Etienne seufzte, sah zur Wand und schien nachzudenken. Auch Meta versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. Gab es etwas, was sie Etienne raten könnte?
„Was machst du eigentlich hier? Lernen?“, fragte Etienne dann plötzlich, drehte die Bücher zu sich um und bedachte den Einband.
Meta zögerte unwohl. Sie wollte das Gespräch nicht wieder auf ihren Vater lenken. Wollte diesen Teil ihres Seins aus der Aufmerksamkeit anderer Menschen verstecken, bis es so sehr in Vergessenheit geriet, dass sie behaupten könnte, jemand anderes zu sein. Aber Etienne war ehrlich zu ihr gewesen. Also versuchte sie es auch.
„Ich will etwas über die Shurkiyaa-Spiele herausfinden“, sagte sie vorsichtig. Etienne hob überrascht die Brauen und Meta führte weiter aus, „Mein Vater war scheinbar dort.“
„Ah, ich verstehe. Denkst du, er wurde von jemandem angestachelt?“, fragte sie.
Nun war es an Meta überrascht zu sein, „Wie kommst du darauf?“
„Die Spiele, die der Welt gezeigt werden, sind überdramatisiert und dienen nur zur Unterhaltung. Natürlich werden auch sie ernst genommen, aber bei weitem nicht so sehr, wie die, welche hinter den Kulissen stattfinden.“
„Hinter den Kulissen?“, fragte Meta nach.
„Es finden so zusagen zwei Spielreihen parallel statt. Die Öffentlichen sind klar geregelt, werden intensiv geplant und jeder Mensch der Welt kann an diesen teilnehmen. Die anderen haben einen streng geregelten Zugang. Nur eingeladene Menschen dürfen dorthin, was sich meistens auf einflussreiche Personen der Städte beschränkt. Diese sind … brutaler. Sie spielen um Einfluss und Macht und um die Position der Vorherrschaft.“
„Ich verstehe nicht“, sagte Meta, „Was heißt das?“
„Sie wetten in verschiedenen Spielen um alle möglichen Inhalte. Beispielsweise, um die Herrschaft über eine Mine, ein Gebiet, um einen Posten in der Regierung, um die Aufteilung der Reviere, um magische Gegenstände und Reliquien. Es geht so weit, dass sie Konkurrenten auf diese Weise loswerden, sie in ihre Abhängigkeit zwingen oder ganze Familien übernehmen.“
Meta sah sie ungläubig an, „Und das machen die freiwillig mit?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Keiner geht auf diese Spiele ein, wenn derjenige nicht bereit ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Oder das seiner Geliebten. Es gibt eine Geschichte, dass das Oberhaupt der Familie Sceice seinen ältesten Sohn eigenhändig getötet hat, weil es das war, was sein Konkurrent verlangt hat. Dadurch hat er das Spiel gewonnen, sowie Wohlstand für die nächsten Jahre, da alles, was sein Konkurrent, ein Nachbar, besessen hat, in seine Hände gefallen ist. Ein Sieg mit hohen Kosten. Diejenigen, denen das Ausmaß der Preise nicht klar ist, werden mit Haut und Haar gefressen.“
Meta sah sie sprachlos an. Die Familie Sceice sagte ihr nichts. Der Rest jedoch verunsicherte sie noch mehr. Sie hat die Information aufgenommen, aber ihr Kopf verstand es nicht.
„Was hatte mein Vater dort verloren?“, fragte sie dann mit zittriger Stimme, „Um Himmels Willen, worum hat er gewettet?“
„Wahrscheinlich um die Überreste des Crawlings“, sagte Etienne, „Die sind mal eben nicht einfach so zu finden, erst recht nicht in der Nähe von so viel Wasser. Sie hassen Wasser. Oder er hat um den entsprechenden Zauber gewettet. Interessanter wäre, was sein Wetteinsatz war.“
Meta ließ sich in den Stuhl zurückfallen. „Woher weißt du das alles?“
Etienne zuckte grinsend mit den Schultern und schob den Kater hoch, „Catjill weiß es auch. Siehe in dir an, wie er hier faulenzt, anstatt mit ein paar Informationen herauszurücken.“
„Wieso sollte ich an diesem langweiligen Gespräch teilnehmen? Ihr Mensch simuliert das, was magische Wesen von Natur aus können, nur mit erbärmlichen Einsätzen.“
Etienne zuckte wieder mit den Schultern und sah zu Meta. Ihr Gesicht war eine belustigte Miene, wahrscheinlich über Catjill, und Meta konnte nicht nachvollziehen, wie sie bei diesem Wissen so locker sein konnte.
„Was, wenn der König von Vheruna um seinen Posten wettet. Könnte dann jemand aus den Petyrer oder den Mandragonrys Vheruna übernehmen? Oder ein namenloser, irgendjemand, den niemand kennt?“
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Etienne hob die belustigt die Brauen und Meta sah es als ein Ja an.
„Deswegen wettet auch keiner darum. Und deswegen versuchen viele Menschen dafür zu sorgen, dass die anderen um etwas Wichtiges wetten. Die wirklichen Spiele fangen viel früher an, hinter den Kulissen, in welchen die Weichen gelegt werden, um seinen Gegner in die richtige Position zu bringen. Wenn du es schlau anstellst, ändern sich auf einen Schlag die Gegebenheiten der Welt. Und das ist auch der Grund, weshalb du bei den falschen Büchern suchst. Die Shurkiyaa-Spiele an sich sind so zentral, dass deren Bedeutung nicht in einem Kapitel eines Buches über das dunkle Jahrhundert abgehandelt werden kann.“
„Kannst du mir ein anderes Buch nennen?“, fragte Meta. Etienne zögerte und dieses Zögern ließ Meta nervös werden. Dann seufzte Etienne und fuhr sich mit der Hand über das Haar. Ihre Augen wanderten in die Ecke des Zimmers und das Gesicht verdüsterte sich.
„Ganz ehrlich. Lass es“, sagte sie. Meta zuckte bei der direkten Abweisung zusammen, „Das sind weder Orte noch Menschen, mit denen du etwas zu tun haben willst. Sie fressen dich mit Haut und Haar.“
„Ich hab nicht vor, dorthin zu gehen“, verteidigte sich Meta.
„Wenn du herausfinden willst, was dein Vater dort getrieben hat, dann wird es zwangsläufig darauf hinauslaufen“, erwiderte Etienne und Meta zögerte. Aber nein, dafür war sie zu scheu, das würde sie sich niemals trauen.
„Und ich kann dir wirklich nicht empfehlen, dorthin zu gehen.“
„Würde ich denn überhaupt so weit kommen?“, fragte Meta anschließend belustigt, „Wahrscheinlich würde ich nicht einmal die offiziellen Spiele schaffen.“
Etienne stand auf und deutet ihr, dasselbe zu tun. Verwirrt folgte Meta ihrer Aufforderung, packte schnell die Bücher ein, welche sie zu Hause noch etwas näher untersuchen wollte.
„Theoretisch hättest du als Verwandte eines Herrschers Zugang. Und wahrscheinlich würden sie dich auch teilnehmen lassen, wenn auch nicht zu denselben Bedingungen, wie die wirklich einflussreichen Menschen.“
Meta folgte Etienne hinaus aus der Bibliothek und dann gingen sie schnell um einige Gänge. Etienne beschleunigte ihren Gang, bis Meta nach einigen Kurven ganz außer Atem war.
„Warte!“, rief sie dann aus und stellte fest, dass nach zehn Minuten des Laufens an einer anderen Bibliothek herausgekommen waren.
Etienne sah sich um und dann zufrieden zu Meta, „Lies besser hier drin. Und wie traurig wärst du, wenn das Schauspiel nicht stattfinden würde.“
„Wie meinst du das?“, fragte Meta überrumpelt.
„Also, wenn es abgesagt werden würde“, konkretisierte Etienne.
Meta dachte einige Momente nach, schien jedoch nicht zu verstehen, was Etienne damit meinte. Bis in ihr langsam eine unangenehme Vermutung aufstieg.
„Etienne? Was hast du vor?“
„Noch gar nichts“, sagte diese, „Ich habe mich durch unser Gespräch nur wieder daran erinnert, dass ich deutlich weniger bei dem Ganzen hier zu verlieren habe, als Raffael. Und wenn alles andere ganz schieflaufen sollte, dann habe ich genauso eine letzte Möglichkeit, wie er.“
Meta drückte die Tasche an ihre Brust, „Vielleicht solltet ihr euch überlegen, euch wieder zu vertragen?“
Sie hatte es deutlich mehr gemocht, als die beiden in ihrem alten Haus zusammengearbeitet hatten. Und diese Situation fühlte sich außer Kontrolle an. Vielleicht sollte sie wieder nach Hause gehen und morgen schauen, was bei dem Ganzen herausgekommen ist? Dann wanderten ihre Gedanken zu Anjelika. Sie schuldete Anjelika nichts, aber ihre Zukunft zu sabotieren, fühlte sich einfach furchtbar falsch an.
„Nun… mich würde es nicht stören, ich hätte dann mehr Zeit für andere Dinge … aber…“
„Keine Sorge“, sagte Etienne lächelnd, „Das wird nur der absolute Notfallplan. Was nicht bedeutet, dass ich ihn damit nicht etwas bedrohen werde. Aber noch ist das nicht notwendig. Zuerst werde ich Mirtin finden.“