„Wie hat es ein kleiner Junge wie du geschafft zu überleben?“, fragte der Geist und der Hauch seiner Stimmt trieb in Etienne das Gefühl seiner Überraschung entgegen.
„Ich bin auch verwundert“, meinte Raffael mit fester Stimme und einem leichten, belustigten Unterton. Doch Etienne konnte sehen, wie sehr seine Hand ihren Talisman umklammerte und die Knöchel weiß hervortraten.
„Aber mein Glück, dass dieses Ding unter mir so sehr beschäftigt war, dass es mich nicht hat kommen sehen.“
Etienne schlich sich langsam zu Gilgian. Unter dem Licht konnte sie nun erkennen, dass er zu bluten schien. Sein weißes Hemd war an der Seite rot angelaufen. Doch er stand noch immer. Er atmete nicht einmal schwer und seine Augen waren fest auf die Gestalt gerichtet. Das gab Etienne zu denken, denn solange er auf ihn starrte, war er davon abgelenkt, sich damit zu beschäftigen, welche Rolle sie in dem Ganzen hier spielte. Und sie wollte nicht, dass er sich dieser Frage widmete.
Dann sah er kurz zu ihr, als sie sich leise auf den Weg zu ihm machte und wandte seine Augen dann ab, sah wieder zu dem Geschehen vor sich.
Der Geist antwortete nicht direkt und Etienne sah wieder zu ihm, sah seine leuchtenden Augen, welche auf das Wesen unter Raffael fixiert waren. Raffael trat mit dem Fuß gegen einen Flügel, was den Geist dazu verleitete, wieder zu ihm zu sehen. Sie spürte eine neue Form von Anspannung in der Luft, gemischt mit Sorge und Anerkennung und dem Bedürfnis, sich zu rächen. Der Geist hatte noch nicht entschieden, welchem Gefühl es folgen wollte und Etienne beeilte sich, den Abstand zu Gilgian zu überwinden.
„Ich muss zugeben, ich bin überrascht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du es besiegt haben solltest.“
„Das hat er auch nicht“, warf Catjill ein und Etienne sah erschrocken zu ihm. Wieso entschloss sich ihr kleiner Djinn, ausgerechnet jetzt ins Gespräch einzusteigen?
„Ich bin immer für Überraschungen gut“, sagte Raffael langsam und auch seine Augen wanderten angespannt zum Djinn, „Das hat schon jemand anderes auch erleben dürfen.“
Seine Stimme war laut im Raum zu vernehmen, aber er schrie nicht. Etienne schlich weiter durch ihre dunkle Ecke. Ein umgestürztes Regal versperrte ihr den Weg und sie duckte sich unter diesem hindurch, ihre Hand umklammerte das kalte Metall einer Kette, welche drohte, laut gegen die Stange zu klimpern, sollte sie angestoßen werden. Es war nicht so schlimm, wie der dicht bewachsene Wald, in welchem sie Catjill gefunden hatte und es war bei weitem nicht so schwer hier unbemerkt hindurchzukommen, wie es gegen diese Hexe der Fall war, welche stetig nach ihr gesucht hatte.
„Du hast es nicht besiegt, aber dennoch liegt es tot zu deinen Füßen? Wie soll das gehen?“, fragte er und dann fingen seine Augen an, wachsam durch den Raum zu blicken. Etienne stahl sich tiefer unter ein Regal und hielt die Luft an. Verfluchter Catjill. Er versuchte wirklich, sie umzubringen. Nutzte der Djinn endlich die Möglichkeit, sie loszuwerden und sich einen neuen Gebieter zu besseren Bedingungen zu erschleichen? Anders konnte sie sein Einmischen nicht erklären.
„Nun“, sagte Raffael lauter, „Nichts von dem, was ich oben angetroffen habe, war in einem sonderlich guten Zustand. Und so erschreckend die Szene war, es hat scheinbar auch wirklich nicht viel gebraucht, dass das hier“, er trat noch einmal dagegen, diesmal fester, dass ein Teil der Gestalt gegen einen weiteren Gegenstand stieß, welcher klimpernd davonsprang, „nicht durch einen kleinen Fall endgültig verenden konnte.“
Etienne bemerkte, wie Metas Hand Catjills Fell umklammert, als er scheinbar erneut ansetzte, etwas zu sagen. Die Aufmerksamkeit des Geistes schlich durch das Zimmer. Etienne spürte sie, als Gänsehaut ihre Arme hinaufstieg, als seine subtile Magie in ihre Nähe kam und dann wieder zu Raffael glitt.
„Wieso bist du nicht aus dem Haus verschwunden?“, fragte der Geist ihn und sie atmete erleichtert aus, machte sich sofort wieder auf den Weg „Ich hätte es wahrscheinlich nicht einmal gemerkt, wie sich dein kleiner menschlicher Körper aus meinem Heim geschlichen hätte.“
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„Oh natürlich. Aber ich wollte den Mann kennenlernen, welcher es geschafft hatte solch ein Wesen unter seine Führung zu bringen“, erwiderte Raffael.
Etienne kam bei Gilgian an. Sie hörte den Geist lachen und Raffael weitersprechen. Etienne stellte sich in die Dunkelheit hinter Gilgian und fand zum ersten Mal etwas Gutes an seiner riesigen Gestalt, als diese ihr Deckung bot. Als Raffaels laute Stimme erneut zu vernehmen war, fragte sie leise und hoffe, dass Gilgian sie verstand, „Welche der Statuen ist sein Körper?“
Er antwortete ihr nicht direkt und sie sorgte sich, ob er sie verstanden hatte oder, schlimmer noch, dass er eine Erklärung verlangen würde. Sie beobachtete von hinten, wie sein Kopf sich langsam drehte. Er blickte in den Eingangsbereich, zu den Statuen, welche verteilt im Raum waren. Dann sagte er leise, als der Geist Raffael antwortete, „Der kriechende Mistkerl. Soll ich ihn zerschmettern?“
„Bleib hier und beweg dich nicht zu viel“, sagte sie ihm. Aus der Nähe konnte sie sehen, dass seine Wunde deutlich schlimmer aussah, als sie es vermutet hatte. Sie drückte ihm den Ring in die Hand, welchen Raffael ihr gegeben hatte. Sollte er weitere Verletzungen vermeiden. Es würde deutlich schwerer werden, ihn hier herauszubekommen, wenn er schlimmer zugerichtet wäre. Dann ging sie zurück zwischen die Regale. Sah noch einmal mit einem Gefühl der Ehrfurcht zu den Gegenständen, welche im verstaubten Boden lagen anstelle in der Sicherheit von schönen Schmuckkisten, wo sie hingehörten. Doch besonders von Interesse war diesmal die schwere Stange, welche sicherlich einst dazu gedient hatte, die Decke über ihren Köpfen zu stabilisieren. Nun konnte Etienne sie für sich nutzen, nachdem der Geist sie ihr, in einem Versuch sie unter dem Gestein zu verschütten, so freundlich zur Verfügung gestellt hatte. Sie packte das Gestein leise zur Seite und hob die Stange hoch, dessen Gewicht schwer in ihrer Hand lag. War das Stahl? Woher hatte diese kleine Stadt so viel Zugang zu Eisen, dass sie sich Stahl als Gerüst leisten konnten? Dennoch war es genau das, was sie brauchte. Ein wertvoller Gegenstand, welcher seinen Zweck erfüllen würde. Ein gezielter Schlag und wenn er wirklich über seinen alten Körper mit der ersten Ebene verbunden war, dann würde es ihn genug stören, dass er sie zumindest nicht mehr mit verfluchten Gegenständen belästigen konnte. Seine Verbindung zur ersten Ebene zu kappen, war der sicherste Weg, ihn zu schwächen.
Sie hörte Raffael im Hintergrund seine Stimme erheben, ebenfalls lachend. Die gute Laune, mit welcher er den Geist ansprach, schien seine Aufmerksamkeit komplett auf sich zu ziehen, „Ich war schon lange nicht mehr wirklich so beeindruckt gewesen. Ich muss zugeben, ich kann Gilgian nicht wirklich gut leiden. Wenn du also wirklich seinen Körper übernehmen willst, dann würde ich das begrüßen.“
Etienne sah zu ihm und dann zu Gilgian, welcher ihm zwischen zusammengepressten Lippen einen herausfordernden Blick zuwarf, „Nur zu, Beltran. Ich kann es mit euch beiden aufnehmen.“
„Ich verstehe es nicht“, sagte Catjill leise zu Meta, dennoch dröhnt seine Stimme durch die kurze Stille, „Wollen sie jetzt wirklich kämpfen?“
„Weißt du, was ich mich schon lange gefragt habe?“, sagte Raffael mit einer festen Stimme, seine Augen diesmal auf Catjill gerichtet. Etienne meint, dass sein Gesicht genervt verzogen war, was er jedoch schnell durch ein strahlendes Lächeln maskierte, „Ein Crawling zu sehen war schon beeindruckend genug, aber wie kommt eigentlich ein solch besonderes Geschöpf wie du hierher?“
Etiennes Herz fing zu pochen an, als Catjill sich nach einem zögernden Moment stolz aufrichtete. Er würde Raffael nicht die Frage beantworten, weil sie es ihm schon am Anfang ihrer Reise verboten hatte zu erzählen, wo er herkam. Aber allein dass es zum Thema wurde, bereitete in ihr eine unausstehliche Nervosität. Etienne schlich weiter durch die Schatten, auf die andere Seite des Raumes. Gilgian stand nicht in der Nähe an dem Körper, den er ihr genannt hatte, aber der Fokus war auf ihn gerichtet, als er erneut seine Stimmer erhob, „Soweit ich weiß, kommt eine Kanalratte aus der Kanalisation.“
Der Geist war zwischen ihnen, blickte von einem zum anderen, schien sich unsicher zu sein, wem er sich zuwenden sollte, als Catjill entrüstet seinen Namen und seine Gattung hinausposaunte und Raffael lachend eine Theorie erzählte, welche Catjill noch stolzer werden ließ.
Die meiste Aufmerksamkeit lag dennoch noch bei Raffael, welcher inmitten ihres Lichtes die ganze Mitte des Raumes einnahm. Etienne stellte fest, dass er es mit dem Licht genau so umgesetzt hatte, wie sie ihn darum gebeten hatte.
Er ging dazu über, dem Geist zu schmeicheln, ihn zu fragen, ob nicht der Djinn seiner eher würdig war, als ein Crawling, was Etienne wirklich nicht mochte. Sie ging nicht davon aus, dass die Menschen aus Calisteo genug über Djinns wussten, um sich dessen bewusst zu sein, dass sie ihn ihr konkurrieren konnten. Catjill hat es zu ihrer großen Überraschung auch nicht gewusst und es so zu behalten, war eine ihrer wichtigsten Aufgaben.
Etienne ging weiter, während Gilgian in Raffaels Richtung fluchte. Der Geist lachte, schien die Aufmerksamkeit zu genießen. Etienne war sich sicher, dass er einige Jahre allein in diesem Haus verbracht hatte. Es verlangte ihn sicherlich nach Geselligkeit. Soziale Bedürfnisse konnte ein Mensch nicht ablegen, wenn er als Geist wieder erschien. Sie waren der Nährboden für ihre Existenz und ohne menschliche Interaktionen, würde ihnen dieser Nährboden fehlen. Sie brauchten Gesellschaft, Liebe, Streit, Diskussionen und alles andere, was Menschsein mit sich brachte. Seinen Schatz zu schützen, würde ihn nicht erfüllen, wenn er niemanden hatte, gegen wen er ihn schützen konnte und so verhielt es sich mit seinem Bedürfnis nach Rache und Anerkennung, je nachdem, was sie im Lebens insbesondere angetrieben hatte.
Etienne stand nach einigen Schritten vor dem versteinerten Körper. Aus der Nähe konnte sie nun erkennen, dass er einen Bart hatte, welcher dem Geist glich. Auch seine Kleidung schien ähnlich zu sein. Dennoch blieb ihr nur die Mutmaßung, denn der Geist hatte sich nicht sehr gut manifestiert und der Körper war so verstaubt und das Gesicht in einem Moment der Angst verzogen, dass sie es nicht direkt mit dem Geist vergleichen konnte. Etienne hob die schwere Stange und schlug mit aller Kraft gegen den Kopf der Statue. Er zersprang in viele Einzelteile und zeitgleich schrie der Geist auf. Er verschwand jedoch nicht direkt. Etienne hob noch mal die Stange, doch diesmal flog das Schwert auf sie zu und Etienne nutzte sie, um es abzuwehren. Sie stolperte nach hinten, als das Schwert es traf, bekam Angst um ihre Finger, welche gefährlich nahe an der Klinge waren. Kaum hatte sie sich gefangen, folgten dem Schwert einige andere Gegenstände, welche sie nach hinten fallen ließen. Einige Dinge fielen mitten im Flug hinunter, ein Zeichen dafür, dass er schwächer geworden war. Seine Gestalt fing zu flackern an, verschwand kurz und tauchte wieder auf.
„Scheint zu funktionieren“, sagte Etienne in den Raum hinein und versuchte sich wieder aufzurichten.
Der Geist schrie auf, „Mein Körper! Wie kannst du es wagen, du Fremdling?“
Erneut erhoben sich Gegenstände in der Luft. Etienne entdeckte alles Mögliche. Von Steinbrocken, bis zu spitzen Waffen. Wahrscheinlich sah er sich nun genug bedroht, dass er sich nicht mehr zurückhalten würde. Oder er schlug einfach wild um sich. Etienne war sich nicht sicher, was sie gegen die Menge ausrichten sollte, der sie sich gegenüberstand. Sie überlegte sich, hinter die Regale zu springen, wollte jedoch nicht von diesen begraben werden, wenn sie umgestoßen werden sollten. Gilgian tauchte vor ihr auf. Als die Dinge auf sie zuflogen, prallten sie vor ihm ab. Der Ring, den Raffael ihr gegeben hatte, schützte ihn und er nutze diesen, damit sie nicht direkt getroffen werden würde. Sie war nicht im Radius drin, so wie Raffael ihr dies vor einigen Tagen gezeigt hatte, war dieser nicht so groß. Die Dinge prallten am Schutz ab und flogen in alle Richtungen davon oder zerbarsten. Etienne hob die Hände schützend über ihren Kopf und versuchte es zu vermeiden, vom Schutt getroffen zu werden, während Gilgian weiterhin vor ihr stand.
Gilgian lachte laut, „Was ist los, alter Mann? Sieht so aus, als würdest du jetzt keinen Körper mehr bekommen.“
Er trat langsam zu der versteinerten Gestalt und der Geist war nun auf ihn fokussiert.
„Ist es nicht lustig?“, fragte Gilgian, „Bei all den Schätzen, die du gesammelt hast, bist du selbst zum wertlosesten Gegenstand von allen geworden.“
Es hoben sich weitere Dinge, flogen auf ihn zu nur um dann kurz vor ihm abzuprallen. Das Gesicht des Geistes war eine Mischung aus Verwirrung und Wut. Dann setzte Verzweiflung ein, als Gilgian über seinem versteinerten Körper stand, „Geh da weg! Geh sofort zurück!“
Weitere Dinge flogen gegen ihn. Gilgian schenkte ihnen nicht mal mehr Beachtung.
Der Geist sah zu Raffael, „Halte ihn auf! Dann gebe ich dir alles, was du willst.“
Raffael hob mit einem Lächeln entschuldigend die Hände, „Für so viele Überraschungen bin ich nun auch nicht gut.“
Etienne sah Gilgians Rücken. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und es dauerte einen Moment, in welchem er scheinbar auf den Körper starrte. Dann hob er die Faust und schlug auf diesen ein. Die Splitter flogen in alle Richtungen davon. Der Geist verschwand kurz, tauchte wieder auf und verschwand dann wieder. Gilgian zerschmetterte jedes Stückchen Stein, welches einst zum Geist gehört hatte und die lauten Geräusche hallten durch das Zimmer.