Die Nachtluft wurde nicht wärmer und wenn es etwas gab, was Etienne noch weniger mochte, als Kälte, dann war es Kälte, schmerzende Glieder und Müdigkeit.
Sie wusste nicht, wie lange sie schon gelaufen waren, als Gilgian plötzlich stehen blieb und sich zu ihr umdrehte. Seine Augen bedachten sie von oben bis unten und dann seufzte er sehr, sehr schwer, „Pass auf. Ich hatte vor dich auseinanderzunehmen, nachdem du Meta in dieses verfluchte Haus mitgeschleppt hast.“
„Gilgian!“, sagte Meta protestierend dazwischen.
„Aber ich werde darauf verzichten. Weil du mich auf ein Problem aufmerksam gemacht hast, welches ich angehen werde. Mach das aber nicht noch mal.“
Etienne gab ihm ihr bestes Lächeln, „Das ist sehr großzügig von dir.“
Er schnaubte, „Das wird nicht noch mal vorkommen. Weiterhin sehe ich es nicht ein, in deiner Schuld zu stehen. Was willst du?“
„Es gibt nichts, wofür du mir etwas schuldig wärst. Ah, aber ich brauche den Ring wieder.“
„Was willst du für die Begleitung zu Tatinne und zurück“, sagte er knurrend, holte den Ring hervor und warf ihn ihr zu. Etiennes Lächeln fror ihr im Gesicht fest, als sie vorsichtig den Ring in die Hosentasche steckte. Sie stellte fest, dass sie wirklich leicht von ihm einzuschüchtern war und vermutete, dass es an seiner Körpergröße war. Etwas an seiner ganzen Art schien unnatürlich und das machte es so bedrohlich. Noch dazu schien er leicht reizbar zu sein, wenn er nicht direkt eine Antwort bekam.
„Lasst uns einfach befreundet sein“, sprudelte es aus ihr heraus und sie hoffte, dass er das als so abstrus betrachten würde, dass er sie damit in Ruhe ließ. Sie brauchte keinen Gefallen von ihm und sie verstand nicht, wieso das jetzt das Thema sein sollte. Er sollte einfach nach Hause gehen, damit sie ihren Abend endlich zu Ende bringen konnte.
„Versuchst du mich zu veräppeln?“, fragte er sie mit zusammengekniffenen Augen. Etienne erwiderte seinen Blick, ihr Kopf war jedoch wie leergefegt. Ihr fiel nichts ein, was sie erwidern sollte. Hilfesuchend sah sie zu Meta, welche den Kopf in den Händen versteckt hatte. Etienne blickte wieder zu Gilgian, „Gut, wie wäre es damit. Ich schulde Catjill ein ausgiebiges Essen. Kannst du eine Empfehlung aussprechen?“
Sie unterdrückte es, nervös von einem Fuß auf den anderen zu treten, als er angewidert zu ihr hinunterstarrte. Irgendwann wandte er den Blick auf, fuhr sich mit der Hand durch die kurz geschorenen Haare und seufzte wieder schwer. Aus der hinteren Hosentasche holte er ein Geldbeutel hervor und warf ihr einige Geldscheine entgegen.
„Ich brauche kein Geld, nur eine Empfehlung!“, sagte sie aufgebracht. Auch wenn sie in ihrer aktuellen Lebenssituation nicht sehr wohlhabend war, bedeutete das nicht, dass sie ihre Schulden nicht alleine begleichen konnte.
„Ich übernehme seinen Preis“, sagte Gilgian und drückte ihr dann das Geld gegen die Brust, sodass ich nichts anders blieb, als es aufzufangen, wenn sie es nicht vom Boden aufheben wollte.
„Und der Weg bis nach hierhin reicht. Wir brauchen deine Begleitung nicht mehr. Und für die Empfehlung, frag Meta.“
Er drehte sich um und ging davon.
„Würdest du das bitte wieder zurücknehmen?“, fragte Etienne Meta.
„Nein“, sagte Meta und sah zu ihr wieder hoch, nur um dann von Etiennes genervten Blick zusammenzuzucken. Etienne setzte wieder ein Lächeln auf. Es lag nicht in ihrem Interesse, Meta noch mehr einzuschüchtern. Sie war sicherlich froh, mit Etienne nichts mehr zu tun haben zu wollen. Und das konnte sie ihr nicht verübeln. So war ihr Leben. Überfüllt mit riskanten und leichtsinnigen Abenteuern und doch war es etwas, was sie täglich meisterte und von dem sie nicht vorhatte, dass es sich ändern würde. Sie agierte am besten im Chaos, denn so hatte sie es gelernt.
Meta atmete tief durch, sah auf den Boden und kickte einen Stein, welcher sich jedoch kaum rührte.
„Ich bin dir auch dankbar für deine Hilfe. Unsere Provinz ist nicht wirklich glücklich mit Gilgian und mir und deine Begleitung hat uns den Heimweg sicherlich leichter gemacht.“
„Ein Danke reicht mir“, sagte Etienne, „Mal abgesehen davon: Es ist das Mindeste was ich tun kann, nachdem was heute passiert ist.“
War das der Moment, wo sie sich entschuldigen musste? Die Gedanken fingen auf einmal an, sich zu überschlagen. Etienne hatte sich nicht häufig entschuldigt, aber sie hat gehört, dass es bestimmte Regeln gab. Sie sollte mit ihrem Bedauern anfangen und dann ihre Fehler aufzählen, wobei es genau einen gab, denn sie hat aus der Situation das Beste gemacht. Dann musste sie ihr erklären, wie sie es künftig besser machen würde, doch ihr Gedanke stockte hier. Wie sollte sie es besser machen, wenn Meta höchstwahrscheinlich nicht mehr an solchen Situation teilhaben würde, sie selbst jedoch nicht das geringste Interesse darin hatte, ihr Vorgehen zu ändern? Vielleicht sollte sie eher eine Wiedergutmachung ansprechen?
Etienne stellte fest, dass Meta sie schweigend ansah. Ihr Gesicht war eine unergründliche Maske, was ungewohnt war, denn Meta schien bisher nicht deutlich gut darin gewesen sein, ihre Gefühle zu verbergen.
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Schritt für Schritt, dachte Etienne und spürte, wie ihr das Herz in der Brust pochte.
Sie öffnete den Mund, um ihren ersten Punkt abzuhandeln, doch dann stockte sie, „Ich...“
Was Meta das nicht annehmen würde? Etienne mochte Meta. Sie war ruhig und unkompliziert, nicht so schrill, wie Tatinne mit ihren ganzen Ideen und nicht griesgrämig, wie Gilgian und sie sorgte nicht dafür, dass Etienne sich dauerhaft auf der Hut fühlen musste, wie bei ihrem Djinn und Raffael und Tatinne und wahrscheinlich noch einem Haufen anderer Menschen, die sie noch nicht kannte. Etienne wollte mehr Zeit mit ihr Verbringen, zumindest so lange sie noch in dieser Stadt war.
Meta atmete dann tief durch, trat etwas näher an Etienne und nahm ihre Hände in die ihren. Metas Hände waren kalt, nicht so warm, wie die von Raffael.
„Es tut mir wirklich leid, was mein Vater getan hat. Ich wünschte mir, ich könnte das ändern.“
Etienne blinzelte mehrmals verwirrt, überrascht und unschlüssig, was sie mit dieser Aussage anfangen sollte. Sie drückte ihre Hand zurück und stotterte, „Nein, warte-“
Von allen Beteiligten hatte sie am wenigsten zur Situation beigetragen. Selbst wenn Meta nicht mitgekommen wäre, Etienne hätte einen anderen Weg in die Villa gefunden. Es wäre vielleicht etwas schwerer gewesen, die ganzen Zauber zu umgehen, aber sie machte es nicht zum ersten Mal und hatte ihre eigenen Tricks, wie sie sich Einlass hätte verschaffen können.
Meta lächelte ihr traurig entgegen und sprach hastig weiter, als versuchte sie ebenfalls schnell ihr Herz auszuschütten, nur dass es ihr gelang, „Bitte tue mir nur den Gefallen und halte mich nicht für meinen Vater. Ja? Ich bin nicht er. Wirklich nicht. Auch wenn es Menschen gibt, die das denken und ich kann es ihnen nicht verübeln, wir haben dasselbe Blut, ich bin ihm entsprungen … ich verstehe das. Ich bin aber nicht wie er.“
Das Gespräch wandte sich in eine Richtung, welche Etienne nicht erwartet hätte. Aber dazu ließ sich leichter etwas sagen, „Offensichtlich bist du nicht wie er. Ich meine, schaut dich an, du sieht ganz anders aus und bist ganz anders und mal abgesehen davon sollte man sich eh nie mit einem Geist vergleichen. Sie sind nur vergangene Gefühle, meistens. Nicht immer, aber meistens, es gibt da noch andere Kategorien … das ist egal. Ich…“
Etienne zögerte wieder. Das war nicht das, worüber sie reden wollte. Meta schien kaum zu reagieren bei ihren Worten. Nur ein müder Ausdruck war an ihr Gesicht getreten. Sie ließ Etiennes Hände los und trat zurück. Bevor sie sich jedoch verabschieden konnte beeilte Etienne sich schnell weiterzusprechen.
„Eigentlich will ich mich bei dir entschuldigen. Ich weiß nur nicht wie“, brach sie heraus und spürte, wie ihre Wangen sich rot färbten, „Ich glaube, ich sollte damit anfangen, dass ich das wiedergutmachen werde. Nein, dass es nicht wieder vorkommen wird. Also, ich entschuldige mich, dass das passiert ist. Dass ich dich in das Haus mitgenommen habe.“
Als Metas Gesicht sich in einem Ausdruck des Schmerzes verzog, schwieg Etienne wieder. Dann sagte sie vorsichtig, „Ich… sehen wir uns in der Schule?“
„Wir sehen uns bald in der Schule“, bestätigte Meta leise. Danke für die Begleitung und komme gut nach Hause. Und falls du meine Hilfe bei etwas benötigst, dann hoffe ich, dass es das nächste Mal etwas ist, wo ich dir wirklich helfen kann.“
Sie trat zurück und packte Catjill von ihrem Kopf, welcher sie dann zu sich herumdrehte, „Auch dir vielen Dank Catjill. Ohne dich wäre ich verzweifelt.“
Für einen Moment rührte Catjill sich nicht. Etienne war sich sicher, dass es die Art war, wie Meta mit ihm umging. Catjill riss sich dann von ihren Händen los und flog zu Etienne, „Du kannst mir deine Dankbarkeit gerne in Form einer Belohnung zeigen.“
„Nein“, unterband Etienne dies sofort. Sie sah dann wieder zu Meta und sah Gilgian hinter ihr an der Straßenecke warten.
Meta kicherte und sah zu ihm hinauf und Etienne merkte, wie sein Zauber nicht bei ihr wirkte. Es war die Art, wie sie ihn direkt ansah, ganz genau registrierte, was er war und dass er da war. Meta nickte ihr noch einmal zu und ging dann zu Gilgian, welcher nach einem kurzen Blick zu ihr, einen wütenden Blick zu Etienne warf. Ihr war nicht bewusst, was sie falsch gemacht hatte.
„Wir machen noch einen kurzen Zwischenstopp“, sagte Etienne an Catjill gewandt, „dann gehen wir zurück in den neutralen Stadtteil. Ich hab uns schon einen Ort rausgesucht. Ich hoffe, du hast die Augen offen gehalten nach etwas, was du essen willst.“
Etienne würde Meta später noch sehen. Bis dahin würde sie sich mehr Zeit nehmen, sich genau zu überlegen, was sie sagen würde. Vielleicht würde sie bei Tatinne nachfragen, wie sie vorgehen sollte. Doch sie verwarf den Gedanken so schnell, wie sie ihn bekommen hatte. Sich zu entschuldigen war ein Zeichen der Schwäche und Tatinne würde es sie wissen lassen. Wen konnte sie sonst fragen? Anaki? Alberto? Auf keinen Fall Raffael. Und auf einen Schlag überwältigte sie der Scham. Sie fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Wie hatte sie nur so versagt?
Die Pfoten zuckten aufgeregt an ihrer Schulter und er fuhr die Krallen ein und aus. Herausgerissen aus ihren Gedanken, musste sie bei seiner Freude lächeln.
„Was müssen wir erledigen?“, fragte er voller Tatendrang.
Etienne lief an den Menschen vorbei, welche sie nicht beachteten. Zu einigen von denen gehörten die Männer, welche ihnen zuvor gefolgt waren. Etienne bedachte sie kurz und entdeckte, dass sie an ihren Armen unter den kurzen Westen Tattoos hatten, welche einander ähnlich sahen. Diese Zeichen schienen jedoch nicht dieselben zu sein, welche die Zugehörigkeit zu den Provinzen markierten. Etienne wartete, bis sie an ihnen vorbeigegangen war. Sie würden sie zwar dank der Magie ihres Djinns nicht wahrnehmen, aber sie wollte es nicht riskieren, dass sie dennoch auf sie aufmerksam wurden. Diese Magie wirkte subtil, genauso wie die, welche Etienne ohne ihren Djinn nutzte. Wenn Etienne es darauf anlegen würde, bemerkt zu werden, dann würden sie Etienne bemerken. Und sie kannte sich gut genug mit solcher Magie aus, um es gut einschätzen zu können.
„Du musst gar nichts erledigen“, sagte sie einige Schritte weiter, „Warte einfach auf mich. Ich werde bald da sein.“