Etienne folgte der netten Sekretärin, Miss Arvon. Sie war in einem Anzug gekleidet und hatte ein Klemmbrett, auf das sie immer wieder schaute, wenn sie Etienne etwas erzählte oder wenn sie Halt machten.
Als sie durch den leeren Schulhof ging, verschwand ihre Müdigkeit und sie war beeindruckt von dem prächtigen Gebäude. Sie wurde eine Stunde vor Schulbeginn beim Sekretariat erwartet. Als sie am Morgen an der Schule angekommen war, hatte sie nur wenige Schüler gesehen. Doch danach verbrachte sie fast zwei volle Stunden damit, durch die Schule zu laufen. Etienne wurde die Bibliothek gezeigt und der botanische Garten. Sie wurde durch mehrere Sporthallen im hinteren Bereich der Schule geführt und ihr wurden zwei weiteren Bibliotheken gezeigt. Sie kam an einigen Schülern vorbei, welche sie neugierig musterten und Etienne konnte nach kurzem Mustern auch erkennen, dass sie alle eine andere Uniform trugen. Etienne vermutete, dass deren Aufmerksamkeit durch ihre Kleidung und der Anwesenheit von Miss Arvon insbesondere geweckt wurde. Auch Miss Arvon, hatte das Tuscheln bemerkt und sie daraufhin nach ganz unten in den Keller geführt und ihr diesen gezeigt. So waren sie nicht mehr unter den Blicken der Schüler gewesen und Etienne wurde erklärt, dass sie den Keller als Lagerstelle für alle möglichen Dinge nutzten. Auch Schüler, welche einer AG angehörten, durften sich dort einen Platz für ihre Gegenstände mieten. Um etwas Zeit zu vertreiben, hatte ihr die Sekretärin ein Bühnenbild gezeigt, an welchem aktuell gearbeitet wurde, für ein Theaterstück, welches von Schülern geschrieben wurde und vorgetragen werden sollte und das scheinbar schon sehr bald. Etienne hatte Schwierigkeiten so zu tun, als würde sie das Ganze interessieren.
Als sie wieder hochkamen, waren schon alle in ihren Klassen. Etienne hatte die Ehre gehabt, später zum Unterricht antreten zu dürfen.
„Normalerweise wird am Anfang des Schuljahres die Schule den Schülern durch andere Schüler gezeigt. Da du aber mitten im Schuljahr kommst, werde ich dir alles zeigen“, hatte ihr die Sekretärin gesagt. Nichtsdestotrotz, bemerkte sie viele neugierige Blicke aus den Fenstern. Wahrscheinlich hatte sich schon herumgesprochen, dass es einen Neuankömmling gab. Etienne hoffte, dass die neugierigen Blicke nicht allzu lange andauern würden.
„Hier haben wir den Club der alten Künste. Im Moment wird hier hauptsächlich Karate gemacht“, führte die Sekretärin weiter aus, als sie an den Sporthallen vorbeigingen „Unsere Clubmitglieder haben schon den siebten Sieg in Folge bei der Stadtmeisterschaft gewonnen und insgesamt dreimal landesweit den zweiten und viermal den dritten Platz belegt, gleich nach den Vertretern von Vheruna und den Mandragonrys. Und da die ersteren sowieso kaum einer besiegen kann, zählen wir den zweiten als den ersten Platz“, sie lachte und Etienne lächelte höflich, als sie den Ausführungen der Frau lauschte. In jeder Stadt gab es über Generationen hinweg eine Menge an außergewöhnlichen Menschen. Jeder wurde von klein auf mit allem ausgestattet, was ihm das Überleben erleichtern würde. Und seit den letzten zwei Generationen, wurde langsam dazu übergeleitet, wieder die Menschen für die Gesellschaft zu produzieren, welche sie am Laufen halten konnten. Viele der alten, überlebenswichtigen Fähigkeiten wurden dennoch weiterhin vermittelt. Es war gut so, denn ansonsten hätten sich die Städte im Laufe der letzten Jahrzehnte niemals zu dem entwickeln können, was sie heute waren. Nach langer Zeit, standen die Menschen wieder an der Spitze der Nahrungskette, wenn auch immer noch unter starker Konkurrenz.
„Es ist Pflicht eines jeden Schülers, einem Club beizutreten, mit Ausnahme der obersten drei Klassen. Diese sind viel zu beschäftigt mit dem Lernen des normalen Stoffes, sodass sie sich auf Clubaktivitäten nicht einlassen sollen. Aber natürlich darfst du einem Club beitreten, wenn du es willst. Ich habe mitbekommen, du hast eine recht gute Punktzahl bei dem Test erreicht, das sollte für dich also kein Problem darstellen“, sie lachte erneut, „Empfehlen würde ich es dennoch nicht, du wirst neben dem Schulstoff in andere Aktivitäten eingebunden, welche du verpflichtet sein wirst, durchzuführen. Aber davon können dir deine Klassenkameraden mehr erzählen.“
Etienne lächelte weiterhin höflich, vermerkte aber, dass sie einen Weg finden sollte, das Ganze schnell über die Bühne zu bringen. Sie würde sich diese Schule nicht länger als nötig freiwillig antun. Sie hatte kein Interesse an dem Wissen, welches die Schule ihr bieten würde. Die meisten Fächer waren darauf ausgelegt, der Stadt zu dienen. Hierfür brachten sie den Schülern alte Wissenschaften bei, wie Physik und Chemie. Auch alte Geschichte wurde gelehrt, jedoch nicht so intensiv wie die neue Geschichte. Die alte Welt hatte kaum noch Einfluss auf das Leben der Menschen. Um Kultur jedoch zu bewahren und alte Wurzeln aufzudecken, wurde auch hier in geringem Maße gefördert. Viel interessanter schienen die Fächer für die Administration und Politik zu sein. Doch auch damit konnte Etienne nichts anfangen. Neugierig war sie jedoch auf die Klasse der neuen Geschöpfe.
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Seit dem Untergang der alten Welt, sind viele Wesen emporgestiegen, welche den Menschen Konkurrenz gemacht hatten. Das Basiswissen hatte Etienne bereits zu Genüge gehört, wunderte sich aber, was die Schule hier zu bieten hatte. Vielleicht würde sie auch die Bibliotheken durchsuchen.
Die Frau blickte mit strahlenden blauen Augen zu ihr herüber und zupfte an einer Locke, welche aus der strengen Hochsteckfrisur locker an ihrem Hals herunterhing. Es ließ ihr noch den Anschein der jungen Frau, die sie war, „Wir haben dich in unsere jüngste Klassenzusammensetzung untergebracht. Du wirst dich da sicher wohlfühlen. Da du neu in der Stadt bist, will ich dich warnen, dich unnötig mit den anderen anzulegen. Du scheinst mir zwar nicht, wie eine Kriminelle, aber die gibt es im Überfluss an unserer Schule, und drei sitzen leider in deiner Klasse. Ah, wenn nur alle so vernünftig und nett wie Raffael und Elias wären. Leider nicht.“
„Ich komm in ihre Klasse?“, fragte Etienne. Die Frau gab ihr lächelnd ihre Zustimmung und fügte hinzu, „Du solltest dir überlegen, eine gute Beziehung zu ihnen aufzubauen. Schlaue Köpfe werden immer bei den Provinzen benötigt. Du hättest gute Chancen, durch den Kontakt zu ihnen, an einen gut bezahlte und sichere Arbeit zu kommen. Ansonsten, wenn du besonders gut in der Schule abschneidest, könntest du auch in der neutralen Provinz arbeiten. Wir haben einen Mangel an Arbeitskräften in administrativen Bereichen. Viele tendieren nach Vheruna zu gehen, wenn sie die Chance haben. Auch wurden uns schon einige schlaue Köpfe von den herrschenden Familien der anderen Städte abgeworben. Und die meisten Schüler tendieren viel eher dazu, in die Sicherheitseinheit zu gehen. Das macht es nicht einfach, die Balance zwischen den Provinzen zu halten.“
Etienne streichelte den Djinn, der an ihrer Schulter schlief und sein Schwanz zuckte leicht hin und her. Die Frau hatte ihm keine Beachtung geschenkt und Etienne hatte sich gefragt, ob ihr gutes Abschneiden im Test damit zu tun hatte, dass diese Frau nicht einmal bereit war den Kater an ihren Schultern zu hinterfragen. Wahrscheinlich lag es aber eher an seiner Magie.
„Die Nachricht einer neuen Schülerin hatte sich in Windeseile verbreitet. Es sind schon alle so neugierig! Selbst die Lehrer“, sie lachte erneut, „und dein Klassenlehrer, Herr Cruz, schwärmt wahrscheinlich gerade deine neue Klasse voll, so wie ich ihn kenne. Er ist immer von den ganz Schlauen begeistert. Wenn du gut lernst und keinen Ärger machst, dann wird er dich immer unterstützen. Lass dich aber nicht auf eine Diskussion mit ihm ein, er tendiert dazu, nie mit dem Gespräch aufzuhören.“
Etienne versuchte etwas einzuwerfen, doch das Thema wechselte schnell.
„Hier habe ich deinen Stundenplan, schau ihn dir genau an“, sie nahm einen Zettel aus dem Klemmbrett und gab ihn Etienne.
Etienne betrachtete diesen und war über die Fächer nicht überrascht. Genau das, was sie sich vorgestellt hat. Was sie sich nicht vorgestellt hat, war die Menge der Stunden pro Tag, „Ich soll jeden Tag zehn Stunden haben?“
Die Sekretärin blinzelte verwirrt und blickte sie noch einmal musternd an, „Ist das etwa ein Problem?“
Etienne lächelte wieder, „Nein, nein. Ich war nur kurz… überrascht“, unter diesen Umständen würde sie immer nur spät Abends aus der Klasse kommen. Sie müsste, um nicht zu früh aus der Schule zu fliegen, herausfinden, wie sie das mit ihrer Suche nach den Steinen vereinbaren sollte. Unter Umständen sollte sie mal genauer nachschauen, wie oft sie es sich leisten konnte zu fehlen. Sie musste die Scharade nur so lange mitmachen, wie sie auf der Spur der nächsten zwei Steine kommen würde. Bei der Situation mit Raffael würde sie nicht an der Schule bleiben müssen.
Die Frau lachte nach einem kurzen Zögern und Etienne folgte ihr dann die vielen, so vielen, Treppenstufen hinauf. Es überraschte Etienne, dass Miss Arvon nicht aus dem Atem kam. Anscheinend musste sie mehrmals am Tag laufen.