Als er an der Feuerstelle ankam, stolperte er in eine Situation, in der der Mann mit dem struppigen Bart, Shadis – zumindest meinte er, dass das der Name des Mannes war – sich an die anwesende Menge wandte. Der Mann wirkte galanter als sonst. Er trug rote Kleidung, die er sich vermutlich von einem Diener geliehen hatte und sein Bart war nicht mehr struppig. Er hatte ihn offensichtlich für die besondere Gelegenheit, zu der er eine Rede hielt, frisiert.
„…und das ist, warum es mir eine außerordentliche Ehre ist, die Lords Blitz an ihrem 17. Geburtstag zu begrüßen!“
Shadis machte sich auf den Weg zu den Zwillingen und im Angesicht ihrer fein gekleideten Herren, brach die ganze Menge in Jubel aus. Und wie könnten sie es nicht? Die Jungen sahen absolut umwerfend aus, in ihren Leinenkostümen. Sowohl die Untertunika als auch das Übergewand waren kunstvoll hergestellt und über und über bestickt. Es passte ihnen so gut, dass niemand in Frage stellen würde, wem das Herrenhaus auf dem Hügel gehörte. Er konnte sich eines gewissen freudigen Stolzes nicht erwehren, während er Zeuge wurde, wie die Zwillinge, die in Ungnade gefallen und von ihrem Feind zur Arbeit gezwungen wurden, mit solchem Selbstbewusstsein ihre feine Kleidung zur Schau trugen. In dem Ansturm von Pfiffen und „ohs“ und „aahs“, fand er sich ekstatisch mit den anderen Sklaven, Minenarbeitern, Dienern und der dritten Gruppe, von der er vermutete, dass sie Bauern waren, wieder, noch bevor die Lords die Möglichkeit hatten, zu der Menge zu sprechen. Varyan, den die Situation ein bisschen nervös zu machen schien, versuchte sich Gehör zu verschaffen, aber seine Stimme wurde von begeisterten Rufen übertönt. Als Jacoby jedoch seine Hand hob, verstummte die Menge langsam. Als der Lord seine Hand wieder senkte, waren auch die Sklaven verstummt, die ihn nicht sehen konnten. Das ist der Einfluss, den ein Lord hat.
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„Es sind zwei Jahre“, begann Jacoby, „zwei Jahre, zwei Monate und 26 Tage.“
Ein Murmeln wanderte durch die Menge.
„Ich habe mitgezählt“, Jacoby trat einen Schritt vorwärts. „Ich habe die 817 Tage gezählt, die mein Vater, Thomas Blitz, mir mit seinem Opfer geschenkt hat.“
Die Menge war totenstill.
„Und er starb nicht nur für meinen Bruder und mich. Als Carnifex ihn köpfte, beschützte er uns alle. Er verhandelte mit den Abenteurern dafür, dass wir alle verschont würden. Er gab damit auch jedem einzelnen von euch 817 Tage.“
Jacoby nahm sich einen Moment zeit, um seinen Blick über die Menge schweifen zu lassen. Manche der Sklaven schluchzten leise.
„Mein Vater glaubte daran, dass Leben das größte Geschenk war, das man haben konnte, da der Tod überraschend und definitiv kommen würde, gerade so, wie die Abenteurer kamen und ihn holten.“ Er wechselte einen düsteren Blick mit Varyan. „An jedem Geburtstag, den wir feiern, erinnere ich mich daran. Aber ich bin dankbar für jeden einzelnen Tag, den er mir geschenkt hat. Es ist nicht das Leben, das ich mir gewünscht habe. Ich weiß, dass es auch nicht das Leben ist, das ihr euch gewünscht habt. Frustration wird euch manchmal überwältigen und ich weiß das, aber ich erwarte von euch, dass ihr es besser macht.“
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Am Rande der Menge scharrten ein paar der Minenarbeiter mit den Füßen.
„Kämpft nicht untereinander, da der Name Blitz euch verbindet. Schmeißt eure Leben nicht fort, sie wurden euch geschenkt. Versteht die Entscheidung meines Vaters unterworfen zu werden! Respektiert seinen Wunsch für uns zu überleben! Vertraut darauf, dass die Blitz Familie als Sieger hervorgehen wird! Glaubt daran, dass Cassandra meinen Großvater finden und zurückkehren wird, um die Verbrechen der Abenteurer zu sühnen!“
Shadis reichte ihm mit Tränen in den Augen einen Kelch.
„Loyale Untertanen der Blitz Familie“, er hob seinen Kelch, „so lange wir einander haben, werden wir durchhalten. Auf Freiheit von Carnifex! Auf ein Leben ohne Abenteurer! Auf die Blitz Familie!“
Die Menge brach in Jubel aus. Wenn vorher ein Jubelsturm gewesen war, war dies jetzt eine Vulkanexplosion von Menschen, die klatschten, mit den Füßen stampften und sich gegenseitig umarmten und miteinander jubelten. Ein Fremder klopfte ihm auf den Rücken, während einer der Bauern, die er nicht kannte, ihn bei den Schultern griff und ihn begeistert schüttelte, in einer Einladung, mit ihnen zu feiern. Aber ihm war nicht mehr nach Feiern zumute. Ein Leben ohne Abenteurer?
Er ging um die Rückseite der Menge und zog sich hinter ein paar Zelte zurück, in der Richtung, in der Cadmuns Zelt gestanden hatte. Über den Aufruhr der Menge hörte er Shadis erklären, dass das Festessen bald beginnen würde, und obwohl es köstlich roch und er seit Tagen nichts gegessen hatte, war ihm der Appetit vergangen. Er lehnte sich an einen Baum und tat ein paar tiefe Atemzüge. Das Fest hatte begonnen und er beobachtete, wie die Sklaven frei und nicht von den Abenteurern genossen: Bald schon begann einer der Diener Flöte zu spielen und die Sklaven, die mit dem Essen bereits fertig waren, standen auf und begannen in einem Kreis zu tanzen. Eine Bauernfrau und ein großer Minenarbeiter hielten sich in den Armen und wiegten sich zu der Musik vor und zurück. Er sah Cadmun beim Armdrücken mit einem weiteren glatzköpfigen Mann in Bauernkleidung, während Timmy ihnen zujubelte. Eine Gruppe der Bauern nutzte die seltene Gelegenheit, um sich mit Shadis und den Zwillingen zu unterhalten.
Sie gestikulierten wild, während sie emotional etwas Wichtiges erzählten. Jacoby hörte genau zu und sein kalter Gesichtsausdruck änderte sich nicht, bis die Männer fertig waren. Dann platzierte Jacoby eine Hand auf dem Bauern, der ihm am nächsten war und sprach ein paar aufmunternde Worte. Er zeigte auf Varyan, der nur lächelte, während sich Shadis wegdrehte, um seine Tränen zu verbergen. Die Bauern verneigten sich und weinten alle, bevor sie sich entfernten und sich wieder dem tanzenden Kreis anschlossen. Das gibt es nicht oft, dass sie sich alle treffen können.
Ein paar Minenarbeiter standen bei Lydia, die das Essen servierte, nicht um eine zweite Portion zu bekommen, sondern um sich mit ihr zu unterhalten. Sie waren mehr an dem Mädchen interessiert, als an dem Schweineeintopf. Als ein wütender Cadmun hinter Lydia auftauchte, verteilten sich die Männer in alle Richtungen, was ihn kichern ließ. Sie sehen alle so glücklich aus. Sieht so Freiheit von Carnifex aus? Aber was passiert mit den Spielern?
„Ich wusste, dass ich dich hier rüber gehen gesehen hab.“, die Stimme unterbrach seine Gedanken.
Es war Montgomery, der zwischen zwei Zelten auftauchte.