Constance Escher starrte ungläubig auf das Schreiben, das ihr der behandelnde Arzt überreicht hatte. Oben auf der Seite prangte das Logo der BETA, der Behörde für extraterrestrische Angelegenheiten, einem eher unbedeutenden Ableger der militärischen Aufklärungsdienste MAD. Darunter stand in knappen Worten ihr neuester Auftrag:
Im System Antares sind technologische Artefakte aufgetaucht,
die vermutlich von einer unbekannten fremden Spezies stammen.
Eine Fregatte der Sondereinheiten ist dort in geheimer Mission unterwegs.
Der Funkkontakt zur Besatzung ist vor einigen Tagen abgebrochen.
Brechen Sie sofort dorthin auf und untersuchen Sie die Situation.
Constance konnte sich über diesen unerwarteten Marschbefehl nicht so recht freuen. Sie hatte sich während der letzten Wochen auf der Raumstation Ganymed IV von den Strapazen diverser Operationen an ihren Biotech-Implantaten erholt, die der MAD ‚routinemäßig‘ hatte durchführen lassen. Noch hatte sie sich nicht an die neuen Datenströme gewöhnt, die in ihr Gehirn eingespeist wurden und wurde ständig von stechenden Kopfschmerzen geplagt.
Das Antares-System lag im Saggitarius-Arm in Richtung des Zentrums der Milchstraße und in der Nähe diverser heiß umkämpfter Gebiete. Der ganze Raumsektor stand im Ruf, Schmugglern und anderen zwielichtigen Gestalten Unterschlupf zu bieten.
Diese Ermittlungen wären die Gelegenheit, endlich dem endlosen Trott unbedeutender Recherchen für ihren eigentlichen Arbeitgeber, dem MAD zu entkommen und etwas für ihre wissenschaftliche Karriere an der BETA zu tun. Ihre Leidenschaft war das Fliegen, aber darüber hatte sie die Wissenschaft oftmals vernachlässigt.
‚Technologische Artefakte‘ konnte alles Mögliche bedeuten. Den Militärs war nicht an der Erforschung der fremden Spezies gelegen, sondern sie interessierten deren technische Errungenschaften. Wenn sie die Herkunft der Artefakte selbst nicht kannten, waren sie wahrscheinlich von Schmugglern auf den Schwarzmarkt gebracht worden.
Constance seufzte tief. Letztendlich hatte sie keine Wahl, Befehl war Befehl. Sie las weiter.
Begeben Sie sich unverzüglich an Bord des Frachters Galaxy.
Dieser legt in zwei Stunden ab und steuert das Antares-System an.
Anbei finden Sie entsprechende Dokumente und Ausweispapiere.
Sie blätterte die beigelegten Unterlagen kurz durch. Das übliche Paket an falschen Papieren und Zeugnissen. Zum Glück waren Letztere nicht wieder so auffallend gut, dass sie unangenehme Fragen gestellt bekommen würde.
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Einmal mehr wunderte sie sich, wie die BETA es fertig brachte, ihr zeitnah neue Aufträge nachzusenden. Schließlich hielt sie sich im Perseus-Arm der Milchstraße auf und war die ungeheure Distanz von 20.000 Lichtjahren vom Sonnensystem und damit der Zentrale der BETA entfernt. Auch eine Nachrichten-Drohne müsste eine ganze Serie von Sprüngen durch den Hyperraum ausführen, mit den unvermeidlichen Manövern zwischen den einzelnen ‚Wurmlöchern‘, und wäre mehrere Wochen unterwegs. Offenbar verwendete die BETA schnellere Kommunikationskanäle, deren Nutzung ihr verwehrt war.
Constance packte ihre Unterlagen ein und wandte sich an den Arzt. »Wo finde ich denn bitte den Frachter Galaxy?«
»Fragen Sie den Hafenmeister«, grunzte dieser und hielt ihr etliche Formulare hin. »Ihre Entlassungspapiere. Hier unterschreiben.«
Constance bedankte sich artig und verabschiedete sich übertrieben höflich von ihrem Arzt, der sie geflissentlich ignorierte und mit dem Klemmbrett unter dem Arm um die Ecke verschwand. Geistesabwesend zerriss Constance den Auftrag in kleine Schnipsel, die sie im Hinausgehen in einen Abfalleimer warf.
Eine Stunde später trat Constance aus dem Büro des Raumhafenmeisters. Sie rückte die Gurte ihres sperrigen Rucksacks zurecht und ließ den Blick über das hektische Durcheinander auf der Hauptebene von Ganymed IV schweifen, soweit die ungewohnte Aufwärtskrümmung der zylindrischen Konstruktion dies erlaubte. Hier verschwand nicht der Boden unter dem Horizont, sondern die Decke darüber.
Constance blickte prüfend zurück in die verspiegelte Bürotüre, die hinter ihr ins Schloss gefallen war, und zog ihre Kappe noch ein wenig tiefer in die Stirn. Mit ihrem kantigen Kinn, den kurzen braunen Haaren und in den weiten abgetragenen Ledermantel gehüllt war sie auch auf den zweiten Blick nicht unbedingt als Frau zu erkennen. Ihre sonstige martialische Aufmachung — ein doppelter Pistolengurt mit insgesamt vier Schusswaffen und die Kevlar-verstärkte Weste und Hose — trugen auch dazu bei, dass sie unter den ganzen Haudegen und Söldnern auf der Station nicht weiter auffiel.
Sie sah sich kurz um und stakste mit langen Schritten auf die wartenden Transferkabinen des Magnetbahnsystems zu. Sie verwehrte rücksichtslos etlichen anderen, die in das selbe viersitzige Gefährt zusteigen wollten, mit ihrem voluminösen Gepäck den Zutritt. Dann gab sie mit flinken Fingern die Kennzahl für das Fahrtziel ein, einen kleinen Anleger im entlegensten Winkel des älteren Teils der Dockanlagen. Sobald sich die Schiebetüren mit einem asthmatischen Zischen geschlossen hatten und die Kabine sich in Bewegung setzte, lehnte sich Constance entspannt zurück und genoss die wenigen Minuten der Ruhe bis zum unvermeidlichen Trubel des Ladedocks.
Am Bestimmungsort angelangt blinzelte Constance missmutig ins gleißende Licht der Dockanlage und kletterte aus dem engen Fahrzeug. Dann ging sie auf die Hauptschleuse der trotz der grellen Beleuchtung grau und düster wirkenden Dockanlage zu.
Dort überprüfte der Lademeister persönlich die Frachtlisten und hakte jede einzelne Kiste und jeden einzelnen Container nach sorgfältiger Überprüfung der langen Seriennummer ab. Er blickte feindselig zu dem Neuankömmling auf, beschloss diesen zu ignorieren und wandte sich wieder der Kontrolle der Ladung zu.