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Calisteo - Stadt der Geister [German/Deutsch]
Die Geister der McClaines: Der Weg zur Villa

Die Geister der McClaines: Der Weg zur Villa

Etienne hatte wirklich Mühe, so früh aufzustehen. Sie hatte die Nacht zuvor mit Planen verbracht. Und damit, sich vor Tatinne zu rechtfertigen, nachdem Catjill ihr über Etiennes kleine Verstöße in der Schule unterrichtet hat. Dafür hat er von ihr eine Packung Süßigkeiten bekommen, welche er genüsslich verschlungen hat, während Etienne säuerlich den Ärger über sich hat ergehen lassen.

Doch auf ihrem Weg zu der verabredeten Stelle, war sie durch den schönen Morgen munterer geworden und war hocherfreut gewesen, Meta an der verabredeten Stelle vorzufinden. Wenn sie nicht aufgetaucht wäre, dann hätte sie sich alleine auf den Weg gemacht.

„Hier entlang“, sagte diese und folgte dem gepflegten Weg durch den kleinen Wald, dessen Bäume in perfekten Reihen nebeneinander standen. Sie warfen Schatten auf den Kieselweg. Hölzerne Balken waren an diesem aufgestellt und manchmal waren sie mit Seilen verbunden, welche in regelmäßigen Abständen rote Markierungen hatten. Öfters lagen diese Seile aber auch am Boden und es schien sich eine Weile niemand um sie gekümmert zu haben.

Manchmal sah sie hinter den Bäumen vereinzelte eckige Gebäude, welche wahrscheinlich aus mehreren Wohnungen bestanden. Sie sahen äußerlich schäbig aus und Etienne fragte sich, ob es innerlich genauso aussah.

Sie befanden sich in Gilgians Provinz. Meta war gekleidet in einem dicken Pullover und einer einfachen Jeans. Über ihrem linken Oberarm hatte sie ein rotes, schickes Tuch. Wie Etienne von Tatinne gestern erfahren hatte, hatte jedes Provinzmitglied ein Zeichen der Provinz an sich. Ein Zeichen der Zugehörigkeit, welches sie bisher nicht nur an Meta entdeckt hatte. Um den Oberarm, Bein, Hals, immer in einem dunklen Rot. Das war vielleicht das Zeichen von Gilgians Menschen.

„Meta?“

Die grauen Augen huschten zu ihr.

„Ist das rote Tuch das Zeichen eurer Provinz?“

Meta sah zum Tuch an ihrem Oberarm, „Ja.“

„Ist es nicht leicht, nachzuahmen? Habt ihr keine Angst, dass sich jemand als Mitglied eurer Provinz ausgibt?“

Meta lächelte, „Nein. Die Strafen sind sehr hoch und es gibt eine einvernehmliche Zustimmung unter den Provinzen, dass wenn jemand das macht, er keine Hilfe von seiner Provinz zu erwarten hat. Wenn du damit erwischt wirst, wird es gefährlich.“

„Das hört sich furchtbar an“, sagte Etienne und merkte sich die Information. Es würde sich lohnen, zu wissen, wer zu wem gehört. Vor allem bei Menschen, die ihr fremd sind.

„Gibt es Zeichen von Elias' und Raffaels Provinzen?“

Meta nickte, „Ja. Elias' Provinzmitglieder haben eine Brosche mit einer Welle. Raffael hätte seines gerne geändert. Nexim hat den Menschen vorgegeben, sich tätowieren zu lassen. Es ist ein Birnenzweig mit zwei Blüten. Er hat es schon vor Jahrzehnten eingeführt und die Kinder wurden als erstes mit diesem Zeichen markiert. Dann irgendwann nach und nach die Erwachsenen, nach einer gründlichen Prüfung. Raffael hat es abgeschafft und wechselt langsam zu einer Brosche über. Aber er lässt das alte Zeichen weiterhin gelten. Ist nicht so, als könnten die Leute was dagegen machen.“

„War Tätowieren nicht unpraktisch?“

„Ich kann dir nicht sagen, wie er damals dazu kam. Da war ich noch nicht geboren“, meinte sie mit einem entschuldigendem Lächeln und führte dann weiter aus, „Mein Lehrer meinte aber, dass Nexim furchtbar misstrauisch war. Auf diese Weise wollte er seine Menschen markieren und ging davon aus, dass das keiner leicht nachmachen konnte. Die Einigung zwischen den Provinzen war sehr eindeutig. Es wurde in den anderen Provinzen also nicht angeboten, sich zu tätowieren. Mal abgesehen davon, ist es nicht leicht, die Farbe zu produzieren und Nexims Provinz hat alleine deswegen ein Teil ihrer Ausgaben in Gesteine Mineralien aus anderen Städten eingesetzt. Das wollten die anderen Provinzen nicht. Und Nexim hat akribisch Buchführung führend lassen und Lizenzen dafür wurden selten ausgegeben. Und wurdest du dabei erwischt, dass du es ohne eine Lizenz tätowiert hast, dann war er nicht wirklich gnädig. Das war eine Art von ihm, Kontrolle über seine Menschen auszuüben. So die Erklärung von meinem Lehrer.“

„Ist das so?“, fragte Etienne und dachte über das Gesagte nach, „Ein Lehrer aus der Schule?“

„Nein“, meinte Meta, „Das war noch, bevor ich an die Schule kam. Ich wurde zu Hause unterrichtet.“

Sie liefen eine Weile weiter und bogen in einen kleinen Pfad ein, welcher zu seiner Linken und Rechten in unregelmäßigen Abständen mit verschiedenen Statuen versehen war. Die Wohnblöcke hatten sie schon vor einer Weile hinter sich gelassen. Hier gab es auch sehr wenige Menschen, die ihnen begegneten. Einmal sah sie eine Gruppe von Jugendlichen, welche rauchten und welche sie beide misstrauisch betrachteten. Einer von ihnen warf seinen Stummel in ihre Richtung. Etienne wunderte sich, ob der Tabak importiert war oder ob sie in Raffaels Provinz etwas davon anpflanzten. Denn so wie Tatinne ihr erzählt hatte, war vor allem seine Provinz diejenige, welche viel zur Verpflegung der Menschen Calisteos anbauten.

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„Muss ich mir Sorgen machen, dass die uns angreifen?“, fragte Etienne. Meta blickte zu den jungen Menschen und schüttelte den Kopf, „Nicht, solange du mit mir hier bist. In unserer Provinz wagt es niemand in meine Nähe zu kommen. Die anderen Provinzen sind meistens eher das Problem. Wobei vor allem die Menschen des neutralen Stadtteils sich viel erlauben können. Sie gelten als unser Gleichgewicht. Es wagt nie jemand, ihnen etwas zu tun. Gilgian sollte sie niemals angreifen. Er würde es aber tun, wenn er jemals Wind von den ganzen Sticheleien bekommt. Und wenn auf der nächsten Titelseite steht, dass der so ungeliebte Herrscher der dritten Provinz, gegenüber denen der neutralen gewalttätig war, dann wird es uns nur Ärger bescheren. Das kann ich nicht zulassen.“

„Ist das der Grund, weshalb Crom abseits stand?“, fragte Etienne.

Meta lächelte sie an, „Er ist so nah an Raffael, er kann es sich nicht leisten mich anzugreifen. Das würde Gilgian nicht durchgehen lassen und das Problem wäre dann auf einmal nicht mehr zwischenmenschlich, sondern zwischen Provinzen. Die anderen hingegen“, sie seufzte schwer, „Ich sollte mich mehr wehren.“

„Soll ich dir zeigen, wo man als kleiner Mensch zuschlägt?“, fragte Etienne und blickte sich weiter um, mittlerweile wachsam. Ein Schaudern ging ihr durch den Körper und es fühlte sich kälter an als sonst.

„Um Himmels willen, ich würde mir die Hände brechen“, erwiderte Meta lachend. Etienne schätzte sie auch nicht als Kämpfer ein.

Sie liefen weiter am Pfad entlang, große Bäume zu ihrer rechten und Wiese zu ihrer linken. Die Schatten, welche die Bäume auf sie warfen, beunruhigten Etienne. Es fühlte sich genauso furchteinflößend an, wie die ersten Minuten, die sie im Château de la Fortune verbracht hatte. Sie hatte in die Schatten geblickt und es hatte sich angefühlt, als würden sie zurückschauen. Bis dann wirklich etwas zurückgeschaut hat und die Situation schnell durcheinander wurde. Ihr Djinn hatte ihr geraten, nicht den Raum zu wechseln und sie damit beinahe den Monstern ausgesetzt, welche im Raum der Lebenden residiert hatten.

„Sag, Meta, kommt es mir nur so vor oder wird es wirklich angsteinflößend hier?“

„Hm?“, Meta sah sie verwirrt an, dann blickte sie sich um, „Stimmt. Ich lebte einst hier, deswegen bemerke ich es kaum. Das liegt an einem Zauber meines Vaters. Es dient zur Abschreckung, meistens hat es geklappt.“

„Nur meistens?“

Meta lächelte sie an, „Nun, ich will nicht gemein sein, aber dann gab es noch Leute wie dich, die es nicht erwarten konnten, dahin zu kommen.“

Etienne lachte, „Das trifft ganz gut auf mich zu. Was hat er mit diesen Menschen gemacht?“

Meta presste die Lippen zusammen, „Ich weiß es nicht. Ich habe sie nie wieder gesehen und Vater meinte, er habe sie eine Strafe absitzen lassen. Aber auf einmal gab es viele Gerüchte in unserer Provinz, dass mein Vater sie dorthin gelockt und dann verschwinden lassen ließ. Ich glaube nicht an sie. Aber sie sind hartnäckig geblieben. Und heute glauben noch immer Menschen daran.“

„Wenn sie keine Beweise haben und du nachweisen kannst, dass dein Vater nichts damit zu tun hatte, dann könnte das die Gerüchte entkräften“, meinte Etienne. Manchmal lohnte es sich, gegen Gerüchte zu kämpfen. Etienne selbst sah jedoch nicht ein, wieso sie ihre Kraft verschwenden sollte. Sie empfand diese sowieso eher als lästig, als belastend.

„Ich denke nicht, dass ich sie vom Gegenteil überzeugen kann, also lasse ich es einfach.“

Nach knapp zwei Minuten kamen sie an einem großen Tor mit einem endlos aussehenden Zaun an. Sie waren weit gelaufen. Es hatte allein schon lange gedauert, von Tatinnes Haus zu dem kleinen Wald zu kommen, welcher tief in Gilgians Provinz lag. Und nun war sie ein gutes Stück mit Meta unterwegs gewesen und die Stadtmauer war näher und näher gekommen.

Das Gebäude war Teil der Mauer, sah aus, als wäre es aus dieser in das Innere der Stadt herauswachsen. Die Ziegel hatten eine ähnliche Farbe, so auch die Türme, welche an der Mauer empor wuchsen und über sie hinaus als Ausguck herausragten. Es war ein dunkles Braun, welches aufgrund des langen Schattens der Mauer noch dunkler aussah.

Aber es war der Vorgarten, welcher Etiennes Aufmerksamkeit am meisten in Anspruch nahm. Die Erde hinter dem Tor war in tiefstem Schwarz und sie war sich ziemlich sicher, es lag nicht am Schatten der Mauer. Es gab keine Blumen, Gras oder gesunde Bäume. Die goldenen und roten Farben des Herbstes gab es hier nicht. Stattdessen war alles dunkel und das auf einen Schlag, direkt hinter dem Tor.

Meta lächelte nervös, „Daran kann ich mich aber nicht erinnern.“

„Wie kommen wir über das Tor?“, fragte Etienne.

Meta sah zum Schloss, „Gilgian hat die Schlüssel. Ich wollte ihn nicht nach ihnen fragen, um das Gespräch hierüber zu vermeiden. Ich dachte mir, du wirst sicherlich schon eine Idee haben?“

Etienne streichelte dem Kater den Kopf, „Aufwachen Catjill. Wir sind da.“

Der Kater gab ein Geräusch von sich und hob den Kopf. Er sprang von Etiennes Schulter und streckte sich dann. Dann bedachte er mit seinen sonderbaren Augen die Umgebung.

„Wieso muss ich eigentlich immer mit?“, fragte er und Etienne hörte den Missmut in seiner Stimme.

„Weil du mir helfen musst.“