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Elyons Fluch Band 1 (German)
17.1 Alinas Familie

17.1 Alinas Familie

»Alina. Hey! Wach auf!«, zischte Dilek.

Alina schreckte hoch. Ihre Arme schmerzten, wo vorher ihr Kopf gelegen hatte. Ihre nackten, menschlichen Arme.

»Was um alles in der Welt ...« Alina sprang auf die Beine und sah sich im Raum um. Dabei zog sie gleichzeitig den Umhang enger um ihren Körper, den ihre Drachenform als Halstuch getragen hatte. Elyon lag in ihrem Bett, doch Aivens war leer.

Dilek legte seine große Hand auf Alinas Schulter.

»Du musst gehen. Schnell.«

Immer noch verwirrt von ihrer plötzlichen Verwandlung, ließ sie sich von Dilek in ein anderes Zimmer am Ende des Gangs ziehen.

»Im Schrank wirst du Kleidung finden. Bleib im Zimmer, Nevins Besucher dürfen euch nicht sehen.«

Alina nickte teilnahmslos und starrte auf ihre Hände. Sie hatte wieder ihren Körper zurück. Und Aiven. Sie konnte ihn endlich umarmen. Endlich mit ihm sprechen. Und Tessa war auch hier.

»Wo ist Aiven?«, fragte sie.

»Ich weiß es nicht. Ich muss jetzt los. Wir sehen uns später.«

Sobald die Tür zuschlug, fing ihr Körper an im Takt ihres Herzschlags zu beben. Wo waren Aiven und Tessa? Sie musste sie dringend sehen.

Alina hastete auf den Schrank zu, suchte schnell nach ein paar passenden Kleidungsstücken. Schuhe fand sie keine, doch das war egal. Sobald sie wieder in Hemd und Hose dastand, wollte sie die Zimmertür öffnen, als sie Stimmen hörte. Nevin und noch zwei andere. Schnell zog sie sich zurück und sah sich um. Da fiel ihr Blick auf die hohe Balkontür, die dank ihrer hohen Glasscheiben den Blick auf einen Garten freigab.

Alina stieß die Glastür auf und lehnte sich über die hellgraue Balustrade. Der Garten war eingeschlossen von hohen Backsteinmauern, zum Teil von Efeu bedeckt. Direkt unter ihr stand ein Zierbrunnen, in dessen Mitte stand ein Adler mit ausgebreiteten Flügeln auf einem Podest. Aus dem Schnabel gab das stille Tier Wasser in das Becken ab. Um den Brunnen herum standen Bänke verteilt, die einen erdigen Gehweg einschlossen. Sie folgte mit den Augen den Weg an Busch- und Blumenhecken vorbei zu den vielen Obstbäumen, durch die er sich schlängelte. Da entdeckte sie Aivens braunen Lockenkopf, der gerade zwischen ein paar Birnbäume verschwand.

Alina löste sich von der Balustrade und betrachtete die Wände neben dem Balkon. Zu ihrer Rechten, war ein Rankgerüst an die graue Burgmauer angebracht, um das sich weiße Kletterrosen geschlungen hatten. Ohne weiter zu überlegen, zog sie sich auf die Balustrade und griff nach dem Rankgerüst. Es war nicht besonders stark, doch wenn sie schnell war, sollte sie es heil nach unten schaffen. Sie stütze sich von der Brüstung ab, packte eine Strebe des Rankgerüsts mit beiden Händen und legte schnell die Füße auf die von Rosen und Blättern bedeckte Mauer. Stacheln fuhren in ihre Haut, doch Alina spürte den Schmerz kaum. Hastig kletterte sie das Gerüst hinunter, ohne das es zu beschädigen und rannte dann am Brunnen und den Hecken vorbei auf die Obstbäume zu.

Mit kurzem Atmen, suchte sie zwischen den Stämmen nach Aiven. Da war er. Etwa dreißig Schritte von ihr entfernt. Er sprang gerade hoch, um nach einem Ast voller Birnen zu greifen.

Ein Grinsen legte sich auf ihre Lippen, so breit, dass ihre Wangen wehtaten. Statt auf ihn zuzulaufen, schlich Alina sich voran. Immer wieder suchte sie Deckung hinter den Baumstämmen, um sich unbemerkt ihrem Zwillingsbruder zu nähern.

Aiven hockte nun genau vor ihr. Er hob eine Birne vom Boden auf. Alina schlich den letzten Schritt auf ihn zu, Hände nach ihm ausgestreckt, in der Kehle staute sich ein lauter Schrei, bereit ihn zu erschrecken.

Da drehte sich Aiven um. Ein frecher Blick in den Augen.

»Nicht heute!« Er holte aus. Eine faule Birne landete auf ihrem Gesicht und Aiven lief lachend davon.

»Na warte! Das wirst du zehnfach zurückbekommen!« Sie wischte sich die Birnenreste mit dem Ärmel weg, dann sammelte Alina ein paar Birnen auf und stürzte ihm hinterher.

»Du musst schon früher aufstehen, um mich zu erwischen! Du alte Schlafmütze!«, rief Aiven.

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Alina jagte ihn durch den Obstgarten. Wann immer er zwischen den Bäumen auftauchte, flog eine faule Birne auf ihn zu. Sie verfehlten ihn immer um eine Haaresbreite. Als ihr letztendlich die Birnen ausgingen, war Aiven nirgends mehr zu sehen. Alina blieb stehen und horchte angestrengt. Immer noch grinsend, versuchte sie zu entdecken, wo er sich versteckt hielt. Doch dann spürte sie ihn, direkt am Rücken. Sein Arm schlang sich um ihren Hals und nahm sie im Schwitzkasten. Sie grunzte wütend und versuchte sich von ihm zu lösen.

Aiven lachte. »Was ist los mit dir? Schlafen deine Muskeln noch? Du bist ja schwächer als unsere Oma.«

Alina gab es auf, sich von seinem Arm zu lösen. Stattdessen zwickte sie ihn an den Seiten. Sofort wurde sein Griff um ihren Hals schwächer, während er sich vor Lachen krümmte.

»Nein! Hör auf!«, rief er zwischen seinem unkontrolliertem Gelächter. Alina kicherte und wollte ihn weiter zwicken, als Aiven ihre Handgelenke packte. Schnell holte sie mit einem Fuß aus und zog Aivens rechtes Bein vom Boden. Aiven stolperte und fiel. Alina, immer noch in seinem Griff, wurde mitgezogen. Ächzend landeten beide auf den Boden. Alina rappelte sich auf, drückte ihr Knie gegen Aivens Magen und kitzelte ihn weiter.

»Nein! Aufhören! Hab Gnade!« Aiven zuckte so heftig vor Lachen, dass ihm Tränen aus den Augen kamen. Doch er ließ sie nicht auf ihn sitzen. So rauften sie miteinander, bis beide irgendwann völlig atemlos gegen einen Apfelbaum stießen.

»Ich gebe auf! Du hast gewonnen!«, keuchte Aiven, lehnte sich an den Stamm zurück und ließ sich auf den grasbewachsenen Boden sinken.

Alina machte es ihm nach, griff nach seiner Hand und hielt sie fest. Genau so wie sie es als Kinder getan hatten.

»Du abgestandene Pferdepisse«, keuchte Alina und grinste.

»Du gerupfte, alte Schnepfe«, warf Aiven zurück.

Das ließ Alina nicht auf sich sitzen. »Hässliche Hackfresse.«

»Dreckige Trampelsau.«

So ging es hin und her, bis Alina müde und glücklich ihren Kopf auf seine Schulter legte. Kurz darauf, legte Aiven seinen eigenen auf ihrem.

»Ich bin erleichtert, dass es dir gut geht. Abgesehen von dem Fluch, natürlich«, sagte er.

»Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich, oder Tessa jemals wieder sehen würde. Warum habt ihr Höhental verlassen? Das ist doch wahnsinnig. Wir können nie wieder zurück.«

»Ich konnte nicht bleiben. Und Tessa ist einfach mitgekommen.«

»Was ist mit Vater und Mutter, und unseren Geschwistern?« Alina sah die ganze Familie vor sich stehen. Ihre Eltern mit ihren elf Brüdern und Schwestern, alle mit den gleichen, lockigen Haaren.

»Sie werden zurechtkommen. Vielleicht können wir durch Nevin ihnen eine Botschaft zukommen lassen. Sie haben einige Feuerfalken in der Singbucht.«

Aiven erklärte, was die Singbucht war. Wie Nevin ihnen geholfen hatte. Im Gegenzug erzählte Alina über ihre Erlebnisse im Kaiserreich, über Elyon und Lenius' Burg. Doch Demians Namen, kam ihr nicht über die Lippen. Schweigen breitete sich aus, während Alina mit sich selbst rang. Sollte sie es ihm erzählen, oder lieber nicht?

»Es scheint, als hättest du viel Glück gehabt. Du hast Elyon kennengelernt, und Lenius' Bande.« Nach einer längeren Pause, sagte er: »Jetzt musst du mir nur noch das erzählen, was du eisern für dich behalten willst.«

Alina hob ihren Kopf. Aivens Lächeln war ermutigend. Doch sein Blick so bedrückt, wie die Gefühle, die in ihrer Brust lasteten.

»Es geht um Demian.« Alina wagte es nicht, ihm in die Augen zu schauen. Doch sie hörte, wie er kurz nach Luft schnappte. Er drückte Alinas Hand dreimal. Was in ihrer Geheimsprache so viel hieß wie: Mach weiter. Also erzählte sie es ihm. Aiven, der sonst immer gerne alles kommentierte, sagte kein einziges Wort. Seine Nase wurde immer blasser, seine Augen immer größer.

»Und so sind wir am Strand gelandet, wo ihr uns gefunden habt«, beendete Alina ihre Erzählung.

Ein Schluchzen unterbrach die kurze Stille. Doch es kam nicht von Aiven. Beide guckten hinter dem Stamm. Dilek stand da. Und direkt neben ihm, Tessa. Sie schluchzte nochmal, die hellblauen Augen überzogen von einem nassen Schleier. Schnell legte Tessa ihre Hände auf dem Mund, um ihr Schluchzen zu dämpfen.

»Tessa«, wisperte Alina.

Ihre Cousine wandte sich ab. Dilek streckte gerade eine Hand nach ihr aus, doch Tessa jagte bereits davon. Hilflos, starrte er Alina und Aiven an. »Solltet ihr Tessa nicht lieber nachlaufen?«

»Nein. Es ist besser, sie in Ruhe zu lassen«, sagte beide gleichzeitig. Wann immer Tessa von ihren Gefühlen überwältigt war, wollte sie alleine sein. Erst dann konnte sie alles herauslassen. Waren es Tränen, oder Flüche. Später würde sie ruhig genug sein, um Trost zuzulassen.

»Alina, könntest du mir einen Gefallen tun und später Nevin ebenfalls alles erzählen?«, fragte Dilek.

Sie nickte. Mehr konnte sie nicht tun. Denn der Anflug einer Ahnung von dem, was in Tessa gerade vorging, nahm ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

»Wartet hier auf mich. Ich hol euch später ab, sobald Nevin frei ist.« Dilek stapfte davon.

Seufzend lehnte Alina ihren Kopf an den Stamm. Sofort legten sich Aivens Arme um sie und hielten sie fest. Sämtliche Freude war verschwunden. Stattdessen kämpfte sie darum, dass ihre schweren Gefühle sie nicht völlig überwältigten.