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Der Stolz Calisteos: Meta (2)

Etienne trat von hinten zu ihnen und riss ihm das Buch aus der Hand. Er fuhr erschrocken zu ihr herum, seine schwarzen Haare, welche zu einem Zopf gebunden waren, schlugen ihr beinahe ins Gesicht.

„Von wo zur Hölle kommst du her?“

„Aus diesem Gang dort hinter mir“, sagt sie. Dann wandte sie sich an Meta, „Ich habe dich schon gesucht. Ich hatte gehofft, wir könnten gemeinsam wieder hochgehen?“

Als sie den schmerzerfüllten Ausdruck in ihrem Gesicht sah, verspürte sie schlagartig das Bedürfnis, es zurückzuzahlen. Ihr Vater hatte ihr beigebracht, dass es immer ihre Pflicht war, die Schwachen zu beschützen. Es war eine kompromisslose Regel. Und dann setzte das schlechte Gewissen ein. Wenn sie vorher zu ihr getreten wäre, dann wäre sie jetzt nicht in dieser Situation.

Etienne lehnte sich zu Meta und flüsterte laut, „Vielleicht müssen wir uns dann nicht mit diesen Versagern abgeben?“

„Und wer zum Teufel bist du, um so mit mir zu reden?“, rief derjenige, der Meta am Haar hielt. Meta schlug seine Hand weg, doch er schien es nicht mal zu bemerken, als er sich an Etienne wandte. Einzelne Haare wurden zwischen seinen Fingern mitgezogen und fielen zu Boden.

„Ich bin Etienne“, antwortete sie ihm. Er hatte kein so langes Haar, wie der andere. Aber vielleicht konnte sie auch ein paar herausreißen? Und dann kam ihr eine bessere Idee. Vielleicht könnte sie einen Fluch weben, welcher ihn nach und nach die Haare verlieren lassen würde? Sie müsste vorher nur kalkulieren müssen, inwieweit sie sich das leisten konnte. Fluchfarbe war nicht günstig.

„Du schon wieder?“, rief Crom aus und trat zu ihnen nach vorne.

Froh über ein weiteres Opfer, schnappte Etienne theatralisch nach Luft, „Oh nein! Der nächste Versager tritt dazu.“

„Was wird das jetzt?“, rief Crom beleidigt aus.

„Ich spreche dich nur so an, wie du es verdient hast“, sagte Etienne lachend, „Wer hätte gedacht, dass Raffaels kleiner Freund sich zur Seite stellt, wenn eine junge Frau in Bedrängnis gerät. Vielleicht hast du es ja von ihm gelernt? Was sagt das nur über ihn aus?“

Crom bekam große Augen, „Er hat damit nichts zu tun. Und ich hab nichts gemacht!“

„Du hast ein schutzloses Mädchen zwei Jungen ausgeliefert. Das nennst du nichts?“, fragte sie.

Crom verzog das Gesicht, „Was kümmert die dich überhaupt?“

Etienne ließ ein strahlendes Lächeln raus, „Sie ist meine neue Klassenkameradin.“

Die Blicke wanderten zu ihrer Uniform. Es war kurz still, dann sprangen die drei Jungen vor sie, „Du bist die neue Schülerin?“

Etienne nickte.

Die Aufregung schien sie zu übermannen und die zuvor angespannte Situation war vergessen. Sie bemerkte, wie Meta sich vorsichtig und leise hinter sie stellte und Etienne verspürte bei dem plötzlichen Interesse ebenfalls das Bedürfnis, etwas zwischen sich und die drei zu bringen.

„Wie hast du den Test geschafft?“, fragte einer von diesen aufgeregt.

„Wie heißt du?“, fragte der Nächste, bevor Etienne auf die erste Frage antworten konnte. Crom stieß alle Drei beiseite, „Das ist nicht möglich, dass du schlauer bist als ich! Wie zur Hölle hat ein Idiot wie du es in die höhere Klasse geschafft?“

„Scheint, als wäre ich sehr viel schlauer als du“, erwiderte sie.

Crom verzog das Gesicht, „Das ist ein Witz.“

Raffaels Lachen erklang hinter ihnen, „Das dachte ich auch! War gerade auf der Suche nach dir, um die Neuigkeiten zu überbringen.“

Crom sah ihn aus großen Augen an. Die anderen Drei standen still hinter ihm. Einer blickte schuldbewusst zur Seite, die anderen zwei waren sichtlich glücklich, ihn zu sehen. Auch Etienne verspürte eine stille Erleichterung darüber, nicht mehr Fokus der Aufmerksamkeit zu sein.

„Was geht hier vor?“, fragte Raffael dann interessiert.

„Du hast sehr gemeine Freunde, Raffael. Du enttäuschst mich“, sagte Etienne, in voller Absicht ihm das Ganze in die Schuhe zu schieben. Crom wirbelte erschrocken zu ihr herum, ebenso wie einige seiner Klassenkameraden.

Etienne würde sich davon nicht ablenken lassen. Das war nun ihre Möglichkeit, einige Sachen wieder geradezubiegen. Anstatt nun sorgsam darauf zu achten, ihm fair zuzuhören, um vernünftige Gespräche zu führen, würde sie stattdessen auf Angriff gehen.

Er sah lächelnd zu ihr, „Wieso ich?“

„Weil es deine Freunde sind. Bist du auch ein Mädchenschläger? Oder schaust du dem gerne zu? Und dann auch noch der dreiste Diebstahl des Buches. Ah, ich sehe, daher auch der Diebstahl an mir.“

„Etienne, lass es“, hörte sie Meta hinter sich kaum zu vernehmen sagen.

„Davon ist überhaupt nichts der Fall!“, rief Crom aus.

If you spot this tale on Amazon, know that it has been stolen. Report the violation.

Raffael blinzelte sie verwirrt an und sagte ernst, „Ich hab noch nie jemand wehrlosen geschlagen. Ich schaue auch nicht dabei zu. Und ich stehle auch nicht.“

„Und ein gemeiner Lügner auch noch? Enttäuschend, wirklich enttäuschend.“

„Ich lüge nicht“, verteidigte er sich und grinste sie dann an, „Oder kannst du es beweisen?“

Anstatt es ihm zu erlauben, sie in die Verteidigungsposition zu bringen, ließ sie ihrer Kreativität freien Lauf, „Du hast meinen Stein gestohlen, also hast du gestohlen und somit bist du ein Dieb, so ist auch die Behauptung du würdest nicht stehlen eine Lüge, weswegen du auch ein Lügner bist.“

„Ich dachte wir sind uns einig geworden, dass ich den Stein ganz ehrlich erlangt habe?“, erwiderte er.

Etienne schnippte mit den Fingern, „Ich hab meine Meinung geändert.“

Sie hatte nach dem gestrigen Tag festgestellt, dass sie sich nur auf sein Spiel einlassen würde, wenn sie versuchte für Ordnung zu sorgen. Also hatte sie sich dazu entschlossen, das Chaos übernehmen zu lassen. Er könnte sie nicht an Verträge oder Versprechen binden, wenn sie ihm zeigte, dass er sich in diesen Fällen nicht auf sie verlassen konnte. Es war zwar in den heutigen Zeiten keine gute Taktik, sich als ein nicht zuverlässigen Partner zu etablieren. Aber das machte bei ihr keinen Unterschied mehr. Mal abgesehen davon, war sie kein Provinzherrscher. Er schon. Er musste zeigen, dass sein Wort galt. Sie nicht.

Raffael verzog das Gesicht, „So einfach funktioniert das nicht.“

„Natürlich. Ich habe gründlich darüber nachgedacht und das ist die einzig mögliche Schlussfolgerung.“

Catjill lachte.

Einer der Jungen schrie auf, „Der Kater lebt?“

Etienne kraulte den Djinn hinter dem Ohr, „Ja. Und er kann reden.“

Raffael seufzte, als Etienne lachte, „Los Meta. Gehen wir zurück in die Klasse.“

Damit drehte sie sich um und Meta folgte ihr, wobei sie sich hinter Etienne zu ducken schien.

„Was zur Hölle macht die hier?“, fragte Crom Raffael aufgebracht. Etienne konnte noch vernehmen, wie die anderen Schüler sich bei ihm entschuldigten und anfingen, die Situation zu erklären, bis sie um die Ecke gegangen waren und die Stimmen kaum noch vernehmen konnte.

„Ah, diese Schule ist ganz schön gefährlich“, meinte Etienne lachend zu Meta.

„Ich…danke“, sagte Meta leise.

Etienne drehte sich zu ihr und lief rückwärts, „Keine Ursache. Du kannst also Sanskrit lesen?“

„N-Nein. Ich versuche es zu lernen“, sagte sie scheu, „Ich hatte das Buch heute zum ersten Mal in der Hand.“

Etienne grinste und entschloss sich, ihr Wissen mit Meta zu teilen, „Oh da liegt aber ein langer Weg vor dir. Sanskrit ist sehr, sehr tot. Dafür, dass es eine Sprache der alten Welt ist, und ich meine die wirklich alte Welt, hat sie sich aber als erstaunlich hilfreich in der Neuen entpuppt.“

„Kannst du Sanskrit?“, Etienne stellte fest, dass es sie anscheinend viel Mut gekostet hatte, diese Frage zu stellen. Sie beäugte Meta wachsam und diese blickte wie ein scheues Reh zu ihr.

Etienne machte es ihr leichter und ließ etwas Raum, eher sie Antwortete, „Vielleicht ein bisschen? Meine Familie benutzt sie gerne, weswegen ich wohl hier und da ein Sonderfall bin, der etwas kann. Gibt es hier in der Schule Möglichkeiten, sie zu lernen?“

„Wir haben eine außerschulische Gruppe, welche diese Sprache lernt. Sie sind wirklich beeindruckend. Ich wünschte, ich könnte mit ihnen lernen. Sie machen das so einwandfrei“, sagte Meta lächelnd und Etienne freute sich, dass sie so sehr von dieser Sache gebannt war, dass sie ihre Angst langsam zu vergessen schien.

„Sicher, dass sie das so einwandfrei können? Habt ihr einen anerkannten Sanskritübersetzer hier?“, fragte Etienne.

Meta schien zu zögern und antwortete dann, „Nein. Zumindest niemanden, der von allen Städten anerkannt wurde. Aber wir haben einige Lehrer hier, welche auf dem Weg sind, die Anerkennung zu bekommen.“

„Ich bin gespannt, diese Lehrer mal kennenzulernen“, sagte Etienne, „Ich habe ein wirklich großes Interesse an den verschiedenen Sprachen.“

Meta lächelte sie schüchtern an, „Ich auch. Vor allem die alten Sprachen.“

Etienne lächelte zurück, überrascht von dem neu erkannten, gemeinsamen Interesse. Vielleicht könnte sie sich mit ihr austauschen? Außerhalb ihrer ganzen anderen Planungen. Die Klingel läutete. Sie betrat ihre neue Klasse.

Plötzlich krachte eine große Faust neben ihrem Kopf in den Türrahmen und sie sah eingeschüchtert in zwei argwöhnische goldene Augen.

„Was zur Hölle hast du bei meiner Schwester verloren?“, fragte Gilgian sie.

„Gilgian-“, begann Meta, welche sich noch schnell mit der Hand über die Haare strich, welche zuvor so grob gepackt worden sind.

Getrieben von ihrem Instinkt strahlte Etienne ihn mit ihrem breitesten Lächeln an und versuchte ihre Nervosität zu überdecken, „Sie ist meine neue Freundin! Ich würde mich auch so sehr freuen, wenn wir das auch sein könnten.“

„Was?“, fragte er stirnrunzelnd. Meta errötete leicht. Sie sah überrascht zu Etienne, hatte etwas hoffnungsvolles und verletzliches in ihrem Ausdruck.

„Auf die Plätze!“, schrie plötzlich eine Frauenstimme.

Etienne entdeckte am Pult eine sehr streng aussehende ältere Dame. Ihre scharfen Augen schienen Funken zu sprühen, als sie Etienne betrachtete, „Die Neue, nehme ich an? Etienne. Richtig?“

„Wow“, meinte Raffael, als er hinter ihr in die Klasse trat und Gilgians Hand neben Etiennes Kopf entdeckte.

Die Lehrerin betrachtete sie streng, „Auf die Plätze.“

Raffael grinste sie an, „Ganz ruhig.“

Etienne setzte sich neben Anaki, welcher sie besorgt betrachtete. Die streng aussehende Frau ließ sich über Raffael aus.

Während dem Unterricht überlegte sie sich, was ihre beste Vorgehensweise im Hinblick auf Meta und den Stein sein sollte. Sie entschloss sich, nicht zu lange mit dem Handeln zu warten. Der Djinn hatte ihr eine Gelegenheit geboten, eine gute Beziehung zu Meta aufzubauen. Da Gilgian ihr gegenüber misstrauisch war, sollte sie besser schnell agieren. Sie glaubte nämlich nicht, dass sie in kurzer Zeit Gilgian auf ihre Seite ziehen könnte.

Sie blickte zu Meta und beobachtete sie dabei, wie sie aufmerksam der Lehrerin zuhörte und fleißig mitschrieb. Ob sie auch das Interesse hatte in die Administration zu gehen? Oder vielleicht in eine andere Stadt? Sie hatte noch nicht genug herausgefunden, um sich einen Plan zurechtzulegen, wie sie Meta davon überzeugen sollte, ihr zu helfen. Sollte sie also etwas mehr Zeit mit ihr verbringen, bevor sie sie fragen würde? Gilgian könnte ihr da jedoch in den Weg kommen.

Als sie einen Blick auf sich spürte, blickte sie zu Raffael und sah ihm direkt in die Augen. Er sah sie wachsam an und dann wanderte sein Blick zu Meta, verweilte dort kurz, eher er wieder fragend zu ihr zurückkehrte. Sie verstand nun sehr gut, weshalb Tatinne ihn eine Plage nannte.

Etienne sah nach vorne an die Tafel und hoffte, dass dieser qualvolle Unterricht bald vorbeigehen würde. Es fühlte sich wie eine Zeitverschwendung an. Immerhin hatte sie sich aber dazu entschlossen, noch direkt an diesem Tag zu handeln. Es war ein Problem, wenn sie Gilgian nicht überzeugen könnte, ihr gegenüber nicht so wachsam zu sein. Damit würde sie zurechtkommen. Was ihr jedoch ihr Vorhaben sprengen könnte, wäre es Raffael genug Zeit dafür zu geben, genau dies zu tun.