Nach einem kurzen, aber turbulenten Flug durch das stürmische Wetter über der Stadt erreichte der Raumgleiter die Silver Eagle. Constance starrte beim Anflug gebannt auf das schlanke, schnittige Raumschiff, das ganz offensichtlich kein normaler Frachter war, sondern eher ein ausrangierter Flitzer aus der privaten Flotte eines Industriellen. Der Länge von etwa 50 Metern nach schätzte sie die Besatzung auf höchstens ein halbes Dutzend Mann, bei fortschrittlicher Ausstattung mit künstlicher Intelligenz auch weniger.
Nepomuk ließ den Gleiter vollautomatisch andocken. Während des gesamten Manövers lümmelte er in seinem Pilotensessel und schenkte den Monitoren und der Steuerkonsole kaum Beachtung. Nach erfolgtem Druckausgleich löste er seinen Gurt und schwang sich dann elegant durch die Schleusen an Bord der Silver Eagle.
»Willkommen an Bord!«, rief er über die Schulter zurück und verschwand in einem Korridor. »Nun komm schon!«
Constance folgte bedächtiger, sie kannte das Layout der Gänge noch nicht und wollte in der Schwerelosigkeit nicht schmerzhaft mit einer Wand oder Kante kollidieren. So hatte sie auch mehr Muße, sich genauer umzusehen.
Die Wände der Schleusen und des kurzen Korridors zum Hauptgang waren mit cremeweißen Paneelen ausgekleidet, die dezente fliederfarbene Muster zierten. Constance wunderte sich ein wenig, die Farbgebung passte so gar nicht zu einem martialischen Schmugglerschiff.
Sie bog in den Hauptgang ein, der sich durch die gesamte Länge des Schiffs zog und in derselben Farbgebung ausgestattet war. Verblüfft klammerte Constance sich an einen Haltegriff und bestaunte den Teppichboden, mit dem der Gang ausgelegt war. Teppichboden! Offenbar verfügte die Silver Eagle sogar über künstliche Schwerkraft und ihre Besatzung konnte während des Fluges durch die Gänge laufen, anstatt sich gegen den Schub der Triebwerke durch den dann ‚senkrecht‘ stehenden Schacht zu mühen.
»Achtung! Achtung! Die Schwerkraft wird in 10 Sekunden eingeschaltet! Bitte halten Sie sich bereit«, ertönte eine automatisierte Durchsage.
Constance war in ihrer Vermutung bestätigt. Sie blieb an ihrem Haltegriff, orientierte sich aber so, dass ihre Füße ‚unten‘ waren und sanft den Fußboden berührten.
»Schwerkraft in drei Sekunden — zwei — eins — jetzt!«
Erleichtert fing Constance ihr sachte zurückkehrendes Gewicht ab. Dann ging sie um die Ecke und folgte dem Gang nach vorne in Richtung Kommandobrücke.
Dort wartete Nepomuk bereits auf sie und empfing sie mit einem spitzbübischen Grinsen. »Nochmals ‚Willkommen an Bord der Silver Eagle!‘ Wie ich sehe, hast du auch schon die geschmackvolle Einrichtung bewundert und die luxuriöse Ausstattung genossen.« Er warf ihr beiläufig ihre Smartwatch zu, die Constance gerade noch fangen konnte und sich dann anlegte.
Sie verkniff sich eine sarkastische Bemerkung und blickte sich stattdessen neugierig um. »Wie ich sehe, ist auch die technische Ausrüstung der Silver Eagle vom Feinsten. Woher hast du so ein high end-Schiff?«
»Frag nicht so viel und setzt dich an deinen Platz dort!«, herrschte Nepomuk sie an und deutete mit einer Hand auf die Konsole des Piloten. Er selbst hatte sich in einem der bequemen Sessel niedergelassen, die rings um die Brücke angeordnet waren und eher nach einem Passagierschiff aussahen als nach einem Schmugglerkahn.
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Gespielt eingeschüchtert schnallte sich Constance in den angewiesenen Sessel und studierte die Konsolen, die in zwei Halbkreisen über und vor ihr angeordnet waren. Zum Glück erkannte sie die Mehrzahl der Anzeigen auf Anhieb, da die Steuerkonsolen der meisten Raumschiffe nach dem gleichen Muster aufgebaut waren. Sie stutzte nur über die Vielzahl der Kontrollen und deren unübliche Kombination, offensichtlich waren hier die Elemente für Pilot, Navigator, Bordingenieur und mehr vereint.
»Stimmidentifikation: Constance Escher, Navigator«, intonierte Nepomuk betont deutlich. Dann wandte er sich an Constance. »Wiederhole deinen Namen, laut und deutlich, und sage noch ein paar Worte, damit die KI deine Stimme analysieren kann.«
»Constance Escher. Neu an Bord der Silver Eagle.« Sie zögerte. »Wann werde ich mit dem Rest der Besatzung bekannt gemacht?«, erkundigte sie sich zaghaft. Nebenbei legte sie das Kehlkopfmikrofon an, das sie neben sich gefunden hatte. Natürlich verfügte das Schiff über Sprachsteuerung. Mit dem Mikrofon konnte sie ihre Befehle dezent und unauffällig halblaut murmeln. Das könnte sich schon mal als nützlich erweisen.
Ihren BioTech-DataPort aktivierte sie noch nicht, beileibe nicht jeder hatte sich schon mit diesem ausstatten lassen. Manche fanden es schlichtweg unethisch, aber die meisten wollten keine fremden Stimmen in ihrem Kopf und schon gar nicht eine KI, die ihre Gedanken lesen konnte. Da der DataPort äußerlich nicht zu erkennen war, behielt Constance dieses Geheimnis vorerst für sich. Sie befürchtete aber, dass Nepomuk bereits davon wusste, da die Implantate sicherlich mit allen Details auf den Scannern seines Hauptquartiers zu sehen gewesen waren und wahrscheinlich sogar Modell und Baujahr hatten ermittelt werden können.
»Später vielleicht. Jetzt sehen wir, dass wir von hier wegkommen. Starte die Triebwerke und nimm Kurs auf den Asteroidengürtel«, wies Nepomuk sie brüsk an und lehnte sich mit verschränkten Armen in seinem Sessel zurück. Seine Füße hatte er ausgestreckt auf ein Tischchen vor sich gelegt. »Ach ja, und sieh zu, dass du unter den Radars der Militärkontrollen bleibst. Wir reisen sozusagen inkontrollito!« Er lachte schallend über seinen eigenen Scherz.
Constance verdrehte nur die Augen und wandte sich den Konsolen zu. Nacheinander überprüfte sie alle Systeme und ging geflissentlich die Startsequenz durch. Dann verschaffte sie sich einen Überblick über die anderen Schiffe in der näheren Umgebung und deren geplante Flugbahnen. Zu guter Letzt gab sie einen Kurs ein, der die Silver Eagle sanft aus der Umlaufbahn lenken und im Schatten zweier Frachter in den Asteroidengürtel bringen würde. Sie war gespannt, wie gut die Schiffs-KI mit dem dichten Verkehr in den Umlaufbahnen von Antares IV zurechtkommen würde. Constance ging aber davon aus, dass sie mit der weiteren Steuerung nicht viel zu tun haben würde, da die Systeme augenscheinlich auf dem neuesten technologischen Stand waren.
Weitaus spannender war, wie genau es die Militärs mit den Kontrollen nahmen. Aber hier könnte die seltsame Aufmachung und das auffallende Äußere der Silver Eagle sogar von Vorteil sein. Niemand würde auf diesem schnittigen Flitzer eine Schmugglerbande vermuten.
Es blieb nur zu hoffen, dass mit der Registrierung alles in Ordnung war und das Schiff nicht als gestohlen gemeldet war. Sonst würden hier bald die Alarmglocken schrillen.