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13.3 Alinas Blut

Das prunkvolle Zimmer stand den anderen Räumen, die Alina bis jetzt gesehen hatte, in nichts nach. Weiße Wände, mit goldenen Ranken verziert. Hohe Glasfenster, mit blau schimmernden Vorhängen. Ein Teppich mit gewebten Blumen, so detailgetreu, dass sie fast echt aussahen.

»Komm rein. Lass dich nicht von dem Prunk ablenken. Ich muss den wahren, damit ich als König ernst genommen werde.« Demian ging an das große Himmelbett, das links an der Wand stand und legte Elyon vorsichtig auf die blaue Decke. Dann streckte er alle zehn Finger aus. Ein modriger Duft breitete sich im Zimmer aus. Demians Fingernägel wuchsen und spitzten sich nach vorne zu. Mit seinen Krallen fuhr er durch die schwarze Masse, die Elyon gefangen hielt, als wäre es Butter.

»Was ist das?«

»Ich nenne es meinen schwarzen Schlack. Ziemlich nützlich, das Zeug. Ich bin vielleicht nicht der größte Drache, aber ich kann es, dank meiner Fähigkeit, selbst mit jemanden von Lenius' Kaliber aufnehmen.« Er warf die schwarze Masse zur Seite und fuhr seine Krallen zurück. Danach zog er das Bett von der verzierten Wand ein Stück weg.

»Alina, kannst du mir bitte die Seile bringen? Die auf dem kleinen Tisch, vor dem blauen Sessel.«

Alina ging auf den hellen Holztisch zu, doch beim Anblick der vielen Seilstücke, wich sie wieder einen Schritt zurück und drehte sich zu Demian um. »Warte, was hast du vor?«

»Sie an das Bett festbinden. Sie wird in Panik verfallen, wenn sie zu sich kommt. Ich will nicht, dass die Prinzessin sich selbst, oder andere verletzt«, erklärte er ruhig.

»Bist du dir sicher, dass es nötig ist?« Zögernd trat sie wieder auf den Tisch zu.

Demian nickte seufzend, während er Elyons Beine auseinander rückte.

»Die Prinzessin ist ... manchmal etwas wild.«

Alina dachte an das Knurren, dass sie schon mehrmals gehört hatte. Sie bekam allein beim Gedanken eine Gänsehaut, weil es so sehr einem Hundeknurren glich. Als sie die Seile ans Bett brachte, lag Elyon mit Beinen und Arme von sich gestreckt da. Blass wie eine Leiche. Die einzige Bewegung ihres Körpers war das Heben und Senken ihrer Brust.

»Kannst du bitte ihre Knöchel an die Bettpfosten binden?«

Nur zögernd nahm Alina zwei Seilstücke, um Demians Bitte zu folgen. Ein mulmiges Gefühl rumorte in ihrem Magen, während sie Elyon an das Bett fesselte.

Als sie fertig waren, betrachtete Demian nachdenklich ihr gemeinsames Werk. Der Anblick war schrecklich. Am liebsten hätte Alina sie wieder losgebunden.

»Das sollte reichen.« Demian legte eine Hand auf Alinas Schulter. »Lass uns in dein Zimmer gehen. Dort können wir ungestört reden.«

Sobald sie das andere Zimmer betraten, zog Demian an einer Schnur, die von der Wand herab hing. Sie war oben unterhalb der Decke festgemacht worden und lief in ein kleines Loch hinein. Neugierig starrte Alina auf das seltsame Konstrukt und wartete ab, was geschehen würde.

»Setz dich ruhig. Ich lass uns ein paar Erfrischungen bringen.« Demian zeigte auf die zwei Sessel, die vor den hohen Zimmerfenstern standen. Wenig später klopfte es an der Tür und ein Diener trat, mit einer besonders tiefen Verbeugung ein.

»Eure Majestät, wie kann ich Euch dienen?«

»Wir hätten gerne ein paar Erfrischungen.«

»Jawohl, Eure Majestät.« Nach einer weiteren Verbeugung, waren sie wieder allein und Demian ließ sich auf den gegenüberliegenden blauen Sessel mit einem lauten Seufzen fallen.

Für einen Moment sagte Alina nichts. Dann lehnte sie sich nach vorne und fragte mit einem ungläubigen Kopfschütteln: »Wie um alles in der Welt bist du König geworden?«

Demian lächelte traurig.

»Ich bin vor anderthalb Jahren hierhergekommen, nachdem ich mich einer Drachenbande angeschlossen hatte. Da Siegenshafen so ein großer Handelspunkt ist und keine andere Stadt so eine dichte Bevölkerung hat, fällt man als Ausländer und damit auch als Drache nicht so schnell auf. Ich habe es geschafft eine Anstellung auf dem Schloss zu bekommen und innerhalb eines Jahres bin ich zu dem engsten Berater des ehemaligen Königs aufgestiegen.« Mit einem entfernten Blick, starrte Demian auf die Decke, als würde sich dort alles abspielen, was er Alina erzählte.

»Mein Ziel war es, den König zu überzeugen sich für den Schutz der Drachen einzusetzen. Leider sind er und seine Familie vor kurzem in einem tragischen Unfall ums Leben gekommen. Niemand von den Thronfolgern ist übrig geblieben und da ich am besten mit den Angelegenheiten von Siegenshafen vertraut bin, wurde ich sozusagen zum Ersatzkönig ernannt. Und somit konnte ich die Tore von Siegenshafen für alle Drachen des Landes öffnen, um ihnen Schutz zu bieten. Du hast sicher schon mitbekommen, dass der Kaiser die Jagd auf Drachen erlaubt und sie sogar fördert? Viele werden für ihr Blut eingefangen, um Heiltränke herzustellen. Andere werden getötet, um aus ihrem Fell und Knochen Kampfausrüstungen herzustellen. In Siegenshafen habe ich all das strengstens verboten.«

»Und die Bewohner haben es einfach so akzeptiert? Obwohl du selbst ein Drache bist?«

Demian lächelte wieder.

»Nun, die meisten Einwohner wissen nicht, dass ich ein Drache bin. Wir halten es gerade unter Verschluss, bis ich meine Regierung gefestigt habe. Und Elyon ist ein wichtiger Schlüssel dabei.«

Alina ließ sich in die weiche Sessellehne zurückfallen, während sie versuchte dies alles zu begreifen. Dass Demian König war. Und am Leben. In einem Schloss wohnte, und über Menschen regierte.

»Wie kann Elyon dir dabei helfen?«

»Zum einen besitzt Prinzessin Elyon beeindruckende Fähigkeiten. Hat sie dir erzählt, dass sie als Kind eine Zeitlang unter Wölfen aufgewachsen ist?«

Alina schüttelte den Kopf. Es war überraschend, doch es erklärte einiges.

»Ist sie. Neben ihren Kampf- und Überlebensfähigkeiten, versteht sie viel von Tieren und kann die gefährlichsten Biester zähmen, die du dir vorstellen kannst. Raubtiere, Greifvögel, Falken, Schlangen. Keiner versteht wie, doch selbst Drachen scheinen kein Problem zu sein." Demian rieb sich in seine Überlegungen das spitze Kinn. „Und sie besitzt wertvolles Wissen. Wissen über den Fluch und wie man ihn aufhalten kann. Oder zumindest unter Kontrolle bringen. Ich wollte ihr dafür meine Hand anbieten, auch um sie von ihrem grausamen Vater zu befreien, doch das ist nicht mehr nötig, da sie ihm selbst entkommen ist.«

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»Heiraten? Bist du in sie verliebt?«, fragte Alina überrascht.

Demian lachte leise. Doch sein Blick vereiste sich. »Nein. Wenn man König wird, muss man solche Sachen hinter sich lassen. Und wenn ich sie nicht unter meinem Schutz bringe, wird der Kaiser die Prinzessin an sich reißen. Ich weiß noch nicht genau warum. Irgendetwas muss sie wissen oder haben, das für ihn wertvoll genug ist, um sie mit seinem Thronfolger zu verheiraten.« Demian ballte die Fäuste. »Der Kaiser ist gegen uns. Und wird jedes Mittel einsetzen, um uns auszurotten. Deswegen ist es sicherer für uns, die Prinzessin hier zu behalten.«

Alina schwieg wieder, während sie den Sinn hinter seinen Worten zu verstehen versuchte. Politik war schon kompliziert genug in Höhental. Sie wusste über das Kaiserreich Rovis nur, dass es einen Kaiser hatte, der über alle anderen stand. Und jeder Kaiser hieß Rovis. Wie das Land. Warum es so viele Könige gab und was sie überhaupt für eine Rolle spielten, konnte sie noch nicht nachvollziehen. Doch Demian schien große Hoffnungen in das dunkelhaarige Mädchen zu legen. Ein anderer Gedanke kam in ihr auf. Etwas, das Gilwa erwähnt hatte.

»Willst du gegen den Kaiser kämpfen?«

Demian stutzte, dann lehnte er sich zurück, beugte den Arm, der auf der Armlehne lag und bettete den Kopf in seine Hand.

»Wie kommst du darauf?«

»Ich glaube, dass Gilwa so etwas erwähnt hat. Und, dass du Drachen sammelst?«

»Du meinst den kleinen Jungen? Du solltest nicht alles glauben, was er von sich gibt. Kleine Kinder missverstehen oft die Dinge, über die wir Erwachsene sprechen. Ich bitte Drachen sich mir anzuschließen, um unser Königreich gegen den Kaiser zu verteidigen. Im schlimmsten Fall. Doch ich hoffe, dass ich mit Kaiser Rovis zu einer friedlichen Vereinbarung kommen kann, was die Drachen anbelangt. Wie gesagt, spielt Elyon dabei eine große Rolle.« Demian blickte in die sanften Sonnenstrahlen hinein, die durch das Fenster schienen und ihn in goldenes Licht hüllten.

»Alina, bist du mit ihr befreundet?«, fragte er nach einer Weile.

Alina seufzte. »Ich glaube nicht, dass sie mich als Freundin sieht. Sie hat mich verletzt und bewusstlos gefunden und mich gepflegt. Sie hat mir auch geholfen, wenn der Fluch mich ... du weißt schon. Aber sie redet kaum mit mir. Ich wusste noch nicht mal ihren echten Namen.«

»Prinzessin Elyon konnte es natürlich nicht riskieren, dir etwas von ihrer Herkunft zu erzählen. Doch wenn ich das richtig verstehe, redet sie allgemein nicht sehr viel und nur sehr gebrochen. Muss etwas mit ihrer Zeit in der Wildnis zu tun haben. Doch die Tatsache, dass sie so lange an deiner Seite geblieben ist, sollte für ihre Gunst zu dir sprechen. Kann ich, wenn ich später mit der Prinzessin spreche und Schwierigkeiten haben sollte, um deine Hilfe bitten? Nur falls sie mich wirklich gar nicht anhören will.«

»Ich kann es versuchen.«

Demian lächelte, stand auf und drückte im Vorbeigehen Alinas Schulter.

»Danke. Ich muss mich jetzt mit Lenius treffen. Mein Diener sollte bald wieder da sein. Solltest du noch irgendetwas brauchen, wird er sich darum kümmern. Wir sehen uns später.«

Alina verabschiedete sich und blieb nachdenklich sitzen. Sie konnte es immer noch kaum fassen, dass Demian tatsächlich ein König war. Wenn Tessa und Aiven davon erfahren sollten. Alina seufzte schwer, als sie die seltsame Leere im Zimmer spürte. Sie hatte noch nie ein Zimmer für sich alleine gehabt. Sie hatte sich immer eins mit Aiven geteilt. Und später mit den anderen Wächterinnen in Ausbildung. Eine neue Idee blühte in ihr auf. Wenn Demian nun König war und Macht besaß, konnte er doch sicher dafür Sorgen, dass sie ihre Familie wieder sahen. Vielleicht sogar Aiven und Tessa hierherholen lassen!

Jemand klopfte an der Tür und Alina schreckte auf.

»Herein?«

Der Diener kam zurück und stellte ein Tablett mit Getränken und kleinen, goldene Gebäckstücken auf den Tisch, die wie kleine Kuchen aussahen.

»Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?«

Alina dachte kurz nach. Sie hatte keine Lust alleine im Zimmer zu sitzen und Gebäck zu essen.

»Ja, ich möchte zu den Schlafsälen der Drachen gebracht werden. Ich suche nach einem kleinen Jungen namens Gilwa, der ebenfalls ein weißer Drache ist.«

»Jawohl, wenn Ihr mir bitte folgen würdet.« Der Diener hielt ihr die Tür auf.

Statt sich weiter den Prunk jedes Zimmers anzuschauen, behielt Alina jetzt, wo sie in Gegenwart eines Fremden war, ihren Blick auf den Boden gerichtet. Als sie wieder zurück in der Eingangshalle war, wurde sie der Führung eines anderen Dieners übergeben, der sie nach draußen, zu einem großen Gebäude, im hinteren Teil des Schlosses führte.

Sie betrat den großen halbdunklen Saal, der sie wegen des knarzenden Holzbodens an ihren eigenen Schlafsaal im Wächterdorf erinnerte, während der Diener draußen auf sie wartete.

Gilwa saß im hinteren Teil des Raums, zusammengekauert auf einem Bett, mit einer sehr dünnen Matratze belegt. Als sie näher kam, hörte sie leises Schluchzen.

»Gilwa? Was ist passiert?«

Der kleine Junge schreckte auf, doch als er sie erkannte, warf er die Arme um ihre Hüfte und ließ seinen Tränen freien Lauf.

»Lenius ist weg!«, jammerte er. „Ich durfte nicht mit. Und jetzt bin ich hier alleine. Ich will zurück zu unserer Burg."

Alina setzte sich neben ihm aufs Bett und drückte ihn fest an sich. Dunkel kamen ihr Demians Befehle im Hof wieder in den Sinn. Er hatte mit Lenius alleine sprechen wollen. Es hatte bestimmt etwas mit Elyon zu tun.

»Ich mache dir einen Vorschlag. Wir gehen zusammen zurück in mein Zimmer. Dort kannst du warten, bis Lenius fertig ist mit seiner Besprechung. Was hältst du davon?«

Mit einem lauten Schniefen sah er zu ihr auf. »Aber was, wenn er heute nicht mehr zurück darf? Was wenn er ohne mich wieder wegfliegen muss?«

»Dann kannst du in meinem Zimmer übernachten. Elyon schläft ganz in meiner Nähe. Wir können sie später besuchen, ja?«

Gilwa nickte und wischte sich die Tränen von den geröteten Wangen. Immer noch leise schluchzend, hob sie ihn aus dem Bett und trug den Jungen mit sich nach draußen in den Hof.

Wieder spürte sie ein mulmiges Gefühl in ihrem Magen. Es war hartherzig, den Jungen von Lenius zu trennen, doch sicher hatte Demian einen guten Grund dafür. Ihre Familie und all ihre Bekannten liebten ihren Cousin für seine besondere Freundlichkeit und Fürsorge. Aber als König hatte er sicher viel zu tun und konnte nicht mehr so sanftmütig wie früher sein.

Als sie mit Hilfe des Dieners, den Weg zurück in ihr Zimmer fand, fragte sie nach Elyon.

»Sie ist immer noch bewusstlos. Doch sobald sie aufwacht, wird König Demian nach ihr sehen.«

Das mulmige Gefühl stieg weiter an. Alina stopfte es mit Kuchen und lenkte sich ab, in dem sie mit Gilwa in ihrem riesigen Schlafzimmer Verstecken spielte.