Etienne verarbeitete still die ersten Informationen, tat so, als würde sie in ihrem ausgeliehenen Buch weiterlesen. Doch das Buch hatte sich schnell als nicht sonderlich hilfreich herausgestellt. Sie kannte es bereits, es hatte nur einen anderen Einband. Dann bemerkte sie einen schüchternen Blick von Meta.
„Was ist?“, fragte sie diese.
Meta legte ihr Hände in den Schoß und blickte nach unten. Dann schaute sie wieder zu Etienne und fragte, „Von wo bist du auf die Schule gewechselt?“
Etienne blinzelte verwirrt, überrascht von der Frage.
Meta schien sich gleich zurückzuziehen und hob abwehrend die Hände, während sie wie ein Wasserfall zu reden anfing, „Das fragen sich alle an der Schule. Es passiert äußerst selten, dass jemand die Schulen wechselt. In Calisteo ist die Struktur klar geregelt. Außer, wenn du von außerhalb kommst, was natürlich… natürlich sehr beeindruckend wäre. Ich schätze, ich habe mich bisher als erste getraut zu fragen?“
Sie merkte, wie Metas Wangen sich röteten, peinlich berührt darüber, eine Frage gestellt zu haben, die Etienne vielleicht zu nahe gehen könnte. Noch immer verwirrt darüber, dass Meta diese Frage überhaupt gestellt hat, lächelte sie dann und entschloss sich, ihr etwas Einblick zu gewähren, „Eigentlich, hab ich die Schule bis vor ein paar Jahren abgebrochen. Es gibt da etwas Wichtiges für mich zu tun. Leider musste ich wieder anfangen“, sie lachte, „Das ist alles Raffaels Schuld, wie du schon mitbekommen hast. Die Steine von Expulsio zu finden, ist meine größte Priorität“, dann seufzte sie schwer, „Ich könnte wirklich jede Hilfe gebrauchen, die ich bekommen könnte, stattdessen werde ich sabotiert. Mein Djinn kann mir auch nur begrenzt Unterstützung leisten. Was denkst du, werde ich in der Schule was zu den Steinen finden können?“
Meta blickte zur Seite, als würde sie nachdenken, dann fing sie wieder an, an ihrer Unterlippe zu knabbern, „Es kann sein, dass ich von den Austreibungsreliquien schon mal was gehört habe.“
„Ah ja?“, fragte Etienne nach. Sie sah, wie Meta sich nun auf die Oberlippe biss, während sie weiter zur Seite blickte. Dann atmete sie tief durch und blickte wieder vorsichtig zu Etienne, „Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ich das in der Schule aufgeschnappt habe oder … oder woanders.“
Sie rieb sich mit der Hand den Nacken und sah aus, als würde sie sich unwohl fühlen.
Etienne griff nach vorne und nahm ihre Hände in die ihren, „Weißt du zufällig etwas, was mir weiterhelfen könnte?“
Meta versteifte sich, als Etienne sie berührte. Sie sah erschrocken zu ihr und Etienne füllte die Pause, indem sie weiter sprach, „Entschuldige, dass ich so aufdringlich bin. Nach all der Zeit und dem Rückschlag mit dem ersten Stein und dieser andauernden Auseinandersetzung mit diesen Monstern, habe ich gerade einen kleinen Lichtblick gesehen. Du könntest mir wirklich so sehr helfen.“
Sie ließ ihre Hände los und sah sie entschuldigend an, versuchte freundlich weiter zu lächeln und sich die Anspannung nicht anmerken zu lassen.
„Ist es so schlimm?“, fragte Meta.
Etienne seufzte schwer und nickte, „Das Château de la Fortune war furchterregend gewesen.“
Sie sah, wie Metas Blick sich wieder senkte und sie die Haut an ihren Fingernägeln kratzte.
Dann sah sie wieder zu Etienne, „Nun, vielleicht gibt es in dem alten Haus meines Vaters einige Aufzeichnungen.“
Etiennes Herz setzte einen Schlag aus. Dies hörte sich nach einer Spur an, die sie direkt angehen konnte, „Wirklich?“
Meta zog wieder entschuldigend die Schultern hoch, „Ich darf es aber nicht betreten. Niemand darf das.“
Das würde kein Problem für Etienne darstellen. Sie könnte sicherlich während der Schulzeit sich einschleichen. Bis dahin, würde sie sich mehr Informationen beschaffen.
„Wieso?“, fragte sie bei Meta nach.
„Gilgian meint, es sei gefährlich. Weißt du, mein Vater war sehr speziell, wenn es um sein Eigentum ging. Er ließ niemanden an die Gegenstände ran und … es gibt genug Geschichten von verschwundenen Dienern. Und so wie er war, vermute ich, dass er auch nach seinem Tod sein Schatz vor Anderen zu schützen versucht hat“, sie zuckte mit den Schultern, „Ich glaube, Gilgian hat recht, wenn er den Zutritt verbietet. Es ist gefährlich.“
Etienne wischte ihre Aussage mit einer Hand weg, „Kein Problem. Damit komm ich klar. Als Exorzist komme ich an so manch gefährliche Orte. Meinst du, es wäre in Ordnung für dich, wenn ich mich dort mal umsehe?“
Meta zögerte, sichtbar irritiert von Etiennes Aussage, „Nein. Das ist wirklich keine gute Idee. Mal abgesehen davon, glaube ich nicht, dass du es betreten könntest.“
Etienne sah sie fragend an und Meta zögerte wieder. Dann atmete sie frustriert aus und sagte, „Wie gesagt, mein Vater war speziell. Nur Familienmitglieder können das Anwesen betreten. In seinen letzten Jahren … es ist schwer zu erklären.“
„Meinst du, er hat einen Irrezauber wirken lassen? Oder ihn selbst gewirkt?“, fragte Etienne.
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„Nennt man das so?“, fragte Meta misstrauisch.
Etienne nickte, „Ich bin Exorzistin. Ich kenne mich damit aus. Das, was du beschreibst, passt am besten in diese Kategorie. So ist es auch mit den Wesen aus dem Château de la Fortune gewesen.“
Von diesen gab es verschiedene Sorten. Eines davon war sehr subtil. Wenn man als normaler Mensch nicht darauf achtete, dann ging man an Dingen einfach so vorbei, ohne ihnen Beachtung zu schenken. Nicht, weil jemand unaufmerksam war, sondern weil der Zauber einen einfach davon abhielt. Und dann gab es welche, welche die Menschen davon abhielt, einen bestimmten Weg einzuschlagen. Beispielsweise den Weg zu einem Anwesen.
Meta betrachtete sie zweifelnd, „Weiß man das wirklich als Exorzist? Ich dachte, diese wären auf menschengemachte Flüche spezialisiert?“
Etienne nickte, „Damit habe ich mich auch sehr viel beschäftigt. Aber es lohnt sich immer, sein Wissen zu erweitern. Was meinst du, könntest du mich vielleicht hereinbringen?“
Meta könnte ihr die Tür öffnen. Mehr brauchte Etienne nicht. Das wäre die leichtest Art und Weise hineinzukommen.
Meta schüttelte den Kopf, „Das ist eine furchtbare Idee, Etienne! Ich weiß nicht, was mein Vater alles an Sicherheitsmaßnahmen eingesetzt hat. Es war schon zu seinen Lebenszeiten schlimm. Ich bin mir sicher, nach seinem Tod ist es nicht besser. Außerdem hat Gilgian verboten, den Ort zu betreten.“
„Das ist die einzige Spur, die ich gerade habe. Was, wenn ich sonst nichts finde?“, fragte Etienne.
Meta zog die Schultern hoch, „Ich … vielleicht ist einfach keine gute Idee nach ihnen zu suchen? Du hast selbst gemeint, dir gefällt das nicht.“
„Ich könnte jemandem wirklich sehr helfen, wenn ich die Steine auftreibe“, sagte Etienne, „Sie sind besonders stark, wenn es gegen Flüche geht. Wenn ich sie nicht finde, dann wird jemandem etwas wirklich Fürchterliches passieren.“
Sie betrachtete Meta Gesicht. In diesem mischten sich verschiedene Gefühle zusammen. Etienne konnte Angst ausmachen, aber auch Mitleid und Sorge.
„Du hast selbst gesagt, dass wenn die Menschen mehr einander helfen würden, wir insgesamt an einem besseren Ort wären. Du könntest mir helfen. Und ich ihm. Wäre es wirklich so unmöglich, mich dahin zu begleiten und mir die Tür zu öffnen? Das ist alles, worum ich dich bitte.“
Etienne sah, wie Meta erschlagen den Blick senkte. Sie schwieg einige Momente. Etienne spürte, wie Catjill seine Magie verwendete und vernahm nach einem weiteren Moment, wie draußen etwas rumpelte. Ihr Herz schlug schneller, als ihr in den Sinn kam, dass es sich um einen Khalas handeln könnte, welcher sich vielleicht auf den Rückweg zu Meta machte.
Meta schien nichts davon mitbekommen zu haben. Sie schwieg noch immer und Etienne ließ ihr die Zeit zum Denken. Dafür, dass sie so hilflos schien, hinterfragte sie gar nicht mal so wenig und Etienne wollte sie nicht unnötig drängen. Hoffentlich war das die richtige Entscheidung.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in welcher Etienne besorgniserregend die besorgten Stimmen von außerhalb der Tür vernahm, seufzte Meta und ließ die Schultern sinken, „Ich begleite dich nur bis zur Tür.“
„Wirklich?“, fragte Etienne und Meta erwiderte geschlagen ihren Blick, „Nur bis zur Tür.“
Etienne strahlte sie mit dem besten Lächeln an, dass sie zustande bringen konnte, „Ich werde dir das nicht vergessen. Wann immer du meine Hilfe brauchst, sag es mir.“
Meta schüttelte den Kopf, „Ich brauche keine Gegenleistung. Außerdem … hast du mich auch nicht gefragt, als du mir in der Pause geholfen hast.“
Etienne lachte, „Vielleicht sind wir uns in dieser Einstellung ja ähnlich.“
Meta lächelte leicht und dann sackte das Lächeln in sich zusammen.
„Ich muss mir überlegen, was ich meinem Bruder sage“, flüsterte sie und sah aus, als würde sie ihre Zusage jetzt schon bereuen.
„Schreib ihm eine Nachricht. Wir können uns morgen früh treffen und du könntest ihm schreiben, dass du dir einen Tag zum Ausgehen nimmst.“
Meta sah sie ausdruckslos an und seufzte dann erneut, „Desto mehr du redest, desto schwerer machst du es mir gerade.“
Etienne schlug ihr Buch zu und stand auf, „Ich helfe, wo ich nur kann. Aber wenn das so ist, sollte ich besser schweigen und mich zu Hause vorbereiten.“
Meta lächelte wieder zögerlich, „Morgen um fünf, an dem kleinen Wald. Er heißt am Drachentor und es ist in meiner Provinz.“
Etienne nickte ihr zu, „Ich werde da sein. Vielen Dank. Ohne deine Hilfe wäre ich wirklich aufgeschmissen.“
Sie ging hinaus und beeilte sich von der Tür zu kommen, bevor sie von Khalas entdeckt werden konnte. Sie sah ihn vor einem Haufen Bücher stehen, welche am Boden lagen. Adelle stand schimpfend neben ihm.
„Du bist ja ganz schön hinterlistig“, meinte Catjill an ihrer Schulter, „Etienne die Hinterlistige. Ich mag das.“
Etienne seufzte und schlug den Weg durch einzelne Regale nach Draußen an.
Mitleid war nahezu immer der beste Anknüpfungspunkt, um Menschen zu einer kleinen Tat zu bewegen. Und wenn Meta nicht so sehr das Bedürfnis hätte, anderen zu helfen, dann würde Etienne nicht solch ein schlechtes Gewissen haben, es gegen sie zu nutzen. Aber sie wollte nicht noch einen Rückschlag in Kauf nehmen, erst recht nicht bei einem Menschen, bei dem es so gut funktionierte.
„So schlimm ist es nicht“, antwortete sie dem Djinn, „Sie bringt mich nur rein. Es ist nicht so, als hätte ich ihre Seele verlangt.“
Als sie hinaus in den Hof trat, konnte sie ihr Glück mit Meta kaum fassen. Sie war so gutherzig und hilfsbereit, dass es beinahe schon zu gut war, um wahr zu sein. Bei Raffael hat das Mitleid nicht funktioniert. Er hatte es ihr keinen Moment abgekauft. Sie musste herausfinden, was sie gegen ihn nutzen konnte. Und entgegen Metas Behauptung, dass Scarlett ihm eine solch große Hilfe war, dachte Etienne eher, dass es sich lohnen würde herauszufinden, ob sie seine Schwäche sein könnte. Das würde sie nach ihrem Ausflug am nächsten Morgen herausfinden.
Dann schoss ihr Tatinnes wütendes Gesicht in den Kopf. Etienne spürte den nächsten Seufzer sich anbahnen. Ihre Tante würde nicht glücklich mit ihr sein. Oder vielleicht doch? Weil Etienne so zielstrebig sich an ihr Ziel klammerte und es verfolgte? Oder nicht, weil sie morgen nicht in der Schule auftauchen würde? Etienne wusste noch immer nicht, was ihre Tante mit dem Schulbesuch anstreben wollte und das machte es ihr nicht leicht, ihre Reaktion zu erahnen.