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Schauspiel: Beklemmung

Am nächsten Morgen wurde Etienne von ihrem Djinn geweckt. Seit sie heim gekommen war, war er so ruhig und gehorsam, dass sie sich zwingen musste, ihren Unmut zu unterdrücken. Sie konnte ihre schlechte Laune nicht an ihm auslassen. Obwohl sie die Konfrontation mit Raffael sehr deutlich daran erinnert hatte, dass Beziehungen nur in Machtverhältnissen existieren konnten. Es war ein stetiger Kampf um die Oberhand. Und die einzigen Wesen, die Etienne in ihrer Nähe erlauben sollte, waren die, die keine Gefahr darstellten.

Sie sprang aus dem Bett und machte sich schweigend fertig. Der Djinn wollte ihr etwas erzählen, doch sie merkte, wie er sich zurückhielt. Ihr war auch nicht nach reden zumute. Ihre alte Jacke lag im Bad, getränkt in Salzwasser. Der Fluch war noch immer nicht außer Kraft gesetzt und Etienne vermutete, dass sie die Stelle komplett herausschneiden musste… im besten Fall. So oder so, die Jacke sehr wahrscheinlich ruiniert. Die ganze Arbeit, die sie hineingesteckt hatte, sie zu bekommen und dieses Glücksgefühl, als sie diese endlich in der Hand hielt. Alles umsonst, nur weil sie den Fehler begangen hatte, sie an jemand anderen abzugeben. Und nachdem sie den Abend darüber gebrütet und ihre Wut sich etwas gelegt hatte, hat Etienne verstanden, was sie so wütend gemacht hatte. Sie hatte Raffael nach und nach als jemand hilfsbereiten und aufmerksamen kennengelernt. Als jemanden, der manchen Menschen gegenüber sehr fürsorglich und entgegenkommend war. Ihr war nicht aufgefallen, dass er dieses Image als Waffe nutzte. Sicherlich war sie irritiert davon gewesen, dass er diese fürsorgliche Art auch ihr gegenüber gezeigt hat und das, obwohl sie gänzlich Fremde waren. Nun verstand sie, wieso und ihre Naivität nervte sie so sehr, dass die Wut über sich selbst sie wie ein heißer Schlag traf. Sie wusste es doch eigentlich besser.

Etienne packte ihre Tasche, ließ das Messer darin verschwinden, ihr stiller und heimlicher Begleiter, sollte es mal wirklich brenzlig werden. Dann trat sie leisen Schrittes hinunter in die Küche. Tatinne saß am Tisch. Wie jeden Morgen, hatte sie ihre Zeitung bei sich, las diese durch. Etienne wunderte sich, wie viele von den Ereignissen, die dort beschrieben wurden, tatsächlich neu für sie waren und wie viele sie bereits vorhergesehen hatte, sei es durch ihre Fähigkeiten oder durch ihr Wissen. Sie hatte eine Räucherkerze angezündet und der süße Geruch des Rauches erfüllte das Zimmer, fraß sich jedoch gefühlt in ihre Nase hinein. Etienne mochte den Geruch nicht und sie sah, wie Catjill sich wand, erkannte sie, was ihn so unruhig gemacht hatte.

„Du bleibst heute den ganzen Tag bei mir“, sagte Etienne zu Catjill, welcher nieste.

„Brauchst du mit irgendetwas Hilfe heute?“, fragte Tatinne. Etienne unterdrückte ein Seufzen. Nachdem sie Tatinne von dem gestrigen Abend erzählt hatte, hat Tatinne sie darüber informiert, was an den freien Tagen stattfand. Ein Theaterstück. Sie konnte ihr Pech nicht fassen. Am Rande hatte sie immer wieder etwas davon mitbekommen. Wenn sie sich recht erinnerte, hat Miss Arvon ihr sogar das Bühnenbild an ihrem ersten Tag gezeigt. Selbstverständlich könnte Etienne es ignorieren und einfach nicht auftauchen. Sie könnte dadurch so leicht gewinnen. Aber sie würde nicht kneifen. Sie würde diese Wette unter den Regeln und Normen von Raffaels Alltag gewinnen. Einfach nur, weil sie es so wollte.

Dennoch kam sie nicht umhin, festzustellen, dass sie bereits im Nachteil war. Es gab so vieles herauszufinden. Wer die Führung hatte und sich im besten Fall an diese Person klammern. Wenn er es war, dann würde sie ein Problem haben. Kurz überlegte sie sich, ob sie Catjill nicht einfach die Bühne in Flammen aufgehen lassen sollte. Wenn sie das Projekt verschieben musste, gab es sicherlich niemanden, der ihr sagen würde, was sie zu tun hatte.

„Nein“, antwortete Etienne Tatinne, „Außer du hast vor, dieses Ding aus dem Haus zu schaffen.“

Das Klavier hatte sie am Abend gehässig begrüßt. Etienne hatte ein paar Momente gebraucht, um sich davon abzuhalten, es zu zertrümmern.

„Du wirst mir sehr bald dafür danken, dass ich es besorgt habe“, sagte Tatinne belehrend. Etiennes Laune schien sie überhaupt nicht zu stören, auch wenn sie das Gefühl beschlich, dass Tatinnes Tonfall weniger kalt war als sonst.

„Er ist bald hier, Etienne.“ Catjills beinahe schon kleinlaute Stimme ließ die Wut verpuffen. Er war nervös. Sie streichelte seinen Kopf und er lehnte sich ihrer Berührung entgegen. Sie wollte nicht, dass er sich ihretwegen schlecht fühlte, erst recht nicht wegen so etwas, was gänzlich nichts mit ihm zu tun hatte.

„Ich werde heute wahrscheinlich den ganzen Tag immer wieder mal wütend sein. Es ist etwas ungewohnt, denn normalerweise empfinde ich selten so. Denke immer daran, dass das nicht deinetwegen ist“, dann wechselte sie das Thema, „Du wirst mir heute helfen müssen. Es geht um den Stein.“

„Um zwei meinst du“, korrigierte er sie und Etienne zögerte. Elias und Meng würden auch da sein. Sie hatte an diese nicht gedacht.

„Das stimmt... Es geht auch um noch einen.“

„Er ist am Tor“, sagte Catjill. Etiennes Herzschlag beschleunigte sich. Die Müdigkeit vom Vortag war nicht verschwunden. Stattdessen fühlte sie sich noch erschöpfter. Aber sie hatte schon in einem deutlich schlimmeren Zustand gefährlichere Situationen bewältigt. Erst vor wenigen Tagen ist ihr ein Crawling erlegen. Was wollte ihr diese Schule mit ihren unschuldigen kleinen Bewohnern schon tun? Etienne hörte, wie die Tür unten geöffnet wurde und ging zum Waschbecken. Sie befüllte sich eine Glasflasche mit Wasser, stand mit dem Rücken zur Tür und hörte den Schritten zu, die hinaufgingen.

„Guten Morgen, Raffael“, hörte sie Tatinne in ihrem üblichen gelangweilten Tonfall sagen, „Ich weiß nicht, ob ich das begrüßen kann, dass du nun beinahe schon jeden Tag hier hereinschneist. Könntest du das etwas reduzieren?“

„Oh, keine Sorge, Tatinne. Ich werde dafür sorgen, dass in naher Zukunft du bei uns vorbeikommen kannst. Bei uns gibt es deutlich bessere Gesellschaft.“

„Ah“, meinte Tatinne und Etienne beobachtete sie, wie sie mit erhobenen Augenbrauen Raffael forschend betrachtete, „Und wieso sollte ich das tun?“

Etienne atmete leise durch und drehte sich dann ebenfalls ins Zimmerinnere. Diesmal hatte er einfache Kleidung an, keinen verwirrenden Pullover, welcher sie davon ablenkte, nach seinen Waffen zu schauen. Keine Uniform, also musste sie auch keine anziehen. Das erleichterte sie. Die Kleidung, die sie nun anhatte, würde ihr eher dabei helfen, in einem Kampf zu bestehen, ihre robuste Jeans, die alten Stiefel und ein schwarzes Shirt. Raffaels schwarze Jacke war etwas nass und ein Schwall Regenluft war mit ihm in das Zimmer hineingeweht. Er lehnte sich mit dem Rücken am Eingang der Tür, hatte die Arme verschränkt und von der gestrigen Wut war keine Spur mehr.

„Weil deine Nichte bald dort sein wird. Du weißt schon, ganz zuverlässig und engagiert dabei, ihre neue Rolle anzunehmen.“

Ihr Gesicht verdüsterte sich und sie konnte nichts dagegen machen. Er sah sie nicht an, doch sein Lächeln wurde etwas breiter. Diese Aussage diente wohl mehr dazu, sie zu nerven, als das es wirklich eine echte Drohung war und Etienne musste das wieder in den Griff bekommen. Außer er hatte einen Weg gefunden, die Wette sicher zu gewinnen und den offenen Gefallen so zu formulieren, dass ihr keine Chance blieb. Aber sie glaubte nicht daran.

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„Oh, ich bitte dich“, meinte Tatinne ungehalten und sah wieder in ihre Zeitung, „Aber ich sehe, Etienne hat da zugeschlagen, wo es weh getan hat.“

„War sicherlich nicht schwer, wenn ihr eine Informationsgewalt zur Verfügung steht.“

„Ich hatte damit nichts zu tun. Meine Nichte ist sehr kompetent, sie schafft das auch allein.“

Raffael schnaubte und auch Etienne mochte diese Worte nicht. Annerkennung, welche sie normalerweise mit Stolz erfüllen würde, war ihr nun zuwider.

„Lass uns gehen, Kompetenzbolzen“, sagte er an Etienne gewandt. Er drehte sich um und ging hinunter.

Etienne deutete Catjill auf ihre Schulter zu fliegen und zwang diese vielen, teilweise noch unbekannten, Gefühle auszuschalten. Sie würde sich später um diese kümmern, wenn sie sich nicht mit wütenden Menschen auseinandersetzen musste oder damit, an eine Stadt gebunden zu werden, welche ihr gänzlich egal war. Es erschloss sich ihr nicht, dass Raffael nicht sah, wie fürchterlich diese Idee war. Der Fluch, der auf ihrer alten Jacke lastete, war nicht tödlich. Er würde sie also nicht loswerden wollen und diese Beobachtung deckte sich damit, dass er ihr den Stein nicht gab, damit sie auf Nimmerwiedersehen verschwand. Wieso war es ihm wichtiger, sich an diese Vorhersehung zu klammern, anstatt das Schicksal einfach selbst in die Hand zu nehmen?

„Ich werde später vorbeikommen und dir etwas zu essen mitbringen“, rief Tatinne ihr zu und Etienne drehte sich verwirrt zu ihr um. Tatinne winkte sie jedoch weg und schien nicht erläutern zu wollen, was genau sie vorhatte zu tun, denn aus solch einem Grund würde sie nicht kommen.

Als sie sich wieder in den Gang drehte, sah sie Raffaels gerunzelte Stirn und wusste, es war ihm auch aufgefallen. Dann trafen seine Augen auf die ihre und sie starrten sich einen Moment abschätzend an. Etienne konnte keine Wut in diesen sehen, eher etwas anderes, was sie nicht genau benennen konnte. Aber er war dennoch verärgert. Seine Kommentare machten das nur zu deutlich.

„Geh“, sagte sie zu ihm, „Oder willst du aufgeben?“

Sein Grinsen kehrte wieder zurück. „Du hast keine Ahnung, was auf dich zukommt.“

Er drehte sich erneut um und ging weiter voran. Etienne verlor den Blick auf ihn, als er hinaustrat und sobald er die Tür öffnete, hörte sie die leisen Regentropfen auf den Boden fallen. Catjills Krallen bohrten sich nervös in ihre Schulter.

„Hast du gewusst, wie seltsam sich das anfühlt, als Katze nass zu werden?“, sagte er zu ihr und sie fühlte sich eindeutig nicht wohl dabei, dass er seine Fähigkeiten der Gestaltwandlung in Raffaels Hörweite ansprach.

Sie streichelte seinen Kopf, „Keine Sorge, du wirst nicht nass.“

„Ich weiß“, sagte er, „Aber was ist mit dieser Stadt? Es hört einfach nicht auf. Können wir nicht nach Vheruna oder so?“

Etienne runzelte die Stirn und ging zur Garderobe. Das waren definitiv keine Worte, die sie von ihm hören wollte.

Sie holte die Jacke heraus, welche Raffael ihr gegeben hatte. Es kostete sie einen Moment Überwindung, sie anzuziehen. Zu sehr verband sie diese mit den schlechten Ereignissen des letzten Tages und zu sehr fühlte es sich danach an, als hätte er ein Stück von ihr ausgelöscht und durch etwas Eigenes ersetzt. Etienne seufzte, als sie ihren innerlichen Widerstand überwand und sie sich die Jacke überzog. Die eine war befleckt mit einem Fluch, die andere mit einem schlechten Beigeschmack.

„Ohne Regen wachsen keine Blumen“, zitierte sie ihren Bruder, als sie hinaustrat und die Kapuze über Catjill und ihren Kopf zog. Der kleine Kater versteckte sich tief in dieser, murmelte sich in ihren Haaren ein. Seine nasse Schnauze berührte ihr Ohr, als er sich gemütlicher hinlegte.

„Scheiß auf Blumen. Ich will Sonne“, beschwerte er sich weiter und Etienne unterdrückte es, die Augen zu verdrehen.

Raffael, welcher draußen auf sie gewartet hat, hob bei der Aussage die Brauen. „Schlechte Laune bei schlechtem Wetter, was? Da hilft etwas Lachen dagegen.“

„Das macht keinen Sinn“, erwiderte der Kater und Etienne stimmte ihm zu. Mit einer Handbewegung hielt sie ihn dann davon ab, weiterzusprechen. Er sollte nicht zu viel mit Raffael sprechen, sie mochte es nicht. Die Sorge, dass Raffael einen Weg finden würde, ihn ihr wegzunehmen, war zu groß.

Raffael hatte ebenfalls seine Kapuze über den Kopf gezogen und betrachtete ihre Erscheinung. „Ich bin überrascht, dass du diese gewählt hast. Ich will wetten, dass du dich in der anderen viel wohler fühlen würdest.“

Die Wut loderte wieder auf, dicht gefolgt von dem schmerzenden Stich und Etienne unterdrückte erneut beide Gefühle, diesmal mit deutlich mehr Erfolg.

„Geh einfach“, sagte sie zu ihm. Sie hatte kein Interesse daran, seine Andeutungen aushalten zu müssen.

Er sah ihr forschend ins Gesicht. „Weißt du, ich wundere mich wirklich, woher diese Feindseligkeit auf einmal kommt.“

„Oh, sie war schon immer da. Vielleicht würde sie aber abklingen, wenn ich mir nicht deine Fragen antun muss und du stattdessen losgehst. Ich weiß nicht, wo genau das ganze Spektakel heute stattfindet.“

Er seufzte und verdrehte langsam die Augen, während er sich umdrehte. „Natürlich tust du das nicht. Woher nimmst du mit deiner Organisation dieses ganze Selbstvertrauen her? Mal wieder blind ins Geschehen.“

„Und nun stell dir vor, wie du dagegen verlierst“, sprach sie im Versuch ihn zu provozieren und er lachte. Sie folgte ihm durch das leichte Nieseln durch die Stadt. Es war anders, als am gestrigen Abend. Es gab so viele Pfützen auf den Straßen, welche alle von dem Sturm am gestrigen Abend stammen und sie spiegelten die Wolken im Himmel wieder. Und zwischen diesen gab es bunte Pflastersteine, welche durch die ihr inzwischen sehr vertraute Hauptstraße zu der Schule führten. Etienne fiel dabei auf, dass sie noch nie den Marktplatz gesehen hatte, welcher am Ende der Straße in die andere Richtung die Mitte des neutralen Stadtteils bildete. Es sollte bunt sein, mit schönen, großen, blauen Steinen. Trotz des Regens drang Gelächter zu ihr durch. Etienne bedachte die Menschen, welche erneut dabei waren, die Stände aufzubauen. Ihre Unbeschwertheit verlieh Raffaels Aussage eine Wahrheit, welche sie nicht nachempfinden konnte. In diesem Fall stimmte sie ihrem Djinn voll und ganz zu. Es ergab keinen Sinn.