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Calisteo - Stadt der Geister [German/Deutsch]
Kontrahenten: Versöhnliche Worte

Kontrahenten: Versöhnliche Worte

Er hatte sie in Ruhe ihre Aufgaben machen lassen, wie er es ihr gesagt hatte. Aber er war nicht wieder eingeschlafen. Stattdessen hatte er eigene Bücher gelesen. Bevor es zur nächsten Pause klingelte, hatte er ihr vorgeschlagen, in die Bibliothek zu gehen. Als sie ihn nach dem Grund fragte, hatte er ihr gesagt, dass höchstwahrscheinlich bald einige Leute wussten, dass sie hier waren und er vermeiden wollte, dass die Nervigen es ausnutzen. Damit hatte er explizit Halil gemeint, dennoch drangen sich weitere Namen in seinen Kopf, mit welchen er sich in seinem jetzigen Zustand nicht befassen wollte. Er wusste aber, dass er es unweigerlich tun musste.

Zu seiner Überraschung war Etienne ihm ohne Widerstand durch die Flure gefolgt. Er hatte ihr einen Sitzplatz in den oberen Reihen der Bibliothek gezeigt, von wo der ganze innere Bereich gesehen werden konnte. Und auch dieser Ort war im Schatten der Regale versteckt. Er hatte ihr erzählt, dass er hier immer hinging, wenn er seine Ruhe haben wollte, und auch wenn es ihm widerstrebte, ihr sein Versteck zu zeigen, so hatte er das Gefühl, dass sie das nicht herumerzählen würde. Und es war ein ausgezeichnetes Versteck. Es gab mehrere Wege dorthin und alle waren klar zu sehen. Weiterhin hatte man einen Blick auf die zwei Eingangsbereiche. Sie würden niemanden übersehen, der versuchen würde, zu ihnen zu kommen. Keiner würde sich an sie anschleichen können und wenn sie jemanden entdecken sollten, dann gab es genug Fluchtwege, die sie nutzen konnten. Er fühlte sich fast schon wieder so, wie vor ein paar Jahren, wo er sich Leichtsinnigkeit erlauben konnte.

Es hatte geklingelt, als sie die Bibliothek betreten hatten und er konnte davon ausgehen, dass sie wahrscheinlich weiterhin die letzten Besucher für die Pause wären.

„Ich bin ehrlich, es scheint mir zu gut, um wahr zu sein, als dass es einfach so zufällig konstruiert wurde“, sagte sie.

„Den hat Dustin heimlich gemacht. Adelle weiß auch davon“, antwortete er ihr. Dustin hatte sich seiner angenommen, als er an die Schule gekommen war. Sie hatten nur ein Jahr gemeinsam hier verbracht, aber er hatte ihm alles gezeigt, was wichtig war. Das war noch lange, bevor er zum Provinzherrscher wurde.

„Ich weiß nicht, wer Dustin ist“, sagte sie trocken und er musste lächeln. Es lag nicht in seinem Interesse, sie zu überfordern, zeitgleich wünschte er sich aber, dass sie sich schnell an alles gewöhnen würde. Es würde ihn noch einige Überzeugungsarbeit kosten, sie in der Stadt zu behalten, aber er hatte schon eine Idee, wie er es am morgigen Abend anfangen würde.

„Er ist ein Alumnus dieser Schule. Ich habe ihn gestern erst wiedergesehen. Seine Leistungen waren extrem gut, er hätte überall hin gekonnt. Aber er ist in Calisteo geblieben und leitet eine Sicherheitsabteilung in meiner Provinz.“

„Ermittelt er wegen der Explosion?“, fragte Etienne und es überraschte ihn nicht, dass sie es mitbekommen hatte. Am Vortag hatte er sich gesorgt, ob sie mit ihrem Djinn in der Nähe war. War aber erleichtert gewesen von Scarlett zu hören, dass dem wohl nicht so war. Es gab einige Verletzte, zum Glück aber keine Tote.

„Ja“, sagte Raffael, „Er ist die beste Person dafür. Mal abgesehen davon, dass er seine Arbeit sehr gut macht, ist er charismatisch genug, um sich Freunde in anderen Provinzen zu machen. Mit ihm weiß man, dass alles getan wird, um die Schuldigen zu finden und das in Zusammenarbeit mit Gilgians und vielleicht sogar Elias’ Sicherheitsrevieren.“

Elias’ Namen auszusprechen, versetzte ihm noch immer einen verletzenden Stich. Er fragte sich, ob er je über den Verrat von ihm hinwegkommen würde.

Er beobachtete Etienne dabei, wie sie sich umsah. Ihr Blick wanderte von einer Ecke zu der anderen und langsam bestätigte sich sein Verdacht, dass sie durchaus aufmerksamer und systematischer war, als er sie zunächst eingeschätzt hatte. Der Verdacht war ihm gekommen, als er die Wunden des Crawlings zu seinen Füßen gesehen hatte, welche, mit Ausnahme von einer, alle gezielt gesetzt worden schienen. Damit konfrontiert zu sein war, als hätte man ihm einen Schleier vom Gesicht gerissen, welcher ihn davon abgehalten hat, klar zu sehen. Und er überlegte sich nun, wie genau er seine Vermutung weiter bestätigen konnte. Denn wenn sie stimmte, stand vor ihm wahrscheinlich kein so großer Chaot, wie er vermutet hatte, und Tatinnes düstere Worte würden sich vielleicht als falsch herausstellen.

„Sollen wir die Pause hier ausharren?“, fragte sie ihn. Er spannte sich etwas an. Am Morgen hatte er vorgehabt, sie bei Tatinne abzufangen und dafür zu sorgen, dass sie sicher in der Schule ankam. Nachdem diese ihm erzählt hatte, dass sie schon länger weg war, hatte er auf dem Hinweg sich Gedanken darüber gemacht, wo sie hingegangen sein konnte, und der Gedanke an den Crawling hatte ihn nicht losgelassen. Also war er, nachdem er einen Abstecher bei Warlen gemacht hatte, seinem Instinkt gefolgt.

Als sie sich langsam zu ihm umwandte und ihn wachsam betrachtete, fiel ihm auf, dass er zu lange geschwiegen hatte. Das lag daran, dass er so müde war. Selbst das Denken fiel ihm schwerer. Sein Kopf pochte immer wieder und er wünschte sich nichts sehnlicher, als in sein Bett zu kriechen und dieses für eine lange Zeit nicht zu verlassen. Er wusste, dass es ihm bei diesem Wetter zum Verhängnis werden würde, wenn er seinen Körper so strapazierte. Er tendierte dazu, schnell krank zu werden, vor allem in diesem Monat.

„Ich habe Warlen darum gebeten, die Klasse für heute zur selbstständigen Arbeit anzuleiten“, sagte er und merkte, wie ihr Gesicht sich verdüsterte. Er unterdrückte noch einen Seufzer. Es lag nicht in seiner Absicht, sie hinters Licht zu führen, aktuell wusste er jedoch nicht, wie er anders handeln sollte, vor allem weil sie scheinbar nicht vorhatte, sich an das zu halten, was sie ihm kommunizierte. Solch ein Biest.

Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, und er grinste zurück. Er konnte sehr gut die Wut in ihren Augen sehen. Wenn sie dachte, sie könnte ihn damit hinters Licht führen, dann wünschte er ihr viel Erfolg. Er selbst hatte es im letzten Jahr perfektioniert, seine Emotionen zu verbergen. Dennoch hatte es etwas Tröstliches zu wissen, dass sie sich in diesem Punkt sehr ähnlich waren.

„Und du hattest nicht vor, es mir früher zu sagen?“, fragte sie.

Er zuckte mit den Schultern und fing an seine Sachen auszupacken, „Wenn du nicht so unkooperativ wärst, hätte ich es dir viel früher gesagt.“

„Du bist unerträglich“, sagte sie, drehte sich wieder zu der Bibliothek um.

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„Gleichfalls“, erwiderte er. Raffael selbst war immer noch wütend auf sie. Sie hatte ihm zwar nicht direkt ihr Wort gegeben, aber sie nutzte es nur zu gerne aus, ihn in dem Glauben zu lassen und dann, sobald er nicht hinschaute, direkt etwas anders zu tun. Und es war teilweise seine Schuld. Er hatte die Situation zu Anfang falsch eingeschätzt und nun musste er zusehen, wie er die Wogen wieder glätten konnte. Denn wenn sie die Herrschaft übernehmen sollte, konnte er es sich nicht leisten, ein schlechtes Verhältnis zu ihr zu haben. Also musste irgendeine Vertrauensbasis her, was momentan unmöglich schien.

„Du könntest weiter an deinem Projekt arbeiten“, sagte er und hoffte, dass sie sich hinsetzen würde. Die letzten zwei Stunden waren ruhig gewesen. Es war ihm schwergefallen, nicht einzuschlafen. Aber sie vor sich arbeiten zu sehen, würde ihn davon ablenken. Er war neugierig, welche Aufgaben Warlen ihr gegeben hatte. Aber selbst in diesem Thema schien sie keine Informationen teilen zu wollen. Er hätte wissen müssen, dass sie schwer zugänglich wäre. Immerhin wollte sie lieber aus dem Fenster springen, als drei Fremden zu vertrauen. Und auch wenn er ihr Misstrauen in dieser Situation verstehen konnte, war das doch etwas übertrieben gewesen.

Etienne antwortete ihm nicht und machte auch keine Anstalt, sich hinzusetzen. Er sah frustriert zu ihr. Ihm war klar, dass sie wütend werden würde, dennoch kam der Gedanke, ihr nichts dazu zu sagen, schneller. Sie beide schafften es einfach nicht, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, der für sie funktionierte. Dabei fand er, dass sie in der Villa der McClains gut zusammengearbeitet hatten und das trotz des ganzen Misstrauens.

Er stand auf und trat zu ihr, „Es tut mir leid. Ich habe es mehr aus Impuls nicht gesagt, als das ich es geplant habe. Und wenn ich ehrlich bin, sind meine Planungsfähigkeiten aktuell nicht sehr gut.“

Sie blickte weiter in die Bibliothek, „Ist in Ordnung. Ich hätte damit rechnen sollen.“

Er spannte sich an und dass sorgte dafür, dass erneut ein unangenehmes Pochen durch seine Schläfen ging. Das war keine Antwort, die er haben wollte. Aber er konnte es ihr auch nicht verübeln.

„Eigentlich wünsche ich mir, dass wir solch einen Umgang nicht miteinander führen müssten. Vielleicht könnten wir beide anfangen, etwas nachgiebiger miteinander umzugehen?“, fragte er und folgte ihrem Blick. Er entdeckte Meta in der Halle, mit Adelle zu sprechen. Sie hatte ihre Uniform nicht an, also ging er davon aus, dass sie nur kurz vorbeigekommen war. Sowohl sie, als auch Gilgian, hatten sich für ein paar Tage von ihrer Anwesenheit freigesprochen. Würden zur Theaterprobe aber wieder anwesend sein. Immerhin das. Bald würde das Stück stattfinden und er konnte es kaum erwarten, diesen Batzen Arbeit hinter sich zu bringen und Anjelika eine sichere Zukunft zu sichern.

„Du kannst ja anfangen“, sagte sie und er musste unweigerlich lächeln.

„Und mich von dir herumschubsen lassen?“

Sie zuckte grinsend mit den Schultern, „Ich finde, das hättest du für eine Weile verdient. Du kannst mir natürlich auch den Stein einfach wiedergeben. Dann könnten wir das mit dem Umgang auch gleich lassen.“

Sie ließ aber auch nicht locker, „Das kann ich nicht und das werde ich nicht. Vorerst.“

„Weißt du, wenn ich wirklich Herrscher werden würde, dann würde ich es dir heimzahlen, dass du mich beklaut hast.“

„Deswegen hoffe ich auch, dass wir besser miteinander umgehen. Es wäre wirklich tragisch, wenn jemand so Talentiertes wie ich in den Abgründen von Nexims Gefängniskeller verschwinden würde. Stell dir vor: Ich, hinter Gittern, in diesen dreckigen Zellen.“

Sie kicherte und er war sehr zufrieden mit sich, das geschafft zu haben.

„Gibst du dir deswegen so viel Mühe, Halil von mir fernzuhalten? Ich kann mir vorstellen, du hättest jetzt Besseres zu tun, als mit mir hier herumzulungern.“

Er presste unzufrieden die Lippen zusammen und sobald er es merkte, versuchte er sich wieder zu entspannen. Eigentlich wollte er diese Frage nicht beantworten, denn er hatte das dumpfe Gefühl, dass sie die Antwort früher oder später gegen ihn nutzen würde. Aber wenn er ihr nicht antworten würde, dann würden sie nur wieder in diesem elenden Kreislauf enden, wo sie einander alles verschweigen und an Ort und Stelle traten. Sie war erstaunlich stur. Er war es auch, war aber bereit, dynamischer in der Ausführung seiner Sturheit zu sein.

„Ich finde, dass ich Teil der Schuld trage, dass du an ihn geraten bist. Mal abgesehen davon, dass ich gestern Vorkehrungen hätte treffen können und daran gescheitert bin, bist du an dieser Schule, weil du von mir dazu gedrängt wurdest. Das Problem mit Halil wäre ohne mein Zutun gar nicht erst entstanden. Das tut mir leid.“

Sie gab ein nachdenkliches Geräusch von sich und er sah in ihrem Gesicht, wie sie etwas ausheckte.

„Wenn ich so genau darüber nachdenke“, sagte sie langsam, „Dann wäre die beste Art und Weise, mich zu schützen, mir einfach den Stein zu übergeben und mich von dem Besuch dieser gefährlichen Bildungsstätte zu befreien. Nicht?“

Er musste lächeln. Er hatte gewusst, dass irgendwas in dieser Form als Antwort kommen würde. Freches Biest.

„Oh, du kannst gerne den Mist ausbaden, den du verzapft hast. Wenn du so große Angst vor Halil hast, dann wechsel die Provinz. Das wäre die einfachste Art. Aber ich will wetten, das wirst du nicht tun.“

Sie grinste weiterhin, während sie nach unten sah, „Ich hab mich schon gewundert, wieso dieser Vorschlag nicht früher von dir kam.“

„Es ist kein Vorschlag“, sagte er, „Aber wenn das als Option stehen würde, dann hätte ich dich schon längst dazu überredet, in meine Provinz zu kommen.“

Sie schnaubte lächelnd und ausnahmsweise fühlte es sich gut an, solch ein Gespräch mit ihr zu führen, ohne dass einer von ihnen beiden aus irgendeinem Grund wütend oder verärgert mit dem Anderen war. Er wollte mehr davon. Sich normal mit ihr unterhalten, ohne Streit und den stetigen Versuchen, einander hereinzulegen.

Das hatte er gedacht, bis ihr Blick sich auf einmal verdüsterte. Zunächst dachte er, es würde an ihm liegen. Doch dann hatte er gemerkt, dass sie fest in eine Ecke des Raumes sah. Er folgte ihrem Blick und entdeckte ein Gesicht, dass er eher selten an der Schule, aber schon häufiger im letzten Jahr bei Veranstaltungen der wohlhabenden Familien in Calisteo gesehen hatte. Er versteckte sich hinter den Regalen und es war auf den ersten Blick zu erkennen, dass er Meta beobachtete, während diese mit der Bibliothekarin sprach. Er hatte sein Handy in der Hand und hatte es auf sie gerichtet. Raffael brauchte einen Moment, bis er verstanden hatte, was vor sich ging und runzelte irritiert die Stirn.