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Calisteo - Stadt der Geister [German/Deutsch]
Kontrahenten: Ein offenes Fenster

Kontrahenten: Ein offenes Fenster

Meta wachte auf und dachte, ihr Körper wäre verschwunden. Als wäre sie untergegangen in Staub und Münzen, welche sie verschlungen und nach und nach zerbröselt haben, bis sie selbst zu Staub und Münzen wurde.

Als sie sich aus dem Bett schälte, spürte sie den Muskelkater des vergangenen Tages und Erleichterung durchströmte sie. Keine kalten Münzen, kein mehliger Staub. Nur sie und ihr Körper. Sie legte den Kopf in die Knie und atmete tief durch. Ihre Hände zitterten. Und dann war diese eine kleine Stimme in ihrem Kopf, welche ihr zuflüsterte und ihr sagte, dass etwas gewaltig schiefgelaufen war.

Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie sie in die Position gekommen war, in der sie nun war. Stetig hatte sie brav alles erfüllt, was andere Menschen ihr vorgesagt haben. Sie war gehorsam ihrem Vater gegenüber und der Nanny, welche sich immer um sie gekümmert hatte. Sie hat Gilgian mit offenen Armen im Haus willkommen empfangen, nachdem seine Eltern tragisch verschwunden waren. Und sie war für ihn da gewesen, als er klein und hilflos schien. Ein Lachen erreichte ihre Kehle, drang aber nicht aus, als sie sich den acht jährigen Gilgian vorstellte, welche damals noch kleiner war, als sie selbst. Er hatte eine große Brille getragen und anstelle eines Teddybären, welchen sie immer bei sich hatte, hatte er ein Buch in der Hand gehabt. Er hatte so viel gelesen. Jetzt, wo sie zurückblickte, merkte sie auch, wie sonderbar seine Veränderung war. Seine angeborene Fähigkeit war das Versteinern, aber nicht zu einem Riesen heranzuwachsen, welcher mit Leichtigkeit Steine zerschmettern konnte. Nichts hatte ein Indiz dafür gegeben, dass seine Veränderung aus seinem Inneren heraus kam. Und sie konnte sich noch so so gut daran erinnern, unter welchen Schmerzen er gelitten hatte. Der Arzt hätte gemeint, dass er so schnell wächst, dass seine Knochen nicht immer mitgekommen waren. Er hatte nicht selten Brüche zu behandeln.

Meta ließ sich wieder ins Bett fallen. Ihr Zimmer war klein. Sie liebte es. Alles, was sie brauchte, war hier drin. Ein Bücherregal, ein Schreibtisch, ein Bett. Sie hatte mehr als die meisten Menschen in ihrer Provinz. Aber sie fühlte sich, als hätte sie nichts. Wollte ihr Vater wirklich Gilgians Körper übernehmen? War das sein Ziel gewesen, sich so ein ewiges Leben zu sichern, nur mal kurz die menschliche Hülle wechseln und dann weiter machen wie bisher. Sie hatte immer Angst gehabt, dass er ohne ihre Mutter nicht leben wollen würde. So viele Klageschreie waren durch ihr damaliges Haus gerufen worden, Nacht für Nacht, Tag für Tag. Wollte er sein Dasein ohne sie weiterführen? Wollte er nach einer Möglichkeit suchen, sie zurückzuholen? In die Welt der Lebenden? Meta konnte sich noch so gut an den warmen Schein erinnern, den ihre Mutter immer über sie gelegt hatte. Ihre Liebe war zu spüren, wie die Hitze eines Feuers, welches leidenschaftlich brannte.

Meta richtete sich wieder auf und ging ans Waschbecken. Wusch ihr Gesicht, rieb sich müde die Augen. Sie wollte nicht aufstehen, ihre Beine weigerten sich. Dennoch konnte sie nicht den ganzen Tag im Bett verbringen.

Als sie sauber angekleidet und müde aus dem Zimmer trat, sah Gilgians Tür an der Wand ihr gegenüber. Sie starrte diese eine Weile an, wollte anklopfen und hineingehen und sich vergewissern, dass es ihm gut ging. Aber wenn er schlief, dann wollte sie ihn nicht wecken. Und wenn er wach war, dann wollte er bestimmt durchatmen und seine Gedanken sortieren. Was sollte sie überhaupt sagen? Sich schon wieder entschuldigen? Sie seufzte leise und ging weiter. Folgte dem Geruch von frischem Brot am frühen Morgen. Auch Kaffee konnte sie riechen, der einzige Luxus, den Gilgian sich gewährte. Sie selbst mochte Früchtetee viel lieber. Erdbeerstücke, Hibiskus, Rooibos und einige Orangenschalen. Nichts beruhigte sie mehr als der süße Geruch, welcher sich langsam durch das ganze Zimmer ausbreitete.

Was waren die Pläne ihres Vaters für sie gewesen? Wollte er sie als Tochter weiter in seiner Nähe haben? Oder hatte er sie komplett vergessen, wie damals auch, als Gilgian in ihr Haus kam. Existierte sie überhaupt für ihn?

Sehr gut gemacht, kleiner Sternenschein, hörte sie seine Stimme in ihrem Kopf geistern. Ihre Mutter war immer der Sonnenschein, Meta war der kleine Stern, welcher auch zum Sonnenschein heranwachsen sollte. Sie ist es nur nicht. Er hatte sie so oft gelobt, bevor ihre Mutter verstorben war. Ab und zu hat er es auch noch nach ihrem Tod und sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie nach jedem Fünkchen Aufmerksamkeit lechzte und sich noch Monate lang daran erinnert hatte, wenn es denn mal vorkam. Sie konnte sich noch heute an all die Momente erinnern, es waren vielleicht zwei Handvoll.

Sie trat zu dem bedeckten Tisch, wurde liebevoll aber neutral von den Bediensteten gegrüßt. Sie hasste Meta nicht, waren aber auch nicht sonderlich entgegenkommend und kommunikativ ihr gegenüber.

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Meta setzte sich hin. Es war alles wie immer, aber nichts fühlte sich wie immer an. Sie war anders. Ihre Angst war neu. Ihr Hass gegen sich selbst war neu entflammt. Sorge, Trauer, Orientierungslosigkeit. Zu viele Gefühle und zu wenig Verständnis sich selbst gegenüber.

Meta schielte hoch zu der älteren Dame. Ihre Nanny war irgendwann verstorben und Meta vermisste sie fürchterlich. Immer wieder dachte sie an sie und jedes Mal endeten ihre Gedanken darin, ob sie denn nicht von ihrem Vater umgebracht worden war. Aber vielleicht war es ja gar nicht ihr Vater. Was, wenn das ganze Geschehen eingefädelt wurde, von den Menschen, die er getroffen hat. Würde diese Theorie aber zeitlich überhaupt aufgehen?

Als sie an ihrem Tee nippte, verbrannte sie beinahe ihre Zunge. Schwere Schritte und schmerzerfülltes Ächzen ließ sie aufblicken. Gilgian, voll angekleidet und mit grauem Gesicht, trat gerade hinunter.

„Was machst du denn so früh hier?“, fragte sie. Sie selbst hatte genug Albträume hinter sich, dass sie nicht noch länger im Bett liegen bleiben wollte. Aber musste sich ausruhen.

„Irgendein Arsch hat gestern Nacht in unserer Provinz einen Wassertank hochgejagt. Rate mal, mit wem ich mich jetzt abgeben muss“, sagte er schlecht gelaunt.

Sie wollte protestieren, presste aber schweigend die Lippen zusammen. Es führte nichts daran vorbei, er musste sich mit den anderen treffen. Besser, als wenn der fragile Frieden auf einen Schlag zusammenbrechen würde.

Seine Augen trafen die ihren und er sah sofort weg. Das versetzte ihr einen schmerzenden Stich. Sie senkte den eigenen Blick auf die dampfende Tasse. Der süße Geruch beruhigte sie diesmal nicht.

„Lass uns reden, wenn ich später wieder komme“, sagte Gilgian auf einmal. Sein Gesicht drückte Aufrichtigkeit und Entschlossenheit aus. Aber zeitgleich sah sie eine Unsicherheit, die ihr bei ihm noch nie aufgefallen war.

„Willst du das wirklich?“, fragte Meta nach, „Du sollst nicht meinetwegen schmerzliche Erinnerungen wieder hervorholen.“

Er schnaubte lächelnd, „Du bist die Letzte, die sich darum sorgen sollte. Und es ist mal an der Zeit, dass wir uns einige Dinge vom Herzen sprechen. Du und ich. Wir haben das schon sehr lange nicht mehr gemacht.“

Eine Welle frischer Luft wehte durch das Zimmer. Meta merkte aus dem Augenwinkel, dass ein Fenster offen stand.

„Sehr gerne“, sagte sie an ihn gewandt, „Ich würde mich freuen.“

Giglian lächelte schwach und zog dann seine Jacke an. Elfried, der Fahrer, welcher seit Generationen für die Familie arbeitete, stand abwartend an der Tür und begleitete Gilgian hinaus. Und sie war schon wieder allein. Aber sie fühlte sich nicht mehr ganz so allein wie am Morgen.