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Calisteo - Stadt der Geister [German/Deutsch]
Kontrahenten: Ein Sprung in die Verwirrung

Kontrahenten: Ein Sprung in die Verwirrung

Ihr Herz pochte. Die Krallen ihres Djinn schnitten ihr in die Schulter. Ganz hinten in ihrem Kopf meldete sich ihre vernünftige Stimme und sagte ihr, dass er wahrscheinlich furchtbar Stolz mit seiner Leistung war und deswegen ganz erfreut seine Krallen ein- und ausfuhr. Aber Etienne fürchtete sich. Die kalte Angst ließ sie in Schweiß ausbrechen. Dieselbe Angst war auch bei Anaki zu sehen, welcher immer wieder mit großen Augen zu Catjill sah, mehrmals verwirrt blinzelte und dann wieder wegsah. Nur um dann erneut alarmiert wieder zu ihm zu blicken.

Magie, rief sie sich ins Gedächtnis, wiederholte das Wort wie ein Mantra, versuchte sich wieder aus dem Bann zu ziehen.

Catjill hatte den Menschen nicht unbedingt gezeigt, wie gefährlich er war, aber er ließ sie dennoch um ihr Leben zittern. Die meiste Zeit über war er still und ruhig gewesen. War von zu neugierigen Blicken und Fragen abgeschirmt, hatte dafür gesorgt, dass er nicht zu viel Aufmerksamkeit bekam. Was, wenn es zu viel gewesen war? Wenn es jetzt in ihren Köpfen zu rattern anfangen würde, sich langsam ihre Gedanken durch die Magie kämpften, dann könnten sie plötzlich zur Realisation kommen, dass es sich wahrhaftig um einen Djinn handelte. Sie würden verstehen, was für ein besonderes Wesen er war, anstatt sich einfach nur damit zufriedenzugeben, dass es sich um ein Anhängsel von Etienne handelte.

„Was zum Teufel,-“, spuckte Anaki atemlos aus. Er beendete den Satz nicht und sah dann zu dem Djinn an ihren Schultern, welcher weiterhin Stolz und Selbstzufriedenheit ausstrahlte. Neben der Angst setzte nun Panik bei Etienne ein.

„Was genau hat Halil gegen dich?“, fragte sie ihn schnell, versuchte seine Aufmerksamkeit von dem Djinn abzulenken, damit sein Zauber wieder subtil zu wirken anfing.

„Was?“, fragte er und sein panischer Blick wanderte wieder zu ihr, schien seine Schmerzen für einen Moment vergessen zu haben.

„Ich hätte nicht gedacht jemanden an dieser Schule zu treffen, der so schnell und agil scheint“, plapperte sie los, „Und mit so jemandem hast du einen Streit? Und wieso hat die Lehrerin sich nicht eingemischt? Und wieso kam Halil heute zu dir?“

Sie bombardierte ihn mit Fragen und merkte, wie er langsam sich mehr und mehr auf ihre Stimme konzentrierte. Sein Blick wurde wieder etwas klarer. Seine Hände zitterten weniger, die Atmung beruhigte sich. Der künstlich erzeugte Schleier der Angst, welcher sich um sie alle gelegt hatte, wurde langsam ersetzt durch den Schleier der unfreiwilligen Ignoranz und Ahnungslosigkeit. Sie würden ihn bald vergessen. Und auf einen Schlag war sie so glücklich darüber, dass Raffael nicht anwesend war. Etienne war sich wirklich nicht sicher, ob er es wieder vergessen würde, nicht bei seinen stetig prüfenden Blicken.

Anaki stöhnte plötzlich schmerzerfüllt auf, als sie die Treppenstufen hinunterstiegen. Etienne sah besorgt hinter sich, aber die Klassentür war noch geschlossen. Ihr Hirn fing wieder zu funktionieren an. Sie sollten schnell weg, bevor Halil ebenfalls zu sich kam.

Schnell und besorgt, half sie Anaki hinunter. Auf dem Weg zur Krankenstation, von denen es, wie sie erfahren hatte, ganze vier gab, begegneten sie anderen Schülern und neugierigen Blicken. Einer fragte Anaki sogar lachend, ob er sich wieder mit Halil angelegt hatte, woraufhin Anaki nur ein müdes Lächeln zustande brachte.

„Scheinen ja alle zu wissen, worum es geht“, meinte Etienne dann. War das ein seltsames Spiel zwischen ihnen, von dem alle wussten und sich deswegen nicht einmischten?

Ein schwaches Seufzen und dann eine leise Antwort, „Ich hatte noch nie mit jemandem aus der Schule einen Streit. Aber als ich dann doch einen hatte, habe ich mir natürlich den besten Gegner herausgesucht.“

„Könnt ihr euch nicht einfach wieder vertragen?“, fragte Etienne.

Ein Husten, noch mehr schmerzerfüllte Blicke. Anaki hielt sich weiterhin die Seite, lief gekrümmt, „Er will sich nicht vertragen.“

Etienne blickte besorgt zu ihm und wechselte dann das Thema, indem sie auf die Stelle deutete, wo er ihn geschlagen hatte, „Wie schlimm ist das?“

Er antwortete ihr nicht. Dann sah er tadelnd zu ihr, „Ich weiß, ich hab gesagt, mit dir wurde heute genug geschimpft, aber ich habe hierzu meine Meinung geändert.“

Sie hörte die Glocke klingeln, welche das Ende der Pause ankündigte. Etienne hoffte, dass wenn sie in die Klasse zurückkehrte, dort keine weiteren unangenehmen Überraschungen auf sie warten würden.

Also war es an der Zeit, Anaki loszuwerden, erst recht, wenn er wütend sein wollte.

„Ich bin immer noch der Meinung, dass es genug war.“

Er lächelte leicht, „Du bist in der neutralen Provinz, oder? Überlege dir vielleicht für die Dauer deines Aufenthalts die Provinz zu wechseln. Halil wird dich nicht belästigen können, wenn du in einer anderen bist.“

Etienne lachte, „Das werde ich definitiv nicht tun. Sonst muss ich einem von denen noch Frage und Antwort stehen.“

„Besser, als von Halil zusammengeschlagen zu werden“, sagte Anaki.

Etienne dachte nach. Dachte dann daran, wie es wäre, in Raffaels Provinz zu sein. Oh, er würde sie sicher drangsalieren mit seinen besserwisserischen Vorstellungen von dem, was sie tun und lassen sollte. Ihr Herz fing schnell zu schlagen an, als ihr eine andere Sorge bewusst wurde. Raffael würde wütend werden.

„Nein“, sagte sie, „Das ist auf alle Fälle ein Nein.“

„Dann hättest du dich nicht einmischen dürfen! Wie die anderen auch.“

Er ächzte und legte sich die Finger an den Nasenrücken. Sie war sich nicht sicher, aber sie glaubte, diesmal lag es mehr an ihr, als an seinen Schmerzen.

„Nun ist es eh egal. Es ist schon passiert“, sagte Etienne, während sie langsam zu der Tür des Krankenzimmers kamen.

Er wird wütend werden, dachte sie erneut, Raffaels Gesicht vor ihren Augen. Sie hatte ihm zugesichert keinen Ärger zu machen. Und es hat nicht einmal einen Morgen gedauert.

Sie lächelte Anaki so breit an, wie es ging, „Mal abgesehen davon, kann ich gut auf mich aufpassen.“

Er seufzte schwer und verzog dann vor Schmerz das Gesicht.

„Gut, genug davon. Lass uns schnell reingehen“, sagte Etienne und öffnete dann die Tür zu dem Krankenzimmer. Es roch nach Desinfektionsmittel und Brokkoli.

Ein sehr nett aussehender Mann drehte sich vom Schreibtisch zu ihnen um, schluckte sein Essen hastig hinunter, während er seine Brille aufsetzte. Er erblickte zuerst zu Etienne, welche hineinging und inspizierte die blauen Flecken und Verbände, welche sie vom Vortag hatte. Dann wanderte sein Blick zu Anaki und Etienne konnte es ihm ansehen, dass er genau zu wissen schien, was vorgefallen war.

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Etienne hatte Catjill zurück zu Tatinne geschickt und war wieder vorsichtig in die Klasse gegangen. Die Gedanken um Raffaels Wut, dessen Zeuge sie in Tatinnes Küche geworden war, kreisten in ihrem Kopf.

Erleichtert hatte sie festgestellt, dass Halil nicht mehr da war und Warlen ihren Unterricht führte. Die Nervosität war der älteren Frau anzusehen, doch sie kommentierte es nicht, dass der kleine Djinn nicht mehr da war. Nach einem zögerlichen Momente hatte sie Etienne strahlend begrüßt und während die anderen ihre Arbeit fortgeführt hatten, hatte sie sich zu ihr gesetzt und war mit ihr gemeinsam die Themen durchgegangen. Etienne hatte betrübt feststellen müssen, deutlich mehr abverlangt wurde, als sie es sich je hätte vorstellen können. Es war ein Zusatzfach. Nichts, was wirklich wichtig war. Aber dennoch musste sie auch hier gute Leistungen erbringen und ihr entschloss sich nicht, wie sie diese alte Sprache in wenigen Wochen lernen sollte. Somit überdachte Etienne noch einmal ganz genau, ob sie sich ihr Verhalten bei O’Donnel weiter leisten sollte. Nicht, dass sie es doch irgendwie zu Stande bringen würde, sie vorher zu verbannen.

„Um Himmels willen, da liegt einiges an Arbeit vor uns“, hatte Warlen gesagt. Etienne hatte ihr entgegengelächelt. Trotzt dessen, dass sie kein Wissen in den alten Sprachen hatte, hatte sie erstaunlich viel Spaß daran, über sie zu lernen. Zu ihrem Glück, konnte sie eine besonders gut lesen, wenn auch nicht fehlerfrei sprechen. Diese hatte einen wichtigen Stellenwert in der Welt der Flüche und Zauber gehabt, sodass Etienne nie etwas anderes übrig geblieben war, als sie zu erlernen. Immerhin konnte sie hier Punkten. Jedoch nur, solange es im Zusammenhang mit den entsprechenden Themen war. Warlen hatte schnell ihr Interesse in diesem Bereich bemerkt und die anderen Themen vom Tisch gefegt. Warlen hatte sie anschließend alle früher entlassen. Scarlett hatte die Chance ergriffen und war sofort zu ihr gekommen. Etienne hatte noch einen Protest von Keyen gehört und dann war die Welt auf einen Schlag bunt, dann hell und dann verschwamm die Sicht. Übelkeit stieg in ihr auf. Sie rieb sich die Augen, während die Sicht langsam zurückkehrte. Etienne lächelte Scarlett unzufrieden an, „Eine Vorwarnung wäre ganz nett gewesen.“

Scarlett zuckte entschuldigend mit den Schultern, „Nur ein kleiner Nebeneffekt.“

„Wo sind wir?“, fragte Etienne.

„Im zweiten Gebäude der Schule.“

„Und wieso hast du mich hergeholt?“, fragte Etienne, während sie sich nun neugierig umblickte. Sie war nur daran vorbeigelaufen und Miss Arvon hatte ihr nicht viel dazu erzählt. Sie wusste nur, dass es hinter der Schule lag und ziemlich leer stand. Es sollten Renovierungen vorgenommen werden, diese wurden jedoch angehalten. Als Etiennes Blick sich langsam klärte, konnte sie die große Halle erkennen, welche von Plastikplanken und Gerüsten gefüllt war. Der Geruch von Putz erfüllte den Raum.

„Damit Halil nicht noch einmal hineinschneit und dich belästigt, nachdem du so erfolgreich seine Aufmerksamkeit von Anaki auf dich gelenkt hast. Und nach deiner seltsamen Aktion vorhin wird er zu tausend Prozent auf dich zurückkommen. Eher früher als später.“

Sie bedachte Etienne mit einem langen Blick. Die Übelkeit verschwand nach einigen Momenten und als Etienne ihren Blick erwiderte, sank sie nach einem Moment den ihren auf ihre Fingernägel.

„Was ist?“, fragte Etienne.

Scarlett sah wieder zu ihr und meinte dann lächelnd, „Ich mache mir langsam etwas Sorgen um dich. Erst Gilgian, nun Halil. Mir scheint, du bist ein Magnet für Menschen mit nervigen Eigenschaften.“

„Hat mit deinem Cousin angefangen“, erwiderte Etienne trocken. Zu ihrer Überraschung lachte Scarlett, „Das kann ich nicht leugnen. Muss fürchterlich gewesen sein, auf einmal drei Gestalten vor dir zu haben, welche etwas von dir wollen und die du noch nie zuvor gesehen hast.“

„Und noch dazu habt ihr mich bestohlen, das machte es deutlich schlimmer“, fügte Etienne hinzu.

Scarlett zuckte mit den Schultern und grinste dasselbe Grinsen, dass Etienne schon von Raffael kannte, „Zeig uns an.“

Ihr Handy klingelte und Scarlett versteifte sich für einen Moment und holte es dann seufzend hervor. Sie schaute aufs Display und schien nicht so recht zu wissen, was sie tun sollte.

„Ruft Raffael an, damit du ihm alles erzählen kannst?“, fragte Etienne lächelnd und spürte, wie etwas, was Angst ähnelte, in ihr hochstieg. Sie hatte erst am Vortag mit ihm darüber gesprochen und ihm versichert, keinen Ärger zu machen. Es wunderte sie nicht, dass sie das nicht einhalten hat können. Es war nur viel früher passiert, als sie gedacht hatte.

Scarlett blickte zögerlich zu ihr und drückte dann den Anruf weg, „Keyen hat ihn wahrscheinlich direkt angerufen, nachdem ich mit dir weg bin. Er wird immer so panisch. Ein Grund mehr für meinen kleinen Überfall. Er hätte uns sonst nicht gehen lassen.“

„Ist er so was wie dein Bodyguard?“

„Oh nein. Ich komme ganz gut alleine klar. Er ist eigentlich ein langjähriger Freund von uns. Wir wohnten früher Nebeneinander“, erzählte sie Etienne, „Ich will ihn nicht unnötig in das Ganze reinziehen. Er tendiert dazu, sich Hals über Kopf hineinzustürzen und keine Rücksicht auf sich zu nehmen.“

„Hat er euch dabei geholfen, den alten Herrscher zu stürzen?“, fragte Etienne. Tatinne hatte ihr erzählt, dass Raffael dies in wenigen Wochen geschafft hatte. Hatte aber nicht alle Einzelheiten herausgefunden, nur, dass Raffael einige Wochen zuvor die Ehefrau von Nexim aufgesucht hatte.

Scarletts Ausdruck versteinerte sich und Etienne merkte, wie die selbstsichere, ruhige Fassade bröckelte. Sie lächelte schief und ihr Augen wanderten von einer Ecke des Raumes in die andere. Etienne wunderte sich, ob Raffael mit seiner Machtübernahme zu konfrontieren zu derselben Reaktion bei ihm führen würde. Vielleicht sollte sie ihn damit bombardieren, bevor er die Möglichkeit bekam, sie in die Mangel zu nehmen.

Scarlett seufzte und rieb sich dann mit der Hand den Nacken, „Nein. Aber das ist eine lange Geschichte. Frag Raffael.“

Etienne lächelte und ließ ihre Augen im Zimmer wandern, damit sie sich nicht zu sehr von ihr eingeschüchtert fühlte. Ihre Stiefmutter hatte ihr das mal geraten, da sie der Meinung war, dass Etiennes Augen die Menschen zu sehr einschüchterten. Scarletts Augen waren im Vergleich zu ihren in einem dunklen, warmen braun. Sicherlich hatte sie nicht diese Wirkung auf andere.

„Was machen wir jetzt, nachdem wir hier gelandet sind?“

„Die Pause aussitzen. Wir könnten nach ganz oben aufs Dach gehen. Früher sind wir oft dorthin gegangen“, sagte Scarlett.

„Bekomme ich eine Führung?“, fragte Etienne lächelnd.

Scarlett lächelte und schien ihre Selbstsicherheit wieder zurückbekommen zu haben.

„Die Treppe hoch, dann den Gang links halten, dann nach rechts die Treppe nach ganz oben nehmen“, sagte Scarlett ihr aufgeregt.

„Ah ja?“, fragte Etienne verwirrt zurück. Scarlett trat nervös von einem Fuß auf den anderen.

„Ich bin noch etwas… desorientiert.“

„Ah“, sagte Etienne verständnisvoll. Der Nachteil des Raumspringens. Das erklärte auch, wieso Scarlett sich nicht von der Stelle gerührt hatte oder das sanfte Wackeln ihres Körpers von einer Seite zur anderen. Sie würde wahrscheinlich links und rechts nicht auseinanderhalten können. Oder oben und unten. Etienne konnte sich nicht vorstellen wie furchtbar sich das anfühlen musste, sich auf seine Orientierungssinne schlagartig nicht mehr verlassen zu können. Aber jede Magie, angeboren oder nicht, hatte einen Preis und dieser hier war Scarlett zugeschrieben. Und Scarlett schien die Nachteile gut aushalten zu können.