Drei Tage später…
Keiner wusste so genau, welches Gebäude das Château de la Fortune einst gewesen war. Oder wie es dazu kam, dass ausgerechnet dieses Fleckchen der neuen Welt ein aufgeblühtes Paradies sonderbarer Flora und Fauna geworden ist. Durch dieses führte ein kleiner Pfad direkt zum Château. Es wäre nicht die erste Gegend der neuen Welt, welche in den letzten Jahrzehnten die skurrilsten Wesen hervorgebracht hatte.
Aber zu Etiennes Missmut war er auch noch nicht so gut dokumentiert. Ihre Recherche hatte ihr nicht dabei geholfen die Gefahren einzuschätzen, die hier auf sie warten würden. Und dass es welche geben würde, stand genauso fest, wie das Vorhaben ihrer Wanderung.
Noch war ihr nichts anderes in diesem Wald begegnet, als sonderbare Pflanzen und Insekten, von denen sie jedoch nicht wusste, welche giftig waren und welche nicht. Sie näherten sich ihr nicht, mieden den Fremdkörper, der sie war.
Dennoch hatte sich nach und nach ein Gefühl in ihrem Nacken eingeschlichen, als würden viele Augen auf ihren Rücken gerichtet werden. Deren Besitzer waren sich nur noch unschlüssig darüber, ob sie Etienne weiter nur neugierig betrachten oder ob sie näher herantreten wollten. Etienne hatte sich sorgsam nach ihnen umgeschaut, aber nichts gefunden, außer dem Schatten, welcher ihr seit Monaten folgte und sie aus immer der gleichen Entfernung beobachtete. In der Wüste außerhalb des kleinen, dichten Waldes, hatte sie seine Silhouette manchmal am Horizont erblicken können. Er stand immer still da und hatte sie mit seinen großen weißen Augen angeschaut. Nun lehnte er sich manchmal hinter den Bäumen hervor und sah sie weiter an. Etienne hatte noch nicht herausgefunden, was es war, aber ihre Djinn hatte ihr versichert, dass er nur eine Gefahr darstellen würde, wenn sie es zuließ.
Sie war über einen ganzen Tag diesen steinigen Weg hier hoch gewandert. Die dichten Bäume mit den hellgrünen Blättern hatten sie vor der Sonne geschützt, welche sie an den Vortagen geplagt hatte. Die Luft war dennoch gesättigt mit einer warmen Feuchtigkeit und das trotz des kalten, späten Herbstes. Ihre Ausdauer hatte daran gelitten und ihre Kleidung klebte an ihr. Die ganze Zeit über war sie dabei diesem Pfad gefolgt, bei welchem ihre Familie sie gewarnt hatte, dass sie ihn unter solch sonderbaren Umständen niemals verlassen durfte. Der Djinn hingegen meinte, dass es kein Problem darstellen sollte. Sie hatte ihm geglaubt, aber nicht vertraut, denn er war ein Djinn und nur darauf aus, sie reinzulegen.
„Kann ich das überleben?“, fragte sie ihren Djinn zum zweiten Mal, als sie erneut zu dem düsteren Schloss blickt und dem Zweig auswich, welcher sich so frei in ihren Weg drängte.
„Was genau? Das Universum? Das Leben? Mich? Nichts davon.“
Sie seufzte, „So weit brauchst du nicht auszuholen. Ich meine dieses kleine Abenteuer hier.“
„Mach dir nichts ins Hemd, Etienne“, meinte der Djinn lachend. Seine Gestalt war die eines Katers. Die sonderbare Magie, die ihn wie das schwere Parfüm eines alten Familienangehörens umhüllte, gab ihn jedoch als etwas Anderes preis. Die schwarzen Augen mit den weißen, kreuzförmigen Pupillen richteten sich auf sie, „Aber keine Sorge. Selbst wenn du stirbst, werde ich glücklich und zufrieden weiterleben.“
Etiennes Lächeln verrutschte, „Ich verstehe schon, für dich bin ich nur eine flüchtige Existenz.“
Sie trat um die Pfütze herum, in welchem eine sonderbare Libelle saß und sich nicht um sie scherte. Sie hatte nur zwei Flügel, welche unter den grünlichen Sonnenstrahlen in bunten Farben leuchteten. Der Wald um sie herum war in solch einem ungewöhnlich gesättigten Grün getaucht, dass sie eine Weile für die Eingewöhnung ihrer Augen gebraucht hatte. Im Gegensatz zu der Wüste, aus der sie kam, sah der Wald weich und einladend aus. Das helle Moos war bestückt mit bunten Blumen und schien sie einzuladen, sich auszuruhen. Ein Grund mehr, weshalb sie sich nie getraut hatte, den Pfad zu verlassen. Immer wieder hatte sie fließendes Wasser gehört, als würde irgendwo hinter den ganzen Pflanzen ein Bach verlaufen. Sie hat ihn aber nie ausmachen können.
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Der wuschelige Schwanz des dunkelblauen Katers zuckte und er schwebte auf ihre Schulter, „Du hast dich vor drei Wochen zu einer lausigen Exorzistin ernannt, also benimm dich gefälligst wie diese furchtlosen, mächtigen, planlos umherirrenden Idioten.“
Etiennes Augen wanderten wieder zu dem Schloss, in dessen Schatten sie nun langsam hineintrat. Innerhalb dieses Flecks aus dem hellsten Grün ragte es bedrohlich über ihr empor. Im unteren Teil waren die Pflanzen hinauf gewachsen, als würden sie versuchen ein weiteres Stück der alten Zivilisation sich zu eigen zu machen. Sie hatten jedoch nie das Tor erreicht, genauso wenig die Fenster. Und die Türme, welche emporragten, waren frei von jeglicher Natur. Das Gestein war dunkel, verfärbt von der Zeit und den Naturgewalten. Die Spitzen waren verziert mit alter Kunst, welche nach und nach von den Menschen der heutigen Zeit wiederbelebt wurde. Dort oben müssten die Wächter herrschen, welche ihr Eigentum beschützten, sei es von der Natur oder von den Menschen oder von den anderen Geschöpfen, von denen sicherlich noch einige nicht dokumentiert waren. Und wie viele von diesen wohl in dem Château herumlungerten und ihr den Weg zu den Schätzen verwehrten, nach denen sie suchte?
Sie seufzte schwer. Es sah groß aus und Etienne hatte kaum Wissen über diesen Ort. Sie hatte sich in einer Bibliothek in einer anderen Stadt heimlich alte Pläne von dem Schloss angeschaut. Es gab auch neue Aufzeichnung, da bereits Menschen diesen Ort aufgesucht hatten. Aber nichts davon hatte ihr viele Informationen gegeben. Sie wusste nur aus weit entfernten Erzählungen, wieso dies ein besonderer Ort war und was dort wahrscheinlich auf sie warten würde. Das Gute war, dass sie ihren Djinn hatte. Mit ihm allein sollte das machbar sein. Aber dies wäre das erste große Abenteuer mit ihm und sie wusste noch nicht, wie gut sie sich auf ihn verlassen konnte.
Djinns warten nur darauf, dich hereinzulegen. Ihnen zu vertrauen, ist wie dem Feuer zu vertrauen, dass es dich nicht verbrennt, wenn du die Hand hineinhältst.
„Ich bin nur am Überlegen, ob ich nicht zuerst die anderen Steine holen soll. Du meintest, hier sei nur einer? Dieses Unterfangen würde sich deutlich mehr lohnen, wenn es mehrere wären.“
Die Krallen des Katers bohrten sich in ihre Jacke, welche sie trotz der warmen, feuchten Luft des Waldes nicht ausziehen wollte, und Etienne sah warnend zu ihm. Sofort hörte er auf, nahm es sich aber nicht, weiter in seiner schroffen Stimme zu sprechen, „Jedes Artefakt hat seinen Preis. Arbeite, wenn du es haben willst.“
„Arbeite...“, wiederholte sie leise und genervt, als wäre sie nicht gerade mehrere Stunden hier hoch gewandert, an diesen Fleck der alten Welt, umgeben von nichts, als sonderbarer Natur, welche sie langsam auslaugte. Alles, für diese verfluchten Steine von Expulsio. Komme was wolle, Etienne musste sie erlangen. Ihr Bruder brauchte sie.
Und das war der Grund, wieso sie tief durchatmete und sich innerlich in ihren gut eingeübten Handelszustand versetzte.
Kontrollierte ihre Waffen, ein Messer und weiteres für alle Fälle. Keine Schusswaffen, diese waren zu laut. Ihre Ampullen waren sicher verstaut. Etiennes angeborene Magie war sonderbar. Ohne die Ampullen wirkte sie nicht. Und über die erschaffene Magie an ihrem Körper musste sie sich keine Gedanken machen. Die Male hielten seit Jahren. Segen und Flüche, welche jeweils ihren Zweck erfüllten. Etienne zahlte stetig den Preis.
Kein Mensch würde hier sein. Das hatte verschiedene Gründe. Trotz dessen, dass hier sicherlich Reichtümer versteckt waren, war dieses Schloss sehr weit abgelegen. Es befand sich inoffiziell im neutralen Gebiet der kleinen Stadt Calisteo und auch wenn diese Stadt keine Gefahr für die anderen Städte darstellen würde, in den heutigen Zeiten war sie auch nicht wichtig genug, um sich den Ärger anzutun.
Es fing zu nieseln an. Ein kleiner Regen, der immer wieder spontan auftauchte und wieder verschwand. Die Nässe stresste sie mittlerweile mehr, als ihr bevorstehendes Abenteuer im Schloss. Ihre Socken waren feucht, genauso wie ihr Shirt, ihre Unterwäsche.
„Wunderbar“, meinte sie trocken, „Nass und gegen Monster antreten.“
Sie liefen gemeinsam zum Eingang. Etienne wechselte den Blick in die zweite Ebene. Mittlerweile waren ihre Augen an den Wechsel zu den furchtbar bunten Farben der zweiten Welt gewöhnt. Goldene Schleier der Magie umgaben den Eingangsbereich. Etienne kannte diese Schutzzauber. Sie würden sie nicht davon abhalten können, einzutreten. Und ihren Djinn erst recht nicht.