Meta zuckte zusammen, als sie lautes Poltern vernahm. Sie hob den Kopf sah erneut auf das sonderbare Bild, welches sich aus vermoderten Holzstücken, goldenen Münzen und feinem Staub zusammensetzte, welche wie von Geisterhand herumwirbelten und der Gestalt ihre Form gaben. Die Silhouette ihres Vaters war deutlich zu erahnen. Der große Bart sowie die dürre Körperform, auch wenn es eher schien, als hätte ein Kind versucht etwas nachzubauen, von dem es nicht mehr so ganz wusste, wie es einst ausgesehen hatte.
Gilgian hatte ihr nie erzählt, was in der Nacht passiert war, als sie notgedrungen bei einer Freundin übernachtet hatte. Der einzigen, die sie jemals gehabt hatte. Meta hatte ihn aber auch nur ein mal gefragt und danach nie wieder. Ihr Vater hatte sich nie für sie interessiert, erst als sie älter geworden war, hatte er immer angemerkt, wie ähnlich sie ihrer verstorbenen Mutter aussehen würde. Es hatte sie damals mit Glück erfüllt, da es endlich so schien, als würde er sie wieder beachten und das nicht nur wegen Gilgian. Bis er diesen fürchterlichen Vorschlag gemacht hatte. Ihr letztes Gespräch war ein Streit, der erste den Meta je hatte. Gilgian hatte sich dann eingemischt und sie am nächsten Tag weggeschickt. Seit dem hatte sie nie wieder was von ihrem Vater gehört und sich auch nicht nach ihm erkundigt. Sie hätte es nicht ertragen können, wenn Gilgian ihr gesagt hätte, er hätte ihm etwas angetan. Wenn sie nur etwas von mehr Nutzen gewesen wäre, dann hätte Gilgian nicht zu diesen Mitteln greifen müssen, von denen sie nur vermuten konnte, um welche es sich handelte. Weil sie ein Feigling war, welcher sich nicht traute, den Mund aufzumachen, um etwas zu fragen.
Meta verstand, dass hier etwas Sonderbares passierte. Aber sie wusste nicht konkret zu benennen was. Es flimmerte um sie herum. Als wäre es ein besonders heißer Sommer und knapp über dem heißen Boden würde die Luft sich wellen. Sie vernahm ein Gespräch, aber keine weiteren Stimmen außer die von Etienne und Gilgian. Sie konnte nur erahnen, worum es ging und nicht zu verstehen, was noch gesagt wurde, beunruhigte sie. Die Angst und Sorge und die Unwissenheit, was sie tun sollte, lähmten sie.
Gilgian zog sie hoch und drückte sie Richtung Ausgang. Jeder Schritt fühlte sich an, als müsste sie ihre Beine wecken und zum Bewegen zwingen. Meta wollte protestieren, war sich unsicher, ob sie denn Etienne wirklich mit nichts weiter, als einem Messer zurücklassen sollten. Sie sollte wenigstens Catjill wieder zurücknehmen, welcher noch immer dicht an ihren Beinen blieb.
Als sie mit Gilgian den Eingang des Tunnels erreichte, vernahm sie ein Gefühl, welches sie nicht zu beschreiben vermochte. Als würden all ihre Muskeln sich zusammenziehen, als würde ihr Magen zu Stein werden. Ein Schauer ging ihr den Rücken hinauf und kalter Schweiß sammelte sich unter ihrer Kleidung. Die Luft wirbelte um sie herum, wehte ihr die blonden Haare ins Gesicht.
Meta sah sich um. Sah, wie das seltsame Konstrukt etwas hob, was die Hand sein sollte. Etwas Rotes schoss aus einer Ecke des Raumes hervor, umkreiste das Wesen. Meta konnte jedoch nicht ausmachen, was es war. Dann wackelte der Boden unter ihnen. Sie schrie auf, als Gilgian sie zurückzog und sich schützend über sie warf. Er fluchte ausgiebig. Es war auch schon eine Weile her, seit sie das von ihm gehört hatte. Es musste furchtbar für ihn sein, wieder hier zu sein. Krach übertönte ihr laut schlagendes Herz. Staub wurde aufgewirbelt, drang in ihre Augen und nahm ihr die Sicht. Meta schnappte nach Luft, atmete etwas davon ein und hustete es wieder unter Anstrengung heraus. Etwas Schweres krachte neben ihr auf den Boden, die lauten Geräusche brachten ihre Ohren zu klingeln. Sie versuchte sich den Staub aus den Augen zu reiben, welcher ihr stechend Tränen in die Augen trieb. Gilgian richtete sich wieder auf. Der Tunnel hinter ihnen war größtenteils eingestürzt. Es gab einzelne Lücken oben an der Decke und sie entdeckte, wie sich dort etwas bewegte.
„Lebt ihr noch?“, hörte sie Raffael zu ihnen herüberrufen.
Meta blickte wieder in den Raum, während ihr Bruder ihm antwortete. Über dem, was ihr Vater sein sollte, war ein langer Riss in der Decke, welcher in die andere Etage führte. Es stand mit ausgestreckten Armen da, das, was der Kopf sein sollte, nach hinten geneigt. Sie wusste, was es bedeuten sollte. Er genoss die Macht, die er nutzte. Er war schon immer süchtig danach, die Gegenstände zu verwenden, die er gesammelt hatte. Nichts hatte ihm eine größere Befriedigung verschafft. Es konnte nur ihr Vater sein. Es musste er sein. Aber wieso hörte sie ihn nicht? Sie verstand nicht, was hier los war. Sie verstand nicht, wie sie hineingeschlittert war.
Meta suchte den Raum nach Etienne ab. Diese richtete sich gerade wieder auf. Auch sie rieb sich den Staub aus den Augen und Meta war so glücklich, dass ihr nichts passiert war. Wenn sie wegen ihres Vaters zu Schaden kommen würde, dann würde Meta nicht wissen, wie sie damit umgehen sollte. Ihr Vater hatte bereits so vielen etwas angetan und Meta fühlte die Schuld in ihrem Herzen sitzen, als wäre sie diejenige, welche an seiner Stelle stand. Und als seine Tochter hätte sie doch bestimmt etwas tun können, um das zu verhindern. Irgendwas.
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Sie schämte sich für ihn. Sie musste sich bei Etienne entschuldigen. Wenn sie gewusst hätte, dass ihr Vater noch hier in diesem Haus war, dann hätte sie nie zugelassen, dass Etienne sich in solch eine Gefahr begab.
Kaum dass Etienne sich aufgerichtet hatte, fiel sie nach hinten um. Meta wollte zu ihr und ihr hoch helfen, war sich aber nicht sicher, ob sie eine Hilfe sein würde. Dann wurde Etienne plötzlich weggezogen und Meta schrie erschrocken auf, als Etiennes Licht zunächst in die Mitte des Raumes und anschließend nach oben flog. Nur um danach zu verschwinden und sie in der Dunkelheit zurückzulassen.
„Gilgian!“, rief sie ihrem Bruder zu, zog an seiner Hand, sodass er sich wieder auf das Geschehen vor ihnen konzentrierte. Ihr Bruder fluchte schon wieder. Meta bemerkte, wie die Krallen des Katers sich in ihre Schultern bohrten. Der Schmerz half ihr nicht dabei, sich zu beruhigen.
„Hilf ihr“, sagte sie zu Catjill, welcher sich nicht vom Fleck rührte.
„Sie sagte, ich soll bei dir bleiben“, erwiderte er mit einer ihr etwas zu unbeschwerten Stimme.
„Catjill, bitte“, flehte sie ihn an.
„Ihr müsst mir sagen, was bei euch los ist!“, rief Raffael zu ihnen hindurch. Gilgian ignorierte ihn und trat vor Meta. Sie wusste nicht mal, was er vorhatte zu tun oder ob er überhaupt etwas tun konnte. Wogegen? Steine und Staub? Sagte dieses Wesen wieder etwas? Schwieg es? Hatte es die Stimme ihres Vaters?
„Etienne wurde nach oben gezogen!“, rief sie Raffael zu, „Die Decke ist aufgerissen. Ich glaube, es war dieses schwarze Ding.“
Es war still, aber es fühlte sich nicht still an. Die Luft bewegte sich sanft, ein Wind, von dem es keinen Sinn ergab, von wo er herkam. Dann hörte sie Gilgian erneut fluchen.
„Dein Vater erzählt gerade, dass es ein Carwling ist“, flüsterte Catjill ihr verschwörerisch zu, „Mach dir aber keine Sorgen, er ist noch klein.“
„Was?“ Meta versuchte ihn anzusehen aber ohne Etiennes helles Licht war es furchtbar dunkel im Zimmer. Dunkel und einengend und so hoffnungslos. Meta erinnerte sich an den Unterricht von Cruz. Sie hatten die Geburtsstunde der neuen Welt besprochen. Es gab immer noch offene Fragen, Unklarheiten, wieso Dinge so ihren Lauf genommen haben, wie sie es haben. Aber es waren sich alle einig, dass es sich hierbei um die dunkelste Stunde der Menschheit gehandelt hat. Es musste sich sicherlich genauso angefühlt haben, wie sich Meta gerade in diesem Moment fühlte. Wie sollte sie irgendwie irgendjemandem helfen können, wenn sie selbst nichts konnte. Wenn sie nicht einmal die Stimme ihres Vaters hören konnte.
„Wir finden einen anderen Weg zu euch“, hörte sie Raffael ihnen zurufen, „Haltet durch, bis Etienne und ich wieder bei euch sind.“
Sie sah wieder zurück und konnte durch die Lücken des Gesteins ausmachen, wie er sich bewegte. Dann war er weg. Metas Herz sank. Es fühlte sich furchtbar an. Was, wenn sie nicht zurückkommen würden? Es war Raffael. Er hatte keinen Grund für sie beide hier zu bleiben. Aber sie wollte dennoch nicht, dass er sie alleine ließ.
„Gilgian“, sagte sie leise, schnappte nach Luft, von welcher sie nicht genug bekam, „wir sollten-“
„Halt einfach deinen Mund“, hörte sie Gilgian nach einem Moment genervt sagen. Ihr Herz sank noch tiefer.
„Oh keine Sorge, er meint nicht dich“, sagte Catjill, „Dein Vater meinte nur gerade, dass er die Familienzusammenführung sehr schätzt.“
Gilgian und ihr Vater führten ein Gespräch, an dem sie nicht teilhaben konnte. Schon wieder, nur dass sie diesmal nicht von ihrem Vater weggeschickt wurde, sondern die Welt sich entschieden hatte, sie endgültig auszuschließen.
„Was soll ich tun?“, fragte sie an Catjill gerichtet. Sie würde ihren Bruder nicht ablenken, während er sich dem Geist ihres Vaters widmete. Sollte sie versuchen wegzulaufen, dass ihr Bruder keine Rücksicht auf sie nehmen musste? Es wäre für alle Beteiligte um so viel einfacher, wenn sie nicht einen Ballast wie sie bei sich hätten.
„Bleib an Ort und Stelle“, hörte sie Gilgian ihre Frage beantworten. Meta wollte losheulen. Sie konnte nichts tun, als weiter hinter ihm zu sitzen, an Ort und Stelle, mit nichts weiter, als eingestürzten Steinen um sie herum, vor denen er sie auch beschützt hatte.
„Nicht genug, wie es scheint“, sagte Gilgian dann, „Ich finde, du könntest noch einige Jahre hier drin weiter rotten.“
Wieder Stille und ihre anhaltende Unsicherheit. Er redete nicht mit ihr. Aber irgendwie fühlte es sich beinahe schon so an.
„Bitte Catjill, ich flehe dich an. Ich gebe dir alles, was du willst, wenn du uns hilfst“, flüsterte sie dann zum Kater, während Gilgians Stimme ihre überlagerte und sich an ihren Vater wandte.
„Ich nehme keine Verträge an, solange ich einen mit Etienne habe“, sagte er zu ihr und sie hasste seine Antwort.
„Wieso nicht? Könne Djinns nicht mehrere Verträge halten, solange diese sich nicht überschneiden? Etienne hat dir gesagt, dass du mir helfen sollst“, erwiderte sie.
„Nein, sie hat gesagt, ich soll dich beschützen. Wie, obliegt mir.“
Sie spürte, wie sein Schwanz hin und her zuckte, dabei mehrmals ihren Arm streifte. Bedeutete dies nicht, dass Katzen nervös waren? Sie war sich nicht sicher. Meta hatte über diese bisher nur in Büchern etwas gelesen.
Und dann, ganz plötzlich, fielen die ganzen Gegenstände hinunter. Die Münzen klimperten laut auf den Boden, schnitten durch alle anderen Geräusche im Zimmer. Meta hielt die Luft an, starr vor ängstlicher Erwartung über den plötzlichen Zusammenbruch der Gestalt. Dann zuckte Gilgians ganzer Körper. Er stieß einen kehligen rauen Wutschrei hervor, während sein schemenhafter Körper sich nach unten beugte.
„Gilgian?“, fragte sie besorgt, atemlos.
Dann wanderten zwei sehr hell leuchtende graue Augen zu ihr. Es war ihre Augenfarbe, diejenige, welche sie mit ihrem Vater teilte. Und zum ersten Mal seit sich diese Gestalt manifestiert hatte, hatte Meta wirklich das Gefühl, ihm gegenüberzustehen.
„Keine Sorge“, sagte Catjill unbeschwert, „Er kommt auch nicht mit einem menschlichen Körper zu dir durch.“
„Was?“, fragte sie, benommen von der Implikation, welche Catjill ihr so unbeschwert entgegenwarf.
Dann zuckte Gilgians Körper erneut. Er beugte sich nach vorne und würgte. Lange.
Meta packte das Fell des Katers, als Gilgian zu lachen anfing, „Ich wusste schon immer, dass du ein schwacher Mann bist“, sagte er, seine Augen wieder in dem dunklem Blau, „Glaubst du wirklich, ich hätte nie was von deinen Plänen mitbekommen, meinen Körper zu übernehmen?“
Die Münzen und der Schrott stiegen erneut empor. Diesmal langsamer, bedrohlicher, als wären sie selbst wütend, erneut in Bewegung gesetzt zu werden.
„Catjill“, setzte Meta noch einmal an, wollte ihn um etwas bitten, aber sie wusste nicht, um was.
„Keine Sorge“, sagte er unbeschwert, „Das wird schon. Schau, dieser Bulle macht das gar nicht so schlecht.“