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Elyons Fluch Band 1 (German)
34.2 Alinas Verzweiflung

34.2 Alinas Verzweiflung

Alina trug eine Tasche in den Pfoten und Thian auf ihrem Nacken, ein Arzt aus Höhental, der schon länger zu der Gruppe aus der Singbucht gehörte. Sie warf einen letzten Blick zurück auf das Krankenlager, um sich zu vergewissern, dass Gilwa ihr nicht folgte. Er hatte darauf bestanden, doch Juna hatte ihn schnell gegriffen und weggetragen.

Sie sauste mit ihren letzten Wasserreserven zum Fluss und als Alina den Boden anflog, war die Gruppe um Elyon größer geworden. Die Wächter Senan und Cassia standen dort und nicht weit von ihnen, ihre kreischenden Vögel, die sie an einem Felsen gebunden hatten. Beide Feuervögel ließen in ihrem Gezeter die Drachen nicht aus den Augen.

Sie senkte schnell den Kopf, sobald sie gelandet war und Thian sprang ab und eilte zu Elyon, während Alina ihm seine Tasche im Maul hinterhertrug.

»Wer hier hatte schon Erfahrung mit Amputationen?«, fragte der blonde Mann, dem bereits der Schweiß von den Schläfen rann.

»Ich«, sagte Lenius.

Auch Cassia trat vor und kniete sich vor dem blutigen Körper. Der Arzt nickte, griff nach Tüchern und einer Flasche und ein paar Lederbändern in der Tasche. Alina wandte ihren Blick ab.

Sie konnte schwere Verletzungen ertragen. Davon hatte sie genug auf dem Reiterhof ihrer Eltern gesehen. Doch der Anblick von Elyons mit Blut bedecktem Körper, war zu viel für Alina. Und sie hatte noch nie eine Amputation miterlebt.

»Lenius, schneid da mit deiner Kralle hinein, wir müssen den Rest des Unterarms abtrennen.«

Alina schluckte schwer, dann suchten ihre Augen nach etwas, mit dem sie sich ablenken konnte. Sie landeten auf Dilek, der mit Nevin etwas abseits stand und in die Ferne starrte. Nevin verfolgte mit von Falten gezeichneter Stirn Elyons Operation.

»Nevin. Schlechte Nachrichten. Idris und Finan kommen gerade angeritten.«

Etwa fünfzig Fluglängen entfernt, kamen zwei schwarze Pferde angeritten. Auf ihnen saßen die gleichen jungen Männer mit langen Haaren, die Alina beim letzten Treffen mit dem Kaiser gesehen hatte. Sie trugen lange, purpurfarbene Umhänge und schimmernde, goldene Hemden.

Der Kleinere von ihnen, trug einen besorgten Gesichtsausdruck, während der Ältere tiefe Furchen zwischen den Augenbrauen hatte.

»Nicht jetzt«, seufzte Nevin und ging ihnen entgegen. Dilek folgte ihm. Da die anderen Drachen um Elyon standen und nichts von den neuen Ankömmlingen bemerkt hatten, lief Alina den beiden hinterher und senkte ihren Kopf.

»Soll ich euch hinbringen?«

Nevin nickte dankbar und beide jungen Männer kletterten auf ihren Nacken. Sie lief den Reitern entgegen und hielt sie so davon ab, Elyon zu nahezukommen. Zum Glück verbarg das hohe Gras das Geschehen hinter ihnen. Alina senkte ihren Kopf, während Nevins Brüder ihre Pferde zum Stehen brachten.

»Ihr kommt zu einem schlechten Zeitpunkt. Elyon wird verarztet«, erklärte Nevin mit ruhiger Stimme, doch er verengte seine Augen und fixierte seinen älteren Bruder.

»Ist sie bei Bewusstsein?«, fragte dieser.

»Idris, reite zurück. Der Anblick ist nicht gerade angenehm. Sag Vater, dass ich im Moment beschäftigt bin.«

Hinter Idris, schüttelte Finan eifrig den Kopf, was Nevin mit einem leichten Nicken anerkannte.

»Du hast keine Wahl. Du sollst so schnell wie möglich mitkommen«, erklärte Idris. »Vater will wissen, was der Tod des Urdrachens bei dir bewirkt hat.« Idris warf einen betonten Blick zu Alina, die sofort den Kopf senkte.

Scheinbar hatte es nicht viel bewirkt, jetzt wo Alina darüber nachdachte. Sollte der Fluch mit dem Erlegen des Urdrachens nicht eigentlich vorbei sein? Oder dauerte es einfach, bis der Fluch verschwand? Wie eine Krankheit, die man auskurieren musste?

»Dann sag Vater, dass er noch warten muss. Ich komme, sobald ich sicher bin, dass Elyon über den Berg ist«, sagte Nevin.

»Von mir aus, aber erst, nachdem wir uns selbst davon überzeugt haben, dass die Prinzessin tatsächlich unpässlich ist.«

Nevin biss die Zähne zusammen, dann seufzte er genervt und nickte.

»Alina, bitte laufe vor, um Elyon etwas ... zu bedecken ...«

Sie nickte und galoppierte los.

»Lenius!«, rief Alina, sobald sie in Hörweite war. Der Arzt war gerade dabei, Elyons Arm zu vernähen. »Nevins Brüder sind unterwegs, sie wollen Elyon anschauen.«

Lenius blaue Augen verfinsterten sich und er nickte. Er schnappte sich ein blutgetränktes Tuch, groß genug, um Elyon bis zum Schlüsselbein zu bedecken. »Das muss reichen, wir haben nichts anderes.«

Alina schluckte. Elyon war immer noch mit rot bemalt, doch es war nun zu einer Kruste getrocknet, die stellenweise abblätterte. Immer noch ein gräulicher Anblick.

»Lasst hier nochmal etwas Drachenblut fließen, sicher ist sicher«, sagte Thian und hielt den Stumpf hoch, den er gerade vernäht hatte.

Einer der Drachen biss sich in die Pfote und folgte dem Rat des Arztes. Große Blutstropfen bedeckten bald den Oberarm.

Alinas Kehle wurde eng. Sie zog ihre rechte Vorderpfote an. Wie lebte man nur mit einer Hand? Vor allem, wenn man wie Elyon eine Jägerin und Kämpferin war?‚

»Ist sie am Leben?«, erklang eine harte Stimme hinter ihr. Es war Idris, der Dilek die Zügel seines Pferdes reichte und direkt auf sie zu stampfte.

Nevin hastete ihm hinterher, mit einem gereiztem Gesichtsausdruck. Währenddessen stieg Finan von seinem Pferd ab und führte es etwas näher an Elyon heran, um alles mit sorgenvollen Augen zu beobachten.

»Hat dich das überzeugt?«, fragte Nevin ungeduldig.

Idris' Augen weiteten sich kurz, er erwiderte nichts. Dann räusperte er sich, nickte und wandte Elyon dem Rücken zu. »Finan, reite zurück und berichte Vater. Ich bringe Nevin, sobald hier alles beendet ist.«

Finan öffnete den Mund, doch dann presste er die Lippen zusammen und warf Nevin einen kurzen Blick zu. Sie tauschten sich mit ihren Augen aus. Was genau, konnte Alina nicht deuten, doch ein kurzer Stich fuhr durch ihre Brust, da dies etwas gewesen war, dass auch Aiven und sie ständig getan hatten.

Schließlich nickte Finan, stieg auf den schwarzen Hengst und galoppierte davon, während Iris bei ihnen stehen blieb. Seine braunen Augen und die Falten zwischen seinen Augenbrauen trugen so viel Missmut in sich, dass Alina sich schnell von ihm abwandte und lieber wieder zu Elyon ging, als sich in seiner Gegenwart aufzuhalten.

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»Wir sollten sie in die Hauptstadt bringen, um sie zu behandeln«, murrte Idris.

Alina spitzte die Ohren, ohne ihren Blick von dem blutdurchtränktem Gras um Elyon zu lösen.

»Nein, auf gar keinen Fall. Ich bringe sie an einen sicheren Ort, wo sie sich in Ruhe erholen kann«, sagte Nevin.

»Das wäre der Kaiserpalast, wo sonst sollte sie sich am besten erholen?«

Alina konnte es sich doch nicht nehmen lassen, die Brüder zu beobachteten. Beide hatten ihre Arme verschränkt. Idris blitzte Nevin wütend an.

Elyon wollte nie in der Gegenwart des Kaisers sein. Erst recht nicht in der Hauptstadt. Hoffentlich schaffte Nevin es, seinen Bruder vom Gegenteil zu überzeugen. Nur, wo sollte man sie hinbringen? Zurück zum Tempel?

Senan, der gerade dabei gewesen war, die Feuervögel zu beruhigen, marschierte auf die Prinzen zu.

»Erlaubt mir, mich in das Gespräch einzubringen. Prinzessin Elyon ist die rechtmäßige Erbin Höhentals. Sie wird zurück in ihre Ländereien gebracht und dort von unseren Ärzten versorgt.«

»Ein Höhentaler wagt es, die kaiserlichen Prinzen-«, fing Iris an doch Senan stampfte so fest auf den Boden, dass Idris zurückschrak. Selbst Nevin schritt zur Seite.

»Wir befinden uns hier auf neutralem Boden. Zudem, bedeutete uns der Kaiser und seine Prinzen bedeuten herzlich wenig. Elyon hingegen, gehört zu den Nachkommen Höhentals und dorthin wird sie auch zurückgebracht.« Senan schrie nicht, seine Stimme war ruhig, doch ein leises Grollen schwang mit seinen Worten und er war so breit gebaut wie Dilek und ein Kopf größer als Idris. Was durch seinen geraden Rücken und ausgestreckter Brust nur betont wurde.

»Wir haben einiges mit der Prinzessin zu besprechen und das hat Vorrang. Die Diskussion ist hiermit beendet.« Senan legte die Hand auf den Schwertgriff an seinem Gürtel.

»Solltet ihr es wagen, die Verlobte meines Bruders-«

Nevin streckte seine Hand vor der Brust seines Bruders aus. »Senan hat recht. Elyon soll nach Höhental gebracht werden. Mein Bruder ist sicherlich nicht so wahnsinnig, dem uneinnehmbaren Hochtal zu drohen.« Nevin beschwor Idris mit seinen braunen Augen und Alina atmete auf, als der älteste Prinz mit aufgeblähten Nasenhöhlen zurücktrat.

Elyon war sicher. In Höhental würde man sie so schnell wie möglich auf die Beine bringen. Auch, wenn es nur dafür war, dass sie ihre Rechte an Höhental abgab.

»Das wirst du bereuen, glaube es mir«, zischte Idris, an Nevin gerichtet. Doch dieser ließ seinen Bruder links liegen und steuerte auf den Arzt zu.

Cassia, Lenius und die beiden Drachen gingen gerade zum Flus, um das Blut von sich abzuwaschen. Der Arzt sammelte seine Werkzeuge und Tücher ein.

»Wie geht es ihr?«, fragte Nevin. Als er Elyons halben Arm entdeckte, zuckte sein Gesicht, als würde er versuchen, Schmerzen zu verbergen.

»Sie atmet«, begann Thian. »Ihr Puls ist normal. Das Drachenblut hat zwar nicht so gewirkt, wie wir es gehofft hatten, doch es hat zumindest alle Wunden geschlossen. Die Ätzungen sind gut verheilt, aber es scheinen mehrere Narben übrig geblieben zu sein. Den Arm konnte ich leider nicht mehr retten. Und ihre Augen ... das sollte sich jemand in Höhental noch einmal genauer anschauen.«

Alinas Magen zog sich zusammen. Was war mit ihren Augen geschehen? Alles, was sie sehen konnte, war gerötete die gerötete Haut auf ihren Lidern.

Nevin nickte. »Vielen Dank, Thian. Wirklich.«

Der Arzt schüttelte den Kopf. »Prinzessin Elyon hat dieses abscheuliche Biest für uns erlegt. Das war das mindeste, was ich tun konnte. Eine Schande, dass sie so viel dabei verloren hat. Aber immerhin, sie ist mit ihrem Leben davongekommen.«

Alinas Ohren zuckten, als sie Lenius' Stimme aufnahm. Er stand noch am Fluss, mit den Pfoten im Wasser, das ihm nicht mal bis zu den Knien seiner Vorderbeine reichte und redete mit Senan.

»Gibt es irgendeine Möglichkeit, Elyon zu begleiten? Es muss nicht ich sein. Vielleicht Alina, sie ist Höhentalerin, war sogar mal eine Wächterin. Ich glaube, es wäre einfacher für Elyon, wenn sie aufwacht. Sie wird ganz schön viel zu verdauen haben.«

Alina tapste zu ihnen und Senan traf ihren Blick.

»Bist du Alina?«, fragte er.

Sie nickte. »Ehemalige Wächterin in Ausbildung. Elyon und ich sind Freunde.« Obwohl Alina sich nicht sicher war, ob das Mädchen sie als solche sah. Doch für sie war Elyon auf jeden Fall eine wertvolle Freundin.

»Nun, ich denke, dass mein Vater ein paar mehr ehemalige Bewohner mitbringen wollen wird. Da sollte eine mehr eigentlich kein Problem sein.«

Alina spitzte die Ohren, ihr Herz begann schneller zu schlagen.

Senan lächelte. »Die Prinzessin wollte, dass wir Eintrittsrecht für alle erlassen, die zu ihr gehören. Ihr scheint ihre Freunde zu sein, sonst wärt ihr nicht hier. Und ja, wir werden Leute brauchen, die sie beruhigen und ihr alles erklären, sobald sie aufwacht. Wir können euch beide sicher irgendwie nach Höhental bringen. Aber am besten nicht in eurer Drachenform, wenn es möglich ist.«

»Vielen Dank!«, sagte Alina.

»Ich bespreche mich kurz mit Cassia, dann müssen wir irgendwie eine Trage bauen, um Elyon sicher nach Höhental zu bringen. Wir treffen uns später wieder hier.«

»Wir werden auch etwas Kleidung brauchen«, erklärte Lenius. »Ich fliege ins Krankenlager und bringe Gilwa gleich mit.« Er wandte sich an Alina. »Kannst du hier bleiben und auf Elyon aufpassen?«

Sie nickte, dann kehrte Alina zu Elyon zurück und legte sich in ihrer Nähe hin. Ein warmes Drücken breitete sich in ihrer Brust aus. Es fühlte sich angenehm und beängstigend zugleich an. In der Ferne leuchtete ihr die rote Hochebene entgegen. Ihre Heimat. Sie würde zurück in ihre Heimat kehren. Es war kaum zu glauben.

»Alina?«

Sie blinzelte und musste sich dazu zwingen, ihre Augen von Höhental zu lösen, ehe sie sich Nevin zuwandte. Er hatte seine Lippen zu einem dünnen Strich gezogen und trug Sorgenfalten auf der Stirn.

»Ich muss meinen Vater treffen und werde euch wahrscheinlich nicht so leicht nach Höhental folgen können. Meinst du, sollte ich einen Brief an dich abschicke, er bei dir ankommt?«

»Ich werde das mit Senan und Kael besprechen. Ansonsten schicken wir jemanden zu dir, vielleicht Lenius?«

Nevin nickte, dann zog er eine goldene Münze aus seiner Tasche heraus und legte sie in seine Handfläche. Eine Krone war darauf zu sehen, oben und unten standen mehrere Initialen. »Das hier ist ein goldener Pass, der beweist, dass ein Mitglied aus der Kaiserfamilie ihn erlassen hat. Die Person, die ihn trägt, bekommt ohne Umstände Zutritt in den Palast. Nehmt dies mit, solltet ihr nichts von mir hören.« Die letzten Worte kamen nur in einem Flüstern heraus.

Als Nächstes löste Nevin einen Beutel von seinem Gürtel, legte die Münze hinein und band ihn um Alinas linke Vorderpfote.

Dann sah er seufzend zu ihr auf. »Bitte passt gut auf Elyon auf.«

Alina nickte und starrte den Beutel an. Ihre Kehle verengte sich und sie wünschte, er könnte hier bleiben und mit ihnen nach Höhental reisen. Das, was sie bis jetzt von seiner Familie mitbekommen hatte, versprach nicht, dass das nächste Treffen angenehm verlaufen würde.

Nevin lächelte traurig und hob winkend die Hand.

»Bis bald, hoffentlich.«

Alina starrte ihm und Dilek hinterher, die zu den zwei wartenden Drachen gingen. Schon bald waren sie oben in der Luft und flogen über den riesigen schwarzen Fleck, der sich von dem Drachen in der goldgrünen Steppe ausgebreitet hatte.

Seufzend sah sie sich in der Umgebung um. Alle waren abgeflogen. Lenius hatte auch Thian mit ins Lager genommen. Jetzt musste sie nur noch warten, dann würde auch sie bald aufbrechen. Das seltsame Gefühl von vorhin, verstärkte sich noch weiter und obwohl Alina eine trockene Kehle hatte, konnte sie sich nicht dazu bewegen, aufzustehen und zu trinken.

Ein Gedanke traf sie mit so viel Wucht, dass sie ihre Pfoten zusammenballte. Aiven. Sie würde ohne Aiven zurückkehren. Nicht mal seine Überreste konnte sie zu ihren Eltern bringen. Würde sie ihre Eltern sehen können? Was würde sie ihnen sagen? Wie konnte sie es ihnen beibringen?

Alinas Augen brannten, ihre Brust und ihre Eingeweiden zogen sich zusammen. Da hörte sie in der Ferne die Schreie von Feuervögel. Auf ihnen saßen Senan und Cassia, in Begleitung von dem verwandelten Lenius und Gilwa, stand Alina mit zitternden Beinen auf und trank ein letztes Mal, bevor sie Richtung Heimat aufbrach.