Etienne schrie erschrocken auf, als sie durch Schuttgestein und Goldmünzen gezogen wurde. Dann setzte ein seltsames Gefühl in ihrem Magen ein, als ihr Rücken den Boden verließ und Etienne sich durch die Luft bewegte. Die Umgebung verschwamm und sie packte ihr Messer fester. Konzentrierte sich auf das schwarze Wesen, welches sie in ein anderes Stockwerk hinauf zog, während es immer wieder bedrohliche Geräusche tief aus seiner Kehle stieß. Dann wurde sie durch die Luft geschleudert und schlug auf eine harte Oberfläche auf, welche unter ihr nachgab. Sie biss sich auf die Lippe und ignorierte den Schmerz zwischen ihren Schulterblättern. Das Wesen stürzte sich auf sie und sie nutzte ihren Arm und ihre Beine, um es von sich fernzuhalten, während es nach ihrem Hals schnappte, in einem für es typischen Angriff auf seine Beute. Mit der anderen Hand griff sie ihr Messer fester und versenkte es in der Öffnung seines langen Ohrs. Es kreischte auf. Etienne zog das Messer schnell wieder heraus und trat das Monster von sich. Es stolperte von ihr Weg, wand sich unter dem Schmerz und gab ihr genug Zeit zu reagieren. Etienne sprang auf und ging auf Abstand, während ihr Blick zwischen dem Wesen und dem Raum hin und her sprang. Sie entdeckte ein großes Bett, eine Couch. Einen Schrank, der offen stand. Ein Loch im Boden. Die Tür war bei dem Wesen. Hinter ihr war ein Fenster. Ein Tisch mit einem großen Spiegel neben der Tür.
Etienne packte einen Stein neben dem Loch und warf es so stark sie konnte in den Spiegel. Die Gestalt kreischte auf und sprang dorthin, nahm die Möbel auseinander, welche dort standen. Etienne packte das Messer fester und sprang auf seinen Rücken. Bereit es schnell zu beenden, zielte sie auf seinen Nacken, doch seine abrupten Bewegung sorgten dafür, dass sie abrutschte und seine Schulter traf. Es kreischte wieder auf und wirbelte herum. Etienne verlor durch den Schwung den Griff und wurde gegen den Schrank geschleudert. Ihre Wange schlug stark an der Seite auf und sie biss sich auf die Lippe. Durch Adrenalin getrieben sprang sie wieder auf die Füße und wich dem Wesen aus, welches in den Schrank krachte, an der Stelle, wo sie zuvor noch gewesen war. Schnell fing es sich wieder und griff nach ihr. Etienne schnitt ihm durch die Hand und es kreischte erneut auf und setzte seinen Angriff fort. Etienne duckte sich unter seinem Griff und versenkte ihr Messer tief in seinem Bein, zog es wieder heraus und stahl sich hinter es, während es weiter nach ihr schlug. Etienne stach ihm in den Knöchel desselben Beines, durchtrennte die Stelle, in der sie die Sehne vermutete. Dann sprang sie wieder auf Abstand, als es herumwirbelte und kreischend nach ihr Schlug. Es suchte blind nach ihr, und Etienne trat leise weiter weg, beobachtete es und stellte fest, dass es desorientierter war als vorher. Die Ohren und die Nase gaben ihm die Informationen, die es zum Jagen brauchte. Es war sicherlich fürchterlich, wenn es in der dunklen Nacht auf Lauer lag. Es war so dunkel, dass es in Etiennes schwachem Licht kaum zu sehen war. Sie überlegte sich, wie sie am besten ihren letzten Schlag ausführen sollte. Es schien sein Gewicht nicht mehr auf sein beschädigtes Bein verlagern zu können und wenn sie sein Ohr betrachtete, schien dieses sich auch nicht zu regenerieren.
Etienne packte ihr Messer anders und hielt still, als es plötzlich ruhiger wurde. Sie gab kein Geräusch von sich, blieb still und ruhig. Dann sog es wieder Luft durch die Nase und Etienne packte ein kaputtes Brett in die Hand und warf es ihm entgegen, bevor es sie durch ihren Geruch lokalisieren sollte. Sie vermutete, dass ihre Reaktion darauf zu langsam war, als es sich auf sie stürzte, das Brett ignorierte, welches an seiner Schulter aufschlug, und sie am Hals packte. Etienne stach ihm in sein Handgelenk und es zog die Hand zurück, packte sie dann jedoch an der Jacke und ließ diesmal nicht los. Sie trat ihm in die Wunde am Bein und als es in die Knie ging, setzte Etienne mit einem Stich in die Nase ein. Es kreischte erneut auf und warf sie hin und her. Etienne wehrte sich nicht gegen den Griff, versuchte bei seinen Bewegungen mitzugehen und als es sie wieder zu sich zog, stach sie ihm in den Hals, dann packte sie mit der freien Hand sein anderes Ohr, zog seinen Kopf zurück und stach erneut zu. Sie spürte wie es träge wurde, seine Klagelaute wurde leiser. Es stolperte zurück, hielt sie noch immer am Kragen ihrer Jacke feste. Etienne drückte es weiter zurück. Hinter ihm war das Loch im Boden, durch welches es sie in den Raum gezogen hatte. Es gab keinen besseren Ort ihn loszuwerden. Sie wollte es nicht neben sich sterben lassen. Sie hatte ihrem Bruder versprochen, keine Gewalt für ihre Ziele einzusetzen, aber niemals hätte sie gedacht eines von diesen Dingern inmitten dieser vergleichsweise kleinen Stadt zu finden. Sicherlich würde er ihr verzeihen, immerhin handelte es sich hier um ein Monster, welches die neue Welt in ihren Anfängen terrorisiert hatte.
Es stolperte weiter zurück, seine Klaue ließ ihre Jacke los. Etienne hielt es weiter wachsam fest. Als sie das Gefühl hatte, dass es sie nicht weiter angreifen würde, zog sie ihr Messer wieder heraus. Doch der Schmerz ließ es noch einmal aufkreischen und es packte sie erneut am Kragen der Jacke und zog sie mit, als es hinunterfiel. Etienne fluchte, als sie vom Gewicht mitgezogen wurde, versucht sich zu drehen, um dem Griff zu entkommen, wollte etwas im Zimmer greifen, fiel dann jedoch rückwerts hinunter. Sie stach mit dem Messer in die Wand, versuchte sich mit ihren Beinen und dem Arm sich an dem Gestein festzuhalten. Das Messer verhakte sich in dem kaputten Stein. Sie spürte das Gewicht des Wesens stark an ihr ziehen, als sie ihren Fall verhinderte, dann ließ es sie los und sie fühlte sich auf ein Mal leichter. Doch dann setzte die Anstrengung in ihren Gliedern ein, als sie versuchte ihre Körperspannung aufrechtzuerhalten und nicht einzusacken. Sie dachte panisch nach, wie sie wieder nach oben kommen sollte. Sie hatte Angst loszulassen und sich auf ihr Messer zu verlassen, welches tief in den Überresten der Wand steckte. Sie konnte nicht einschätzen, ob dies einzelne Wand nicht unter ihrem Gewicht nachgeben würde. Schweiß sammelte sich auf ihrer Stirn und floss ihr ins Auge. Sie ignorierte es und überlegte sich, ob sie den Fall in Kauf nehmen sollte. Sie könnte auch Catjill rufen, vermutete jedoch, dass die anderen seinen Schutz jetzt wirklich brauchen würden, erst recht, wenn noch mehr von diesen Wesen in den anderen Särgen sein sollten.
Sie hörte, wie die Tür zu ihrer Rechten aufging, konnte jedoch nicht über die Kante des Lochs sehen. Ihr Herz hatte sowieso schon schnell vor Anstrengung geschlagen, nun hatte sie Angst, dass es aussetzen würde.
Kurz hörte sie nichts Weiteres, als das schwere Atmen einer Person und versuchte ebenfalls so ruhig zu sein, wie es nur ging. Dann vernahm sie eine bekannte Stimme, „Etienne?“
Sie atmete fast erleichtert durch, „Ja, hier.“
Sie hörte schnelle Schritte, dann sah sie Raffael besorgt zu ihr hinunterblicken.
„Schön dich hier zu sehen“, presste sie unter Anstrengung hervor.
„Gib mir einen Moment“, sagte er und sie merkte, wie er verschwand, etwas in dem Raum tat.
„Wo ist das Wesen?“, hörte sie ihn fragen.
„Keine Sorge darum“, presste sie hervor. Dann tauchte er wieder auf, beugte seinen Oberkörper zu ihr und packte sie mit einem Arm unter der Taille. Sie fühlte Erleichterung in ihren Gliedmaßen, als er ihr so einen Teil der Kraft abnahm, mit der sie sich halten musste. Sein anderer Arm war noch immer aus dem Sichtfeld, wahrscheinlich hatte er eine Möglichkeit gefunden, sich festzuhalten.
„Alles gut?“, fragte er besorgt, während er sie festhielt.
„Ja“, sagte sie und atmete tief durch.
Er sah ihr prüfend ins Gesicht und sagte dann, „Leg deinen Arm um mich, ich kann dich hochziehen. Aber bitte versuche nicht, mich hier runterzuziehen“
Zu sehr von der Anstrengung gepackt, ignorierte sie seinen Zusatz und tat, wie er sagte, überwand die Angst loszulassen und griff mit ihrem freien Arm schnell um seine Schulter, packte seine Jacke und hielt sich fest. Der Geruch von einfacher Seife drang zu ihr und alte Erinnerungen flitzten durch ihren Kopf, als sie damals mit ihrem Vater Berge bestiegen hatte. Auch damals hatten sie einfache Seife ohne irgendwelche Duftstoffe verwendet, ein Geruch, den sie immer mit diesen schönen Erinnerungen verband. Sie hatte damals auch gelernt, zu klettern, ihren Körper genau zu kontrollieren, immer die Ruhe zu bewahren. Ihr Vater hatte sie so vieles gelehrt.
Raffael zog sie hoch, strengte sich genauso sehr an wie sie. Etienne nutzte ihre Beine und spannte ihren ganzen Körper an, um sich hochzuhieven. Ihre Bauchmuskeln brannten, ebenso wie ihre Oberschenkel und Oberarme. Und als sie sich endlich zur Seite rollen konnte, überrannte sie die Erleichterung und Zufriedenheit, die Herausforderung gemeistert zu haben. Sie atmete schwer, als sie am Rand des Loches lag. Raffael richtete sich auf und sah sie an. Auch er atmete schwer.
Nun, wo es ruhiger wurde und sie nicht mehr ihr Herz dröhnen hörte, bemerkte sie die Stimme des Geistes von unten zu ihnen hindurchdringen. Es rumpelte, als würde ein Kampf unter ihr stattfinden, es fühlte sich jedoch weit weg an.
„Wieso bist du hier oben?“, fragte sie Raffael. Sie sah zu ihm und er blickte hinunter durch das Loch im Boden, „Der Tunnel zum Kamin ist eingestürzt. Nicht komplett, aber es wird schwer sein, durchzukommen. Meta hat mir zugerufen, dass du sehnsüchtig auf meine Hilfe wartest. Mal abgesehen davon, dass ich den Tumult in diesem Zimmer einen ganzen Stockwerk weiter unten hören konnte. Ist alles in Ordnung?“
Sie richtete sich auf und ihre Muskeln beschwerten sich, „Sehnsüchtig bestimmt nicht. Ist auch halb so wild. Wir sollten uns überlegen, wie wir die beiden da rausholen.“
„Sie werden sicherlich noch eine Weile durchhalten. Eine Idee, wie wir den Geist ausschalten können?“
Etienne beugte sich über das Loch und packte ihr Messer, welches noch immer in der Wand steckte. Mit viel Kraft zog sie es wieder heraus. Sie bemerkte wie Raffaels Blick darauf fiel und dann wieder zu ihr zurückkehrte.
„Was? Glaubst du, ich hab mich gegen das Ding mit Fäusten gewehrt?“
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„Hab dich nicht als Messerschwingend eingeschätzt“, sagte er.
Etienne wischte es an dem Vorhang ab, der neben ihnen lag. Die Kordeln des Vorhanges hingen noch um Raffaels Arm. Während sie es wegpackte, sagte sie, „Eigentlich hatten wir vor, mit Catjill von hier zu verschwinden. Aber ich kann mich nicht noch um zwei zusätzliche Leute kümmern.“
Es war schon schlimm genug, dass sie für Meta mit ihm Verhandlungen abschließen musste.
„Ist das ein Vorwurf?“, fragte er.
Sie sah ihn lächeln und antwortete, „Ich stelle nur Tatsachen fest. Und wir müssen etwas finden, was den Geist an die erste Ebene bindet. Wenn wir das zerstören, wird es zwar weiterhin spuken, kann uns aber nicht mehr gefährlich werden.“
Er sah sie prüfend von oben bis unten an, sein Blick blieb an ihrer Wange haften. Seine Finger berührten etwas von der dunklen Flüssigkeit, welche an ihrer Jacke war und er betastete diese prüfend. Etienne hoffte, dass die Jacke noch einigermaßen heile war. Es war die einzige die sie hatte und sie zu verlieren, würde wirklich schmerzen. Nicht nur, weil sie teuer gewesen war, sondern weil sie ihr auch viel bedeutete.
„Was ist, wenn wir mit ihm einen Handel eingehen?“, fragte er.
„Das habe ich schon versucht“, sagte sie und betrachtete das neue Loch in ihren Schuhen. Es war nicht allzu schlimm, das könnte sie wieder hinbiegen.
Raffael lachte und sie sah wieder zu ihm.
„Oh Gott. Was hast du ihm angeboten? Alles?“
Etienne verengte die Augen und sah ihn warnend an, „Beleidigst du mich gerade?“
„Nein, ich bin wirklich neugierig“, sagte er, sah sie erwartungsvoll an.
Immer noch misstrauisch, aber aus einem Impuls heraus, sich zu beweisen, zeigte sie ihm ihren Talisman, „Das kann alles in Gold verwandeln. Ich dachte mir, es wäre passend für ein gierendes Wesen wie ihn.“
Er hob überrascht beide Braune und sah es eingehend an. Dann fragte er zweifelnd, „Wirklich? Das hat er dir geglaubt?“
Etienne packte ihren Talisman und versteckte ihn mit ihren Händen vor seinen Augen. „Und wieso sollte er das nicht glauben? Woher willst du überhaupt wissen, ob es das kann oder nicht?“
Er atmete leise durch, legte seinen Kopf auf seinen Handrücken, welcher auf seinem Knie lag. Sein Ausdruck war eine Mischung aus Belustigung und Mitleid. Dann hob er den Finger und zeigte auf eine abgewetzte Stelle am Leder ihres Schuhs, „Das hier“, sein Finger wanderte weiter zu ihrer Hose und einem kleinen Loch in der Jeans, „und das hier“, dann weiter zu ihrer geliebten Jacke, welche ihr ihn allen möglichen Situationen Schutz geboten hatte, „und die hier zeigen nicht gerade, dass du in Geld schwimmst.“
„Und? Die Jacke ist sehr teuer. Denkst du, ich habe sie geklaut?“
Sie war so genervt davon, dass er ihr die Lüge mit dem Talisman nicht glaubte.
„Nein“, sagte er lachend, „Aber deine Lüge ist nicht gerade glaubwürdig. Hat er das wirklich geglaubt? Oder dich beim Lügen erwischt und euch dann angegriffen?“
Etienne verzog das Gesicht und entschloss sich, nicht weiter auf ihren Talisman einzugehen, „Er will, das Meta hier bleibt. Verhandlungen sind demnach sowieso nicht auf dem Tisch, nicht wenn die beiden hier auch raus sollen. Und Meta hier rauszuholen ist das nächste, worum ich mich jetzt kümmere.“
Er blickte wieder zu ihrer Wange, strich vorsichtig zwei Strähnen weg, „Du brauchst einen Verbandskasten und willst wieder reinspringen. Wieso erinnert mich das so sehr an Keyen?“
„Was ist da?“, fragte Etienne und berührte mit den Fingern die Stelle, die er angeblickte und zuckte zusammen, als ein brennender Schmerz ihr bis in die Knochen zog.
„Stocher da nicht rum“, sagte er wütend, packte ihre Hand und zog sie weg.
„Wie soll ich sonst einschätzen, ob das schlimm ist?“, fragte sie zurück. Mal abgesehen von dem offenliegendem Fleisch schien ihre Wangenknochen nicht gebrochen zu sein. Schlimmer fühlte sich mittlerweile ihre Schulter an. Sie würde mit einigen blauen Flecken nach Hause kommen. Tatinne würde sehr unglücklich mit ihr sein. Dritter Tag und sie würde schon wieder schlecht vor ihr dastehen.
„Sieht so schlimm aus, dass du deine Finger nicht reinstecken solltest.“
„Ich bitte dich, das ist keine Stelle, die mir lange Sorgen bereiten wird. Das ist nur ein Kratzer.“
Er seufzte schwer, vergrub sein Gesicht in seiner Hand und sagte leise, „Um Himmels willen, du bist genauso wie Keyen.“
Unwissend, was sie mit dieser Aussage anfangen sollte, sah sie ihn einfach still an.
„Ich verstehe nicht, was dein Problem ist“, platzte es dann aus ihr heraus.
Seine Augen tauchten wieder von unter seiner Hand auf und sahen sie grimmig an. Dann wechselte er schlagartig das Thema,
„Gilgian hat mir erzählt, dass er seinen Onkel und seine Bedienstete versteinert hat.“