Als es eine Weile später zur Pause klingelte, schossen die Meisten aus dem Raum. Unter ihnen waren es die Gruppen von Elias und Gilgian. Meta folgte ihm mit gesenktem Blick und Abstand zu allen anderen Klassenkameraden.
Etienne blinzelte und lehnte sich zurück, „Das war eine Zeitverschwendung.“
Anaki lachte, „So ist es. Du musst dir alles selbst erarbeiten. Zumindest bei Cruz.“
Etienne seufzte und holte eine Packung Süßigkeiten heraus.
„Wie zum Henker hast du es so schnell hierher geschafft?“, fragte Scarlett während sie langsam zu ihr herüberkam, „Es waren was? Zwei Tage?“
Etienne lächelte und hielt ihr die Packung hin, „Willst du auch was?“
„Nein, danke“, sagte sie. Ihre langen Haare fielen ihr diesmal glatt über den Rücken und mit ihren vollen Lippen, welche einen braunen Lippenstift trugen, und den markanten Gesichtszügen sah sie aus, wie eine aus Marmor geschlagene Statue.
„Ich würde etwas nehmen“, meinte Raffael, welcher ihr gefolgt war. Sie stellte fest, dass sie Ähnlichkeiten miteinander hatten und es nervte sie. Raffael nahm sich einen Stuhl und setzte sich auf die andere Seite von Anakis und Etiennes Tisch.
„Ich tausche die Packung für den Stein.“
„Nein.“
„Dann brauchst du gar nicht erst anzukommen“, erwiderte Etienne und gab Anaki die Packung, als er ihr fragend die Hand entgegenstreckte. Er verfolgte still die Konversation, sein Blick schoss wachsam zwischen seinen Mitschülern.
Raffael sah kritisch zu Anaki, „Und er kriegt was ohne Gegenleistung?“
„Das ist ein Dank dafür, dass er so hilfsbereit zu mir war“, sagte Etienne und fragte sich, wie die Beziehung zwischen den beiden war. Anaki schien Raffael gegenüber nicht wachsam oder vorsichtig zu sein, stattdessen lachte er und bot Raffael die Packung an, welcher diese jedoch ablehnte. So sehr schien er also gar nicht daran interessiert zu sein.
„Wie habt ihr euch kennengelernt?“, fragte Scarlett, welche sich gegen den Fenstersims lehnte.
„Wir haben uns gestern zufällig in der Stadt getroffen“, antwortete Anaki und aß die kleinen Bonbons, von welchen Etienne sich sicher war, dass sie mit Honig überzogen waren.
„Die sind richtig gut“, sagte er.
„Kommt ja auch aus meiner Provinz“, sagte Raffael.
„Du kannst sie behalten“, sagte Etienne und entschloss sich, diese nicht mehr zu kaufen, „Genau genommen habe ich dir ein paar mehr geholt. Ich hoffe, du hast es gestern pünktlich zurückgeschafft.“
Sie packte die anderen zwei Packungen aus ihrer Tasche und er lachte, „Das ist nicht nötig, Etienne. Und ja, der Weg ist nicht sehr lang.“
„Warst du gestern wieder arbeiten?“, fragte Scarlett, „Ich dachte du hattest was mit deinen Geschwistern vor.“
Etienne holte noch eine Packung heraus.
„Wie viele von denen hast du?“, fragte Raffael.
„Leider nicht genug, um dir was abzugeben“, erwiderte sie und stand auf, „Ich wünsche den meisten von euch eine schöne Pause.“
„Sie scheint dir gegenüber ja richtig nett eingestellt zu sein“, hörte sie Scarlett sarkastisch sagen, „Was hast du angestellt?“
Sie beeilte sich aus dem Raum zu kommen und war erleichtert, keine Blicke mehr in ihrem Rücken zu spüren. Sie stupste Catjill mit ihren Fingern an und fragte ihn, „Wo soll ich hingehen?“
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Der Djinn rührte sich und spitzte dann die Ohren. Er schwieg für einen Moment und Etienne folgte dem Gang entlang zu den Treppen. In diesem Stockwerk gab es niemanden mehr, außer ihr. Von der Treppe drangen dumpfe Stimmen zu ihr empor.
Der Djinn gähnte und sagte schließlich, „Gehe zu der ersten Bibliothek, welche diese dauernd plappernde Frau dir gezeigt hat.“
„Vielen Dank“, sagte Etienne. Etienne folgte den Gängen und ignorierte die neugierigen Blicke der Jugendlichen. Catjill sah sich gelangweilt um und knurrte ab und zu unzufrieden über die Erschütterungen, als sie die Treppen hinunterlief. Etienne ging zielstrebig den Weg entlang, den sie sich gemerkt hatte, bis sie durch die Türen der Bibliothek treten konnte. Seltsamerweise befand sich hier niemand. Der Geruch nach Büchern und Papier überströmte sie und Etienne atmete tief durch. Es war angenehm still hier, eine beinahe beruhigende Stille im Kontrast zu den Geräuschen der fremden Menschenmengen, an denen sie vorbeigelaufen war und dessen neugierigen Blicke sich in sie gebohrt hatten. Sie ging tiefer in die Bibliothek und bemerkte schnell doch noch jemanden. Das blasse Mädchen aus ihrer Klasse. Sie wurde von Cruz mit dem Namen Meta angesprochen. Sie ging zu ihr herüber und betrachtete über ihre Schulter das Buch, das sie las.
„Lernst du eine alte Sprache?“, fragte Etienne dann lächelnd. Meta schrie auf und wirbelte im Stuhl zu ihr herum. Etienne lächelte entschuldigend und trat mit versöhnlich erhobenen Händen zurück, „Tut mir Leid.“
Sie sah Etienne mit ihren großen grauen Augen erschrocken an und sagte atemlos, „E-es tut mir leid. Ich wollte nicht schreien.“
„Nein, nein, ich muss mich entschuldigen. Ich hätte mich nicht so anschleichen sollen.“
In der Bibliothek herrschte eine solch ruhige Atmosphäre, dass Etienne das Bedürfnis verspürt hatte, ebenfalls ruhig zu sein. Es war aber nicht ihr Ziel gewesen, Meta zu erschrecken. So hatte sie sich ihren ersten Eindruck nicht vorgestellt.
Meta sah wieder zu ihrem Buch. Sie hatte ihre Hand gegen ihre Brust gepresst und Etienne war verwundert über diese Schreckhaftigkeit. Das konnte doch nicht nur an ihr liegen?
„Ist wirklich alles in Ordnung?“, fragte Etienne besorgt. Sie wollte ihr beim ersten Treffen keinen Herzinfarkt bescheren. Dies würde ihr beim Erreichen ihres Zieles wirklich nicht helfen und das arme Mädchen sollte auch nicht so früh ableben müssen. Immerhin hatte sie aber einen ersten kleinen Eindruck von ihr gewinnen können. Sie war still und ruhig, schien aufmerksam im Unterricht gewesen zu sein. Sie schien aber auch schreckhaft und unsicher. Leicht einzuschüchtern.
„Das ist Sanskrit, nicht wahr?“
Etienne deutete auf ihr Buch. Meta blickte verwirrt zu diesem und dann wieder zu Etienne. Sie antwortete ihr nicht direkt, sondern sah sie weiterhin erschrocken an. Dann wanderten ihre Augen zu Catjill und Etienne hielt die Luft an. Sie starrte ihn an, als würde sie nicht verstehen, was ihr da entgegenblickte. Auch Catjill fing nach einem Moment nervös mit seinem Schwanz zu zucken.
Dann packte Meta das Buch, stand auf und sagte mit bebender Stimme, „Es tut mir leid, aber ich muss los.“
Sie rannte davon.
Ungläubig blickte Etienne ihr hinterher. Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Catjill schnaubte lachend an ihrer Schulter und sie wusste, er lachte sie aus.
„Ich habe gewonnen“, sagte er selbstzufrieden.
„Das Wettstarren?“, fragte sie ihn und lief ihr nach. Sie entdeckte Meta einige Gänge weiter. Sie hockte vor einer Wand, und hielt in der einen Hand ihre Tasche dicht an die Brust gedrückt. Mit der anderen Hand stützte sie sich gegen die Wand ab. Etienne wusste nicht so recht, wie sie diese junge Frau ansprechen sollte. Kurz fragte sie sich, ob sie Catjill vorschicken sollte. Ein kuscheliger Kater würde sie doch sicherlich beruhigen können. Und vielleicht wäre es auch eine gute Idee gewesen, wenn es nicht diese Reaktion gegeben hätte. Wie hatte Meta ihn überhaupt so deutlich wahrgenommen? Und wieso lief sie vor Etienne weg? Sie verstand immer noch nicht so ganz, was sie falsch gemacht hatte. Etienne wusste aber, dass wenn sie jetzt zu ihr treten würde, sie wahrscheinlich wirklich an einem Schrecken sterben würde.
Mit einem Blick auf die Uhr, welche das langsame Ende der Pause ankündigte, zwang sie sich dazu, die letzten Minuten zu nutzen. Doch Catjill hielt sie davon ab, „Warte ab.“
Aus einem anderen Gang waren lachende Stimmen zu vernehmen. Etienne sah, wie sich Meta versteifte und dann aufrichtete. Es kamen vier Schüler um die Ecke. Einen von ihnen erkannte Etienne als Crom, Raffaels Begleiter im Château de la Fortune. Er war mit drei weiteren, wie Etienne vermutete, Klassenkameraden unterwegs, welche alle die Uniform in denselben Mustern trugen, welche anders waren, als die von Meta und ihr.
Tiefere Klassen, dachte Etienne.
„Oh Gott, ein Geist!“, rief einer von ihnen aus und deutete auf Meta, welche einen Schritt zurücktrat. Die anderen lachten. Crom verdrehte die Augen, „Können wir nicht einfach weitergehen?“
„Gleich, warte einen Moment“, erwiderte ein Dritter.
Crom seufzte und lehnte sich etwas Abseits an die Wand, „Ich will damit echt nichts zu tun haben. Lasst uns einfach gehen“, sagte er, machte jedoch keine Anstalt seine Klassenkameraden zum Weitergehen zu bewegen. Einer seiner drei Klassenkameraden blieb bei ihm stehen, die anderen beiden traten zu Meta.
Meta trat ein Paar weitere Schritte zurück.
Die zwei Jungen lachten. Dann sprang einer von ihnen nach vorne und zog an einer ihrer hellblonden Strähnen, „Bleichst du dir mit Absicht das Haar, um noch mehr einem Geist zu gleichen?“
Etienne dämmerte es. Das war also das Problem gewesen. Wahrscheinlich auch der Grund, weshalb sie so schreckhaft war. Trotz der Belästigung ihrer Schulkameraden, schwieg sie. Sie wehrte sich kaum und blickte ihnen auch nicht in die Augen und das, obwohl ihr Kopf von seinem Griff geneigt war und das Ziehen Schmerzenstränen in ihre Augen trieb.
Einer der beiden riss Meta das Buch weg und blätterte es durch, „Was ist das schon wieder für ein Schwachsinn?“
„Du solltest aufpassen, dass sie nicht nach Wegen sucht, dich zu verfluchen“, meinte der Junge, der neben Crom stand und das ganze ebenfalls aus der Ferne beobachtete.
Etienne musste beinahe lachen. Um jemanden zu verfluchen, war deutlich mehr nötig, als eine alte Sprache. Diese Menschen hatten keine Ahnung. Genau so, wie sie es von einem Bewohner von Calisteo erwartet hatte.
„Bitte gibt das wieder her“, sagte Meta leise und versuchte nach dem Buch zu greifen. Sie war aber um so vieles kleiner als die beiden.
„Was hältst du davon, die beiden zu erschrecken?“, fragte Catjill mit voller Tatendrang in seiner Stimme.
„Du machst gar nichts“, ermahnte sie ihn warnend. Er würde wahrscheinlich tief in die Zauberkiste greifen, um seinen Worten Taten folgen zu lassen und es gab keinen Grund, noch mehr Menschen auf ihn aufmerksam zu machen. Mal abgesehen davon fürchtete sie sich vor dem Chaos, das er auslösen könnte. Sie würde das selbst machen.