Am späten Vormittag kamen sie in Adlerstal an. Von Demians Angriff, waren nur noch einige eingestürzte Häuser als Spur übrig geblieben. Das Tor war durch ein neues ersetzt worden und die eingerissenen Mauerstücke, wieder aufgebaut. Wahrscheinlich dank der Hilfe von Drachen.
Alina landete direkt hinter Nevin, der sich schnell zurückverwandelte, sobald Dilek abgesprungen war. Neben ihm landete Ilka, die Jaro auf dem Nacken trug.
Auch Lenius und Gilwas Gestalten schrumpften und schon bald standen sie im Hof als Menschen da. Elyon war auf Jesko geflogen, der in einigem Abstand zu ihnen stand und gerade seinen Kopf senkte, damit Elyon absteigen konnte. Jaros Bruder war immer noch ein schwarzer Drache. Trotzdem hatte der braunhaarige Mann darauf bestanden, seinen kleinen Bruder mitzunehmen und Elyon schien den Drachen fest im Griff zu haben. Er folgte jedem ihrer Befehle, ohne auch nur einmal zu knurren oder die Zähne zu blecken. Alinas Körper fühlte sich taub an. Selbst die Hitze des Fluchs, war nur noch schwach durch ihre Blutbahnen zu spüren. Sie blieb in ihrer Drachengestalt und beobachtete das Geschehen um sie herum.
Um Nevin und Dilek standen sich zwei Wachen und ein älterer Diener und gaben dem Prinzen ihre Berichte weiter. Während Elyon, immer noch mit einem Sicherheitsabstand an ihnen vorbeilief, verfolgt von den zwei Drachen, befahl Nevin: »Bringt Milo zu mir, so schnell wie möglich« Seine Stimme klang gehetzt.
Alina überlegte sich, Elyon in den Gartenanlagen hinter der Burg zu folgen, doch sie wollte es nicht riskieren, den schwarzen Drachen zu reizen.
»Was sind eure Pläne?«, fragte Lenius, als der Diener und die Wache davongeeilt waren.
Ehe Nevin ihm antwortete, kniete Nevin sich vor Gilwa hin, der sich an Lenius' Umhang festhielt.
»Gilwa, ich habe eine wichtige Aufgabe für dich. Folge Elyon in den Garten und beobachte sie aus einer sicheren Entfernung. Sollte der schwarze Drache sie bedrohen, musst du und schnell holen, in Ordnung?«
Der kleine Junge blähte die Brust auf und nickte entschlossen, dann sauste er davon.
Nevin stand auf und rieb sich die Stirn, während er mit einem müden Blick zu Boden starrte. »Wir brauchen Drachenkörper. Elyon möchte sie sezieren, so kann sie vielleicht einen Weg finden, um den Urdrachen zu erlegen.«
Alinas Magen fröstelte. Lenius kräuselte seine Nase, Dilek presste die Lippen fest aufeinander, während Jaro mit nachdenklichem Gesicht die Arme verschränkte.
»Wir wollen Milo fragen, ob er uns helfen kann, da er sich unbemerkt in die Stadt einschleichen kann. Aber ich will ihn nicht allein losschicken«, erklärte Nevin.
»Milo wäre der Beste für die Aufgabe, aber er ist trotz seiner Tarnfähigkeit immer etwas ... nervös«, erklärte Dilek.
»Ich kann ihn begleiten«, sagte Lenius, doch Dilek schüttelte den Kopf.
»Wir sind alle zu groß. Sobald es ans Bergen von den Drachenkörpern geht, müssen wir unsere Drachengestalten benutzen. Da sind wir nicht gerade unauffällig. Gilwa hätte die richtige Größe, doch wir können ihn unmöglich damit beauftragen. Zudem sind wir alle weiß und selbst in der Nacht gut zu sehen.«
Alina war klein. Sie war grau. Sie konnte helfen. Die Gedanken fuhren ihr so schnell durch den Kopf, dass die Worte einfach aus ihr heraus purzelten. »Ich kann ihn begleiten.«
Alle Blicke landeten auf sie. Alina war kurz von sich selbst überrascht, dass sie sich freiwillig gemeldet hatte. Normalerweise, würde ihr Herzklopfen und der Schweiß, der auch in ihrer Zeit als Wächterin aus ihren Händen ausgebrochen war, sie von jeder waghalsigen Unternehmung abhalten. Doch in ihrem Inneren fühlte sie sich immer noch taub an. Leer. Dumpfe Schmerzen erinnerten sie daran, dass sie noch ein lebendiges Herz hatte.
Die Angst und Zaghaftigkeit, die sie sonst Immer überfielen, blieben aus. Vielleicht war ihre Trauer zu groß. Vielleicht war ihre Ängstlichkeit mit Aiven gestorben. Sie wusste es nicht genau. Doch sie wusste, dass Aiven sich freiwillig gemeldet hätte. Er hätte alles in seiner Macht stehende getan, um ihr zu helfen, den Fluch zu überwinden, sie vor den Urdrachen zu schützen. Damit Verluste wie sie, Lenius, Gilwa und viele andere erlebt hatten, nicht weiterhin geschahen. Und wenn sie versuchte, so wie er zu denken und so zu handeln wie Aiven, war es, als wären sie noch irgendwie verbunden. Als fühlte er sich nicht so furchtbar weit entfernt an.
»Ich bin nur ein wenig größer als Gilwa. Und ich will helfen«, setzte sie nach.
»Alina, bist du dir sicher?«, fragte Lenius, die Stirn vor Zweifel in Falten gelegt.
Sie nickte, da richteten sich Nevins, Dileks und Jaros Blicke hinauf zum Himmel. Ein dünner, weißer Drache flog gerade auf sie zu, landete etwas entfernt von der Gruppe im Hof und warf ihnen einen verunsicherte Blick zu, ehe er näher kam.
»Hallo«, sagte er leise und senkte schüchtern den Kopf.
Nevin lächelte den Drachen freundlich an, dann erklärte er Milo, was sie brauchten. Der junge Drache klappte sein Maul auf, als der Prinz endete und sein Fell stellte sich auf. Nevin legte, leicht verlegen, eine Hand an den Nacken.
»Milo, fühl dich frei, abzulehnen. Ich kann jemand anderen damit beauftragen. Zur Not, fliegen Elyon und ich selbst in die nächste Stadt.«
Der kleine Drache schüttelte den Kopf, trotz seines aufgeplusterten Fells.
»N-nein. I-ich kann das. Ich werde helfen.«
»Ich kann euch in meiner menschlichen Form begleiten«, sagte Nevin. Sofort legte Dilek seine Hand auf die Schulter des Prinzen und stierte ihn mit bebenden Nasenflügeln an.
»Kommt nicht infrage! Ich fliege mit und helfe ihnen. Ich bin sowieso kräftiger und geschickter im Kämpfen als du.«
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Da schaltete Jaro sich ebenfalls ein und alle drei Männer redeten gleichzeitig aufeinander ein. Alina konnte kein Wort mehr verfolgen, doch ihre Stimmen wurden immer lauter und ihre Wörter fielen immer schneller. Dabei bemerkten sie nicht, dass Elyon gerade wieder am Tor erschien, dass zu den Gartenanlagen führte und mit Gilwa im Arm wieder zu ihnen stieß. Für einen kurzen Augenblick, beobachtete sie die Diskussion, mit zusammengezogenen Augenbrauen, dann setzte sie den Jungen ab.
»Genug!«, rief sie.
Alle drei zuckten erschrocken zur Seite. Gilwa kicherte leise in sich hinein.
»Ich fliege mit. Meine Bitte, meine Aufgabe, meine Verantwortung.«
»Dann lass uns gemeinsam gehen«, sagte Nevin und bekam dafür einen finsteren Blick von Elyon ab.
»Nein. Hier bleiben. Waffen für Sezierung vorbereiten, Nachrichten über Urdrachen besorgen.«
»Ich bin auf Elyons Seite«, warf Dilek schnell ein.
Jaro nickte ebenfalls. »Mein Junge, du siehst recht fertig aus. Bleib hier und ruhe dich ein wenig aus, es stehen noch viele Herausforderungen vor uns.«
Nevin öffnete sein Mund, doch Elyon fiel ihm ins Wort und wandte sich Milo zu. »Reicht es, nach Abenddämmerung fliegen?«
Der weiße Drache nickte den Kopf.
»Gut. Hier treffen. Bis später.« Das Mädchen wandte sich auf dem Absatz um und ging zurück in Richtung des Burggartens.
»Elyon! Warte!«, Nevin rannte ihr hinterher und Alina folgte ihnen nach einem kurzen Zögern.
Mit seinen langen Beinen hatte der Prinz die kleine Gestalt schnell erreicht und wollte sie zurückhalten, doch das Mädchen entwischte seinem Griff und drehte sich knurrend um.
»Bin müde, will schlafen. Wir reden später.«
Alina tapste an Nevin vorbei, der sich seufzend am Hinterkopf kratzte und folgte ihr zur rechten Seite des Burggartens, wo mehrere alte Eichen standen. Um den dicksten Stamm, hatte Elyon Jesko angekettet, der nicht weit von dem Stamm mit geschlossenen Augen im Gras lag.
Als das Mädchen näher trat, hoben er und Ilka den Kopf und wedelten mit den Schwänzen. Doch statt zu ihnen zu gehen, hielt Elyon abrupt an. Dann beugte sich nach vorne und rannte würgend auf einen Brombeerbusch zu, wo sie sich übergab.
»Elyon!« Alina lief zu ihr. Doch sobald sie näher kam, drängte sich ein beißender Geruch in ihre Nüstern, der sie mehrmals zum Niesen brachte. Der Geruch brannte in ihren Atemwegen und Alina musste ein paar Schritte zurückgehen.
Eine schwarze Pfütze lag vor dem Busch. Die dicke Flüssigkeit fraß sich zischend durch die Brombeerblätter, die dicht über dem Gras wuchsen. Elyon würgte, hustete und spuckte immer mehr von der Flüssigkeit aus, ihr ganzer Körper zitterte. Alina winselte und sah sich um. Ein paar Wachen auf dem Wehrgang der Burgmauer, die hinter den Eichen stand, hielten an und warfen neugierige Blicke in ihre Richtung.
»Elyon, ich hole Nevin. Er kann nach einem Arzt schicken.«
»Nein«, röchelte sie und hustete. »Wasser, Brunnen.« Das Mädchen streckte zitternd ihren Arm in Richtung der Burgmauer. Alina lief sofort auf die graue Gesteinswand zu. Links von ihr, nicht weit von einem Schießturm, floss aus einem Rohr Wasser in eine Tränke hinein. Sie packte den großen Eimer, der daneben stand, mit ihrem Maul und füllte ihn auf, dann lief sie hastig, möglichst ohne den Kopf zu bewegen zurück zu Elyon. Sie saß keuchend an einem Baumstamm gelehnt.
Alina stellte den Eimer direkt vor ihr ab.
»Danke.« Hustend schöpfte Elyon das Wasser mit ihren hohlen Händen und wusch sich den Mund ab, dann hob sie den Eimer und trank den halben Eimer leer, ehe sie sich wieder ächzend an den Eichenstamm lehnte.
»Bist du dir sicher, dass du keinen Arzt brauchst?«
Elyon nickte. »Keine Sorge. Bald besser.« Wieder streckte sie ihren zitternden Arm raus, dieses Mal in Richtung der schwarzen Pfütze. »Wasser dort auskippen.«
Alina schnappte sich sofort den Eimer, zog ihre Nüstern zu und nachdem sie ihn vor die Pfütze abgesetzt hatte, stieß sie das Blechgefäß um. Das Wasser verdünnte die dicke Masse und Alina beobachtete, wie sie langsam in die Erde hinein sickerte. Ein schwarzer Fleck blieb übrig, als wäre das Gras weggebrannt worden. Ein kalter Schauer fuhr ihren Rücken entlang, ehe Alina den Eimer wieder aufhob und zurück zu Elyon kehrte.
»Du musst nicht mit. Falls du nicht willst. Heute Nacht. Schaffe es allein. Es wird gefährlich.« Elyon schloss seufzend die Augen. Ein dunkler Schatten lag unter ihren Lidern. Genau wie damals, nachdem sie aus der Höhle des Urdrachens geflohen waren.
»Ich weiß. Aber ich will mit. Ich will helfen«
»Warum immer noch Drache?«, fragte das Mädchen und öffnete mit zitternden Lidern ihre Augen.
Alina sah auf ihren langen, grauen Körper zurück. Horchte in sich hinein, fühlte nach der wunden Brust. Außer den immer gegenwärtigen Verlustschmerz spürte sie nichts. Keine Angst. Keine Sorge.
»Einfach so.«
Elyons Blick bohrten sich in ihre Augen hinein. Als würde sie versuchen, etwas in ihnen zu finden. Zunächst waren die dunklen Augen des Mädchens kalt und hart, dann legte sich eine Weichheit in ihnen, die Alina bis jetzt noch nicht gesehen hatte. Sie nickte, als wüsste sie genau, warum Alina mitkommen wollte.
Das Mädchen atmete tief durch, dann stand sie auf und ging auf die zwei Drachen zu. Ilka stand auf und begrüßte sie mit einem freudigen Japsen. Vorsichtig ging Alina ihr hinterher, den Kopf gebeugt, um zu zeigen, dass sie keine Bedrohung war.
Doch außer einem kurzen Blick von Jesko, beachteten die Drachen sie gar nicht.
Elyon lehnte sich an den dunklen Körper des männlichen Drachens zurück und schloss die Augen, als wäre er nur ein weiterer Baumstamm, an den sie sich lehnte. Jesko beobachtete sie kurz, dann legte er mit einem zufriedenen Seufzen den Kopf zurück aufs Gras um weiter zu dösen.
»Wenn nicht rechtzeitig aufwache, kannst du wecken?«
»Sicher.«
Elyon schien sich noch tiefer in das schwarze Fell zurückzulehnen. Ilka legte sich im Halbkreis um das Mädchen und hatte nach kurzer Zeit ebenfalls die Augen geschlossen.
Alina hätte sich gerne dazugelegt. Hätte nichts dagegen gehabt, Elyons Gewicht gegen ihren dumpfen Körper zu spüren. Vielleicht hätte es ein wenig von ihrer Taubhaut genommen. Doch sie wagte es nicht, sich dem schwarzen Drachen noch mehr zu nähern. So legte sie sich etwas abseits hin, doch statt zu dösen, beobachtete sie die Umgebung. Sollte sich jemand ihnen nähern wollen, würde sie jeden davon abhalten, damit Elyon in Ruhe schlafen konnte.
Schon hatte sich Elyons Atem in leise, langsame Züge beruhigt. Ihr Gesicht war etwas blass, doch entspannt und erinnerte Alina, dass sie gerade mal sechzehn Jahre alt war. Für einen kurzen Augenblick, schaffte Alina es, sich ganz auf den Atem des Mädchens zu konzentrieren. Vermutungen über die harten Prüfungen anzustellen, durch die Elyon bereits gegangen war und wie viel Leid es ihr wohl gebracht hatte.
Das erinnerte sie an ihr eigenes Leid und Alina bettet mit einem tiefen Seufzen ihr Kopf ins Gras. Die Trauer öffnete sich wie eine Wunde in ihrem Körper und das brennende Wallen, das Gefühl, als würde ihre Brust bluten, quälte sie bis in die Abenddämmerung hinein.