„Wir gehen langsam rein“, sagte Etienne ruhig. Sie griff den Backstein in eine Hand und trat vorsichtig zurück. Meta riss die Augen von dem Wesen und sah hinter sich. Die Tür stand weit offen, wie eine Einladung zum Eintreten.
„Soll das ein Witz sein?“, fragte sie panisch.
„Aktuell sehe ich keine Möglichkeit, sich woanders zurückzuziehen“, sagte Etienne, „Und ich weiß noch nicht, ob das ein Hund ist oder ein Geist.“
Metas Herz schlug erneut gegen ihre Brust und sie zwang sich, ihre Beine zu bewegen, welche sich nun schwer anfühlten. Es kostete sie so viel Kraft. Sie trat vorsichtig zurück.
„Catjill“, sagte Etienne, „Check den Innenbereich.“
Der Kater knurrte, tat dann aber, wie sie ihm befohlen hatte. Seine tröstliche Wärme an ihren Schultern verschwand und Meta spürte, wie eine kalte Brise über sie hinüberschwappte.
„Da ist nichts drin“, sagte er.
„Dann langsam rein“, sagte Etienne.
Meta wimmerte, folgte dann widerstrebend dem Djinn, welcher sich bereits an der Türschwelle befand. Dann zögerte sie jedoch und blickte wieder zum Tor, „Ist das wirklich nicht möglich?“
Die Gestalt trat aus dem Gebüsch. Ein dürrer, knochiger Hund mit scharfen Zähnen, welche in ihre Richtung gefletscht wurden.
„Gehe rein, Meta“, sagte Etienne. Der Hund sprang auf sie zu und Meta zuckte mit einem Schrei zusammen. Etienne holte aus und warf den Backstein in sein Gesicht. Es jaulte auf und dann verschwand er in einem Schatten, welcher sich kurze Zeit später wieder zu seiner alten Form formte.
Etienne drehte sich auf dem Absatz um und lief auf Meta zu, welche sie dann an der Hand packte und mit hineinzog. Meta lief ihr hinterher und versuchte dabei nicht über ihre eigenen Füße zu stolpern. Sie sah, wie die Tür näher kam, dann fand sie sich auf einem Schlag im Dunkeln wieder. Sie hörte keine Geräusche mehr von Außen. Kein Knurren oder Jaulen. Nur ihren lauten Herzschlag, welcher ihr zu verstehen gab, dass sie einen furchtbaren Fehler begangen hatte, hierher zurückzukommen.
Etienne zog im Dunkeln ihre alte Halskette heraus, welche sie einst bei einem Turnier gewonnen hatte, als sie noch jünger war. Sie stellte sich vor, was sie wollte und ließ den Wunsch auf die Kette überspringen, welche sodann in einem weißen Licht den Raum hell erleuchtete.
„Schon viel besser, nicht wahr?“
Sie blickte sich nach Meta um, welche zitternd neben ihr stand und ihre Hand so fest umklammert hielt, dass Etienne Sorge hatte, Metas Hand würde vor Krampf nie wieder aufgehen. Sie antwortete ihr nicht.
„Catjill?“, fragte Etienne und der Kater kletterte auf ihre Schulter. Erneut war sie froh darüber, sich die Jacke besorgt zu haben. Sie war ihr Stolz und ihre Sicherheit und nun schützte sie Etienne vor Catjills scharfen Krallen, von denen Etienne sich sicher war, dass er sie mit Absicht so scharf machte.
Etienne trat zu Meta und sah ihr in die Augen, „Ist alles in Ordnung bei dir?“
Meta sah sie aus ihren großen grauen Augen an, „Ich will hier raus.“
Etienne nickte verstehend, „Das kann ich mir vorstellen. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob wir da jetzt rausgehen sollten.“
Metas Atem beschleunigte sich und Etienne strich ihr beruhigend über die Schultern, wie sie es bei einem alten Freund beobachtet hatte, welcher jemand anderen getröstet hatte.
„Es ist alles in Ordnung, Meta. Solange ich hier bin, wird dir nichts passieren.“
Etienne krammte in ihrem Kopf nach anderen tröstlichen Worten oder Taten, welche sie bei ihm gesehen hatte. Stirn an Stirn, tief in die Augen schauen. Solche Sachen, die scheinbar geholfen hatten. Würde das bei Meta funktionieren?
„Was war das für ein Wesen?“, fragte Meta.
Etienne lächelte sie an, „Ich bin mir noch nicht ganz sicher.“
Sie hatte eine Vermutung, doch diese würde sie zunächst für sich behalten. Es war besser, ihr nicht noch mehr Angst zu machen. Etienne musste verhindern, dass Meta in Panik verfiel, denn sonst war sie sich nicht sicher, ob sie für ihre Sicherheit sorgen konnte. Notfalls müsste sie den Djinn bei ihr lassen und sich selbst auf die Suche machen.
Kurz verfluchte sie sich selbst und Raffael und die Tatsache, dass sie viel zu übereilt gehandelt hatte. Sie hätte sich noch einen Tag nehmen sollen und wenigstens alleine diesen Ort etwas ausspähen sollen.
Wenn sie alleine war, dann konnte sie sich in solche Situationen hineinstürzen. Mit Meta hier, war dies jedoch ein großes Problem. Etienne war so selten unter Menschen gewesen, dass sie manchmal vergaß, wie fragil einige von ihnen waren.
„Was sollen wir machen?“, fragte Meta weiter. Etienne war froh darüber. Ihr war es lieber, wenn sie Fragen stellte, anstatt in einer Schockstarre zu verharren.
Sie wägte ihre Worte kurz ab, überlegte sich, ob sie Meta täuschen sollte, um ihr die Angst zu ersparen. Entschied sich dann jedoch dagegen, „Ich gehe in solchen Situationen tiefer hinein, um nach der Ursache des Problems zu suchen. Und ich bin mir sicher, wir finden eine.“
Meta atmete tief durch und rieb sich mit der Hand die Stirn, „Das kann nicht dein Ernst sein. Woher willst du so sicher sein?“
Etienne lachte, „Tut mir Leid. Aber ich bin Exorzist, so handhaben wir das. So einfach, wie wir in dieses Haus reingekommen sind, bin ich mir ziemlich sicher, dass wir nicht so einfach rauskommen.“
Meta ging in die Hocke und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.
„Das kann nicht dein Ernst sein“, wiederholte sie leise, mehr zu sich, als zu ihr.
Etienne gab ihr etwas Zeit, sich zu beruhigen und sah sich währenddessen im Zimmer um, welches in ihr kaltes weißes Licht getaucht wurde. Sie entdeckte viele, mit Staub bedeckte, Möbel. Es standen Vasen auf Tischen, welche verwelkte Blumen hielten. Die schweren Vorhänge waren vor die Fenster geschoben, sodass kein warmes Sonnenlicht eindringen konnte. Etienne war sich sicher, dass heute das Wetter gut sein sollte. Die Atmosphäre im Vorgarten ergab für sie keinen Sinn. Es hatte regnerisch ausgehen.
Sie sah wieder zu Meta und änderte die Farbe des Lichtes von weiß zu einem wärmeren Farbton. Nun leuchtete es um sie herum in Gelb. Ihr war der kalte Farbton lieber, so konnte sie mehr sehen. Aber vielleicht würde die warme Farbe Meta etwas dabei helfen, sich zu beruhigen.
„Komm schon Meta“, sagte sie und zog sie hoch, „Ich brauche dich konzentriert und gefasst.“
Meta ließ sich hochziehen und atmete noch ein mal tief durch, „Ok.“
Sie sah zu ihrer Kette, welche Etienne in der Hand hielt, die Schnur um ihre Hand gewickelt.
„Was ist das?“, fragte sie in einer zittrigen Stimme.
If you find this story on Amazon, be aware that it has been stolen. Please report the infringement.
Etienne antwortete ihr ausführlich, um sie etwas abzulenken, „Es ist ein gewöhnliches Artefakt. Nichts Besonderes. Es kann die Farbe ändern und hell leuchten. Und es kann die Farbe von Gegenständen ändern, wenn ich etwas damit berühre.“
Sie hielt den Stein an ihre Jacke, welche auf einen Schlag weiß wurde.
Meta blinzelte verwirrt, „Das hört sich aber nicht nach etwas Gewöhnlichem an.“
„Oh, das ist es. Eigentlich ist es ziemlich nutzlos. Außer es als Lichtquelle zu benutzen, kann ich es kaum für etwas gebrauchen. Was natürlich nicht bedeutet, dass es leicht herzustellen ist.“
Sie änderte die Farbe der Jacke zurück.
Meta nickte. Sie schwieg und schloss dann kurz die Augen. Dann blickte sie nach einem leisen Durchatmen wieder zu Etienne und sagt mit dünner Stimme, „Vielleicht sollten wir ins Arbeitszimmer meines Vaters gehen. Er hat auch ein Schatzzimmer, in welchem er die ganzen Sachen gesammelt hat. Vielleicht hat er irgendwas in seinen letzten Tagen reingebracht, was das Ganze hier verursacht.“
Etienne nickte lächelnd, „Dann machen wir das. Laufe hinter mir und beschreibe mir den Weg. Catjill, du hältst deine Sinne offen und sagst mir, wenn sich etwas in unserer Nähe befindet.“
„Ich hasse es, dass du mich aus meinem Wald geholt hast“, sagte er.
Etienne lachte, „Das ist eine Lüge. Und tue nicht so, als wäre es dort besser gewesen.“
Sie drehte sich zu der Treppe, welche auf der anderen Seite des Raumes war und setzte sich in Bewegung. Ihre Schritte wurden durch den einst roten Teppich gedämpft.
Sie gingen hinauf und Etienne sah sich wachsam um. Nichts rührte sich.
„Nach rechts. Dann durch die Tür den langen Gang entlang. So kommen wir im Arbeitsbereich meines Vaters an“
Die Stimme war schwach und zittrig. Etienne machte sich Sorgen, dass sie erneut die Fassung verlieren würde. Sie würde dafür sorgen, dass Meta nichts geschah. Zeitgleich vermerkte sie sich aber, dass Meta ihr mehr eine Last, als eine Hilfe sein würde. Wenn sie in Panik verfallen würde, müsste sie sich etwas überlegen, um Metas und ihre eigene Sicherheit zu garantieren.
So ein Mist, dachte sie. Es war wirklich nicht der Plan gewesen, sie mit ins Haus zu schleppen.
Aus ihrem Augenwinkel sah sie Catjill, welcher an das Geländer ging und es sogleich bereute, als Staub an seinen Pfoten hängen blieb.
„Komm zu mir“, sagte Etienne zu ihm. Sie mochte es nicht, dass er so viele Spuren hinterließ. Er befolgte nur zu bereitwillig ihre Anweisung und Etienne unterdrückte ein Seufzen. Sie hatte zwei furchtbar ängstliche Wesen bei sich, um welche sie sich kümmern musste. Das würde ein anstrengender Ausflug werden.
Sie trat an eine Tür heran, „Ist es hier?“
Meta sagte nichts und Etienne blickte zu ihr. Dann schüttelte Meta den Kopf, „Entschuldige, ich habe genickt. Ja, das ist hier.“
Etienne lächelte und öffnete die Tür. Vor ihr erstreckte sich ein langer Gang, an dessen beiden Seiten weiße Vorhänge still hinunterhingen. Sie vermutete hier die Fenster, welche sie von Außen erblickt hatte. So viel Stoff löste in ihr ein Gefühl der Bedrohung aus. Er hing jedoch nicht bis an den Boden. Es würde sich niemand dahinter verstecken können, so viel war sicher. Dennoch mochte sie es nicht, wie schwer es ihr fiel den Überblick über den dunklen Gang zu bekommen.
„Gibt es ein Problem?“, fragte Catjill ungeduldig.
Etienne versuchte mehr vom Gang zu erahnen, ihr Licht reichte jedoch nicht so weit. Sie schüttelte den Kopf und ging vorsichtig vor. Nach einigen Schritten spürte sie einen leichten Luftzug, welcher sie erschaudern ließ. Sie sah sich um, entdeckte aber nichts. Die Vorhänge hingen weiter ruhig hinunter, an der geöffneten Tür war niemand.
War das Magie oder Wind?, fragte sie sich. Sie war sehr magieempfindlich. Ihr Körper spürte sie, wie kaltes Wasser, welches auf sie traf. Und manchmal, wenn die Zauber oder die Flüche wirklich intensiv waren, dann konnte es weh tun. Nicht selten hatte diese Gabe sie rechtzeitig vor Gefahren gewarnt.
Das Licht beleuchtete nun auch das andere Ende des Ganges. Es gab weiterhin nichts zu sehen, also gingen sie weiter.
Als sie fast an der anderen Seite angekommen waren, spürte sie ein Schaudern ihren Nacken hinauf wandern.
Sie sah sich wieder um. Meta wimmerte leise hinter ihr, „Ich bin mir wirklich unsicher. Vielleicht sollten wir wieder zurückgehen? Vielleicht ist das Tier nicht mehr da und du kannst mich schnell über den Zaun schaffen?“
Sie hielt Etiennes Hand so fest, dass es schon weh tat. Etienne spürte ihre Fingernägel durch die Handschuhe und war froh, diese anzuhaben. Sie drehte sich zu Meta um und wollte sie erneut beruhigen, ihr versichern, dass so lange sie bei ihr blieb, ihr nichts passieren würde. Sie hielt jedoch inne, als sie merkte, wie sich hinter Meta etwas regte. Ein Vorhang wehte sanft hin und her. Meta spannte sich an, als sie ihren Blick entdeckte und dann sah sie sich um. Auch sie entdeckte den Vorhang und die Fingernägel gruben sich tiefer in Etiennes Hand.
„Was ist...? War…?“, fragte sie. Ihre Stimme zitterte und brach.
Etienne atmete durch, „Nein, ich bin mir sehr sicher, dass kein Fenster geöffnet ist.“
„Wirklich?“, fragte Catjill, „Vielleicht hast du es übersehen. Du hast auch die verdammte Tür im Château übersehen, welche genau vor dir war. “
„Ich habe sie nicht übersehen. Du hast mich in den falschen Gang geschickt. Und ich sollte eher fragen, ob du dir sicher bist, dass hier nichts ist? “, erwiderte sie.
Er gab ein beleidigtes Geräusch von sich, „Natürlich ist hier nichts! Ich hab das ordentlich durchgeschaut, uns sollte nichts in den Weg kommen. Zumindest noch nicht.“
Etienne blickte hinter ihre Schulter, wo ein weiterer dunkler Gang sich erstreckte. Dann sah sie wieder zum wehenden Vorhang, an welchem sie wieder vorbeimüssten, wenn sie Meta herausschaffen wollte.
„Lass uns weiter.“
„Etienne …“, meinte Meta widersprechend. Dann schwang der Vorhang sehr stark nach oben und fiel sanft wieder hinunter. Meta schwieg, sah mit großen Augen in den Gang.
Etienne zog an ihrem Arm und sagte eindringlich, „Ich glaube wir gehen jetzt.“
Meta ließ sich mitziehen. Stolperte über ihre Füße, als sie versuchte hinter Etienne zu kommen.
Dann schwang der Vorhang wieder hinauf und hinab und sie hörten ein Wimmern. Der Vorhang senkte sich diesmal nicht direkt und fiel über eine Form, welche Etienne physisch nicht ausmachen konnte, und das versetzte sie in Unruhe. Etienne fragte alarmierend, „Catjill. Was ist das? Ein Geist?“
Plötzlich rannte Meta los und Etienne lief ihr sofort hinterher. Sie beeilte sich, sie einzuholen, versuchte ihren Arm zu erwischen, damit sie nicht von ihr getrennt werden würde.
Verflucht, dachte sie. Sie wäre um so viel besser dran, wenn sie sich nicht um Andere kümmern müsste. Aber etwas sagte ihr, dass Meta in diesem Haus sehr erwünscht war.