Etienne wusste nicht mehr, wie lange sie da an der Tür stand. Sie hatte verschlafen und war zu spät gekommen. Zu ihrem Unglück, war in der ersten Stunde O’Donnel ihr Lehrer gewesen, welche nach den letzten zwei Tagen sowieso nicht sonderlich gut auf Etienne zu sprechen war. Und heute hatte sie Etiennes Zuspätkommen genutzt, um richtig über sie herzufallen. Raffaels O’Donner ergab auf einmal Sinn.
Etienne ließ es über sich ergehen, hörte ihr mit einem halben Ohr zu, während sie versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass ihr der schrille Unterton in den Ohren weh tat. Selbst Catjill hatte die Ohren angelegt, schlief aber weiter unbekümmert, als wäre diese alte Frau nur eine lästige Fliege. Die Klasse, die zunächst sehr belustigt schien, war nun auch am Leiden, sehr zu Etiennes Befriedigung. Es gab keinen Grund, wieso sie das alleine aushalten musste.
Etienne war aufgefallen, dass Gilgian und Meta fehlten, was sie schon erwartet hatte. Doch es fehlten auch Raffael, Keyen, Elias und Meng, was Etienne überraschte. Sie wunderte sich, ob ihre Abwesenheit etwas mit dem Knall in der Nacht zu tun hatte.
Ein Lineal knallte plötzlich gegen die Tür hinter ihr. Hatte sie diesen gerade wirklich nach ihr geworfen? Etienne sah ungläubig zu der Frau vor sich.
„Hörst du mir überhaupt zu?“
Etienne antwortete ernst, „Natürlich, Madame.“
Sie hatte sie beim ersten Kennenlernen Miss genannt und daraufhin die erste unfreundliche Ansage kassiert. Raffael hatte sie daraufhin ausgelacht und Anaki hat ihr die Anrede aufgeschrieben, die O’Donnel erwartete. Madame.
„Was hab ich gerade gesagt?“
Da sie die Frage nicht beantworten konnte, blieb Etienne nichts übrig, als ihr entgegenzulächeln. Sie hörte Scarlett seufzen.
„Setzt dich auf deinen Platz!“
„Ja“, meinte Etienne und versuchte nicht das Gesicht zu verziehen.
Nun konnten ihre Augen endlich wieder voll und ganz in die Klasse blicken. Eine Mischung aus genervter und gelangweilter Stimmung schlug ihr entgegen. Es schien kalt und abweisend zu sein und etwas in diesem Zimmer löste erneut ein unangenehmes Gefühl vom tief sitzenden Unwohlsein in ihr aus. Es fühlte sich an, als wäre sie in einem Krankenzimmer, dessen Luft von Krankheiten verpestet war. Aber am Ende des Raumes schien die Luft etwas leichter zu werden. Anaki lächelte ihr entgegen und diese freundliche Geste, ließ das erdrückende Gefühl etwas leichter werden.
Als sie sich setzte, meinte sie flüsternd zu ihm, „Das hab ich doch ganz gut gemeistert, was meinst du?“
Sein Körper schüttelte sich etwas, als er ein Lachen unterdrückte. Schließlich schüttelte er den Kopf und flüsterte, „Unglaublich.“
„Überraschungstest!“, sagte O’Donnel mit einem wütenden Unterton in der Stimme.
Etienne seufzte. Es war, wie Raffael es ihr gesagt hatte. Wahrscheinlich wussten es auch die anderen, denn keinen schien es zu wundern. Und da sie die einzige Person war, die davon überrascht werden konnte, schien es keine Überraschung mehr zu sein.
Anaki hob fragend die Augenbraue und Etienne flüsterte, „Ich weiß ja noch nicht einmal was für Unterrichtsstoff ihr durchgenommen habt.“
„Wenn du nicht geschlafen hättest, würdest du es jetzt wissen“, erwiderte Anaki trocken.
Etienne sah sich Zettel an, welche die Frau wütend vor sie auf den Tisch geknallt hatte.
„Lass schauen, ob hinter deiner Bequemlichkeit auch etwas Talent steckt“, sagte sie und sah sie bedrohlich an, „Doch unabhängig davon, hoffe ich, dass du versagst.“
Etienne lächelte sie an. Das würde sie für ihre reizende Lehrerin einrichten. Dann seufzte sie wieder. Dieses Fach war langweilig. Mit der Müdigkeit vom Vortag gab es nichts, was ihr in diesem Moment sinnloser erschien, als eine Schülerin schauspielern. Sie kritzelte die Lösung der ersten Aufgabe und musste dann gähnen. Sie hatte nicht viel Schlaf bekommen. Nach wenigen Minuten hatte sie aufgegeben, um ihre Aufmerksamkeit zu kämpfen und angefangen etwas zu kritzeln, während sie nervös zu den leeren Plätzen von Elias und Meng schielte. Wenn sie nicht da waren, dann gab es keinen Grund für sie, ebenfalls hier zu sein. Sie schielte weiter zu Anaki, welcher hoch konzentriert das Blatt ausfüllte. Dann wanderten ihre Augen weiter zu Scarlett, welche sich ebenfalls Mühe zu geben schien, und Keyen, welcher sich nur verwirrt den Kopf kratzte.
Die Standpauke ging nach der halben Stunde wieder los. Anscheinend war der Überraschungstest doch nicht so witzig wie sie es gehofft hatte. Zu Mindestens nicht für O’Donnel. Ihr aber die Möglichkeit zu nehmen, nach ihren Regeln zu spielen, löste in Etienne ein befriedigendes Gefühl aus. Sie würde sich nicht von dieser Frau herumschubsen lassen.
Als es zur Pause klingelte, ließ sie sich erleichtert in den Stuhl fallen. Ihre Schulter tat noch immer furchtbar weh. Aber es war schön mal einen entspannten Gegner vor sich zu haben. O’Donnel schien überhaupt nicht kompliziert, nur etwas nervig.
„Diese Schule ist witzig, wie du es gesagt hast.“
„Witzig?“, fragte Anaki ungläubig, „Du spinnst doch.“
„Wieso?“, fragte Etienne. Sie fand die Schule tatsächlich witzig. Sie hatte das Gefühl, dass sie nirgendwo sonst ohne Konsequenzen davonkommen konnte, wie hier. Vielleicht würde der Test ein Nachspiel haben, aber viel zu spät, als dass es einen Unterschied machen sollte. Als Tatinne ihr in der Nacht noch ihr Bein behandelt hat, hatte Etienne sie gefragt, wie das mit den Abstufungen funktionieren würde. Sie würde das erst in Monaten erleben müssen. So lange hatte sie nicht vor zu bleiben.
„Wer findet das witzig? Ganz bestimmt niemand der von O’Donnel schon am ersten Tag und dann auch noch am dritten angeschrien wurde. Willst du wissen, wieso ich den zweiten Tag gerade übersprungen habe? Ganz einfach, weil du geschwänzt hast.“
Etienne musterte Anaki, „Es hört sich an, als würdest du mit mir schimpfen.“
Stolen novel; please report.
Er lächelte nett, „Scheint so. Aber es ist nicht meine Absicht. Du wurdest heute genug ausgeschimpft.“
Etienne gähnte und Anaki sprach weiter, „Brauchst du Hilfe?“
„Wo?“, fragte sie.
„In Mathematik.“
Etienne legte ihren Kopf in die Arme, „Eigentlich brauche ich nur etwas Schlaf.“
Ihr Djinn hatte es gut. Er schlief den ganzen Morgen schon auf ihren Schultern.
Anaki lachte, „Wie ich sehe, hast du nicht vor das ernst zu nehmen.“
Etienne blinzelte und wollte Antworten, als dann die Tür aufgestoßen wurde und sie sich unweigerlich auf die nächste Katastrophe gefasst machte. Doch es war Anakis genervtes Seufzen, welches sie dazu verleitete überrascht zu ihm zu blicken. Sein so freundliches Gesicht war unglücklich verzogen und sie beobachtete ihn, wie er tief durchatmete. Er war nicht der einzige in der Klasse, welcher ein genervtes Gefühl zum Ausdruck brachte. Zwei Schüler, welche immer bei Elias waren, Colin und Valtin, standen auf. Keyen stellte sich vor Scarlett, welche wütend zu der Person an der Tür schaute. Ihr Blick wanderte dann besorgt zu Etienne und Anaki, was Etienne dazu verleitete sich anzuspannen. Sicherlich war die Person nicht ihretwegen hier. So lange war sie nicht da, um jemanden gegen sich aufzubringen. Mit Ausnahme von Gilgian vielleicht. Sie sah wieder zu der Tür und entdeckte hellblonde Haare. Das Zweite, was ihr auffiel, war seine weiße Kleidung. Ein Kampfanzug?
„Guten Morgen, liebe Klassenkameraden“, sagte er grinsend in die Runde. Die abweisenden Blicke schienen ihn nicht im Geringsten zu stören.
„Wer ist das?“, fragte Etienne.
„Eine Nervensäge“, antwortete Scarlett, so laut wie sie nur konnte.
Der Junge grinste sie an, „Zickig wie eh und je. Aber eine Schönheit wie du scheint sich das leisten zu können.“
Scarletts Blick verdüsterte sich und sie funkelte ihn wütend an.
„Lass sie in Ruhe Halil“, sagte Keyen und Etienne stellte fest, dass es eine sehr sanfte Stimme hatte. Halil beachtete ihn nicht mal und sah sich langsam weiter um, als würde er die Menschen allein mit seinen Augen zu bedrohen versuchen. Schnell entdeckte er Etienne, „Ein neues Gesicht.“
Etienne lächelte ihn an und hob grüßend die Hand, „Ich bin Etienne. Nett dich kennenzulernen.“
Er legte den Kopf schief und sagte, „Ebenfalls erfreut. Ich bin Halil, der Leiter des Karate Clubs unserer Schule.“
Seine Stimme hatte etwas Beunruhigendes und Etienne entschloss sich nichts zu erwidern. Sie hatte Angst, dass sie an seine schlechte Seite geraten würde. Dafür lächelte sie etwas breiter und hoffte, dass welcher Grund auch immer es sein sollte, wegen des er hier war, sie damit nichts zu tun haben müsste.
Catjill richtete sich auf. Sein Fell kitzelte in ihrem Ohr. Er betrachtete die Lage, schnaubte dann so leise, dass nur sie es hören konnte, und legte sich wieder schlafen.
Halils grüne Augen wanderten weiter, bis sie bei Anaki stehen blieben. Er senkte den Kopf und sie konnte die Feindseligkeit sehen, „Wo ich nun wieder auf den Grund meines Erscheinens zurückkomme“, er zeigte mit dem Finger auf Anaki und sagte „Ich schulde dir noch Prügel.“
Scarlett stand auf, „Verschwinde von hier. Was denkst du, wer du bist, in unsere Klasse zu kommen und hier einen Kampf anzufangen?“
Valtin stimmte ihr zu, „Es wäre besser, wenn du diesen Mist woanders machst.“
Halil lachte, „Und was wollt ihr tun? Es mir verbieten hier zu sein? Ah, das könnt ihr nicht, denn heute ist keiner von euren mächtigen Meistern anwesend. Wie schade.“
Etienne legte ihre Hände flach auf den Tisch und war bereit aufzuspringen. Das Gefühl, dass die Situation eskalieren könnte, verstärkte sich und sie sah schnell zu Anaki, welcher grau im Gesicht aussah. Er stand auf und sah trotzig zu Halil, „Lass uns einfach herausgehen.“
„Wieso?“, fragte Halil, „Hast du Angst bloßgestellt zu werden?“
Er ging langsam auf sie zu und Etienne blickte zu Uhr. Die Pause würde noch etwas dauern. Dann sah sie zu ihren Klassenkameraden und musste betrübt feststellen, dass keiner Anstalt machte, sich ihm in den Weg zu stellen. Sie blieben alle an Ort und Stelle und Etienne fragte sich, ob sie vorhatten ihren Provinzherrschern alles akribisch zu berichten. Und was sollte sie jetzt machen? Sollte sie zu Raffael in sein Heim rennen?
Das hat er sich wirklich gut überlegt, dachte sie frustriert.
Es war, als hätte sie zu lange geblinzelt, denn plötzlich war er vor ihrem Tisch. Etienne blickte verwundert zu ihm hinauf, überrascht von dieser Geschwindigkeit, welche sie ihm nicht zugetraut hatte. Ihr Körper spannte sich an, bereit zu reagieren und ihre Schulter fing durch die Anspannung erneut zu schmerzen an. Anaki wich einem gezieltem Faustschlag nur knapp aus, fiel auf den Boden und stand schnell wieder auf. Halils Hand krachte auf die Wand und hinterließ Risse. Etienne blieb sitzen, als der Putz in ihre Richtung flog, und betrachtete den Schaden. Dieser war nicht so schlimm, wie der von Gilgian. Immerhin eine gute Nachricht.