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Calisteo - Stadt der Geister [German/Deutsch]
Die Geister der McClaines: Erstes Kennenlernen

Die Geister der McClaines: Erstes Kennenlernen

Als Etiennes erster Schultag endete, war sie leicht deprimiert. Madamme O'Donnel war eine sehr strenge Lehrerin. Ihr Fach schien ihr Stolz zu sein und wenn dies nicht so von der Schülerseite erwidert wurde, dann nahm sie es persönlich. Und obwohl ihre Stunden eine Weile zurücklagen, saß das furchtbare Gefühl, der Wut dieser Frau ausgesetzt zu sein, tief unter der Haut.

„Sie hasst mich“, stellte Etienne fest.

Anaki wusste sofort, worum es ging und lachte, „Wieso schläfst du auch in ihrem Unterricht? Das war dein erster Schultag und die ersten Stunden bei ihr. Einen noch schlechteren Eindruck hättest du nicht machen können.“

„Ich habe nicht geschlafen“, verteidigte sich Etienne, „Ich habe mich beim Zuhören nur auf die Arme gelegt.“

Anaki verdrehte die Augen.

„Wir haben sie mindestens zwei Stunden am Tag“, sagte Scarlett fröhlich und schloss mit Raffael, Crom und Keyen zu ihnen auf. Eindeutig zu viele Menschen, die zu einer eigenen geschlossenen Gruppe gehörten.

Crom hatte vor dem Klassenzimmer auf sie gewartet. Etienne hatte bemerkt, wie er mit warmen Augen zu Scarlett geblickt hatte und sich diese Beobachtung im Hinterkopf vermerkt.

Etienne seufzte, „Na, zum Glück muss ich hier nicht meinen Abschluss machen.“

Raffael lachte, „Vielleicht sollte ich mein Angebot ändern auf: hier einen Abschluss machen.“

„Welches Angebot?“, fragte Crom.

„Wir brauchen uns darüber nicht weiter zu unterhalten“, sagte Etienne an Raffael gewandt, „Mal abgesehen davon, bin ich jetzt verabredet.“

Sie trennte sich hastig von ihnen und ging einige Gänge weiter. In einem einsamen Gang blickte sie sich um. Ihr war niemand gefolgt, also weckte sie ihren Djinn.

„Ich will Meta allein treffen. Verschaffe mir eine Möglichkeit.“

Etienne hoffte darauf, dass sie noch außerschulische Aktivitäten hatte, von denen Miss Arvon gesprochen hatte. Meta und Gilgian mussten die Schule noch nicht verlassen haben. Zumindest hatte sie diese nicht auf dem Weg nach draußen gesehen.

Der Djinn schwebte über ihr und dann auf den Boden, „Wird das einer der Wünsche?“

Etienne lächelte ihn an, „Nein. Sie ist der schnellste Weg zum nächsten Stein und so lange ich nicht alle drei in meiner Hand habe, wirst du mir dabei helfen. Egal auf welchem Wege. So haben wir es ausgemacht.“

Sein Schwanz zuckte und er blickte sie weiterhin an. Etienne merkte, wie er versuchte, sich dem zu widersetzen. Doch es funktionierte nicht. Sie hatte sich, bevor sie den Djinn aufgesucht hatte, ganz genau überlegt, wie sie am effektivsten einen Vertrag mit ihm eingehen würde.

Sein Schwanz zuckte noch ein mal genervt und er sagte, „Was würdest nur ohne mich machen, du Idiot Etienne.“

Er nahm es ihr noch immer übel, wie sie ihn an sich gebunden hatte.

„Ich würde verzweifeln“, sagte Etienne, um ihn zu beschwichtigen.

Er richtete sich wieder stolz auf und meinte dann, „Sie müsste wieder in der Bibliothek sein.“

Etienne nickte ihm dankend zu und machte sich auf den Weg.

„Was ist mit Gilgian?“, fragte sie ihn.

Er flog neben ihr her, als sie durch die nun leeren Gänge ging.

„Er ist in der Turnhalle“, sagte Catjill ihr.

Etienne nickte nachdenklich. Als sie die Bibliothek erreichte, waren nun mehr Schüler dort. Viele saßen in Gruppen oder allein an den angereihten Tischen und schrieben sich Notizen oder lasen Bücher. Diesmal entdeckte Etienne auch eine freundlich aussehende Bibliothekarin, welche ihr freundlich zunickte und ihre Uniform musterte. Dann sagte sie ihr leise, „Willkommen an unserer stolzen Schule. Du darfst in den hinteren Räumen lernen. Soll ich dich dahin führen?“

Etienne zögerte kurz und nickte dann lächelnd. Sie beäugte das Namensschild der Frau, „Vielen Dank, Miss Roth.“

Die Dame lachte leise und sagte dann, „Ah, du bist ein Schatz. Eine Miss bin ich schon lange nicht mehr. Die Schüler können mich Adelle nennen und das trifft selbstverständlich auch auf dich zu.“

Etienne folgte ihr durch die Bücherregale bis nach ganz hinten zu einer Tür. Die Schüler beachteten sie diesmal nicht, alle waren fokussiert auf ihre Arbeit.

Adelle verwies auf die Tür und sagte, „Hier sind wir Schatz. Ich wünsche dir einen produktiven Aufenthalt. Wenn du Hilfe brauchst, kannst du dich jederzeit bei mir melden.“

Etienne bedankte sich und wartete, bis Adelle gegangen war. Dann ging sie einige Regale durch und betrachtete deren Inhalt. Erstaunlicherweise konnte sie einige Bücher erspähen, welche ihr Interesse weckten. Sie nahm einige heraus und ging dann zurück zu der Tür. Sie atmete kurz durch und trat durch diese hindurch. Zu ihrer Freude erblickte sie Meta, welche in einer hinteren Ecke im Raum, umgeben von Büchern still dasaß und las. Als Etienne hineintrat, hob sie den Kopf und erblickte sie. Ihre Augen blickten noch immer misstrauisch, doch anstatt sich zu ducken und den Blick zu senken, lächelte sie Etienne zögerlich an.

Etienne lächelte zurück, „Meta! Darf ich mich zu dir setzen?“

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Meta blickte kurz zu der Tür, welche ins Schloss fiel und meinte dann, „Das kannst du. Khalas wird jedoch bald zurückkehren und ich will nicht, dass es zu Missverständnissen kommt.“

„Missverständnisse?“, fragte sie, als sie einen Stuhl zurückzog und sich ihr gegenüber setzte.

Meta sah sie kurz verwirrt an und dann fragte sie, „Wie lange bist du schon in der Stadt ... wenn ich fragen darf?“

„Das ist mein dritter Tag. Oh, aber ich kannte Calisteo schon eine Weile. Ich hab die Stadt einige Male besucht.“

Meta nickte, „Dann kannst du natürlich über die genauen Einzelheiten nicht aufgeklärt sein. Ich bin ein Anhänger der dritten Provinz und eine Verwandte des Provinzherrschers. Khalas passt nach der Schule auf mich auf.“

Etienne legte das Buch ab und öffnete es, „Bedeutet das, dass du und ich nichts miteinander zu tun haben dürfen?“

Sie schielte zu Meta, während sie in einigen Seiten herumblätterte. Meta schien jedoch einen Moment nachzudenken, „Ich glaube nicht, dass wir nichts miteinander zu tun haben dürfen. Aber du hast meine Situation heute erlebt. Khalas könnte auf falsche Schlussfolgerungen kommen.“

Etienne lächelte sie an, „Dann können wir es ihm sicherlich erklären. Ich habe mich sehr gefreut zu sehen, dass hier jemand an der Schule ist, der auch Interesse an alten Sprachen hat. Und so bin ich nicht allein in dieser Bibliothek. Darf ich so lange bei dir sitzen, wie ich noch kann?“

Meta lächelte schüchtern, „Das kannst du machen, aber ich habe dich vorgewarnt.“

Etienne lächelte zufrieden und widmete sich wieder ihrem Buch.

Sie sah, wie Meta neugierig herüberschielte, „Das hat nichts mit unseren Fächern zu tun, oder?“

Etienne sah wieder zu ihr, „Das ist eine Dokumentation einiger magischer Relikte, welche in den ersten Jahrzehnten nach der Entstehung der neuen Welt bestimmt werden konnten. Ich hatte gehofft etwas über die Austreibungsreliquien zu finden. Sie werden auch die Steine von Expulsio genannt.“

Meta sah sie fragend an, „Austreibungsreliquien? Du hast gesagt, du bist Exorzistin, oder? War das ernst gemeint?“

Etienne nickte, „Ich hab ein paar sehr wichtige Sachen vor mir. Es wäre wirklich schön, wenn ich die Steine zeitig finden könnte. Bisher hat sich das aber als sehr schwierig erwiesen. Nachdem ich den ersten gefunden hatte und sehr mühselig versucht habe ihn zu erlangen, wurde er mir einfach vor der Nase weggeschnappt“, sie seufzte, „Und nun wird meine dringliche Notwendigkeit, die Steine zu erlangen, auch noch gegen mich verwendet.“

Verständnis leuchtete in Metas Gesicht auf, „War es das, worum es vorhin im Gespräch mit Raffael ging?“

Etienne nickte, „Er hat ihn mir einfach gestohlen.“

Meta sah sie mitleidend an, „Er kann sehr hinterlistig sein, wenn er es will. Lass dich nicht auf vage ausformulierte Versprechen ein, die wird er drehen, wie er will.“

Lachend erwiderte Etienne, „Danke für die Warnung. Das habe ich auch schon mitbekommen. Nun denn, sei es zunächst drum. Ich habe ein paar Gründe zu vermuten, dass ich die anderen Steine hier in der Stadt finden könnte. Also habe ich mir gedacht, ich lese mir ein paar Bücher dazu durch.“

„Wir haben eine ganze Abteilung dazu in der Bibliothek im zweiten Stock. Da würdest du sicherlich noch sehr viel finden können“, informierte Meta sie.

Etienne bedachte ihre Bücher und fragte, „Was liest du da eigentlich? Wieder Sanskrit?“

„Nein. Ich mache ein Selbststudium. Ich will später Gilgian dabei helfen können, die Provinz besser zu verwalten. Von allen Provinzen geht es unserer am schlechtesten“, sie beäugte Etienne vorsichtig und zögerte, eher sie die nächsten Worte sprach, „Wenn ich mich hier gut anstelle, könnte ich vielleicht einigen Menschen helfen. Bastian Hartmann hatte einst gesagt, dass wenn nur jeder Mensch versuchen würde, einem anderen ein Bisschen zu helfen, dann würden wir in einer deutlich besseren Welt leben. Bisher hatte ich das nicht in die Tat umsetzen können. Aber ich habe es fest vor.“

Etienne war überrascht, dass von allen Überlebenden der alten Welt, Meta ausgerechnet ihn zitierte. Es gab viele mächtige Persönlichkeiten und Etienne kannte ihn. Er konnte jedoch nur in Zusammenarbeit mit den anderen, deutlich mächtigeren, Überlebenden seinen Worten Taten folgen lassen. Das hatte zur Folge gehabt, dass andere Menschen viel leisten mussten, um seinen Anforderungen gerecht zu werden. Etienne hielt nicht viel von ihm.

Meta errötete nach ihren Worten und blickte lachend weg, „Ich entschuldige mich. Ich weiß gar nicht, wo das alles herkommt, ich kann ja nicht mal mir selbst helfen. Normalerweise rede ich auch nicht über so etwas mit Fremden.“

Etienne lächelte sie an, „Mach dir nichts draus, mir wurde schon öfters gesagt, dass ich so eine Art habe, dass Menschen mir einfach alles anvertrauen. “

Meta lachte, „Wirklich? Vielleicht solltest du Therapeutin werden.“

Etienne lachte, „Ich bin nicht sehr gut darin, vernünftige Ratschläge zu geben.“

Meta lächelte sie an und Etienne stellte vorsichtig die erste persönliche Frage, „Du und Gilgian, seid ihr wirklich Geschwister?“

Sie hatten Gemeinsamkeiten, waren zeitgleich aber so unterschiedlich, dass Etienne sich darüber wunderte.

Meta blickte sie verwundert an, „Nein. Streng genommen bin ich seine Cousine. Aber wir lebten schon zusammen, seit wir klein waren.“

Sie fing an, mit ihrer Hand über ihren Arm zu fahren. Die Augen wanderte kurz weit weg, doch dann fing sie sich schnell wieder und sah wieder zu Etienne. Die Augen mit der stechenden Augenfarbe blickten freundlich und schüchtern. Anders als Etiennes.

„Ich schätze, irgendwann haben wir uns einfach so genannt.“

„Es muss wirklich schön sein, jemandem so nahe stehen zu können.“

Meta biss sich auf die Unterlippe, während sie Etienne nun wieder vorsichtig musterte. Dann sagte sie, „Uns haben unsere Lebensumstände näher aneinander gebracht. Aber ich habe eher das Gefühl, dass ich ihm häufiger in Weg stehe, als dass ich eine Hilfe bin.“

Etienne lachte und meine ermunternd, „Das Problem haben wahrscheinlich alle, dessen Angehörige in ihren höheren Positionen sitzen. Lass dich davon nicht unterkriegen.“

Meta entgegnete ihr strahlendes Lächeln mit einem verwirrten Blick, „Ich schätze, dass das so ist? Aber Scarlett ist zum Beispiel eine viel größere Hilfe an Raffael, als ich an Gilgian. Und Meng hilft Elias auch viel mehr. Ich wünschte mir, ich könnte auch so hilfreich sein.“

Doch dann lächelte sie wieder zuversichtlich und hob das Buch hoch, dass vor ihr lag, „Deswegen ganz viel lernen. Ich habe fest vor, ihm irgendwann jede Hilfe zurückzuzahlen, die ich von ihm bekommen habe.“