Keine Sorge. Ich hatte heute ein Gespräch mit dem König. Er wird sich mit uns verbünden. Ich weiß es.«

Ein heftiger Ruck an ihrem Kragen zog sie hinauf.

»Was machst du hier, Bengel?«, blaffte ein junger Mann mit kurzen, strubbeligen Haaren. Seine Augen schimmerten gelblich in der Nacht. Elyon war kurz irritiert, dann zog sie ein Messer von ihrem Gürtel und rammte es in den Arm, der sie festhielt. Der Mann ließ sie schreiend los.

»Was ist da hinten los?«, rief Demian.

Der Mann mit den Strubbelhaaren packte sie mit dem unverletzten Arm und zerrte Elyon mit sich zu der Lichtung. Sofort fielen zwei andere über sie her, drückten sie zu Boden und zogen ihre Tasche so schroff von ihrer Schulter, dass ihre Arme brannten.

Sie knurrte tief und wandte sich mit aller Kraft unter ihren Armen. Da spürte sie eine Hand unter ihrem Kinn. Demian starrte ungläubig in ihr Gesicht.

»Lasst sie sofort los!«

»Was?«, fragten die anderen verwirrt.

Demian schubste sie weg. »Lasst Prinzessin Elyon los!« Die Männer ließen sie los und stolperten nach hinten. Der Dritte von ihnen durchsuchte gerade ihre Tasche.

Demian bot ihr seine Hand an, doch sie sprang alleine wieder auf die Beine. Elyon beobachtete aufmerksam ihre Gegner. Doch in diesem Augenblick starrten sie alle nur verdutzt an.

»Eure Hoheit, was habt Ihr hier zu suchen?« Demian fuhr mit seinen Augen über ihre kurzen Haare und ihre Kleidung. »Solltet Ihr nicht längst im Bett sein?«

»Hier.« Der Mann mit den strubbeligen Haaren hielt König Demian ihre Tasche hin. »Ich glaube, sie hat vor wegzulaufen.«

Elyon knurrte leise, doch Demian lachte nur.

»Ihr klingt genau so wie ein Wolf, Eure Hoheit. Als wärt Ihr gerade aus den Tiefen des Waldes heraus spaziert. Habt Ihr tatsächlich vor wegzulaufen?« Als sie ihm nicht antwortete, packte einer der Männer nach Elyons Arm. Doch sie wich ihm rechtzeitig aus, hakte ihren Fuß an seinem Bein ein und riss ihn zu Boden. Sofort sprangen die zwei anderen auf sie zu. Elyon zog ihre Messer, die unter den Lederbändern an ihrem Arm versteckt waren.

»Aufhören! Lasst sie ihn Ruhe! Niemand hat sie anzufassen!«, befahl Demian. Die zwei ließen von ihr ab.

»Verzeiht Prinzessin. Hier, eure Tasche.« Elyon zerrte sie an sich, ging ein paar Schritte weg und befühlte den Inhalt ohne ihre misstrauischen Augen von den Männern zu lassen.

»Ich will Euch nicht aufhalten. Ich kann verstehen, warum Ihr hier nicht bleiben wollt. Hier.«, er überreichte ihr ein Stück Papier. »Das ist ein Pass für ein Schiff, das bald ausläuft. Ihr solltet keine Schwierigkeiten haben an Bord zu kommen und niemand wird Euch fragen, wer Ihr seid. Ich hoffe wir können wieder aufeinander treffen. Ich glaube, ich könnte Euch von großem Nutzen auf dem Festland sein.«

Elyon nahm den Zettel und begutachtete ihn. Es war dumm ihn nicht zu nehmen. Und genauso dumm ihn zu benutzen. Demian konnte lächeln so viel er wollte, der kalte Ausdruck in seinen Augen entging ihr nicht.

»Auf Wiedersehen Prinzessin. Habt eine gute Reise.« Demian verbeugte sich und ließ sie vorbei. Als die drei Männer keine Anzeichen machten, ihr nachzujagen, nickte sie Demian zu und lief schnell zum Hafen. Als sie genug Abstand zwischen sich und der Männergruppe gebracht hatte und sie sich sicher war, dass niemand sie verfolgt hatte, warf Elyon den Pass ins Meer. Sie würde nicht auf ein Schiff gehen, das irgendwelche Verbindungen zu Demian hatte. Stattdessen kaufte sie sich einen eigenen Pass und nahm ein kleines Schiff, das Pelze mit an Bord trug. So wie ursprünglich geplant.

Als sie endlich an Bord ging, seufzte Elyon erleichtert auf. Keine aristokratischen Machtspiele mehr. Kein Ehemann, der sie wie ein Vieh für sein eigenes Wohlbefinden benutzen würde. Kein Vater, der ihr jede Sekunde ihres Lebens mit dem Tod drohte. Dafür musste sie jedoch bis in den hohen Norden reisen und einen Weg in den verbotenen Osten finden.