Constance zog sich in ihre Kabine zurück, eigentlich mehrere miteinander verbundene Räume, die überraschend geschmackvoll und aufwändig eingerichtet waren und nicht so recht zu einem schäbigen alten Handelsschiff passen mochten. O‘Connor verdiente sich vermutlich ein saftiges Zubrot durch kleine Gefälligkeiten gegenüber einflussreichen Kaufleuten von zweifelhaftem Ruf oder nahm ab und an einen Botschafter gegen großzügige Bezahlung mit, der unerkannt reisen und den vielen wachsamen Augen und Ohren auf den großen Passagierschiffen entgehen wollte.
Während der langen und ereignislosen Reise zum Antares-System blieb Constance in ihrer Suite. Sie studierte ihre Unterlagen, fertigte ein paar Dossiers an und las hin und wieder ein Buch aus der umfangreichen und gut sortierten Bordbibliothek. Selbst ihre Mahlzeiten nahm sie in friedvoller Abgeschiedenheit ein.
Endlich schwebte die Galaxy in eine Umlaufbahn um Antares IV ein, dem vierten Planeten einer rötlich glimmenden Sonne.
Mit dem ersten Shuttle ließ sich Constance hinab zur Planetenoberfläche auf die Großbaustelle bringen, die hier die stolze Bezeichnung ‚Raumhafen‘ trug. Nach einigem Suchen entdeckte sie endlich das Büro der Einwanderungsbehörde, derzeit in einer Reihe behelfsmäßig aufgestellter Container untergebracht. Dort legte sie Papiere vor, die sie — beinahe der Wahrheit entsprechend — als gebürtige Antaresin auswiesen, die nach langem Aufenthalt in diversen anderen Sonnensystemen um einen permanenten Wohnsitz auf ihrer Heimatwelt ersuchte. Sie konnte auch einwandfreie Zeugnisse und Empfehlungsschreiben vorlegen — die selbst im Inhalt nicht ganz der Wahrheit entsprachen. So war die Wiedereinbürgerung eine reine Formsache, die sich nach Zahlung angemessener ‚Bearbeitungsgebühren‘ auch zufriedenstellend rasch abwickeln ließ.
Anschließend machte sich Constance auf den Weg in die alten Teile der Stadt. In all den Jahren war den wenigen Tausend Bewohnern kein passender Name eingefallen, sie hieß immer noch einfach ‚Die Stadt‘. Im Zentrum lag ein unübersichtliches Gewirr enger und verwinkelter Gässchen, das Unterschlupf vieler zwielichtiger Gestalten war. Constance suchte sich eine bescheidene und unauffällige Pension, wo ihr gutes Geld gerne angenommen wurde und keine überflüssigen Fragen gestellt wurden.
Die nächsten Tage verbrachte Constance in den düsteren Kneipen der näheren Umgebung, wo sie sich in einer ruhigen Ecke hinter einem Krug Bier verschanzte und aufmerksam dem Klatsch lauschte. Vor sich auf den Tisch legte sie ihre Mappe mit Sternkarten sowie ihre Zeugnisse und deutete so an, dass sie ein Navigator auf der Suche nach einer Heuer sei. Sie hütete sich, allzu viele Fragen zu stellen, sondern wartete immer, bis sich jemand zu ihr setzte und ein Gespräch anknüpfte.
Am sechsten Abend zahlte sich Constances Geduld endlich aus. Ein unscheinbarer Mann mittleren Alters setzte sich wortlos ans andere Ende ihres Tisches, nippte für eine halbe Stunde schweigend an seinem Bier und musterte die übrigen Gäste. Schließlich rutschte er herüber und nickte ihr kurz zu. »Auf der Suche nach einer Verdienstmöglichkeit?«
Sie bejahte, zeigte aber kein zu deutliches Interesse.
»Ich hätte eine gute bezahlte Position als Navigator im Außendienst eines unabhängigen Handelshauses anzubieten«, erklärte der Mann.
Constance nahm einen Zug aus ihrem Bierkrug, vorgeblich um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, in Wahrheit jedoch, um ein unwillkürliches Lächeln ob der blumigen Umschreibung für Schmuggel zu kaschieren. Schließlich ließ sie sich dazu herab, ein »Klingt ganz interessant«, hinzuwerfen.
»Irgendwelche Qualifikationen?« Der Mann ließ keinen Zweifel daran, dass nicht jeder dahergelaufene Tagelöhner für die anspruchsvollen Aufgaben in Frage käme.
Sie nickte unbeteiligt und ratterte eine lange Liste von Ausbildungsgraden und Dienstverhältnissen der unterschiedlichsten Sparten herunter. Um den Wahrheitsgehalt ihrer Behauptungen zu belegen, griff sie in ihre Zeugnismappe nach einem Bündel Dokumente.
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Der Mann winkte ab. »Lass gut sein. Lass uns verschwinden, hier ist es zu unruhig für ein vernünftiges Gespräch. Ich warte draußen an der Ecke. Komm in einer Minute nach.«
Constance nickte wortlos und wandte sich wieder ihrem Bier zu. Nach reichlich drei Minuten erhob sie sich gemächlich, warf dem Schankburschen einen Credit zu und stelzte hinaus auf die düstere Gasse.
Draußen pfiff ein kalter Wind durch die Stadt. Dieser vertrieb zwar die unangenehmen Gerüche, drang aber auch durch Constances dünnen Parka. Sie schlug den Kragen hoch und vergrub dann ihre Hände in den geräumigen Taschen.
Schräg gegenüber stieß sich der Mann von der Hauswand ab und ging langsam die Straße hinab. Ohne sich umzublicken schlenderte er scheinbar ziellos durch das Gewirr enger Gässchen, arbeitete sich aber stetig in den ältesten, verwinkeltsten und verrufensten Teil der Stadt vor.
Constance folgte ihm in gebührendem Abstand. Sie versuchte erfolglos, sich den Weg einzuprägen.
Schließlich betrat der Mann eine heruntergekommene Kneipe mit kleinen, durch alten Schmutz getrübten Fenstern, die an der Ecke eines bedrohlich wirkenden und ansonsten fensterlosen Häuserblocks lag.
Constance blickte sich ein letztes Mal unauffällig um und schlüpfte dann rasch durch die schmale Türöffnung. Zu ihrer Überraschung fand sie sich alleine in einer Schleuse wieder, vor ihr eine weitere griff- und schlosslose Tür, zu den Seiten verspiegelte Wände.
In der Wand zu ihrer Rechten öffnete sich eine kleine Klappe. Aus der Decke ertönte eine monotone Kunststimme: »Bitte legen Sie Ihre Waffen in das Fach. Sie erhalten sie beim Verlassen dieses Gebäudes zurück.«
Constance kam der Aufforderung nach, legte Stunnerpistole und Dolch aus ihrem Hüftgurt in das Fach und stellte sich vor die innere Tür.
Die Computerstimme wiederholte jedoch ihre Forderung und fügte detaillierte Angaben zu den versteckten Waffen hinzu, die noch abzugeben wären: »Bitte legen Sie die Nadelpistole in Ihrem Schulterhalfter ab. Bitte legen Sie das Messer in Ihrem rechten Stiefel ab.«
Verwundert sah sich Constance die Wände näher an, während sie ihre übrigen Waffen ablegte, konnte aber keine Anzeichen für eine Durchleuchtungsanlage erkennen. Offenbar war die Zugangsschleuse mit den modernsten Überwachungsgeräten ausgestattet, und sie war auf Anhieb an eine der mächtigeren Schmugglerbanden geraten.
Wieder erklang die Stimme: »Vielen Dank. Bitte legen Sie Ihre Ausweispapiere ebenfalls in das Fach. Sie erhalten diese nach sorgfältiger Überprüfung zurück.«
Mit einem flauen Gefühl im Magen zog Constance ihre Dokumente aus der Tasche und steckte sie zu den Waffen in das Fach. Ihr war nicht ganz wohl bei dem Gedanken daran, dass ihre Papiere aufs Genaueste unter die Lupe genommen werden sollten. Diese waren zwar von offizieller Stelle ausgefertigt worden, aber mit fingierten Daten.
Lautlos glitt schließlich die innere Tür zur Seite. Vor Constance öffnete sich eine hell erleuchtete Eingangshalle, die mit ihrem Chromglanz und den schimmernden Natursteinflächen in krassem Gegensatz zu dem schäbigen Äußeren des Gebäudes stand.
Von dem Mann, der sie hierher geführt hatte, war keine Spur zu sehen. Statt dessen erwarteten sie vier schwer bewaffnete Hünen, die sie in ihre Mitte nahmen und wortlos zu einem Lift geleiteten. Nach kurzer Fahrt nach unten wurde Constance durch einige schmale Korridore und in einen kleinen Raum gebracht, der mit seiner kargen Einrichtung von einem Tisch und drei Stühlen sehr an ein Verhörzimmer erinnerte. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt, als ihre Eskorte den Raum verließ und die Tür hinter sich zuzog.
Die Tür hatte auf der Innenseite keine Klinke.