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Das Heilige Reich [German]
1. 20.2 Ave Melgar (TEIL 2)

1. 20.2 Ave Melgar (TEIL 2)

Hoch oben am Reichstag wehte die Fahne. Es war jene, die eine nach oben gestreckte, von Dornenranken umschlungene Faust auf rotem Grund abbildete. Fort war die Flagge, welche eine goldene Sonne mit geschwungenen Strahlen zeigte, die Reichsflagge, die selbst den wilden Orkanböen am Tag der Verwüstung Meglarsbrucks standgehalten hatte. An ihrer statt hatte man nun das Banner der Revolution gehisst. Die Männer des Kaisers wussten um die Bedeutung und Macht von Symbolen. Und sie nutzten diese.

Alle waren hier: Die Kaisergattin, der Reichskanzler, die Minister der Regierung, weniger bedeutsame Handlanger im Regierungsapparat, Familienangehörige der verschwundenen Reichstagsabgeordneten, der Teleiotische Patriarch, ja selbst der Alethische Patriarch. Obendrein begann sich auch noch eine große Ansammlung an gewöhnlichen Stadtbewohnern aus Neugierde darüber, was hier vor sich ging, auf dem Platz zusammenzufinden. Die Wachen hielten diese, so gut es ging, von den hohen Herren und Damen, die gespannt auf die Ankunft des Erkorenen warteten, fern. Von weit unten konnte man dann bereits das Regiment der Reichgarde, angeführt von Balduin, herannahen sehen. Das rot-weiße Karomuster ihrer Uniformen war unverkennbar. In Reih und Glied marschierten sie heran und blieben auch so am Rande des sogenannten Getreidemarktes stehen. Ihr Kommandant befahl ihnen dort auszuharren und gesellte sich dann zu den anderen profilierten Gästen hier.

Sobald er sich neben Peter Rubellio gestellt hatte, fragte ihn dieser sofort: „Was in aller Welt habt ihr nur angestellt! Wo ist Wenzel? Er müsste genau jetzt hier sein, also warum ist er nicht mit dir hergekommen?“ – „Durchlauchtester Kanzler, ich bitte Sie für eine weitere Minute Geduld aufzubringen. Seine Hoheit wird alle Fragen beantworten, die Sie bedrücken.“ Gleich nachdem er das gesagt hatte, riefen schon die Ersten und zeigten mit ihren Fingern hinauf zu ihm. Oben am Balkon war plötzlich der Zauberer von einem Moment auf den anderen erschienen. Nur Amalie, Silke, Ylva und Brahm wussten, wie er das gemacht hatte.

Vom Reichstagsgebäude blickten zwei leuchtende Sterne herab. Seine Aura züngelte wie die Flamme einer Kerze gen Himmel, ein Phänomen, das fast niemand hier jemals zu Augen bekommen hatte. Sie war wesentlich stärker als jene magische Aura, an die Amalie sich noch von damals, als sie sie zuletzt gesehen hatte, erinnern konnte. Schließlich begann das strahlende Wesen von oben herab die Menge zu adressieren:

„Werte Freunde! Werte Untertanen! Diese Ansprache gilt dem ganzen Reich und all seinen Völkern! Ich habe euch heute hierhergebeten, um eine Ankündigung epochaler Wichtigkeit zu machen. Euer einstiger Herrscher, derjenige bekannt als Wenzel Althun ist nicht mehr! Möget ihr es glauben oder nicht, aber es ist die Wahrheit: Vor euch steht Melgar, der Auserkorene Gottes!“

Die Masse regte sich und fieberhaftes Nuscheln überzog den Platz. Sogleich setzte seine Majestät die Rede fort: „Wiedergekehrt bin ich, wiederauferstanden von den Toten, um die Welt wieder ins Lot zu bringen. Zu diesem Zwecke habe ich diese neue Hülle hier übernommen, deren Körper ich nun bewohne. Bezweifelt es nicht, denn es ist die Wahrheit. Ich bin der Von-Gott-Auserwählte, von dem eure Heiligen Texte sprechen!

Nun denn! Jetzt werdet ihr euch wohl fragen, warum ich die Dinge in Auftrag gegeben habe, die heute Vormittag passiert sind. Verzagt nicht, der Reichstag ist nicht permanent abgeschafft. Ich habe die Sitzung lediglich verschoben. Bei deren Fortsetzung in ein paar Tagen, wird das hohe Haus sich allerdings damit abfinden müssen, dass der Herrscher künftig ein Vetorecht in diesem haben wird! Ich verlange nicht mehr als die Autorität, die mir in meiner Rolle als Souverän zusteht und diese werde ich von nun an entgegen allen Widerständen durchsetzen! Ohnehin waren diejenigen, die die Geschicke des Reiches in den letzten Jahren gelenkt haben, vollkommen unzureichend. Wahrhaftig verstehen sie nichts vom Land und seinen Menschen.

Was wissen die schon, was es bedeutet, alles zu verlieren, vor den Trümmern seiner eigenen Existenz zu stehen! Was wissen sie schon davon, sich selbst wiederaufzurichten und zu sagen: ‚Ich werde leben!‘ Nichts! Gar nichts wissen die! Ich allerdings weiß es schon. Verfolgt und unterdrückt hat man mich in Tagen des Testaments, ebenso, wie in diesem neuen Leben! Doch dem wird man nicht Herr werden! Der Auserwählte Gottes wird sich nicht von so etwas aufhalten lassen. Wir werden die Versprechen, die einst gebrochen wurden, die unerfüllt blieben, einlösen. Nur mit mir wird das passieren. DENN ICH BIN DIE REVOLUTION!“

Das Staunen der Zuhörerschaft übertünchte nun jegliche andere Emotion, die sie haben hätten können. Am Ende der Rede seiner Heiligkeit, hätte man eine Stecknadel fallen lassen können und man hätte deren Aufprall gehört, so leise war es am gesamten Platz geworden. Balduin stampfte wieder mit seiner scheppernden Rüstung hinüber zu seinem Gaul, auf dessen Sattel er sich unmittelbar schwang. Die lange Promenade hinunter konnte man auf einmal, so weit das Auge reichte, eine Kolonne an Infanterie, aber auch Kavallerie erspähen. Direkt hinter der Reichgarde hatten sich die Regimenter der Heiligen Ordanischen Armee angereiht. An deren Spitze war der Oberste Marschall zu sehen! Der Reichskanzler schlussfolgerte da, dass Ferenc offenbar die Entscheidungen des Kaisers akzeptiert hatte, auch wenn er wahrscheinlich in Bezug auf diese nicht eingeweiht gewesen war. Schon von Weitem konnte Amalie jedoch in seinem Gesicht erkennen, wie gespalten der Militär aufgrund der Geschehnisse war. Der niedergeschlagene Ausdruck, den er machte, erinnerte sie stark an den Tag, an dem er Theodor damals mit dem gefälschten Brief Augusts konfrontiert hatte.

Erst jetzt fingen die ersten der unzähligen Schaulustigen hier an, wenn auch vorerst verhalten, die üblichen Rufe von „Ave Melgar“ von sich zu geben. Die versammelten Eliten, mit Ausnahme der Kirchenvertreter, blieben weiterhin stumm. Keine militärischen Hörner, sondern spezifisch Posaunen, welche ja sakrale Instrumente waren, wurden dann auf Befehl von den Soldaten geblasen. Laut erschallten sie die ganze Straße entlang, um den Start der Parade anzukündigen. Gemeinsam mit den Trommeln spielten sie einen aggressiven Rhythmus, zu dem die Karos nun zu singen begannen:

Mein Herz brennt für den richt‘gen und heil‘gen Weg,

Mein Kopf weiß, dass der Erkor’ne für ihn steht,

Mein Schwert weiß wer die Feinde des Reiches sind,

Mein Arm führt es und schlägt die Elenden geschwind.

Nun voran zu einer neuen gold’nen Zeit,

Oh, mein Herr, wir sind fürs Paradies bereit,

Möge Blut unsre Ströme rot verfärben,

Ein Gold’nes Reich werden unsre Nachfahren erben.

Die uniformierten, jungen Männer überquerten tirilierend und in Formation den Platz und marschierten dann weiter entlang der breiten Alleen durch die Stadt. Aus den Gesichtern jener der Reichsgarde strahlte Enthusiasmus und in ihren Augen konnte man geradezu ihre Überzeugung hervorfunkeln sehen. „Wir werden Gottes Reich auf Erden errichten“, dachten sie sich. Die Trommeln schmetterten und die Blasinstrumente posaunten durch die Metropole, den neuen Heiligen Krieg verkündend. Viele Einwohner zog das Interesse daran, was hier vor sich ging, an. Ihre Paraderoute ging vorbei an allen wichtigen Orten und Monumenten der Ruinenstadt, oder zumindest dem, was von diesen noch übrig war.

Vom Balkon aus schaute seine Hoheit der sich-langsam-hinziehenden Kolonne zu, bis diese ihn gänzlich passiert hatte, die einstweilen hölzerne Ersatzbrücke über den Duhn hinüberschritt und durch die anderen Stadtteile im Norden zog. Darauffolgend ging Melgar durch die Balkontüre hinter sich wieder in das Regierungsgebäude hinein. Dies veranlasste auch alle anderen hier nun gleichzeitig wieder in den Reichstag zu drängen.

Ein ungestümes Gewühl an Ministern, Kirchenvertretern, Adeligen, deren Leibwächtern und der Reichsgarde quetschten sich durch die Gänge. Inmitten dieser befand sich auch Amalie, unter den Argusaugen ihres Beschützers, Brahm. Gesagte Person flüsterte Ihrer Majestät nun allerdings etwas uns Ohr und trennte sich überraschenderweise dann von dieser. Durch die emotional aufgewühlte Menschenmenge preschte er vehement und zielstrebig hindurch, um dann die Treppen zu erreichen und diese schnellen Schrittes zu erklimmen. Bald schon hatte er die Zuschauerschaft der Parade hinter sich gelassen und eilte schleunigst dahin, wo er hinwollte. Wo war das? Nun, weiter vorne am Gang des oberen Stockwerks konnte man ihn schon ausmachen: Kaiser Melgar.

Sein alter Kumpane trat an den Kaiser heran. Angespannt wirkend, adressierte er diesen dann: „Lasst mich gleich zur Sache kommen, Eure Hoheit! Es tut mir leid, aber ich kann Euer jetziges Vorgehen im Staate nicht weiter mittragen. Das ließe sich mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren. Mit einer solchen Zwangsherrschaft, welche Gewalt gegen alle anwendet, die dem Autokraten an der obersten Spitze des Reiches nicht gehorchen, will ich nichts mehr zu tun haben! Somit bitte ich darum, von Euren Diensten freigestellt zu werden.“ Infolge kneifte der Erkorene seine Augen skeptisch zusammen und entgegnete ihm: „Und doch hast du all die Jahre und Jahrzehnte kein Problem damit gehabt, als ich noch nicht derjenige war, dem man die Schuld für solche Dinge geben konnte! Glaub ja nicht, mir einreden zu können, dass all das meine Schuld ist! Wieder und wieder habe ich versucht die Gesellschaft in andere Bahnen zu lenken, alles vergebens! Der Adel, aber genauso die Kirche, nie haben sie auf mich gehört. Nun ernten sie die Früchte, deren Saat sie selbst ausgebracht haben! Die jungen Männer, die sie indoktriniert haben, sie marschieren jetzt in meinen Reihen und tanzen nach meiner Pfeife. Und warum? Weil man mir keine Wahl gelassen hat. Damit heißt es entweder sie oder ich, und wenn wir dieses Spiel spielen, dann werde eben ich es sein.“

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Er sprach mit Flexionen und Behauchungen, die einem fast schon den Eindruck gaben, als ob er Ordanisch nur so nebenbei als Fremdsprache gelernt hatte, doch seine Argumente trafen Brahm dennoch schwer. Der Mann hatte keine Ahnung, wie er auf das Ihm-Vorgeworfene antworten sollte. „Der Reichsrat hatte nichts gegen Euch vor!“ Auf diese Aussage hinauf erläuterte ihm seine Majestät: „Was weißt du schon! Ich weiß was passieren wird. Ich sehe die Zukunft.“ Dann bemühte er sich kurz herunterzukommen, und fuhr schließlich fort: „Sei’s drum! Ein gesunder Leib stößt alles ab, was ihm zum Schaden ist, und nimmt nur das auf, das ihn stärkt und erhält.“ Sein Gleichnis verstanden habend, konnte sein ehemaliger Leibwächter das Gesagte nicht so einfach auf sich ruhen lassen. Er gab Folgendes zur Widerrede: „Ich würde das Reich wohl eher mit einem Fisch vergleichen. Und wir alle wissen, wo ein solcher zu stinken anfängt!“ Melgar schien von seiner cleveren Retorte amüsiert und ließ ein kurzes Lachen aus. Dann kehrte er ihm den Rücken zu und zog von dannen. Auf diese Weise hatte es sich zugetragen, dass auch der alte Hase, Brahm, sich aus dem Kaiserhaus verabschiedete.

Vereinzelte, kleine Schäfchenwolken bedeckten das Firmament in scheinbar vollkommener Reglosigkeit, fast schon so als ob das ganze Erdenrund zum Stillstand gekommen wäre. Auf dem Dach sitzend beobachtete er diese aber nicht. Er war nämlich vertieft in das, was er gerade las. „Was machst du da?“, erreichte ihn von hinten die Stimme Peters, der scheinbar unbemerkt die Dachterrasse hier betreten hatte. Offensichtlich hatten ihn die Wachen passieren lassen. Dem erwiderte der Erkorene: „Ich schwelge nur mal wieder in der Vergangenheit.“ Über dessen Schulter konnte der Mann dann einen Blick darauf erhaschen, worum es sich bei seiner Lektüre handelte. Es war das Heilige Testament, das auf seinem Schoß lag.

„Es ist angenehm festzustellen, dass sich in den letzten fünf Jahrhunderten nichts daran geändert hat. Wenigstens eine Konstante.“ Sein Ordanisch klang jetzt sogar fremdländischer als das Peters. Als er dem Fragesteller dann ins Gesicht blickte, fiel ihm sofort der zerstreute, abgeriebene Ausdruck darin auf. Angesichts der heutigen Ereignisse war wohl davon auszugehen, dass Wenzels erster Freund so einige weitere Fragen für ihn haben würde. Somit sprach er ihn sogleich an: „Was möchtest du von mir?“

„Willst du ernsthaft diese Charade auch mir gegenüber aufrechterhalten, Wenzel? Ich verstehe schon, dass du einer Rechtfertigung bedurftest, die die Kommune auf deine Seite bringt und welche sich auch öffentlich vertreten lässt. Kühn war sie zwar trotzdem - Puh, und wie sie das war – aber vermutlich gibt es in Ordanien genügend Menschen, die wahrhaftig an solche Wunder glauben. Dennoch, mir brauchst du hier bitte nichts vormachen, Wenzel!“ Seine Hoheit starrte ihn folglich gemütsarm an, wobei aber auch ein Hauch von Enttäuschung sich aus dessen Miene offenbarte. Er zog sein nicht nur zeremonielles Schwert aus der Scheide und hielt es dem Mann hin. Dann erwiderte er seinem Freund:

„Dies war eines der fünf Heiligen Artefakte. In ihnen hatte ich meine Seele über Jahrhunderte konserviert.“ Bevor er seine Erklärung weiterführen konnte, wies ihn Peter jedoch darauf hin, dass seine Gattin ihn bereits über die Natur dieser Objekte in Kenntnis gesetzt hatte. „Ich glaube es trotzdem nicht“, kommentierte er hierzu. Das hatte Melgar nicht auf dem Zettel gehabt. Er betrachtete den Sprung im trüb gewordenen, roten Juwel des Schwertes und fragte sich, was sein Gegenüber dazu veranlasste, die Realität, die sich vor ihm präsentierte, als unwahr anzusehen. War es nicht offenkundig ersichtlich, wie anders er nun war, wie sein gesamtes Haar nun schneeweiß erstrahlte? Schließlich sagte er: „Setzt dich zu mir. Reden wir noch ein bisschen. Du wirst schon noch begreifen, dass ich dir die Wahrheit gesagt habe.“ Dem leistete der Kanzler nun folge und gesellte sich zu ihm.

„Wirst du nun wirklich die drakonischen Strafen abschaffen? Ich meine, die Anerkennung des Alethismus ist wahrscheinlich der mutigste Schritt, den überhaupt irgendwer tun hätte können. Und ich meine mutig auf vielerlei Weise…“ Der Zauberer erläuterte ihm nun: „Allgemein werde ich die Strafen für Blasphemie verringern. Das Tolerieren derjenigen, die den Erkorenen nicht als heilig ansehen, wird hier die Verurteilungen ohnehin erheblich reduzieren. Zur selben Zeit werden aber eine große Anzahl an Schismatikern, die die Entscheidung des alethischen Patriarchen nicht anerkennen, weiterhin mit ähnlicher Härte, wie bisher, gehandhabt werden müssen. Insgesamt schätze ich aber, dass es die Unterdrückung der Allgemeinheit im Land reduzieren wird.“

Peter meldete hierzu Skepsis an. Des Weiteren vermerkte er: „Ist das deine Ausrede dafür, das ganze Reich destabilisiert zu haben? Wie sollen wir Aufbau und Wachstum unter solchen Umständen erzielen?“ – „Also, zum ersten Punkt: Nein, ist es nicht. Und zweitens ist sowieso schon alles kaputt und hinüber. So oder so müssen wir wieder von unten anfangen.“ Da musste ihm sein Gesprächspartner recht geben, auch wenn es ihm missfiel. „Und die Möglichkeit einer Revolte des Adels bereitet dir überhaupt keine Sorgen? Nicht mal das kleinste bisschen? Mir nämlich schon!“ Der Herrscher musste hier nicht einmal überlegen, schüttelte den Kopf und gab ihm sofort Folgendes zur Antwort: „Nein, tut es nicht. Mehr als ein paar kleinere Aufstände bringen die nicht zustande, und die würden und werden keine Chance haben und mit Leichtigkeit niedergeschlagen werden!“

„Dein Selbstvertrauen möchte ich haben!“, gab sein Gegenüber da von sich. Der Magier konterte jedoch: „Es ist weniger Selbstvertrauen, als dass es Beobachtungsgabe und logische Ableitung ist. Die Kräfte, die die Rebellen in Camenia und Kascharovar gesammelt hatten, sind erst kürzlich zerschmettert worden. Da ist kaum mehr Potential, das man für den Widerstand mobilisieren könnte. Außerdem werden die größten Adelshäuser es sich wohl zweimal überlegen, ob sie gegen mich aufbegehren, wo ich doch einige ihrer wichtigeren Herren in Gewahrsam habe.“

Nachdem er das geäußert hatte, brachte eine der Garden ihnen Schüsseln mit einer Auswahl an Trockenfrüchten vorbei, die seine Majestät anscheinend angefordert hatte. Es waren Feigen, Datteln, Äpfel, Rosinen und Marillen. „Hier, greif ruhig auch zu“, meinte der Kaiser da zu seinem Freund. Anfangs zögerlich, schaute dieser nur, probierte dann aber auch welche von den Datteln. Erst jetzt begann dieser seine Perspektive tatsächlich zu hinterfragen. „Könnte er denn wirklich zu Melgar geworden sein? Wenzel hat noch nie so etwas gegessen. Die Verhaltensweisen von ihm haben sich merklich geändert, aber bisher habe ich das auf den Schock durch die Ereignisse mit Viktoria geschoben. Er ist nicht komplett anders als vorher. Irgendwie ist Wenzel immer noch in ihm, ..…..irgendwie aber auch nicht.“

Während sie so dasaßen und aßen, konnte der gebürtige Camenier es sich nicht verkneifen, immer wieder auf den Souverän hinüberzuschauen. Das war natürlich auffällig. „Ich weiß, dass du nach etwas suchst….nach jemanden suchst, der nicht mehr da ist. Es ist in Ordnung. Ich verstehe, wenn du es noch immer nicht wahrhaben willst. Seine Erinnerungen sind immer noch hier oben“, er deutete auf seinen Kopf, „und ich weiß, dass Wenzel dich immer hochgeschätzt hat. Ich werde versuchen, dass sich zwischen uns nichts ändert. Obwohl das natürlich ein kindischer Gedanke ist. Alles ist in stetem Wandel und kann gar nicht gleichbleiben.“ Peter spürte, dass da echte, ernst gemeinte Emotionen von dem, der da mit ihm sprach, zu ihm herüberkamen.

Eine Sache beschäftigte ihn aber noch: „Und Amalie? Warum hast du das Ganze mit ihr noch nicht besprochen? Immerhin ist sie deine Frau.“ Melgar nahm eine größere Rosine und schob sie sich in den Mund bevor er ihm entgegnete: „Ich bin hier raufgekommen, um ihr aus dem Weg zu gehen. Ich habe mir noch immer nicht die richtigen Worte geistig zurechtgelegt, um meinem Schatz die Angelegenheit mit dem nötigen Takt herüberzubringen. Bei ihr muss es genau passen. Sie hat ohnehin schon genug durchgemacht.“ – „Verstehe ich. Naja, da werde ich mich nicht einmischen. Viel Glück!“, sagte Peter lediglich dazu. Danach dauerte es nicht mehr lange bis er seinen Abschied nahm. Gewiss war die Sonne schon sehr tiefstehend und es standen vor allem jetzt Unmengen an Dingen an, die es zu erledigen galt.

Nachdem der erste Freund, den er je gehabt hatte, verschwunden war, verweilte der Erkorene noch hier. Er würde dem Sonnenuntergang beiwohnen. Er dachte noch eine Weile alleine nach. „In den letzten fünfhundert Jahren sich nichts daran verändert hat... Ha!“, mokierte er sich nun über seine eigenen Worte von zuvor. „Dass er so einen Schwachfug einfach unhinterfragt akzeptiert!“ Was ihm hierbei nicht bewusst war, war die Tatsache, dass sein alter Freund immer noch voll Skepsis ihm gegenüber war und es noch lange dauern würde, bis er die wahren Umstände der Identität des Kaisers akzeptieren würde.

Der Tag ging der Neige zu. Melancholie überkam den Magier, während er über alles, was geschehen war reflektierte. Direkt in die hinabsinkende Sonne schaute er, wodurch er sich an deren hellen Strahlen blendete. Was hielt die Zukunft bereit? Er hatte da so seine Vorstellungen, selbst wenn letzten Endes nur Gott dies wusste. Ein Reich so golden wie die Sonne selbst wollte er zurücklassen. Alle Kraft, die er hatte, würde er nun aufwenden, um diesen Traum in Erfüllung gehen zu lassen. Langsam, aber sicher verschwand das Gestirn am Horizont. Sein Licht begann sich immer mehr zu röten und tauchte die Ruinen der Stadt in tiefstes Karmesinrot. Langsam, ganz langsam wurde es immer dunkler, bis es schließlich ganz hinter dem Horizont verschwand. Morgen würde wieder ein neuer Tag sein. Ein neuer Tag würde immer dämmern. Komme was da wolle.

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