Geistig war sie noch darauf eingestellt, ihm zuzuhören und seine Seite der Wette anzuhören. Ihr Körper reagierte jedoch auf den schnellen Angriff, welchen sie noch nicht gänzlich registriert hatte. Ohne die Chance zu haben, etwas zu sagen, sprang Etienne zur Seite, ruhig, verwirrt und überrascht von seiner unglaublichen Geschwindigkeit. Sie hatte jedoch nicht vergessen, wie schnell er sich im Klassenzimmer bewegt hatte. Also hörte sie auf ihren Körper, welcher sich schneller an die Situation anpasste, als ihr Geist, sprang weiter zurück, spürte irgendwann die weichen Matten unter ihren Schuhen und wartete auf den Moment, an welchem er den Schlag ausführen würde, mit dem er nicht so sicher war. Es dauerte auch nicht lange und er zielte genau auf ihre Schulter. Sie ließ es darauf ankommen, dass er sie dort traf, schlug aber im selben Moment zurück, um ihn noch mehr aus dem Gleichgewicht zu bringen. Etienne biss die Zähne zusammen, als die Schulter zu brennen anfing, bewegte sich jedoch weiter, ihr Körper diesmal streng dem Geist folgend. Als er leicht nach hinten stolperte, nutzte sie den Moment, sich schnell hinter ihn zu stehlen und sein Bein, welches er nutzen wollte, um das Gleichgewicht wiederzufinden, mit ihrem Bein zu verkeilen. Dann sprang sie auf seinen Rücken und nahm ihn in den Würgegriff, achtete darauf, dass der Oberarm mit den Parfümspritzern um seinen Hals geschlungen war, und dann warf sie sich nach hinten und unterdrückte ein Keuchen, als sie sein schweres Gewicht auf ihr spürte und es ihr die Luft wegdrückte. Etienne schlag die Beine um ihn und hielt ihn fest. Jetzt musste sie nur noch durchhalten, bis das Parfüm seine Wirkung erzielte.
Er bewegte sich nicht und sie vermutete, dass er überrascht davon war, sich in dieser Position wiederzufinden. Daran zweifelte sie nicht, da sie noch bis vor kurzem in der Defensive war. Seine nervigen Haare hingen ihr ins Gesicht und kitzelten ihre Nase, aber sie war so sehr darauf konzentriert, ihre Körperspannung aufrechtzuerhalten, dass sie es nur am Rande merkte. Ihre Schulter tat furchtbar weh. Aber das würde vorbeigehen. Sie musste nur ein paar Minuten durchhalten.
„Nicht schlecht“, sagte er mit Anerkennung in seiner Stimme und rührte sich kaum, „Was genau hast du nach dieser Darstellung aber vor? Du bist wohl kaum stark genug, mich in die Bewusstlosigkeit zu würgen. Und ich werde nicht aufgeben.“
„Ich dachte mir“, sprach sie unter Anstrengung und ließ ihrer Kreativität freien Lauf, „dass du dich vielleicht von meiner Weiblichkeit überzeugen lässt?“
Er lachte, „Ist das der Grund, weshalb du dich in Lavendel eingesprüht hast?“
Sie lächelte zufrieden. Er atmete es ein. Das, was an ihrem Hals und an ihrem Arm war. Selbst wenn sie es nicht schaffen sollte, ihn bis zum Schluss im Griff zu haben, sie musste ihn nur lange genug halten, dass er genug eingeatmet hatte, um Nebenwirkungen zu zeigen. Spätestens mit diesen würde sie ihn problemlos besiegen können und den Sieg auf das Parfüm schieben.
„Meine Tante hat es mir gegeben. Ist es nicht reizend?“
Sie merkte, wie er sich etwas bewegte. Langsam testete er, wie sicher ihr Griff um ihn war.
„Du wirst mir schon weh tun müssen, wenn du hier rauswillst“, sagte sie.
„Bist du sicher, dass du das mit deinen Wunden aushältst?“, fragte er belustigt.
„Klar doch“, meinte sie, „Und nur damit das klar ist, die Schulter habe ich dir mit Absicht gezeigt.“
Die Überlegung, ihren Köder für sich zu behalten, hatte sie aufgrund ihres Stolzes verworfen. Nachdem nahezu jeder immer wieder ihre Fähigkeiten infrage gestellt hatte, wollte sie sich wenigstens in einigen Bereichen einen kleinen zufriedenstellenden Sieg anerkennen lassen.
„Ist das so? Was denkst du aber, wie lange du es mit dieser aushältst?“, fragte er und legte seine Hand an ihren Arm, übte Druck aus und schien auch hier einzuschätzen, wie fest sie zuhielt, „Vielleicht ein paar Minuten? Du magst es mir gezeigt haben, aber deinem Gesichtsausdruck nach muss es furchtbar wehgetan haben.“
„Eigentlich brauche ich auch nur ein paar Minuten“, sagte sie in sein Ohr und versuchte diese verfluchten Haare aus ihrem Mund zu halten. Ihr Blick huschte wieder zur Uhr und sie entschloss sich, in den Kampf erneut einzusteigen. Desto energischer er wurde, desto mehr würde er sich wehren und desto mehr er sich wehren würde, desto mehr würde er einatmen und das Zeug in seinen Kreislauf bekommen. Außerdem wurde es Zeit, dass er panisch wurde. Aktuell war er ihr noch viel zu ruhig und das gefiel ihr nicht.
„Weißt du“, sagte sie langsam und nahm sich Zeit, ihre Worte zu sprechen, „meine Tante ist sehr versiert darin, verschiedenste Sachen zu kochen. Und sie hat ein Parfüm in die Hände bekommen, an welchem sie seit ein paar Jahren gefeilt hat. Frauen nutzen es meistens, um sich aufdringliche Männer vom Leib zu halten. Wenn sie zu nahe kommen und das für eine Weile einatmen, dann hat es ein paar Nebenwirkungen. Ich werde mir jetzt die Zeit sparen, zu erklären, welche das sind. Das wirst du in… ah, in zwei Minuten herausfinden. Ehrlich gesagt, brauche ich mich gar nicht mehr anzustrengen. In den nächsten zwei Minuten wirst du wohl kaum Schaden anrichten können.“
Auch wenn Etienne es nicht dem Zufall überlassen würde. Er würde in ihrem Griff aufgeben.
Halil schwieg für einen Moment. Sie wünschte sich, sie könnte seinen Gesichtsausdruck sehen. Dann schoss ich seine gehobene Hand in ihren Blickwinkel. Er schloss sie zur Faust, öffnete sie wieder und Etienne war sich sicher, dass er sich darauf vorbereitete, gleich zuzuschlagen.
„Du vergiftest mich?“, fragt er fassungslos.
„Hättest nicht sagen sollen, dass ich nutzen kann, was ich kann“, erinnerte sie ihn an seine leichtsinnige Zusage zu ihrer vereinbarten Kampfart. Sie hatte nicht einmal darauf beharren müssen. Er hatte es ihr einfach so hergegeben.
Seine Hand wanderte blitzschnell über seinen Körper zu ihrer Schulter und er drückte fest zu. Etienne unterdrückte einen Schmerzenslaut und verstärkte ihren Griff.
Das ist es wert, sagte sie sich trotzig.
Er schlug mit dem Ellenbogen in ihre Seite, etwas, was sie erwartet hatte und Vorkehrungen getroffen hatte. Es tat dennoch weh. Er hatte eine unglaubliche Kraft und Geschwindigkeit. Nur seine Technik und Konzentration ließen zu wünschen übrig. Der letzte Schlag war nicht so gut gesetzt, wie er es hätte sein können. Obwohl sie die Überhand hatte, fühlte es sich an, als wäre er derjenige, der sie verprügelte.
Nach einigen Momenten merkte sie jedoch, wie seine Energie etwas nachließ. Nicht viel, aber genug, dass sie den Unterschied spüren konnte. Sehr schön. Das bedeutete, dass er genug davon eingeatmet hatte, um in den nächsten Minuten den Einfluss zu spüren. Nun war es egal, ob sie ihn festhalten konnte oder nicht, die Zeit war auf ihrer Seite. Sie hörte ihn fluchen und nahm diesen Moment zum Anlass, schnell zu sagen: „Pass gut auf, denn das wird jetzt wichtig für dich. Du merkst sicherlich bereits, wie dein Blick langsam an Schärfe verliert. Das wird schlimmer werden.“
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Halil hörte kurz auf, sich zu wehren und bestärkt von der Reaktion sprach Etienne hastig weiter, „Nach einer Weile wirst du das Bewusstsein verlieren. Da endet es jedoch nicht, denn meine Tante hat mir eine etwas stärkere Version gegeben. Wie dir sicherlich auffällt, bin ich davon nicht betroffen. Das liegt daran, dass ich ein Gegenmittel bereits zu mir genommen habe. Du solltest deine Portion schnell nehmen, bevor du das Bewusstsein verlierst. Denn zu weiteren Nebenwirkungen gehören Nervenschäden. Es könnte sein, dass das dein letzter Kampf sein wird.“
Tatinne hatte hart daran gearbeitet, ihr kleines Wunderwerk, wie sie es immer nannte, zu einem schleichenden Täter zu gestalten, welcher manchmal innerhalb von Minuten, manchmal innerhalb von Monaten sein Opfer langsam umbrachte. Die Zeit konnte sich das Opfer dabei selbst aussuchen, je nachdem, wie penetrant es war. Etienne war jedoch nicht so kaltherzig, wie ihre Tante, welche sich nicht viel um jemanden scheren würde, der sie belästigt hat. Somit war die Hoffnung groß, dass der Sport Halil wichtig genug war, um auf sie zu hören und aufzugeben. Doch anstelle eines Einlenkens, hörte sie ein wütendes Knurren, welches sie überraschenderweise an Gilgian erinnerte. Dann fing Halil an, sie auszuschimpfen.
„Spar dir den Atem, du brauchst ihn“, warf sie zwischen seinen Atemzügen überrascht ein und fügte dann hinzu, „Wenn du aufgibst, gebe ich dir das Gegenmittel.“
Er schlug ihr noch einmal gegen die Seite, viel schwächer diesmal, es brachte sie dennoch dazu, schmerzerfüllt zu grunzen. Danach hielt er still. Sie bemerkte seinen schnellen, unregelmäßigen Atem, als würde er nach Luft schnappen, aber es drang keine in seine Lungen. Etienne hoffte inständig, dass er aufgeben würde. Sie wollte nicht einen bewusstlosen Körper an der Schule melden und dann erklären, wie es dazu kam.
„Es ist es nicht wert diesen Sport aufzugeben, nur um einen Streit zu gewinnen“, sagte sie und hoffte, dass diese Worte ihn noch näher dazu bewegen würden, aufzugeben. Sicherlich war das etwas sehr Wichtiges für ihn.
„Ich gebe auf“, krächzte er dann und schlug mit der Faust auf die Matte unter ihnen. Sie ließ ihn los und er sprang auf. Während er jedoch taumelte und sich wieder hinsetzte, sprang sie selbst auf die Beine und ging auf etwas Abstand. Ihr zuvor angespannter Körper schrie nun auf, als sie ihre verkrampften Glieder etwas bewegte. Etienne betrachtete ihn wachsam und ging dann in die Umkleide, hörte dabei seinen schwachen Protest, ließ sich jedoch nicht beirren. Sie holte seine Wasserflasche und ging wieder zurück. Eigentlich hatte sie noch vorgehabt, ihn damit etwas zu bedrohen. Ihm zeigen, wie leicht sie an seine Sachen kommen konnte, da sonst noch was reinzumachen, aber sie entschied sich dagegen. Ihn noch mehr zu bedrohen, könnte zu noch mehr Problemen führen. Sie wollte das Risiko nicht unnötig eingehen, wenn die Chance bestand, dass er ab jetzt Ruhe geben würde. Und wenn nicht, dann würde sie ihn das nächste Mal etwas stärker unter Druck setzen.
Sie füllte vor seinen Augen das Gegengift in seine Wasserflasche. Dann hielt sie ihm diese hin. Er nahm sie misstrauisch entgegen und roch zunächst daran. Etienne verdrehte die Augen.
„Schau“, sagte sie und trank vor ihm einige Tropfen von dem Gegenmittel.
Einige misstrauische Momente später trank er sein Wasser und für einen kleinen Moment durchströmte sie die Erleichterung. Dann erinnerte sie der pochende Schmerz ihrer Schulter daran, dass sie heute einen sehr langen Tag vor sich haben würde. Aber immerhin. Dieser Teil war geschafft. Vorausgesetzt, er hielt sich an die Abmachung.
Unsicher, ob sie nicht direkt verschwinden sollte, bevor er wieder voll und ganz bei seinen Sinnen war, ging sie langsam zu ihrer Tasche. Tatinne hatte sie gebeten, darauf zu achten, dass es nicht zu schlimmeren Zwischenfällen kommen würde, also entschloss sich Etienne so lange abzuwarten, bis er wieder allein gelassen werden konnte.
„Ihr Frauen seid absolut verrückt“, sagte er, „Wie kommt deine Tante auf so etwas Verrücktes? Mal abgesehen davon, dass es so hinterhältig ist.“
Etienne verdrehte erneut die Augen, „Selbst schuld.“
Er hätte ihr nicht sagen sollen, dass sie alles nutzen durfte. Und wenn er es nicht gesagt hätte, dann hätte sie ihm nichts davon erzählt und ihn in dem Glauben gelassen, sie hätte ihm die Luft lang genug abgedrückt, dass ihm schwindlig wurde. Dann hätte sie ihm einfach sein Wasser gegeben und bedacht, dass er genug davon getrunken hätte, dass das Gift nicht mehr wirken würde. Entgegen dem, was Raffael ihr vorwarf, war sie nicht vollkommen schlecht darin, so zu planen, dass sie ein bestimmtes Ergebnis erzielen würde. Es war nur ungewohnt, solche Umwege zu gehen. Aber sie würde es Raffael am Abend stecken und darauf freute sie sich.
„Weißt du, ich hatte nicht vor, dich komplett auseinander zu nehmen“, sagte er und warf ihr einen angewiderten Blick zu, „Aber du bist direkt losgegangen und hast versucht, mich zu ermorden. Was stimmt nicht mit dir?“
„Das hätte dich nicht getötet“, erwiderte sie empört, „Mal abgesehen davon, hast du die erstbeste Chance genutzt, meine Schulter noch schlimmer zu verunstalten, als sie das sowieso schon war. Tue nicht so, als wolltest du gnädig mit mir sein.“
Er stand auf und schien etwas unsicher auf den Beinen. Dennoch deutlich besser als zuvor, „Dann hättest du dich mir nicht in den Weg stellen sollen. Das tun sowieso nur die, die es sich leisten können, also hör mal auf mit dem scheinheiligen Unschuldsgetue.“
„Was hättest du nur getan, wenn ich mich wirklich nicht wehren könnte, hm?“
„Dann wärst du einfach nur dumm und eine kleine Prügel hätte dich schon zurechtgewiesen.“
Etienne unterdrückte es zu schmollen, genervt von seinen Worten und den Schmerzen in der Schulter. „Ich kann hoffentlich davon ausgehen, dass ich mich dir nicht mehr in den Weg stellen muss?“
Seine Miene wechselte erneut zu diesem genervten Ausdruck, welchen er beinahe die ganze Zeit aufhatte, außer, wenn er mit seinen Clubmitgliedern zusammenarbeitete.
„Willst du mir vorwerfen, ich würde mich nicht an die Abmachung halten?“
Etienne blinzelte verwirrt, überrascht von dieser Aussage. Sie hatte erwartet, dass er widersprechen würde.
„Nein, ich will nur deine Bestätigung, dass ich mich darauf verlassen kann. Und fang jetzt nicht an, daraus noch einen Streit zu provozieren. Eine Bestätigung, dass wir hier durch sind, steht mir zu.“
„Na gut“, sagte er langsam, „Du hast gewonnen, nach den Bedingungen, die ich akzeptiert habe. Also werde ich keinen Kampf mehr mit dir anfangen. Und keinen mit Anaki, mit dem ich mich wieder vertragen werde. Und ich werde niemanden auf irgendeine Art und Weise dazu anstiften. Und ich werde auch niemandem von unserem kleinen Treffen hier erzählen. Aber ich werde dir das Leben an dieser Schule so schwer wie möglich machen.“
Etienne hörte ihm still zu und ließ sich etwas Zeit, auf die letzten Worte zu reagieren. Dann fragte sie lächelnd, „Können wir den Streit nicht einfach begraben und Freunde sein?“
Er grinste, böswillig und selbstzufrieden, und trank noch mal aus der Flasche. Dann sagte er, „Dann hättest du deinen Preis anders wählen sollen.“
Sie wusste, er sagte es nur, weil sie es zuvor zu ihm gesagt hatte.