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Calisteo - Stadt der Geister [German/Deutsch]
Heimliche Gefechte: Verletztes Ego

Heimliche Gefechte: Verletztes Ego

Als die Tür sich öffnete, erblickte sie Anaki. Er sah nicht aus, als würde es ihm gut gehen, aber besser, als sie ihn das letzte Mal beim Arzt gesehen hatte.

„Guten Morgen“, sagte sie lächelnd zu ihm. Er erwiderte ihr Lächeln und im Vergleich zu Bianca war seines wirklich aufrichtig. Es waren wahrscheinlich die kleinen Fältchen um die Augen herum und die Art, wie alles aufzuleuchten schien. Der Kontrast zu Bianca fiel ihr umso deutlicher auf und zu wissen, wie unecht ihr Ausdruck gewesen war, versetzte ihr Gänsehaut.

„Guten Morgen, du Schelm.“

Sie blinzelte und fragte lachend, „Was? Warum?“

Auch hinter ihm erklang Gelächter und Raffael trat hinter ihm in den Raum. Er hatte Anakis Tasche in der Hand. Sie sah abgetragen aus, an den Rändern war der Stoff ausgefranst. Nach Raffael folgte Keyen, welcher angestrengt gähnte. Scarlett war nirgendwo zu sehen, was ungewöhnlich schien.

„Wir haben uns gerade darüber unterhalten, wie gut du mit O’Donnel zurechtgekommen bist.“ Sie war sich sicher, sie hörte Sarkasmus heraus.

Raffael sah deutlich besser au, als am Vortag. Es war, als hätte er seine ganze Energie wieder zurückgewonnen und anders als sie schien er wirklich ausgelassen, was sie beunruhigte. Sie würde keine Schmerztablette nehmen, diese sorgten dafür, dass ihr schwummrig wurde und sie wollte sich bei ihm keine Nachlässigkeiten erlauben.

„Bekomme ich meine Tasche wieder?“, fragte Anaki an Raffael gewandt, welcher ihm diese an den Tisch legte. Anaki setzte sich schwerfällig auf seinen Tisch. Es war offensichtlich, dass er Schmerzen hatte. Sie waren beide Mitglieder der neutralen Provinz. Wie kam es also, dass ausgerechnet sie beide so angeschlagen waren? Diesmal war es nicht ihre Schuld, das würde sie sich nicht ankreiden lassen.

„Ist etwas gebrochen?“, fragte Etienne ihn.

„Nein, nur geprellt“, erwiderte er, hielt dann inne und sah sie tadelnd an, „Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du das gemacht hast.“

Etienne lächelte, als er langsam seine Sachen herausholte und ihr dabei deutlich zu verstehen gab, dass er ihr Handeln nicht guthieß. Es fühlte sich sonderbar vertraut an. Raffael ging an seinen Platz und warf seine Tasche beinahe schon achtlos auf den Tisch. Keyen folgte ihm, machte es der Tasche gleich und warf sich auf seinen Sitzplatz, legte den Kopf in seine Arme und gähnte laut. Etienne fragte sich, ob bei ihnen auch Flüche unter den Stühlen waren. Ob sie auch lauernd vor sich hin pulsierten und nur darauf warteten, ihre Opfer einzuspinnen und zu vergiften, sie langsam zu zersetzen, bis nichts mehr übrig war, als eine willenlose Substanz, an dessen Energie sie sich laben konnten. Von da, wo sie saß, konnte sie nichts erkennen, außer diesen Mustern, welche sich entlang der Stühle nach oben schlängelten und dem weichen Polster in Schwarz, auf welchem auch sie saß und welches bei weitem nicht so bequem war, wie es vom Aussehen her versprach.

Instinktiv hob sie den Blick. Raffael bedachte Etienne fragend, hob seine Augenbrauen wie zu einer Aufforderung, ihm zu verraten, was ihre Aufmerksamkeit verlangte.

Etienne wandte sich an Anaki. „Können wir das Thema langsam vergessen. Ich durfte mir das schon ausgiebig anhören.“

Langsam nervte sie die Belehrung. Normalerweise musste sie sich nicht für ihre Entscheidungen rechtfertigen.

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Anaki lächelte schwach und als hätte er es gespürt, wurde sein Ausdruck weicher und der Ärger verschwand. „Davon habe ich auch schon gehört. Was ist der Plan? Wie willst du die Situation lösen?“

Etienne warf ihm einen mürrischen Blick zu und sah dann kurz zu Raffael, „Wirst du jetzt von ihm ausgenutzt, um mich auszuhorchen?“

Raffael lachte und drehte sich wieder zu ihnen um, „Diese Frage interessiert viele Leute. Keine Sorge, ich hetze schon niemanden auf dich.“

„Ich werde später noch mal versuchen, mit ihm zu reden“, sagte Anaki und sie hörte eine Unruhe in seiner Tonlage, welche etwas Schuldbewusstes hatte. Er war die erste Person in dieser Stadt, die wirklich nett zu ihr war und das ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Wenn es nach Etienne ginge, dann waren sie jetzt quitt. Es fühlte sich dennoch furchtbar an, dass er ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte und sie wollte nicht, dass er noch mehr Stresssituationen ausgesetzt wäre.

„Nicht nötig“, sagte Etienne, bevor er weiter sprechen konnte und sie noch mehr von dieser Unruhe hören musste, „Ich hab mich schon darum gekümmert.“

Etienne bereute die Worte, eher sie diese fertig ausgesprochen hatte.

Sie merkte aus dem Augenwinkel, wie Raffael sich erneut zu ihnen umdrehte, aber sie weigerte sich, zu ihm zu schauen. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, das so schnell zu beichten. Lieber hätte sie es ihm am Abend gesagt, an welchem sie abgemacht hatte, das Vorgehen zu Halil zu besprechen.

„Was hast du gemacht?“, fragte Anaki stöhnend.

„Du tust so, als hätte ich die Schule in die Luft gejagt“, erwiderte sie und konnte nicht verhindern, dass sie sich beleidigt anhörte.

Anaki sah zu Raffael und deutete auf sie, „Kannst du ihr erklären, dass es eine furchtbare Idee ist, solche Sachen im Alleingang zu machen?“

Raffael grinste breit und machte sich nicht einmal die Mühe, seinen Triumph zu verbergen. „Sieht du. Den Eindruck eines leichtsinnigen Chaoten machst du nicht nur auf mich.“

„Was hast du gemacht?“, fragte Anaki noch einmal. Etienne verzog das Gesicht. Die beiden waren fürchterlich frech.

„Ich hab ihn herausgefordert“, sagte sie zu ihm und entschloss sich, dieses Ereignis doch zu teilen. Der Fluch unter ihrem Stuhl hatte ihr gezeigt, dass es vielleicht doch keine allzu gute Sache war, nur als schwächlich angesehen zu werden. Sie würde ihnen nicht erzählen, wie dieser Kampf stattgefunden hatte oder ob sie überhaupt gekämpft hatten. Halil würde das auch nicht erzählen. Sollten die Leute sich selbst was ausdenken.

„Nicht schlecht. Das hätte ich auch gemacht, wenn ich dürfte“, sagte Keyen.

Raffael warf ihm einen kritischen Blick zu, „Das ist der Grund, weshalb ich immer Scarlett bei dir lasse.“

„Ich dachte, ich passe auf sie auf“, meinte Keyen verwirrt.

Raffael lächelte warmherzig und schlug ihm auf die Schulter, „Bitte fordere niemanden heraus. Es reicht schon, dass diese hier das macht.“

Anaki starrte Etienne unverwandt an, seine Augen wurden groß vor Sorge.

„Oh Gott. Wann findet es statt?“, fragte er und sie sah die Panik in seinem Gesicht. Dann machte er Anstalt aufzustehen, „Ich rede einfach jetzt mit ihm.“

Sie packte seinen Arm und zog ihn wieder hinunter, „Beruhige dich. Ich habe bereits gewonnen. Das Thema ist erledigt.“

Anaki sah sie ungläubig einen Moment still an. „Niemals“, sagte er dann, „Auf keinen Fall wurde er von dir besiegt.“

„Wie lief das ab?“, fragte Keyen neugierig und bedachte sie von oben bis unten, „Du siehst dafür aber ganz schön fit aus.“

Es fühlte sich an, als würden die Worte in ihre Würde stechen. Etienne konnte nicht anders, als eine Beleidigung zu hören, wo keine war. Vielleicht waren das die Nachwirkungen des Zusammentreffens mit Bianca und ihrer Begleitung. Oder es war ihr angeschlagener Zustand, welcher sie reizbarer machte. Normalerweise würde es sie nicht interessieren, aber heute ging es ihr unter die Haut. „Eigentlich wollte ich dir erzählen, was ich gewonnen habe und ich bin mir sicher, du hättest dich darüber gefreut. Aber nach dieser Aussage werde ich dir gar nichts mehr erzählen.“

Etienne stand auf und ging hinaus.

„Sei nicht sauer“, hörte sie noch Raffael ihr belustigt hinterherrufen und das ließ den Ärger in ihrer Brust noch stärker auflodern. Wieso fühlte sich so ihrem Stolz verletzt?

Unwissend, wohin sie zunächst gehen sollte, steuerte sie die Toiletten an, um sich etwas kaltes Wasser über die Handflächen laufen zu lassen. Als sie an der Treppe vorbeilief, entdeckte sie Scarlett diese gerade hinauflaufen. Ein Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen, bis Scarlett langsam zu lächeln anfing und es Etienne nicht geheuer war. „Guten Morgen, Etienne. Wo gehst du hin?“

Etienne drehte sich auf dem Absatz um. „In die Klasse.“

Raffael würde Scarlett ihr vom Leib halten. Doch eher sie weit kam, spürte sie Scarletts festen Griff an ihrem Handgelenk und unterdrückte ein Stöhnen, als sie das Ziehen von Scarletts Hand bis in ihre Schulter spürte.

„Es ist so schön, dich hier zu treffen. Begleite mich doch auf die Toilette. Ich gehe nicht gerne alleine hin. Nicht, dass dort ein schmieriger kleiner Mistkerl mit seiner Kamera auf mich wartet.“

Sie zog an ihrem Arm und Etienne folgte ihr. Scarletts Wut war so deutlich, dass das lächelnde Gesicht Etienne einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Sie fühlte sich anders bedrohlich an, nicht so wie Bianca, eher wie Raffael.

„Erzähle mir doch, was gestern passiert ist“, sagte Scarlett, als sie die Tür zufallen ließ.